»Es ist doch absolut ungefährlich. Was sollte da schiefgehen?« – Diese Worte würden Jake später im Traum verfolgen, doch als er sie das erste Mal hörte, glaubte er inbrünstig an sie. Erst später sollte sich Keiko O'Briens Kommentar als durch und durch – und fast tödlich – falsch erweisen.
Mrs. O'Brien unterrichtete ihre kleine Klasse gerade in Astronomie. Der Computer projizierte ein großes Hologramm der Galaxis dicht über ihren Köpfen in die Luft. Die vier Quadranten der Galaxis waren etwas abgedunkelt, und Mrs. O'Brien zeigte mit einem Laserstab auf die einzelnen Sterne.
»Das ist Sol«, erklärte sie, und der Lichtstrahl fiel auf einen kleinen Stern am Rand eines Arms der Galaxis. »Die Erde ist Sol Drei. Und das ist, was die Menschen 40 Eridani nennen.« Sie zeigte auf einen Stern in der Nähe des ersten. »Das ist die Sonne des Planeten Vulkan. Wie ihr seht, befinden beide Sterne sich im Alpha-Quadranten. Wer kann mir jetzt zeigen, wo Deep Space Nine liegt?«
Natürlich war T'Aras Hand zuerst oben. Jakes folgte als wesentlich langsamere zweite. Jakes bester Freund Nog verdrehte lediglich empört die Augen.
Wie die meisten Vulkanierinnen war T'Ara groß, schlank und sehr ernst. Sie hatte langes dunkles Haar, das normalerweise hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, der ihre spitzen Ohren freiließ und vorne gerade auf ihre Stirn fiel, so dass man ihre schrägen Brauen sehen konnte. Die Vulkanier hielten nichts davon, dass Emotionen ihr Leben beherrschten, und verbargen ihre Gefühle daher sorgsam. Trotz ihrer Reife war T'Ara erst sieben Jahre alt, und daher verlor sie gelegentlich die Beherrschung über ihre Gefühle. In einem solchen Fall schämte sie sich immer, und deshalb taten ihre Freunde so, als bemerkten sie es nicht. Mrs. O'Brien gab T'Ara den Laserstab, und sie deutete damit auf einen Stern im Alpha-Quadranten.
»Ganz genau«, erklärte die Lehrerin. »Die meisten Welten, die wir bislang erforscht haben, liegen entweder im Alpha- oder im Beta-Quadranten. Und dank des Wurmlochs haben wir natürlich auch schon einige Sonnensysteme im Gamma-Quadranten erkundet.«
So wichtig gemacht hatte Deep Space Nine die Entdeckung des Wurmlochs. Dabei handelte es sich um einen seltsamen, fast unvorstellbaren Tunnel durch den Weltraum. Das eine Ende befand sich hier, im All in der Nähe des Planeten Bajor. Das andere lag im Gamma-Quadranten, etwa 70 000 Lichtjahre entfernt. Das Wurmloch war sozusagen eine Abkürzung im All, die Schiffen Jahre und Jahrzehnte der Reise ersparte. Vor der Entdeckung des Wurmlochs hatte niemand etwas über den Gamma-Quadranten gewusst. Nun gab es einen blühenden Handel, und Schiffe flogen ständig durch das Wurmloch hin und zurück. Das einzige Problem war – jedenfalls aus Jakes Sicht –, dass er noch nie die Erlaubnis bekommen hatte hindurchzufliegen.
Jake beugte sich etwas vor. »Nur, dass wir diese Sterne nie zu sehen bekommen, nicht wahr?«
Ashley nickte. »Das stimmt, Mrs. O'Brien. Wir sitzen direkt vor dem Wurmloch, dürfen aber nicht mal einen Blick hindurchwerfen. Das ist nicht fair, oder?« Ashley Fontana war T'Aras beste Freundin, ein Menschenmädchen, dessen Mutter in der technischen Abteilung von Chief O'Brien arbeitete. Ashley war etwas jünger als Jake, hatte langes blondes Haar, und ihre Fähigkeiten, Maschinen zu reparieren, waren fast so gut, wie sie selbst glaubte.
»Nun ja«, sagte ihre Lehrerin vorsichtig. »Wahrscheinlich wollen sich alle zuerst vergewissern, dass es nicht gefährlich ist.«
»Na klar«, sagte Jake. »Das Wurmloch wird jetzt seit über einem Jahr erforscht. Was glauben Sie, wann werden sie es für ungefährlich halten?«
T'Ara hätte fast gelächelt. »Sind Sie jemals durch das Wurmloch geflogen?«, fragte sie Mrs. O'Brien.
Ihre Lehrerin zeigte sich von der Frage überrascht. »Nein«, gestand sie ein. »Noch nicht.«
»Würden Sie nicht mal gern durch das Wurmloch fliegen?«, fragte T'Ara unschuldig. Jake konnte sich kaum zurückhalten, laut loszulachen. Er sah, dass die Mundwinkel der jungen Vulkanierin zuckten.
»Na ja«, erwiderte die Lehrerin. »Natürlich würde ich gern fliegen. Aber so einfach ist das nicht, und …« Sie verstummte, als sie bemerkte, dass all ihre Schüler sie mit grinsenden Gesichtern betrachteten – abgesehen von T'Ara, der es irgendwie gelang, ihre Erheiterung auf ein leichtes Zucken ihrer Lippen zu beschränken. »Genug davon«, sagte die Lehrerin energisch. »Kehren wir lieber zum Unterrichtsstoff zurück, ohne uns ablenken zu lassen, ja?«
Der Unterricht ging weiter, und Jake dachte, das Thema sei damit erledigt. Zu seiner Überraschung lag er damit falsch. Als er und sein Vater an diesem Abend in ihrem Quartier gemeinsam beim Essen saßen, summte plötzlich der Türcomputer.
»Herein!«, rief Commander Sisko, und der Computer öffnete die Tür.
Mrs. O'Brien kam herein. Als sie die fast leeren Dessertteller sah, entschuldigte sie sich sofort. »Oh, es tut mir leid. Ich kann später noch mal vorbeikommen.«
»Schon in Ordnung«, sagte Jakes Vater. »Wir sind gerade fertig. Jake, würdest du das Geschirr zum Recycler bringen?«
Jake verstand die Andeutung sofort. Die Erwachsenen mussten irgend etwas besprechen, und sein Vater wollte ihn aus dem Weg haben. »Äh, klar«, sagte er. Er war diese Prozedur gewöhnt.
»Nein«, sagte Mrs. O'Brien schnell. »Es ist nicht nötig, dass Jake geht. Nicht zuletzt wegen ihm bin ich ja hier.«
Commander Sisko warf seinem Sohn einen Blick zu, der zu besagen schien: Was hast du jetzt schon wieder angestellt? »Ich verstehe. Hat er mit Nog wieder irgendeinen Unsinn ausgeheckt?«
»Nein, nichts dergleichen«, versicherte die Lehrerin ihm. »Ganz im Gegenteil. Er und seine Freunde haben heute im Unterricht einen Vorschlag gemacht, der einiges für sich zu haben scheint.«
»Wirklich?«, fragte Jake erstaunt. Er hatte zwar nicht damit gerechnet, dass sie irgendwelche Klagen über ihn vorbringen wollte, aber man konnte nie genau sagen, was im Verstand eines Lehrers vor sich ging.
»Wirklich«, bekräftigte sie und lächelte ihm zu. Seinem Vater erklärte sie: »Sie haben eine Exkursion vorgeschlagen.«
Commander Sisko runzelte nachdenklich die Stirn. »Eine Exkursion?«, fragte er.
»Ja«, erwiderte Mrs. O'Brien. »Keiner von ihnen hat die Station so richtig verlassen, seitdem wir hierher gekommen sind, mal abgesehen von ein paar Ausflügen nach Bajor.« Jake zuckte zusammen, als er an seinen letzten Trip auf den Planeten dachte, und an die unerwarteten Folgen, die ihr unüberlegter Entschluss – Nog hatte ihn damals begleitet – gehabt hatte. »Sie werden ziemlich unruhig, und ich dachte, eine Exkursion wäre genau das Richtige – sie kommen mal aus der Station heraus und erleben etwas Interessanteres.«
»Ah ja«, sagte Jakes Vater zurückhaltend. »Sie bitten also um meine Erlaubnis? Und möchten, dass ich Ihnen einen Flitzer zur Verfügung stelle.«
»Genau, Commander«, erklärte die Lehrerin.
Sein Vater nickte. »Na ja, für mich hört sich das ganz logisch an.« Er lächelte Jake kurz zu. »Reisen bildet, wie es so schön heißt, und diese jungen Leute brauchen alle Bildung, die sie kriegen können. Wohin wollen Sie also mit ihnen fliegen? Zu den Feuerfällen von Ushara? Der Klosterfestung von Kai-tona? Den Gärten der reinen Freude?«
Mrs. O'Brien schüttelte den Kopf. »Nichts davon«, gestand sie ein. »Eigentlich habe ich überhaupt nicht an Bajor gedacht.«
Commander Sisko zuckte mit den Achseln. »Dann Andros?«, sagte er und nannte einen ganz in der Nähe liegenden Planeten. »Oder den Asteroidengürtel?«
»Eigentlich habe ich an Cetus Beta gedacht«, erwiderte Mrs. O'Brien.
Es dauerte einen Augenblick, bis der Name in sein Bewusstsein vorgedrungen war; dann starrte Jakes Vater sie erstaunt an. »Cetus Beta?«, wiederholte er. »Im Gamma-Quadranten? Ihnen ist doch klar, dass das völlig außer Frage steht?«
Jake hatte das Gespräch mit Interesse verfolgt – und dann mit Begeisterung, als seine Lehrerin einen Trip durch das Wurmloch vorgeschlagen hatte, einen Flug zu einer Welt im Gamma-Quadranten. Doch sein Mut verließ ihn wieder, als er sah, wie entschlossen sein Vater ablehnte. »Ach, Dad!«, protestierte er.
Commander Sisko runzelte die Stirn. »Sag nicht ›Ach, Dad!‹ zu mir«, sagte er. An Mrs. O'Brien gewandt, fügte er hinzu: »Ihnen ist doch klar, wie gefährlich so ein Trip wäre, oder, Keiko?«
Zu Jakes Überraschung machte Mrs. O'Brien keinen Rückzieher. »Keineswegs«, erwiderte sie ruhig. »Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, Commander. Cetus Beta ist eines der nächsten Sonnensysteme auf der anderen Seite des Wurmlochs. Im gesamten System gibt es keine intelligente einheimische Spezies, und auf Cetus Beta selbst kommt absolut kein tierisches Leben vor, ganz gleich welcher Art. Auf der gesamten Welt gibt es ausschließlich Pflanzen. Es ist so ziemlich der sicherste Planet, den wir je entdeckt haben, und er wurde von zwei wissenschaftlichen Schiffen der Föderation erforscht und für absolut harmlos erklärt.«
Commander Siskos Stirnrunzeln schwächte sich etwas ab. »Ich verstehe. Sonst noch etwas?«
»Nur noch eines«, antwortete die Lehrerin. »Meine Schüler befinden sich in unmittelbarer Nähe des Wurmlochs und werden allmählich ungeduldig. Ist Ihnen klar, dass sie liebend gern mal feststellen würden, wie es ist, wenn man hindurchfliegt? Es ist da draußen und stellt eine gewaltige Verlockung dar. Sie wissen ja, wie Kinder sein können, Commander. Was meinen Sie, wie lange wird es dauern, bis eines von ihnen den Entschluss fasst, sich auf ein Schiff zu schleichen, das durch das Wurmloch fliegt?«
Sein Vater bedachte Jake mit einem Stirnrunzeln. »Wie ich diese Schlingel kenne«, gestand er ein, »erstaunt es mich, dass es noch keiner von ihnen versucht hat. Sie schlagen also einen genehmigten Trip durch das Wurmloch vor, um ihre Neugier zu befriedigen?«
»Einen genehmigten, ungefährlichen und verantwortungsvollen Trip«, erklärte Mrs. O'Brien. Sie schien zu spüren, dass der Sieg in greifbarer Nähe lag. »Nur zehn Schüler«, fügte sie hinzu. »Jake, Nog, T'Ara, Ashley und sechs Bajoraner. Ich fliege mit, und dann ist da natürlich noch der Pilot des Flitzers. Wir würden eine Woche lang auf Cetus Beta kampieren und dann zurückkehren. Es ist absolut ungefährlich. Was sollte da schiefgehen?«