Auf der Rückreise von Wien sprach der Advokat Bögler in Köln vor, wo Melander ein Haus hatte, um ihm von dem unerwünschten Fortgange seines Prozesses Bericht zu erstatten. Melander möge ihm bezeugen, sagte er voranschickend, dass er von Anfang an kein gutes Zutrauen zu dem Prozess gehabt und ihm eigentlich abgeredet hätte.
Ob er damit sagen wolle, fragte Melander stirnrunzelnd, dass seine Sache schlecht wäre?
Bögler beeilte sich zu versichern, seine Sache wäre die beste von der Welt, es komme vor Gericht aber nicht darauf an, wer recht habe, sondern wer recht bekomme, und dazu habe Melander, obwohl er klärlich und unwidersprechlich im Rechte sei, wenig Aussicht.
Es handelte sich darum, dass Melanders Verwandte mit Berufung auf ihren adligen Stand Abgabenfreiheit beanspruchten, welche der Graf von Nassau-Hadamar, in dessen Erbländern ihre Güter lagen, ihnen nicht zugestehen wollte, indem er die Rechtmäßigkeit ihres Adels bestritt. Es lasse sich zwar nachweisen, behaupteten die Vertreter des Grafen, dass Kaiser Rudolf einen gewissen Wilhelm Eppelmann in den adligen Stand erhoben hätte, nicht aber, dass die Familie des Generals von diesem abstammte, was sie zwar prätendierten, aber nicht erhärten könnten. Vielmehr wären sie nichts als Bauern und daher zur Abgabenleistung verpflichtet, wovon das Gegenteil zu beweisen dem Advokaten des Generals noch nicht gelungen war.
Dem Sinne nach, sagte dieser, habe er das Erforderliche zur Genüge dargetan, er habe darauf hingewiesen, dass Brüder und Oheime des Generals studiert hätten, wie lange der Familiensitz in ihren Händen wäre und mehreres, was im Verein mit dem großen Ansehen und den unsterblichen Verdiensten des Generals vor einem unparteiischen Gericht genügt haben würde, zu seinen Gunsten zu entscheiden; aber in diesem Falle könne er das Recht wie ein Dreieck auf den Tisch legen und die Winkel nach den Vorschriften des Pythagoras berechnen, die Herren würden ihm bestreiten, dass a gleich a und dass zweimal zwei gleich vier sei.
Der Advokat lächelte fein und überlegen, während Melanders Mund sich verkniff und seine Augen mit strengem Blick zu Boden starrten.
Graf Johann Ludwig von Nassau-Hadamar war nämlich, durch Tilly bedrängt und auf Betrieb einer katholischen Tante, im Jahre 1629 in Wien zur katholischen Kirche übergetreten und wurde seit dieser Zeit bei jeder Gelegenheit vom Kaiser begünstigt und ausgezeichnet.
»Wenn der Graf behaupten wollte«, fuhr der Advokat fort, »dass Euer Exzellenz überhaupt nicht existierten, so würde es schlechterdings unmöglich sein, das Vorhandensein des streitigen Gegenstandes zu beweisen. Man würde Euer Exzellenz vermutlich für eine Schimäre oder Hirngespinst erklären.«
»Ich bin imstande zu beweisen«, sagte Melander mit erzwungenem Lächeln, »dass eine Schimäre Schläge austeilen kann.«
Der Advokat lachte hell und herzlich und berichtete, um Melander in gute Laune zu versetzen, allerlei Histörchen über Johann Ludwig von Nassau, die er aufgelesen hatte: wie dass die Gräfin, die bei ihrem Glauben geblieben war, fast nicht mehr aus der Kirche käme, wo sie die Verirrung ihres Gemahls abzubeten versuche, und dass kürzlich der Jesuit auf Schloss Dillenburg gewesen sei, der seinerzeit den Grafen durch glückliches Disputieren überzeugt hätte, und dass der Graf ihn kniefällig wie den Heiland in eigener Person begrüßt habe.
Melander lachte nicht, sondern seine Miene wurde immer saurer und grämlicher. So sei es also des Advokaten Meinung, sagte er, dass im Reiche außer durch Lug und Trug kein Recht zu erlangen sei?
Der Advokat verschnörkelte seine Lippen und sah nach der Decke. Der sicherste und nächste Weg wäre das in dieser trübseligen Zeit wohl, sagte er. Das Recht und der irdische Erfolg wären gewissermaßen zwei Parallelen, die sich in der Ewigkeit schnitten. Vor Gott genüge das ja. Wolle man aber hienieden schon etwas Reales sehen, so müsse man, wie der Graf von Nassau getan hätte, einen Salto mortale oder verzweifelten Sprung darum wagen.
Eins wisse er bestimmt, entgegnete Melander, dass kein Hundsfott auf der Welt ihn zwingen könne, auch ein Hundsfott zu werden. Aber aufgeben tue er den Kampf doch nicht. Ein Ehrenmann könne sich sein Recht mit dem Schwert erkämpfen.
Der Advokat äußerte seine Bewunderung des heldenhaften Entschlusses in lebhaften Worten und erlaubte sich den Rat, Melander möchte schleunig nach Wien gehen, sein persönliches Erscheinen werde Wunder wirken. Ihm sei von vielen Seiten versichert, dass der Kaiser die größte Hochachtung vor Melander hätte. Bei einem Manne von Melanders Verdiensten und Tugenden versteife er sich nicht wegen der Religion. Melander wisse jawohl selbst, dass Offiziere in Österreich so häufig wie Krautköpfe wären, gute Feldherren aber rar wie das liebe Geld.
Melander wusste das allerdings und dass es nur von ihm abhing, nachdem Piccolomini nach Spanien entfernt war, eine angesehene Stelle im kaiserlichen Heere zu bekommen. Es sprach indessen zu vieles dagegen, als dass er sich ohne weiteres dazu entschlossen hätte; erstens, dass die Kurzsichtigen und Böswilligen unter seinen Glaubensgenossen ihn Überläufer gescholten hätten, und zweitens würde er niemals unter Gallas dienen, den seine zahlreichen Freunde und Gönner trotz offensichtlicher Unfähigkeit an die Spitze des Heeres gebracht hatten und dort erhielten. Würde man ihm die unumschränkte Gewalt einräumen, wie sie etwa Wallenstein gehabt hatte, so, dachte er bei sich, würde er sich bereit finden lassen und dann vollenden, was Wallenstein nicht vermocht hatte, nämlich Frieden machen. Seiner Meinung nach war er dazu geeignet und gewissermaßen dazu bestimmt: seine Beziehungen nach allen Seiten und die Höhe seines Standpunktes, von der aus er die Schwächen seiner Glaubensgenossen durchschaute, sicherten ihm die nötige Überlegenheit. In seinem Innersten verachtete er sie alle: die Landgräfin von Hessen, ihre Räte, den Grafen von Nassau und seinen Advokaten. Nur der Kaiser, wie untauglich er auch als Person sein mochte, behielt doch den Vorzug, Kaiser zu sein. Eine Autorität, das hatte er eingesehen, musste im Reiche sein, und er wollte inskünftig seinen Degen nur noch ziehen, um rebellische Glieder unter diese Autorität zu beugen und Eindringlinge hinauszuwerfen.
Außer seiner eigenen Angelegenheit hatte er noch einen Anlass, nach Wien zu gehen, nämlich die Restituierung der pfälzischen Familie, mit der er seit Jahren in Freundschaft verbunden war. Er hatte keine besonders hohe Meinung von Karl Ludwig, den er für einen schlechten Feldherrn und planlosen Kopf ansah, aber er bewunderte seine Mutter, die Kurfürstin-Witwe Elisabeth, deren Scharfsinn und Redegewandtheit ihm fast den Atem raubte und die sich trotzdem vertraulich und huldvoll gegen ihn benahm. Sie sollte ihm nicht umsonst gesagt haben, dass sie sich auf ihn verlasse und von niemandem außer ihm die Rettung und Rechtfertigung ihrer Familie erwarte, weil seit dem Tode des Königs von Schweden er der einzige Mann in diesem läppischen Zeitalter wäre. Dem König von Schweden, pflegte sie zu sagen, hätten seine schwedischen und lutherischen Vorurteile geschadet, und nicht zum wenigsten seine alberne Frau. Als Lutheraner habe er stets geglaubt, sich vornehmlich auf den Kurfürsten von Sachsen stützen zu müssen, der nur scheinbar ein starker Knüttel, in Wirklichkeit aber ein Schafsschwanz sei; und seine Frau habe sogleich nach seinem Tode bewiesen, dass für heroische Gedanken kein Platz in ihrem Kopfe sei, indem sie die brandenburgische Prinzessin herausgekehrt und gegen Schweden konspiriert habe.
Das Vertrauen seiner hohen Freundin zu rechtfertigen, machte sich Melander nach Wien auf, wo er namentlich von Lobkowitz mit großer Auszeichnung behandelt wurde. Die pfälzische Angelegenheit, sagte dieser, würde längst geordnet sein, wenn die unerschwinglichen Forderungen des Kurfürsten von Bayern nicht wären. Was hätte den Kaiser die bayrische Bundesgenossenschaft nicht schon gekostet! Das dürfe Melander glauben, dass der Kaiser in seiner Magnanimität keinen Groll gegen die unglückliche pfälzische Familie hege, vielmehr väterliches Mitleiden. Man steife sich auch hierorts nicht auf die Religion. Cujus regio, ejus religio, wenn sich nur ein jeder bei dem Sprüchlein wollte belieben lassen. Melander sehe nun mit eigenen Augen, wie kalumniös diejenigen redeten, die dem Kaiser und den Jesuiten fanatische Glaubenswut zuschreiben möchten. Es komme darauf an, den Kaiser, unabhängig von Bayern, stark im Felde zu machen, und das vermöge niemand als Melander.
Melanders Wunsch, nebst seinen Brüdern und Neffen in den erblichen Reichsgrafenstand erhoben zu werden, glaubten die kaiserlichen Räte nicht abschlagen zu dürfen, obwohl ihnen das Begehren exorbitant vorkam und auch wegen der entgegenstehenden Wünsche des Grafen von Nassau-Hadamar schwierig. Der Kaiser löste die Verwickelung dadurch, dass er dem Grafen Aussicht auf den von ihm ersehnten Fürstentitel eröffnete und sie etwa auch zu verwirklichen sich vorbehielt, wenn es sich durchaus nicht anders tun ließe.