75.

Auf der Rück­rei­se von Wien sprach der Ad­vo­kat Bög­ler in Köln vor, wo Me­lan­der ein Haus hat­te, um ihm von dem un­er­wünsch­ten Fort­gan­ge sei­nes Pro­zes­ses Be­richt zu er­stat­ten. Me­lan­der möge ihm be­zeu­gen, sag­te er vor­an­schi­ckend, dass er von An­fang an kein gu­tes Zu­trau­en zu dem Pro­zess ge­habt und ihm ei­gent­lich ab­ge­re­det hät­te.

Ob er da­mit sa­gen wol­le, frag­te Me­lan­der stirn­run­zelnd, dass sei­ne Sa­che schlecht wäre?

Bög­ler be­eil­te sich zu ver­si­chern, sei­ne Sa­che wäre die bes­te von der Welt, es kom­me vor Ge­richt aber nicht dar­auf an, wer recht habe, son­dern wer recht be­kom­me, und dazu habe Me­lan­der, ob­wohl er klär­lich und un­wi­der­sprech­lich im Rech­te sei, we­nig Aus­sicht.

Es han­del­te sich dar­um, dass Me­lan­ders Ver­wand­te mit Be­ru­fung auf ih­ren ad­li­gen Stand Ab­ga­ben­frei­heit be­an­spruch­ten, wel­che der Graf von Nassau-Ha­da­mar, in des­sen Er­b­län­dern ihre Gü­ter la­gen, ih­nen nicht zu­ge­ste­hen woll­te, in­dem er die Recht­mä­ßig­keit ih­res Adels be­stritt. Es las­se sich zwar nach­wei­sen, be­haup­te­ten die Ver­tre­ter des Gra­fen, dass Kai­ser Ru­dolf einen ge­wis­sen Wil­helm Ep­pel­mann in den ad­li­gen Stand er­ho­ben hät­te, nicht aber, dass die Fa­mi­lie des Ge­ne­rals von die­sem ab­stamm­te, was sie zwar prä­ten­dier­ten, aber nicht er­här­ten könn­ten. Viel­mehr wä­ren sie nichts als Bau­ern und da­her zur Ab­ga­ben­leis­tung ver­pflich­tet, wo­von das Ge­gen­teil zu be­wei­sen dem Ad­vo­ka­ten des Ge­ne­rals noch nicht ge­lun­gen war.

Dem Sin­ne nach, sag­te die­ser, habe er das Er­for­der­li­che zur Ge­nü­ge dar­ge­tan, er habe dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Brü­der und Ohei­me des Ge­ne­rals stu­diert hät­ten, wie lan­ge der Fa­mi­li­en­sitz in ih­ren Hän­den wäre und meh­re­res, was im Ve­rein mit dem großen An­se­hen und den un­s­terb­li­chen Ver­diens­ten des Ge­ne­rals vor ei­nem un­par­tei­ischen Ge­richt ge­nügt ha­ben wür­de, zu sei­nen Guns­ten zu ent­schei­den; aber in die­sem Fal­le kön­ne er das Recht wie ein Drei­eck auf den Tisch le­gen und die Win­kel nach den Vor­schrif­ten des Py­tha­go­ras be­rech­nen, die Her­ren wür­den ihm be­strei­ten, dass a gleich a und dass zwei­mal zwei gleich vier sei.

Der Ad­vo­kat lä­chel­te fein und über­le­gen, wäh­rend Me­lan­ders Mund sich ver­kniff und sei­ne Au­gen mit stren­gem Blick zu Bo­den starr­ten.

Graf Jo­hann Lud­wig von Nassau-Ha­da­mar war näm­lich, durch Til­ly be­drängt und auf Be­trieb ei­ner ka­tho­li­schen Tan­te, im Jah­re 1629 in Wien zur ka­tho­li­schen Kir­che über­ge­tre­ten und wur­de seit die­ser Zeit bei je­der Ge­le­gen­heit vom Kai­ser be­güns­tigt und aus­ge­zeich­net.

»Wenn der Graf be­haup­ten woll­te«, fuhr der Ad­vo­kat fort, »dass Euer Ex­zel­lenz über­haupt nicht exis­tier­ten, so wür­de es schlech­ter­dings un­mög­lich sein, das Vor­han­den­sein des strei­ti­gen Ge­gen­stan­des zu be­wei­sen. Man wür­de Euer Ex­zel­lenz ver­mut­lich für eine Schi­mä­re oder Hirn­ge­spinst er­klä­ren.«

»Ich bin im­stan­de zu be­wei­sen«, sag­te Me­lan­der mit er­zwun­ge­nem Lä­cheln, »dass eine Schi­mä­re Schlä­ge aus­tei­len kann.«

Der Ad­vo­kat lach­te hell und herz­lich und be­rich­te­te, um Me­lan­der in gute Lau­ne zu ver­set­zen, al­ler­lei Hi­stör­chen über Jo­hann Lud­wig von Nassau, die er auf­ge­le­sen hat­te: wie dass die Grä­fin, die bei ih­rem Glau­ben ge­blie­ben war, fast nicht mehr aus der Kir­che käme, wo sie die Ver­ir­rung ih­res Ge­mahls ab­zu­be­ten ver­su­che, und dass kürz­lich der Je­suit auf Schloss Dil­len­burg ge­we­sen sei, der sei­ner­zeit den Gra­fen durch glück­li­ches Dis­pu­tie­ren über­zeugt hät­te, und dass der Graf ihn knie­fäl­lig wie den Hei­land in ei­ge­ner Per­son be­grüßt habe.

Me­lan­der lach­te nicht, son­dern sei­ne Mie­ne wur­de im­mer sau­rer und gräm­li­cher. So sei es also des Ad­vo­ka­ten Mei­nung, sag­te er, dass im Rei­che au­ßer durch Lug und Trug kein Recht zu er­lan­gen sei?

Der Ad­vo­kat ver­schnör­kel­te sei­ne Lip­pen und sah nach der De­cke. Der si­chers­te und nächs­te Weg wäre das in die­ser trüb­se­li­gen Zeit wohl, sag­te er. Das Recht und der ir­di­sche Er­folg wä­ren ge­wis­ser­ma­ßen zwei Par­al­le­len, die sich in der Ewig­keit schnit­ten. Vor Gott ge­nü­ge das ja. Wol­le man aber hie­nie­den schon et­was Rea­les se­hen, so müs­se man, wie der Graf von Nassau ge­tan hät­te, einen Sal­to mor­ta­le oder ver­zwei­fel­ten Sprung dar­um wa­gen.

Eins wis­se er be­stimmt, ent­geg­ne­te Me­lan­der, dass kein Hunds­fott auf der Welt ihn zwin­gen kön­ne, auch ein Hunds­fott zu wer­den. Aber auf­ge­ben tue er den Kampf doch nicht. Ein Ehren­mann kön­ne sich sein Recht mit dem Schwert er­kämp­fen.

Der Ad­vo­kat äu­ßer­te sei­ne Be­wun­de­rung des hel­den­haf­ten Ent­schlus­ses in leb­haf­ten Wor­ten und er­laub­te sich den Rat, Me­lan­der möch­te schleu­nig nach Wien ge­hen, sein per­sön­li­ches Er­schei­nen wer­de Wun­der wir­ken. Ihm sei von vie­len Sei­ten ver­si­chert, dass der Kai­ser die größ­te Hochach­tung vor Me­lan­der hät­te. Bei ei­nem Man­ne von Me­lan­ders Ver­diens­ten und Tu­gen­den ver­stei­fe er sich nicht we­gen der Re­li­gi­on. Me­lan­der wis­se ja­wohl selbst, dass Of­fi­zie­re in Ös­ter­reich so häu­fig wie Kraut­köp­fe wä­ren, gute Feld­her­ren aber rar wie das lie­be Geld.

Me­lan­der wuss­te das al­ler­dings und dass es nur von ihm ab­hing, nach­dem Pic­co­lo­mi­ni nach Spa­ni­en ent­fernt war, eine an­ge­se­he­ne Stel­le im kai­ser­li­chen Hee­re zu be­kom­men. Es sprach in­des­sen zu vie­les da­ge­gen, als dass er sich ohne wei­te­res dazu ent­schlos­sen hät­te; ers­tens, dass die Kurz­sich­ti­gen und Bös­wil­li­gen un­ter sei­nen Glau­bens­ge­nos­sen ihn Über­läu­fer ge­schol­ten hät­ten, und zwei­tens wür­de er nie­mals un­ter Gal­las die­nen, den sei­ne zahl­rei­chen Freun­de und Gön­ner trotz of­fen­sicht­li­cher Un­fä­hig­keit an die Spit­ze des Hee­res ge­bracht hat­ten und dort er­hiel­ten. Wür­de man ihm die un­um­schränk­te Ge­walt ein­räu­men, wie sie etwa Wal­len­stein ge­habt hat­te, so, dach­te er bei sich, wür­de er sich be­reit fin­den las­sen und dann vollen­den, was Wal­len­stein nicht ver­mocht hat­te, näm­lich Frie­den ma­chen. Sei­ner Mei­nung nach war er dazu ge­eig­net und ge­wis­ser­ma­ßen dazu be­stimmt: sei­ne Be­zie­hun­gen nach al­len Sei­ten und die Höhe sei­nes Stand­punk­tes, von der aus er die Schwä­chen sei­ner Glau­bens­ge­nos­sen durch­schau­te, si­cher­ten ihm die nö­ti­ge Über­le­gen­heit. In sei­nem In­ners­ten ver­ach­te­te er sie alle: die Land­grä­fin von Hes­sen, ihre Räte, den Gra­fen von Nassau und sei­nen Ad­vo­ka­ten. Nur der Kai­ser, wie un­taug­lich er auch als Per­son sein moch­te, be­hielt doch den Vor­zug, Kai­ser zu sein. Eine Au­to­ri­tät, das hat­te er ein­ge­se­hen, muss­te im Rei­che sein, und er woll­te ins­künf­tig sei­nen De­gen nur noch zie­hen, um re­bel­li­sche Glie­der un­ter die­se Au­to­ri­tät zu beu­gen und Ein­dring­lin­ge hin­aus­zu­wer­fen.

Au­ßer sei­ner ei­ge­nen An­ge­le­gen­heit hat­te er noch einen An­lass, nach Wien zu ge­hen, näm­lich die Re­sti­tu­ie­rung der pfäl­zi­schen Fa­mi­lie, mit der er seit Jah­ren in Freund­schaft ver­bun­den war. Er hat­te kei­ne be­son­ders hohe Mei­nung von Karl Lud­wig, den er für einen schlech­ten Feld­herrn und plan­lo­sen Kopf an­sah, aber er be­wun­der­te sei­ne Mut­ter, die Kur­fürs­tin-Wit­we Eli­sa­beth, de­ren Scharf­sinn und Re­de­ge­wandt­heit ihm fast den Atem raub­te und die sich trotz­dem ver­trau­lich und huld­voll ge­gen ihn be­nahm. Sie soll­te ihm nicht um­sonst ge­sagt ha­ben, dass sie sich auf ihn ver­las­se und von nie­man­dem au­ßer ihm die Ret­tung und Recht­fer­ti­gung ih­rer Fa­mi­lie er­war­te, weil seit dem Tode des Kö­nigs von Schwe­den er der ein­zi­ge Mann in die­sem läp­pi­schen Zeit­al­ter wäre. Dem Kö­nig von Schwe­den, pfleg­te sie zu sa­gen, hät­ten sei­ne schwe­di­schen und lu­the­ri­schen Vor­ur­tei­le ge­scha­det, und nicht zum we­nigs­ten sei­ne al­ber­ne Frau. Als Luthe­ra­ner habe er stets ge­glaubt, sich vor­nehm­lich auf den Kur­fürs­ten von Sach­sen stüt­zen zu müs­sen, der nur schein­bar ein star­ker Knüt­tel, in Wirk­lich­keit aber ein Schafs­schwanz sei; und sei­ne Frau habe so­gleich nach sei­nem Tode be­wie­sen, dass für he­ro­i­sche Ge­dan­ken kein Platz in ih­rem Kop­fe sei, in­dem sie die bran­den­bur­gi­sche Prin­zes­sin her­aus­ge­kehrt und ge­gen Schwe­den kon­spi­riert habe.

Das Ver­trau­en sei­ner ho­hen Freun­din zu recht­fer­ti­gen, mach­te sich Me­lan­der nach Wien auf, wo er na­ment­lich von Lob­ko­witz mit großer Aus­zeich­nung be­han­delt wur­de. Die pfäl­zi­sche An­ge­le­gen­heit, sag­te die­ser, wür­de längst ge­ord­net sein, wenn die un­er­schwing­li­chen For­de­run­gen des Kur­fürs­ten von Bay­ern nicht wä­ren. Was hät­te den Kai­ser die bay­ri­sche Bun­des­ge­nos­sen­schaft nicht schon ge­kos­tet! Das dür­fe Me­lan­der glau­ben, dass der Kai­ser in sei­ner Ma­g­na­ni­mi­tät kei­nen Groll ge­gen die un­glück­li­che pfäl­zi­sche Fa­mi­lie hege, viel­mehr vä­ter­li­ches Mit­lei­den. Man stei­fe sich auch hier­orts nicht auf die Re­li­gi­on. Cu­jus re­gio, ejus re­li­gio, wenn sich nur ein je­der bei dem Sprüch­lein woll­te be­lie­ben las­sen. Me­lan­der sehe nun mit ei­ge­nen Au­gen, wie ka­lum­ni­ös die­je­ni­gen re­de­ten, die dem Kai­ser und den Je­sui­ten fa­na­ti­sche Glau­bens­wut zu­schrei­ben möch­ten. Es kom­me dar­auf an, den Kai­ser, un­ab­hän­gig von Bay­ern, stark im Fel­de zu ma­chen, und das ver­mö­ge nie­mand als Me­lan­der.

Me­lan­ders Wunsch, nebst sei­nen Brü­dern und Nef­fen in den erb­li­chen Reichs­gra­fen­stand er­ho­ben zu wer­den, glaub­ten die kai­ser­li­chen Räte nicht ab­schla­gen zu dür­fen, ob­wohl ih­nen das Be­geh­ren ex­or­bi­tant vor­kam und auch we­gen der ent­ge­gen­ste­hen­den Wün­sche des Gra­fen von Nassau-Ha­da­mar schwie­rig. Der Kai­ser lös­te die Ver­wi­cke­lung da­durch, dass er dem Gra­fen Aus­sicht auf den von ihm er­sehn­ten Fürs­ten­ti­tel er­öff­ne­te und sie etwa auch zu ver­wirk­li­chen sich vor­be­hielt, wenn es sich durch­aus nicht an­ders tun lie­ße.