Kaiser Ferdinand kniete seit einer halben Stunde vor einem Marienbilde in der Thomaskirche in Prag, als die Sonne aufging und ein durch das gegenüberliegende Fenster fallender Lichtstrahl sich wie ein hübscher bunter Vogel auf seine Schulter setzte. Er stand auf, von seinen herzuspringenden Begleitern unterstützt, blickte sich triumphierend um, verneigte und bekreuzte sich noch mehrere Male vor dem Bilde und verließ die Kirche, um zur Burg hinaufzufahren. In seinem Schlafzimmer angekommen, legte er seine Lockenperücke und seinen Oberrock ab, ließ sich einen Schlafrock umhängen und löffelte die Schleimsuppe aus, die ihm gebracht war. Nun schmecke es ihm zum ersten Male seit acht Tagen wieder, sagte er zu seinem Kammerdiener, nachdem er seinen Vorsatz ausgeführt hätte: eine Woche lang nämlich habe er von fünf bis sieben Uhr in sämtlichen Kirchen Prags gebetet.
Ach Gott, rief der Kammerdiener die Hände zusammenschlagend aus, das sei es also gewesen! Sie hätten es in der Dienerschaft alle gemerkt, dass die Majestät ein großes Werk betriebe. Er habe auch wohl gedacht, es möchte ein Gelübde sein; aber eben darauf wäre er nie verfallen.
Der Kaiser nickte und lächelte. Sie sollten aufpassen, sagte er, ob nicht heute oder morgen die Nachricht eines großen Sieges hereinkäme. Als er das letzte Gebet gesprochen hätte, sei seine Brust von einem merklichen Gefühl herrlicher Gewissheit erfüllt worden.
Das könne ja auch nicht anders sein, sagte der Kammerdiener. Nun begreife er auch, warum gerade um sieben Uhr, kurz bevor der Kaiser heraufgefahren wäre, der Himmel sich so absonderlich aufgeführt hätte. Er habe sich unterstanden, dem Herrn Grafen Trauttmansdorff, der eben die Treppe heruntergekommen wäre, zu sagen, er solle doch zum Fenster hinaussehen, ihm komme es so vor, als ob die Sonne eben einen Luftsprung gemacht hätte. Es sei dann zwar nichts mehr davon zu sehen gewesen, er möchte aber seine Seligkeit verschwören, dass die Sonne einen dreimaligen Luftsprung getan und dass das einen großen Tag zu bedeuten hätte.
Am Tage darauf kam Lobkowitz und erzählte, was er durch einen seiner Stallknechte, der um vier Uhr morgens die Pferde zu putzen pflege, gehört hätte. Bauern, die in der Frühe in die Stadt gekommen wären, hätten berichtet, die Dörfer wären voller Flüchtlinge, die sähen so übel aus, dass man nicht das Herz hätte, sie totzuschlagen.
»Was für Flüchtlinge?« fragte der Kaiser und sah Lobkowitz verwirrt an; die Schweden, fuhr er fort, würden sich doch nicht auf Prag retirieren?
Nein, sagte Lobkowitz, wenn das Geschwätz sich als wahr erwiese, so wären es Bayern, und die Zunge hinge ihnen aus dem Halse vor lauter Laufen. Es solle eine große Schlacht um Tabor herum stattgefunden haben. Da es aber leicht bloßes Gerede des hämischen Pöbels sein könnte, habe er Leute ausgeschickt, um sich zu erkundigen, und hoffe, dass sie noch im Laufe des Tages sichere Nachricht brächten.
Es müsse durchaus ein Irrtum sein, sagte der Kaiser ratlos, da er so sichere Zeichen von der Heiligen Jungfrau gehabt hätte. Im Vertrauen auf sein Gelübde habe er den Generalen den Befehl gegeben, die Schlacht zu wagen und den Feind zu besiegen. Oder ob vielleicht das Verzeichnis der Prager Kirchen unrichtig gewesen sei? sagte er, plötzlich erschreckend. Dann hätte er nicht alle Kirchen durchgebetet?
Lobkowitz sprach seine Überzeugung aus, dass es mit dem Verzeichnis seine Richtigkeit hätte. Man sei mit dem Götz doch übel beraten, und der Werth sei zwar tapfer, am Verstande, eine Schlacht zu dirigieren, fehle es aber. Er könne nicht ohne Seufzen an den Erzherzog Leopold Wilhelm und den Fürsten Piccolomini denken.
Man wisse doch aber, meinte der Kaiser, wie es vor drei Jahren bei Leipzig zugegangen wäre.
Damals sei vieles zusammengekommen, sagte Lobkowitz; wider die Launen der Fortuna könne einmal niemand.
Es komme alles auf die Gnade Gottes und die Fürbitte der Heiligen Jungfrau an, sagte der Kaiser, sich Mut zusprechend, und er könne sich nicht denken, warum Gott die Heilige Jungfrau nicht erhörte, ebensowenig, warum die Heilige Jungfrau sein Gebet verworfen haben sollte.
Der Abend brachte Bestätigung der schlimmsten Gerüchte. Es sei allerdings ein großer Sieg erfochten worden, meldete Lobkowitz dem Kaiser, Hatzfeld habe die Schweden in die Flucht geschlagen, dass es eine Lust gewesen sei, aber der tolle Götz habe seinen Flügel unsinnig aufgestellt und zusammenhauen lassen, den Eigensinn auch gleich selbst mit dem Leben bezahlt, und der Werth habe wie immer seine Weise für sich blasen wollen, wobei denn freilich ein abscheuliches Konzert herauskommen müsse. Dagegen habe denn Hatzfeld nichts ausrichten können und sei leider gefangen, werde wohl demnächst von sich hören lassen.
Des Kaisers Gesicht wurde fahl und schlaff, die Unterlippe hing ihm lang herunter, und seine matten Augen verschleierten sich, sodass Lobkowitz und der alte Schlick in große Verlegenheit gerieten.
Es sei am Ende das Ärgste nicht, sagte Lobkowitz, dass sie des Götz ledig wären, den der Kurfürst von Bayern besser im Gefängnis gelassen oder vollends justifiziert hätte; dann wäre er schon seit sechs Jahren tot.
Ja, man habe jetzt statt dreier Generale einen, fügte Schlick hinzu, damit sei schon etwas gewonnen. Übrigens werde Gott, der stets den Feinden des hohen Erzhauses zur rechten Zeit den Garaus gemacht hätte, mit dem lahmen Torstensson auch nicht lange mehr feiern. Er sei schon so voll Gicht, dass er nicht mehr gehen und stehen könne, lasse sich nur für die Schlacht aufs Pferd binden.
Zuallererst, sagte Lobkowitz, müsse man jetzt daran denken, des Kaisers hohe Person in Sicherheit zu bringen. Er möge geruhen, Befehl zu geben, dass man schleunig nach Wien aufbräche.
Der Kaiser hob langsam den Kopf und sah Lobkowitz tieftraurig an. Sein Kopf war schwer und wirr von qualvollen Gedanken. Führte denn die Heilige Jungfrau ihn irre? Verspottete sie ihn? Was war die Ursache, dass sie, der er sein Leben lang gedient hatte, ihn solchen Schimpf erleiden, die schwedischen Ketzer über ihn triumphieren ließ? Missbilligte es Gott vielleicht, dass er mit dem katholischen König von Frankreich Krieg führte? Aber Frankreich hatte ihn doch angegriffen! Frankreich hatte von jeher die Ketzer gegen ihn aufgehetzt!
Die Majestät habe gewiss wieder ihre Magenschmerzen, sagte Lobkowitz nach einer Pause; ob er nicht vor der Reise noch schnell purgieren wolle?
Es schien nicht, als ob Ferdinand verstanden hätte; er sah Lobkowitz starr an und sagte: Musik! er wolle Musik! worauf ein italienischer Kammerdiener, der zur Laute singen konnte, gerufen wurde und dem Kaiser Musik machte, bis er soweit war, dass er sich zur Abreise herrichten lassen konnte.
In Wien hatte Lobkowitz einen glücklichen Einfall, um den niedergeschlagenen Kaiser zu trösten: er erinnerte ihn daran, dass er die Errichtung der Mariensäule, die er gelobt hatte, beschleunigen und dadurch die Jungfrau sich geneigter machen könne. Durch diese Aussicht neu belebt, ließ der Kaiser sofort den Direktor der dazu eingesetzten Kommission kommen, trieb ihn zu größerem Eifer an und sprach auch selbst mit dem italienischen Baumeister, dem das Werk übertragen war. Die Heilige Jungfrau, erklärte er diesem, solle von dicken Wolken und Engeln getragen werden, dass es einen ordentlichen Haufen gäbe; mit den trockenen altmodischen Figuren könne er sich nicht genügen lassen.
Daran solle es nicht fehlen, sagte der Italiener verständnisvoll, die Madonna könne auch einen fliegenden Mantel mit vielen Bäuschen bekommen, dass er auch Wolken gliche, die Säule könne er verdreht machen, und ein Springbrunnen könne auch dabei sein.
Von dem Springbrunnen wollte der Kaiser nichts wissen, das verteuere die Sache nur; aber ein Höllendrachen solle zu Füßen der Jungfrau die giftige Seele aushauchen, der könne sich stark ringeln und überschlagen und solle zugleich ein Symbolum für die Irrgläubigen aller Zeiten sein.