77.

Im Schlos­se von Dach­stein hat­te Gué­bri­ant eine lan­ge Un­ter­re­dung mit sei­nem Koch; denn das Fest, das er zu Ehren des Her­zogs von Eng­hi­en zu ge­ben vor­hat­te, soll­te sei­ne, des Ver­tre­ters von Frank­reich, ruhm­volle Stel­lung in Deutsch­land ver­sinn­bild­li­chen und einen au­ßer­ge­wöhn­li­chen Ein­druck von An­se­hen und Über­fluss ma­chen. Da­mit es et­was Neu­es für den ho­hen fran­zö­si­schen Gast wäre, sag­te Gué­bri­ant, müs­se das Mahl auf deut­sche Art her­ge­rich­tet sein, mit präch­ti­gen Schau­ge­rich­ten als zum Bei­spiel ei­nem Pfau oder ei­nem Wild­schweins­kopf und ir­gend­ei­nem fa­bel­haf­ten Ge­bir­ge aus Sü­ßig­kei­ten. Der Koch schlug eine Au­er­hahn­pas­te­te vor, über wel­cher der Au­er­hahn im vol­len Fe­der­schmuck auf­ge­stellt wäre, fer­ner was es in der Um­ge­gend an be­son­de­ren Er­zeug­nis­sen gäbe; auf die Kos­ten, sag­te Gué­bri­ant, dür­fe es dies­mal durch­aus nicht an­kom­men, da es die Ehre Frank­reichs gel­te.

Die ge­deck­te Ta­fel mach­te al­ler­dings einen pom­pö­sen Ein­druck; aber als Gué­bri­ant dies mit Ge­nug­tu­ung fest­ge­stellt hat­te, emp­fand er, dass et­was fehl­te, was das al­ler­wich­tigs­te war, näm­lich die fest­li­che Stim­mung in sei­nem Ge­mü­te. Er stell­te sich an das Fens­ter und sah ge­dan­ken­voll auf die herbst­lich bun­ten Wäl­der, die, wie das ver­schlun­ge­ne La­by­rinth ei­ner Zau­be­rin, ei­nes aben­teu­ern­den Rit­ters zu har­ren schie­nen, um ihn für im­mer zu ver­stri­cken. Gué­bri­ant mach­te eine Be­we­gung, als ob er et­was Schwe­res von der Brust ab­wer­fen müs­se, das ihm den Atem hemm­te; was war es denn, was ihn so nie­der­drück­te? War es, dass er sich von der stol­zen Land­grä­fin Ama­lie Eli­sa­beth als zu­dring­li­cher Bett­ler be­han­deln las­sen muss­te, weil er sich ohne eine Ver­stär­kung von tau­send Hes­sen zu schwach im Fel­de fühl­te? Dass er schwei­gen muss­te, wenn Deut­sche die Un­tüch­tig­keit der fran­zö­si­schen Sol­da­ten ver­höhn­ten? War es Emp­find­lich­keit, dass Ma­za­rin ihn we­gen sei­ner be­stän­di­gen For­de­run­gen und Kla­gen ta­del­te und ihm Her­zog Bern­hard als Vor­bild auf­stell­te, der die Kos­ten der Krieg­füh­rung im Fein­des­lan­de auf­zu­trei­ben ge­wusst hät­te? War es das Heim­weh? Aber er konn­te sich ja nicht ein­mal fort­wün­schen, be­vor er die­sen Deut­schen Krieg, in den er nun ver­strickt war, rühm­lich zu Ende ge­führt hat­te. Man hat­te ihn zum Mar­schall er­nannt und ihn mit Dru­sus ver­gli­chen; man schrieb ihm, dass von ihm al­lein die Ehre des fran­zö­si­schen Na­mens in Deutsch­land ab­hän­ge; muss­te er nicht dem in ihn ge­setz­ten Ver­trau­en um je­den Preis ge­recht zu wer­den su­chen?

Sein Blick fiel auf den Rap­pen, den Her­zog Bern­hard ihm auf dem Ster­be­bet­te ver­macht hat­te und der eben zur Schwem­me ge­führt wur­de. Der wird auch mich, dach­te er, zum eh­ren­vol­len Tode tra­gen und mei­nem Sar­ge in die Hei­mat fol­gen. Sei­ne Züge hell­ten sich da­bei auf, und sei­ne Brust wur­de leich­ter: dann wür­de al­les, was dun­kel und schwer vor ihm lag, über­wun­den sein, sein Herz und sein Schwert wür­den ru­hen.

Vi­el­leicht, dach­te er jetzt, ver­stimm­te ihn auch die Aus­sicht, den Gra­fen Rant­zau, Eng­hiens Ge­ne­ral­leut­nant und Stell­ver­tre­ter, emp­fan­gen und sich im nächs­ten Jah­re mit ihm ver­tra­gen, etwa so­gar ihm un­ter­ord­nen zu müs­sen. Er konn­te die Ab­nei­gung ge­gen die­sen prah­le­ri­schen Hol­stei­ner nicht un­ter­drücken und soll­te ihm doch ei­ner von Pa­ris aus emp­fan­ge­nen Wei­sung ge­mäß be­son­de­re Ehre er­wei­sen und die vor­aus­zu­se­hen­den Miss­hel­lig­kei­ten mit den deut­schen Obers­ten, die ihn hass­ten, aus­glei­chen.

Die Tä­tig­keit, die die Vor­be­rei­tun­gen zum Empfan­ge er­for­der­ten, zer­streu­te schließ­lich den Gra­fen; wich­ti­ger und schwie­ri­ger als das Gast­mahl war es, eine be­frie­di­gen­de Hee­res­schau zu­we­ge zu brin­gen, die er sich doch nicht neh­men las­sen woll­te. Von den fran­zö­si­schen Hilf­s­trup­pen, die ihm nach lan­gem Bit­ten und Drän­gen end­lich zu­ge­schickt wor­den wa­ren und die mehr ei­ner Ban­de von Ga­lee­ren­sträf­lin­gen als Sol­da­ten ge­gli­chen hat­ten, die er dann auf ei­ge­ne Kos­ten leid­lich equi­piert1 hat­te, war etwa noch der drit­te Teil, jetzt ei­ni­ger­ma­ßen ein­ge­übt, vor­han­den. In­dem er die auf­ge­stell­ten Ba­tail­lo­ne um­schritt, war er un­si­cher, ob sie jetzt wirk­lich einen sol­da­ti­schen An­blick ge­währ­ten oder ob er vor­ein­ge­nom­men sei, und er ver­such­te sie mit den Au­gen der Deut­schen zu be­trach­ten. Die grau­en Uni­for­men, die er hat­te ma­chen las­sen, lie­ßen die Leu­te al­ler­dings et­was schnei­der­mä­ßig er­schei­nen; et­was He­ro­i­sches um­gab die­se Le­gio­nen nicht. Nie konn­te er ohne Er­rö­ten dar­an den­ken, wie der ers­te An­blick die­ser fran­zö­si­schen Trup­pen, von de­nen er so viel Auf­he­bens ge­macht hat­te, auf die Deut­schen ge­wirkt hat­te. Ob das Re­gi­ment, das Eng­hi­en mit­brach­te, bes­ser sein wür­de? Er mach­te sich Mut und hielt, wie er schon oft ge­tan hat­te, eine An­spra­che an den fran­zö­si­schen Teil des Hee­res, in­dem er sie er­mahn­te, sich dem großen Au­gen­blick, der her­an­nah­te, ge­wach­sen zu zei­gen. Als er die Be­geis­te­rung wahr­nahm, die er ent­zün­de­te, lä­chel­te er. Im gan­zen war der An­blick sei­ner Ar­mee statt­lich ge­nug, be­son­ders wenn man be­dach­te, was er da­mit aus­ge­rich­tet hat­te.

Eng­hi­en zeig­te sich denn auch über­rascht und be­frie­digt und rühm­te Gué­bri­ants Leis­tun­gen in ka­me­rad­schaft­li­cher­wei­se. Gué­bri­ant sehe nicht wie ein At­las aus, sag­te er, und habe doch den ab­scheu­li­chen Deut­schen Krieg jah­re­lang al­lein auf den Schul­tern ge­tra­gen. Er, Eng­hi­en, be­grei­fe nicht, wie ei­ner das en­nu­yan­te Le­ben aus­hal­ten könn­te, ohne sich zwi­schen­durch in Pa­ris gründ­lich schad­los zu hal­ten. Man lebe in Deutsch­land wie die Schat­ten im Ha­des, und es ge­hö­re ein be­son­de­rer Ge­schmack dazu, hier den Achil­les zu tra­gie­ren.

»Es ist nicht mein Ge­schmack, son­dern mei­ne Pf­licht«, sag­te Gué­bri­ant mit weh­mü­ti­gem Lä­cheln.

»Sie sind sehr in­tel­li­gent«, sag­te Eng­hi­en und setz­te hin­zu, er kön­ne Gué­bri­ant im Ver­trau­en mit­tei­len, dass er bei Hofe in großer Gunst ste­he und dass er wahr­schein­lich im nächs­ten Früh­ling nach Pa­ris zu­rück­ge­ru­fen wer­den wür­de. Gué­bri­ants Herz schlug schnel­ler. »Ich hof­fe«, sag­te er, »dass der nächs­te Früh­ling mich noch über der Erde fin­det.«

Rant­zau wür­dig­te die müh­sam vor­be­rei­te­te Trup­pen­pa­ra­de kaum ei­nes Blickes und re­de­te so, als ob er ge­kom­men wäre, um den Krieg erst ein­mal in Be­we­gung zu set­zen. Er be­merk­te we­der die übel­wol­len­den Bli­cke der deut­schen Obers­ten noch den un­ter ta­del­lo­ser Höf­lich­keit ver­bor­ge­nen Wi­der­wil­len Gué­bri­ants, son­dern be­han­del­te alle mit der glei­chen ver­trau­li­chen Nicht­ach­tung. Als beim Gast­mahl auf die Ge­sund­heit der Land­grä­fin von Hes­sen ge­trun­ken wur­de, er­kun­dig­te sich Eng­hi­en, ob sie schön sei. Sie sol­le es vor zwan­zig Jah­ren ge­we­sen sein, sag­te Gué­bri­ant; jetzt hät­ten Klug­heit und Er­fah­rung den von der Ve­nus ver­las­se­nen Thron ein­ge­nom­men. »Das ge­fällt mir!« rief Rant­zau. »Mit Schön­heit fan­ge ich nichts an. Schön bin ich selbst.« Gué­bri­ant be­trach­te­te stau­nend das rohe, von Nar­ben zer­fetz­te Ge­sicht des Man­nes, der als der schöns­te sei­ner Zeit ge­prie­sen wur­de, und sein Stolz bäum­te sich, als er dar­an dach­te, dass dies der Va­ter sei­nes Kö­nigs, der Ge­lieb­te der Kö­ni­gin sein soll­te. Eng­hi­en er­spar­te ihm die Ant­wort, in­dem er sag­te, es wer­de sich nie­mand ein­fal­len las­sen, dies zu be­strei­ten; man du­el­lie­re sich wohl um das schö­ne Ge­sicht ei­ner Frau, nicht um das ei­nes Man­nes.

Rant­zau war mit die­ser An­spie­lung auf sei­ne zahl­rei­chen Duel­le zu­frie­den und lach­te wohl­ge­fäl­lig. Den einen Arm, den er noch hät­te, sag­te er, möch­te er auch lie­ber spa­ren, um Bay­ern da­mit ab­zu­tun.

Dies Wort griff Oberst Tau­pa­del auf, der Rant­zau ge­gen­über­saß, und sag­te scharf, wenn Bay­ern mit ei­nem Arme zu er­wür­gen wäre, möch­te es längst stran­gu­liert sein.

Rant­zau lach­te ge­müt­lich, wäh­rend er einen tücki­schen Blick auf den Spre­cher warf. Es kom­me auf den Arm an, sag­te er. Her­ku­les habe schon als Kind eine Schlan­ge da­mit er­drückt.

Frank­reich habe ernst­li­che­re Fein­de als Bay­ern, sag­te Gué­bri­ant ab­len­kend.

Sein Herz dürs­te nun ein­mal nach Bay­ern­blut, be­harr­te Rant­zau, und es sei ge­fähr­lich, ein Ge­lüs­ten die­ser Bes­tie nicht zu be­frie­di­gen.

Gué­bri­ant, der den stei­gen­den Un­wil­len der deut­schen Obers­ten be­merk­te, fiel schnell mit den Wor­ten ein, ein Held wie Rant­zau nei­ge na­tür­lich dazu, den Feind zu un­ter­schät­zen. Bay­ern wer­de ih­nen al­len noch viel zu schaf­fen ma­chen. Üb­ri­gens hof­fe man in Frank­reich, so viel er wis­se, im­mer noch, den Kur­fürs­ten zum Bun­des­ge­nos­sen zu ge­win­nen, und man habe ihn auch als un­er­müd­li­chen Kämp­fer für die ka­tho­li­sche Re­li­gi­on hoch­zuach­ten.

Rant­zau zuck­te die Schul­tern. »Ich bin ein gu­ter Ka­tho­lik«, sag­te er, »aber kein Pfaff.«

Ei­ner von den evan­ge­li­schen Obers­ten sag­te mit Be­zug dar­auf, dass Rant­zau, ein ge­bo­re­ner Pro­tes­tant, in Frank­reich den Glau­ben ge­wech­selt hat­te, die Fle­der­mäu­se schlü­ge man tot, wo man sie trä­fe, weil sie we­der Vö­gel noch Vier­füß­ler wä­ren, und Re­ne­ga­ten wä­ren Fle­der­mäu­se.

»Über re­li­gi­öse Fra­gen er­hit­ze ich mich nicht«, sag­te Rant­zau kalt, »das geht die Theo­lo­gen an.«

Da­mit er­klär­te sich Eng­hi­en ein­ver­stan­den. »Ein Edel­mann zieht den Hut vor der gu­ten Dame Theo­lo­gie«, sag­te er, »aber für nä­he­re Un­ter­su­chung ist sie zu schlecht ge­lüf­tet.«

Die Deut­schen nah­men an sol­chen Re­den An­stoß, wag­ten sich aber mit ih­rer Ent­rüs­tung einst­wei­len nicht her­vor; umso grim­mi­ger wurm­te der ver­hal­te­ne Groll.


  1. aus­ge­rüs­tet  <<<