79.

Kai­ser Fer­di­nand knie­te seit ei­ner hal­b­en Stun­de vor ei­nem Ma­ri­en­bil­de in der Tho­mas­kir­che in Prag, als die Son­ne auf­ging und ein durch das ge­gen­über­lie­gen­de Fens­ter fal­len­der Licht­strahl sich wie ein hüb­scher bun­ter Vo­gel auf sei­ne Schul­ter setz­te. Er stand auf, von sei­nen her­zu­sprin­gen­den Beglei­tern un­ter­stützt, blick­te sich tri­um­phie­rend um, ver­neig­te und be­kreuz­te sich noch meh­re­re Male vor dem Bil­de und ver­ließ die Kir­che, um zur Burg hin­auf­zu­fah­ren. In sei­nem Schlaf­zim­mer an­ge­kom­men, leg­te er sei­ne Lo­cken­pe­rücke und sei­nen Ober­rock ab, ließ sich einen Schlaf­rock um­hän­gen und löf­fel­te die Schleim­sup­pe aus, die ihm ge­bracht war. Nun schme­cke es ihm zum ers­ten Male seit acht Ta­gen wie­der, sag­te er zu sei­nem Kam­mer­die­ner, nach­dem er sei­nen Vor­satz aus­ge­führt hät­te: eine Wo­che lang näm­lich habe er von fünf bis sie­ben Uhr in sämt­li­chen Kir­chen Prags ge­be­tet.

Ach Gott, rief der Kam­mer­die­ner die Hän­de zu­sam­menschla­gend aus, das sei es also ge­we­sen! Sie hät­ten es in der Die­ner­schaft alle ge­merkt, dass die Ma­je­stät ein großes Werk be­trie­be. Er habe auch wohl ge­dacht, es möch­te ein Ge­lüb­de sein; aber eben dar­auf wäre er nie ver­fal­len.

Der Kai­ser nick­te und lä­chel­te. Sie soll­ten auf­pas­sen, sag­te er, ob nicht heu­te oder mor­gen die Nach­richt ei­nes großen Sie­ges her­ein­käme. Als er das letz­te Ge­bet ge­spro­chen hät­te, sei sei­ne Brust von ei­nem merk­li­chen Ge­fühl herr­li­cher Ge­wiss­heit er­füllt wor­den.

Das kön­ne ja auch nicht an­ders sein, sag­te der Kam­mer­die­ner. Nun be­grei­fe er auch, warum ge­ra­de um sie­ben Uhr, kurz be­vor der Kai­ser her­auf­ge­fah­ren wäre, der Him­mel sich so ab­son­der­lich auf­ge­führt hät­te. Er habe sich un­ter­stan­den, dem Herrn Gra­fen Trautt­mans­dorff, der eben die Trep­pe her­un­ter­ge­kom­men wäre, zu sa­gen, er sol­le doch zum Fens­ter hin­aus­se­hen, ihm kom­me es so vor, als ob die Son­ne eben einen Luft­sprung ge­macht hät­te. Es sei dann zwar nichts mehr da­von zu se­hen ge­we­sen, er möch­te aber sei­ne Se­lig­keit ver­schwö­ren, dass die Son­ne einen drei­ma­li­gen Luft­sprung ge­tan und dass das einen großen Tag zu be­deu­ten hät­te.

Am Tage dar­auf kam Lob­ko­witz und er­zähl­te, was er durch einen sei­ner Stall­knech­te, der um vier Uhr mor­gens die Pfer­de zu put­zen pfle­ge, ge­hört hät­te. Bau­ern, die in der Frü­he in die Stadt ge­kom­men wä­ren, hät­ten be­rich­tet, die Dör­fer wä­ren vol­ler Flücht­lin­ge, die sä­hen so übel aus, dass man nicht das Herz hät­te, sie tot­zu­schla­gen.

»Was für Flücht­lin­ge?« frag­te der Kai­ser und sah Lob­ko­witz ver­wirrt an; die Schwe­den, fuhr er fort, wür­den sich doch nicht auf Prag re­ti­rie­ren?

Nein, sag­te Lob­ko­witz, wenn das Ge­schwätz sich als wahr er­wie­se, so wä­ren es Bay­ern, und die Zun­ge hin­ge ih­nen aus dem Hal­se vor lau­ter Lau­fen. Es sol­le eine große Schlacht um Ta­bor her­um statt­ge­fun­den ha­ben. Da es aber leicht blo­ßes Ge­re­de des hä­mi­schen Pö­bels sein könn­te, habe er Leu­te aus­ge­schickt, um sich zu er­kun­di­gen, und hof­fe, dass sie noch im Lau­fe des Ta­ges si­che­re Nach­richt bräch­ten.

Es müs­se durch­aus ein Irr­tum sein, sag­te der Kai­ser rat­los, da er so si­che­re Zei­chen von der Hei­li­gen Jung­frau ge­habt hät­te. Im Ver­trau­en auf sein Ge­lüb­de habe er den Ge­ne­ra­len den Be­fehl ge­ge­ben, die Schlacht zu wa­gen und den Feind zu be­sie­gen. Oder ob viel­leicht das Ver­zeich­nis der Pra­ger Kir­chen un­rich­tig ge­we­sen sei? sag­te er, plötz­lich er­schre­ckend. Dann hät­te er nicht alle Kir­chen durch­ge­be­tet?

Lob­ko­witz sprach sei­ne Über­zeu­gung aus, dass es mit dem Ver­zeich­nis sei­ne Rich­tig­keit hät­te. Man sei mit dem Götz doch übel be­ra­ten, und der Werth sei zwar tap­fer, am Ver­stan­de, eine Schlacht zu di­ri­gie­ren, feh­le es aber. Er kön­ne nicht ohne Seuf­zen an den Erz­her­zog Leo­pold Wil­helm und den Fürs­ten Pic­co­lo­mi­ni den­ken.

Man wis­se doch aber, mein­te der Kai­ser, wie es vor drei Jah­ren bei Leip­zig zu­ge­gan­gen wäre.

Da­mals sei vie­les zu­sam­men­ge­kom­men, sag­te Lob­ko­witz; wi­der die Lau­nen der For­tu­na kön­ne ein­mal nie­mand.

Es kom­me al­les auf die Gna­de Got­tes und die Für­bit­te der Hei­li­gen Jung­frau an, sag­te der Kai­ser, sich Mut zu­spre­chend, und er kön­ne sich nicht den­ken, warum Gott die Hei­li­ge Jung­frau nicht er­hör­te, eben­so­we­nig, warum die Hei­li­ge Jung­frau sein Ge­bet ver­wor­fen ha­ben soll­te.

Der Abend brach­te Be­stä­ti­gung der schlimms­ten Gerüch­te. Es sei al­ler­dings ein großer Sieg er­foch­ten wor­den, mel­de­te Lob­ko­witz dem Kai­ser, Hatz­feld habe die Schwe­den in die Flucht ge­schla­gen, dass es eine Lust ge­we­sen sei, aber der tol­le Götz habe sei­nen Flü­gel un­sin­nig auf­ge­stellt und zu­sam­men­hau­en las­sen, den Ei­gen­sinn auch gleich selbst mit dem Le­ben be­zahlt, und der Werth habe wie im­mer sei­ne Wei­se für sich bla­sen wol­len, wo­bei denn frei­lich ein ab­scheu­li­ches Kon­zert her­aus­kom­men müs­se. Da­ge­gen habe denn Hatz­feld nichts aus­rich­ten kön­nen und sei lei­der ge­fan­gen, wer­de wohl dem­nächst von sich hö­ren las­sen.

Des Kai­sers Ge­sicht wur­de fahl und schlaff, die Un­ter­lip­pe hing ihm lang her­un­ter, und sei­ne mat­ten Au­gen ver­schlei­er­ten sich, so­dass Lob­ko­witz und der alte Schlick in große Ver­le­gen­heit ge­rie­ten.

Es sei am Ende das Ärgs­te nicht, sag­te Lob­ko­witz, dass sie des Götz le­dig wä­ren, den der Kur­fürst von Bay­ern bes­ser im Ge­fäng­nis ge­las­sen oder vollends ju­sti­fi­ziert hät­te; dann wäre er schon seit sechs Jah­ren tot.

Ja, man habe jetzt statt drei­er Ge­ne­ra­le einen, füg­te Schlick hin­zu, da­mit sei schon et­was ge­won­nen. Üb­ri­gens wer­de Gott, der stets den Fein­den des ho­hen Erz­hau­ses zur rech­ten Zeit den Garaus ge­macht hät­te, mit dem lah­men Tors­tens­son auch nicht lan­ge mehr fei­ern. Er sei schon so voll Gicht, dass er nicht mehr ge­hen und ste­hen kön­ne, las­se sich nur für die Schlacht aufs Pferd bin­den.

Zual­ler­erst, sag­te Lob­ko­witz, müs­se man jetzt dar­an den­ken, des Kai­sers hohe Per­son in Si­cher­heit zu brin­gen. Er möge ge­ru­hen, Be­fehl zu ge­ben, dass man schleu­nig nach Wien auf­brä­che.

Der Kai­ser hob lang­sam den Kopf und sah Lob­ko­witz tief­trau­rig an. Sein Kopf war schwer und wirr von qual­vol­len Ge­dan­ken. Führ­te denn die Hei­li­ge Jung­frau ihn irre? Ver­spot­te­te sie ihn? Was war die Ur­sa­che, dass sie, der er sein Le­ben lang ge­dient hat­te, ihn sol­chen Schimpf er­lei­den, die schwe­di­schen Ket­zer über ihn tri­um­phie­ren ließ? Miss­bil­lig­te es Gott viel­leicht, dass er mit dem ka­tho­li­schen Kö­nig von Frank­reich Krieg führ­te? Aber Frank­reich hat­te ihn doch an­ge­grif­fen! Frank­reich hat­te von je­her die Ket­zer ge­gen ihn auf­ge­hetzt!

Die Ma­je­stät habe ge­wiss wie­der ihre Ma­gen­schmer­zen, sag­te Lob­ko­witz nach ei­ner Pau­se; ob er nicht vor der Rei­se noch schnell pur­gie­ren wol­le?

Es schi­en nicht, als ob Fer­di­nand ver­stan­den hät­te; er sah Lob­ko­witz starr an und sag­te: Mu­sik! er wol­le Mu­sik! wor­auf ein ita­lie­ni­scher Kam­mer­die­ner, der zur Lau­te sin­gen konn­te, ge­ru­fen wur­de und dem Kai­ser Mu­sik mach­te, bis er so­weit war, dass er sich zur Abrei­se her­rich­ten las­sen konn­te.

In Wien hat­te Lob­ko­witz einen glück­li­chen Ein­fall, um den nie­der­ge­schla­ge­nen Kai­ser zu trös­ten: er er­in­ner­te ihn dar­an, dass er die Er­rich­tung der Ma­ri­en­säu­le, die er ge­lobt hat­te, be­schleu­ni­gen und da­durch die Jung­frau sich ge­neig­ter ma­chen kön­ne. Durch die­se Aus­sicht neu be­lebt, ließ der Kai­ser so­fort den Di­rek­tor der dazu ein­ge­setz­ten Kom­mis­si­on kom­men, trieb ihn zu grö­ße­rem Ei­fer an und sprach auch selbst mit dem ita­lie­ni­schen Bau­meis­ter, dem das Werk über­tra­gen war. Die Hei­li­ge Jung­frau, er­klär­te er die­sem, sol­le von di­cken Wol­ken und En­geln ge­tra­gen wer­den, dass es einen or­dent­li­chen Hau­fen gäbe; mit den tro­ckenen alt­mo­di­schen Fi­gu­ren kön­ne er sich nicht ge­nü­gen las­sen.

Da­ran sol­le es nicht feh­len, sag­te der Ita­lie­ner ver­ständ­nis­voll, die Ma­don­na kön­ne auch einen flie­gen­den Man­tel mit vie­len Bäu­schen be­kom­men, dass er auch Wol­ken gli­che, die Säu­le kön­ne er ver­dreht ma­chen, und ein Spring­brun­nen kön­ne auch da­bei sein.

Von dem Spring­brun­nen woll­te der Kai­ser nichts wis­sen, das ver­teue­re die Sa­che nur; aber ein Höl­len­dra­chen sol­le zu Fü­ßen der Jung­frau die gif­ti­ge See­le aus­hau­chen, der kön­ne sich stark rin­geln und über­schla­gen und sol­le zu­gleich ein Sym­bo­lum für die Irr­gläu­bi­gen al­ler Zei­ten sein.