80.

In der Her­ber­ge des Gra­fen Jo­hann Lud­wig von Nassau-Ha­da­mar, kai­ser­li­chen Ge­sand­ten am Frie­dens­kon­gress zu Müns­ter, sa­ßen der her­zog­lich braun­schwei­gi­sche Ge­sand­te, Dok­tor Lam­pa­di­us, und meh­re­re an­de­re Her­ren, um zu be­ra­ten, ob und in wel­cher Wei­se sie sich an der Ein­ho­lung des fran­zö­si­schen Haupt­ge­sand­ten, des Her­zogs von Lon­gue­ville, be­tei­li­gen woll­ten. Die­ser lag seit ei­ni­ger Zeit vor Müns­ter, wei­ger­te sich aber ein­zu­zie­hen, wenn ihm nicht der Ti­tel Al­tes­se zu­ge­stan­den wür­de, auf den er, aus kö­nig­li­chem Blut ent­spros­sen, An­spruch habe.

Der Graf von Nassau sag­te, die Au­gen tief­sin­nig in einen Win­kel boh­rend, es sei sei­ne Mei­nung, die­se Ti­tu­la­tur kön­ne dem Her­zog ohne schäd­li­che Kon­se­quen­zen nicht zu­ge­bil­ligt wer­den. Al­tes­se ent­spre­che näm­lich dem ita­lie­ni­schen Al­tez­za und ge­büh­re nur re­gie­ren­den fürst­li­chen Häup­tern, un­ter die der Her­zog von Lon­gue­ville nun ein­mal durch­aus nicht zu rech­nen sei.

Ja, die fran­zö­si­sche Va­ni­glo­rio­si­tät, sag­te Dok­tor Lam­pa­di­us lä­chelnd, trei­be wun­der­li­che Blü­ten her­vor; al­lein man set­ze bil­li­ger­wei­se zu­wei­len das uti­le und die Op­por­tu­ni­tät dem Buch­sta­ben vor­an, wie man ja auch beim Ho­nig­ma­chen wohl die Kör­be mit ei­nem gu­ten Ge­ruch be­stri­che, da­mit die Bie­nen sich nur nie­der­lie­ßen und ihr flei­ßi­ges Werk be­gön­nen.

Ja, sag­te der Graf von Nassau, wenn es ohne Prä­ju­diz ge­sche­hen könn­te, so wol­le er auch nicht ab­so­lut da­wi­der sein.

Das sei doch auch eine be­denk­li­che Sa­che, sag­te der Frank­fur­ter Ge­sand­te, dass der Kö­nig von Frank­reich an die Kur­fürs­ten und an­de­re Stän­de, zum Bei­spiel an sei­ne re­gie­ren­den Her­ren, Ein­la­dun­gen zur Frie­dens­ver­samm­lung habe aus­ge­hen las­sen. Man wis­se sei­ner­orts nicht, was man dazu sa­gen und wie man sich dazu ver­hal­ten sol­le.

Wie? rief der Graf von Nassau. Da­von sei ihm noch nichts be­kannt. Das habe ja das Aus­se­hen, als ob es der kai­ser­li­chen Ma­je­stät zum De­spekt ge­rei­chen soll­te!

Es sei eine ab­scheu­li­che Ex­tra­va­ganz, sag­te Dok­tor Lam­pa­di­us. Man wis­se bald nicht mehr, wo Kopf und wo Schwanz sei und wo man sei­ne Re­ve­renz an­zu­brin­gen hät­te.

Ob denn die Stän­de, frag­te der Graf von Nassau, auf der­glei­chen Un­ge­bühr­lich­keit geant­wor­tet oder we­nigs­tens bei der Ant­wort die Im­per­ti­nenz deut­lich an­ge­zo­gen hät­ten?

Was sei­ne Re­gie­rung an­be­lan­ge, er­wi­der­te der Frank­fur­ter Ge­sand­te, so wis­se er nicht, ob sie sich von ih­rer Per­ple­xi­tät schon er­holt hät­ten.

Wenn nur, seufz­te der Graf von Nassau, Sei­ne Ex­zel­lenz der Graf von Trautt­mans­dorff ein­mal an­rücken möch­te! Die Last er­drücke ihn fast, und er wis­se nicht mehr, wie er sich durch die viel­fäl­ti­gen An­sprü­che, Über­grif­fe und Ver­stö­ße durch­win­den sol­le, ohne dass dem kai­ser­li­chen An­se­hen ir­gend­wie und ir­gend­wo Ab­bruch ge­schä­he. Das Sä­ku­lum sei ja lei­der, er müs­se es sa­gen, so stolz und ver­we­gen, dass kei­ner sich mehr dem schul­di­gen Re­spekt un­ter­zie­hen woll­te, der ihm ob­lä­ge.

Al­ler­dings, sag­te Dok­tor Lam­pa­di­us; so woll­ten die kur­fürst­li­chen Ge­sand­ten um je­den Preis als Ex­zel­len­zen an­ge­se­hen und trak­tiert wer­den. Das habe schar­fe Ge­dan­ken in fürst­li­chen Krei­sen ge­macht. Man habe sich da mit der An­sicht ge­tra­gen, es soll­ten viel­mehr die kur­fürst­li­chen Bu­ckel ab­ge­ho­belt wer­den, dass es eine or­dent­li­che plat­te Ebe­ne gäbe.

Das gehe doch aber ge­gen die Gül­de­ne Bul­le, wand­te der Graf von Nassau die Stir­ne fal­tend ein, und die Gül­de­ne Bul­le kön­ne man so we­nig aus der Welt schaf­fen, wie man die Son­ne vom Him­mel rei­ßen kön­ne.

Er ge­hö­re auch nicht zu den un­ge­stü­men, ti­ta­ni­schen Köp­fen, sag­te Dok­tor Lam­pa­di­us, son­dern sei für die Sta­bi­li­tät; denn es sei nun ein­mal so, dass das Dach ein­stürz­te, wenn man die Mau­ern weg­ris­se. Da­rum sei sei­ne An­sicht, die Kur­fürs­ten soll­ten sich mit der alt­be­währ­ten, viel­fach be­glau­big­ten Ti­tu­la­tur be­gnü­gen, weil, wer zu hoch stei­gen wol­le, öf­ters zu Fal­le käme.

Der fürst­lich fulda­sche Ge­sand­te er­laub­te sich zu be­mer­ken, der hoch­se­li­ge Kai­ser Fer­di­nand II. habe viel­leicht ein we­nig zu hoch ge­grif­fen, in­dem er dem Kur­fürs­ten von Sach­sen die Durch­lauch­tig­keit be­wil­ligt habe; da­mit sei der un­er­sätt­li­chen Am­bi­ti­on Tür und Tor ge­öff­net.

Bei die­sem Punk­te wa­ren die Her­ren an­ge­langt, als ein kur­fürst­lich main­zi­scher Ge­sand­ter er­schi­en und nach ge­sche­he­nen Kom­pli­men­ten auf sein An­lie­gen kam, näm­lich dass die schwe­di­sche Ge­sandt­schaft zu Os­na­brück ein Li­bell ver­fasst und im Druck habe er­schei­nen las­sen, in dem sie sich in­ju­ri­ös über die müns­ter­sche Ver­samm­lung aus­ge­spro­chen hät­ten. Sie hät­ten dar­in von den An­stren­gun­gen ge­spro­chen, die die Her­ren Schwe­den zur Wie­der­er­lan­gung des kost­ba­ren Frie­dens ge­macht hät­ten, auch al­ler­lei Do­ku­men­te zum Be­wei­se vor­ge­bracht, so­dann höh­nisch auf die Reichs­stän­de ge­sti­chelt, die es zu­meist an­gin­ge, die aber zur Ef­fek­tu­ie­rung nichts tun woll­ten. Über die zu Müns­ter hät­ten sie noch ins­be­son­de­re ge­sagt, dass sie sine modo et me­tho­do vor­gin­gen und dass trotz al­ler Auf­for­de­run­gen noch nicht so viel Ge­sand­te bei­sam­men wä­ren, um nur ein voll­zäh­li­ges Kol­le­gi­um aus­zu­ma­chen.

Das sei ja lei­der nur all­zu wahr, sag­te der Frank­fur­ter Ge­sand­te, dass sich so vie­le von den ge­ehr­ten Her­ren Stän­den noch im­mer nicht bli­cken lie­ßen. Sie wä­ren aber er­hal­te­nen Brie­fen zu­fol­ge, sag­te der Graf von Nassau, be­reits in motu und ei­ni­ge so­gar in pro­cinc­tu.

»Eile mit Wei­le!« sag­te der fulda­sche Ge­sand­te. »Gut Ding will Wei­le ha­ben, und Rom ist nicht an ei­nem Tage er­baut wor­den.« Die Her­ren Schwe­den könn­ten ih­ren Sack nicht schnell ge­nug fül­len, woll­ten al­les auf gu­sta­vi­sche Wei­se, hol­ter­die­pol­ter, exe­quie­ren und soll­ten doch be­den­ken, was für einen bö­sen Fall der ver­stor­be­ne Kö­nig bei sei­nem Un­ge­stüm ge­tan hät­te.

Es möch­te doch aber an­ge­zeigt sein, sag­te Dok­tor Lam­pa­di­us, dass man den Läs­te­rern in al­ler Ge­lin­dig­keit übers Maul füh­re und sie ei­nes Bes­se­ren be­lehr­te. Da­her neh­me er sich ganz un­vor­greif­lich die Frei­mü­tig­keit her­aus, zu er­in­nern, ob nicht dem­nächst ef­fec­ti­ve vor­ge­gan­gen, das heißt, ir­gend­ei­ne Sa­che rea­li­ter an­ge­grif­fen wer­den könn­te.

Man kön­ne etwa dar­über eins wer­den, schlug der Graf von Nassau vor, wie es mit der Ein­ho­lung des Her­zogs von Lon­gue­ville ge­hal­ten wer­den sol­le.

Der hes­sen-darm­städ­ti­sche und der hes­sen-kas­sel­sche Ge­sand­te wür­den schwer­lich un­ter einen Hut zu brin­gen sein, mein­te der Frank­fur­ter. Das hes­si­sche Un­we­sen schla­ge ja wie­der in hel­len Flam­men aus, nach­dem man es kaum ge­dämpft ge­glaubt hät­te.

Sie wä­ren über das cor­pus de­lic­ti wie­der auf einen neu­en Zank­ap­fel ge­ra­ten, sag­te Dok­tor Lam­pa­di­us lä­chelnd. Mar­burg wer­de die hes­si­sche Wit­we wohl nicht wie­der aus den Hän­den las­sen; er wol­le das zwar nicht bil­li­gen, aber ihm kom­me vor, als sei ihr von darm­städ­ti­scher Sei­te doch zu viel ge­sche­hen.

Der Graf von Nassau woll­te das da­hin­ge­stellt sein las­sen, war aber der An­sicht, die Land­grä­fin habe das Völ­ker­recht gar zu sehr bei­sei­te ge­setzt und nach Art der Schnapp­häh­ne um sich ge­grif­fen.

Nach al­ler­lei Wei­te­run­gen kam es zu dem Be­schlus­se, den Her­zog von Lon­gue­ville fei­er­lich ein­zu­ho­len, wo­von sich nur der ve­ne­zia­ni­sche Ge­sand­te aus­schloss, da er vor den Kur­fürs­ten zu fah­ren be­an­spruch­te, was als eine Ab­sur­di­tät ab­ge­lehnt wur­de.

Des­we­gen hielt er in ita­lie­ni­scher Spra­che eine leb­haf­te Rede, in der er das un­er­reich­te Al­ter sei­ner Re­pu­blik her­aus­strich und vie­le Fäl­le auf­zähl­te, in de­nen ve­ne­zia­ni­sche Ge­sand­te den Vor­rang vor sämt­li­chen an­de­ren Ge­sand­ten ge­habt hät­ten.

Nach­dem die An­we­sen­den sei­ne Rede still­schwei­gend an­ge­hört hat­ten, er­in­ner­ten sie ihn dar­an, dass sie nicht Ita­lie­nisch ver­stän­den, wor­auf er sei­ne wei­ßen Zäh­ne zeig­te und die Ora­ti­on auf la­tei­nisch wie­der­hol­te.

Ob der­glei­chen in Ita­li­en für La­tei­nisch an­ge­se­hen wür­de? flüs­ter­te Dok­tor Lam­pa­di­us sei­nem Nach­bar zu; er hal­te es für Kau­der­welsch.1 Der lach­te bis zu Trä­nen und ant­wor­te­te, ob es Ta­ta­risch oder Chi­ne­sisch sei, die Prä­ten­tio­nen des Ge­sand­ten wä­ren durch­aus ve­ne­zia­nisch.

Nichts­de­sto­we­ni­ger wur­de der Her­zog von Lon­gue­ville von den üb­ri­gen Ge­sand­ten ein­ge­holt, die al­ler­dings an dem Ge­prän­ge, das er ent­fal­te­te, großen An­stoß nah­men. Es dau­er­te über eine Stun­de, bis alle Vor­rei­ter, Rei­ter, Kut­schen, Leib­wa­chen, La­kai­en, Trom­pe­ter und was mehr vor­bei­pas­siert wa­ren, und die Au­gen wur­den von sei­de­nen und da­mas­te­nen De­cken, gol­de­nen und sil­ber­nen Wap­pen, kar­min­ro­ten und azur­blau­en Far­ben fast ge­blen­det.


  1. Kau­der­welsch ist die ab­wer­ten­de Be­zeich­nung für eine ver­wor­re­ne Sprech­wei­se, für ein un­ver­ständ­li­ches Ge­misch aus meh­re­ren Spra­chen oder eine un­ver­ständ­li­che frem­de Spra­che.  <<<