Sie kam selbst, wie angekündigt, aber bei Künstlern wusste man ja nie, ob sie es auch ernst meinten
Sie hatte all ihre Leute fortgeschickt und war persönlich im Hauptquartier von »Allgemeine Dienstleistungen« aufgetaucht. »Was man nicht selbst macht, wird nicht richtig gemacht«, hatte die Sängerin dann verkündet, um gar keine Zweifel aufkommen zu lassen. Minarel hatte für diese Haltung Verständnis, oft genug war solche Vorsicht sinnvoll.
»Sie leiten diese Firma?«, fragte Amanda Ariovista. Sie hatte wirklich eine ganz wunderschöne Stimme, selbst dann, wenn sie normal sprach und keinen ihrer interstellaren Superhits zum Besten gab. Nicht nur die Stimme war perfekt, eigentlich alles an ihr. Wer auch immer für ihre Genetik und die sich anschließende kosmetische Chirurgie verantwortlich war, hatte darauf geachtet, dass sie den Schönheitsidealen der beiden größten Völker entsprach, die im Stellaren Status für ihre Art Musik am meisten empfänglich waren: Die Terraner und die Scuudi waren beide humanoid, beide musikliebend und dominierten zusammen die wohlhabendsten Mitgliedsstaaten des Status. Die Scuudi waren weniger, deswegen hatten die Menschen immer noch die Nase vorn, es änderte aber nichts an der grundsätzlichen Tatsache.
Da hatte jemand seine Marktforschung wirklich bis zur Gänze ausgereizt und ein Produkt erschaffen, das vielerlei Bedürfnisse abdeckte. Dem Vernehmen nach war dies Amanda Ariovista selbst gewesen, die seit geraumer Zeit ihre eigene Managerin war, ihren Agenten nur als Laufburschen benutzte und damit vor allem ihre eigenen Bedürfnisse abzudecken versuchte: nach Ruhm, Reichtum und Macht.
Körperkosmetische Eingriffe waren da nicht mehr als eine vertretbare Unbequemlichkeit.
»Ich bin mir nie ganz so sicher«, erwiderte Minarel mit einem bewusst schüchternen Lächeln, das natürlich gespielt war. Sie war sich stets absolut sicher, wer hier das Sagen hatte. Ihre devote Haltung war nur die notwendige symbolische Unterwürfigkeit vor einer Kundin, an deren Reichtum sie teilhaben wollte. Und so, wie es aussah, war die Sängerin mit dem, was sie hier sah, durchaus zufrieden. Wirklich beeindruckt schien sie nicht zu sein, aber es gab wahrscheinlich wenig bis gar nichts, was eine solche Regung bei jemandem wie ihr noch auslösen konnte.
Nein, das war nicht ganz richtig. Die Künstlerin war bereit, sich von einer erheblichen Summe zu trennen, um die eigene Sicherheit zu erhöhen. Da war also irgendetwas, von dem sie beeindruckt war, und wie bei den meisten, die sehr weit oben standen, hatte es Angst hervorgerufen. Ob Ariovista das jemals zugeben würde, auch nur andeutungsweise, konnte Minarel zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einschätzen. Möglicherweise würde sie in Bezug auf diese Frage niemals endgültige Gewissheit erhalten. Denn die Sängerin war auch eine exzellente Schauspielerin.
»Ich habe Ihnen jetzt alles gezeigt«, log Minarel und deutete auf einen gemütlichen Sessel in ihrem Arbeitszimmer. Natürlich würde sie niemals einer Kundin alles zeigen, aber die Tour, die sie für jene eingeübt hatte, die »sich ein Bild verschaffen« wollten, sollte bei dem Uneingeweihten exakt diesen Eindruck erwecken. »Sind Sie zufrieden?«
Ariovista setzte sich mit einer eleganten, fließenden und extrem kontrollierten Bewegungsfolge, auf die Minarel – sie spürte einen leichten Stich – etwas neidisch war.
»Ich bin zufrieden, wenn ich diese verdammte Party hinter mich gebracht habe.«
»Sie werden nicht einmal in der Nähe sein.«
»Aber das darf niemand merken. Vor allem nicht Hovar Kovitz.«
Kovitz war ein interstellar tätiger Veranstaltungsmanager und der Organisator der Party. Es gab da wohl, wenn Minarel das richtig verstanden hatte, gewisse vertragliche Regelungen in Bezug auf das Erscheinen der Sängerin. Das schien Ariovista mindestens genauso wichtig zu sein wie ihre Unversehrtheit. Minarel war sich nicht ganz sicher, ob die Frau ihre Prioritäten im Griff hatte, aber wer war sie, dass sie das beurteilen wollte?
»Keine Sorge. Meine Leute arbeiten perfekt.«
»Das mögen Sie glauben. Dennoch sorge ich mich.« Ariovista war eine absolute Herrin über ihre Stimme. Ein Organ, das samtweiche, den Raum mit fettem Klang erfüllende Arien produzieren konnte, war auch in der Lage, eiskalten Zweifel zu äußern, der die Temperatur spürbar abzusenken schien.
Minarel war beeindruckt. Das war mehr als nur das Ergebnis sorgfältiger Ausbildung, das war ein hell loderndes Talent, eine Gabe, wahrscheinlich ein Segen. Angesichts der Tatsache, dass die Sängerin eher unzufrieden wirkte, war das mit dem Segen vielleicht ein zweischneidiges Schwert.
»Ihre Sorgen kann ich nachvollziehen …«, begann sie mit ihrem üblichen Kundengespräch, denn es war absolut üblich, dass sich ihre Klienten Sorgen machten, sonst wären sie ja nicht bei ihr. Doch dies war keine übliche Kundin. Ariovista beugte sich nach vorne, fasste die andere Frau in einen intensiven, fast hypnotischen Blick.
»Was ist mit Orbal passiert? Das waren doch Sie!«
Minarel schwieg. Das kam ein wenig unerwartet. Natürlich war die Verwicklung ihrer Firma absolut geheim gewesen, und offiziell war Orbal III . natürlich tatsächlich verstorben. Allerdings arbeiteten die Sicherheitskräfte und die Propagandaabteilung noch an einer Erklärung, warum er tot in seinem Fluchtraum gelegen hatte, während er in einem Lichtblitz in der Festhalle verschwand. Aber dass Simipathen etwas damit zu tun hatten, ja, dass diese Firma überhaupt existierte, war nirgends erwähnt worden und blieb weiterhin das Geheimnis eines engen Kreises von Eingeweihten.
Ein Kreis, zu dem Amanda Ariovista anscheinend gehörte, was Minarel im Grunde nicht hätte überraschen sollen.
»Sie sind sehr gut informiert«, lobte sie. Das verfing jedoch nicht.
»Das ist in meinen Kreisen üblich. Ich bewege mich in gesellschaftlichen Regionen, in denen man Ihre Aktivitäten durchaus aufmerksam beobachtet. Ihre Erfolge sind eine gute Werbung, deswegen bin ich hier. Ihre Misserfolge bleiben aber auch niemandem verborgen. Das war ein sehr, sehr großer Misserfolg. Muss ich mir Sorgen machen, dass dem ein zweiter folgen könnte?«
Minarel holte tief Luft. Sie fühlte sich jetzt sehr angespannt.
»Die Ereignisse in der Prinzipalität waren höchst bedauerlich und werden noch untersucht. Ich gebe offen zu, dass ich selbst noch nicht weiß, was genau passiert ist.« Minarel war klar, dass es völlig sinnlos war, sich bei Ariovista herauszureden oder zu lügen. Es war nicht notwendig, alles zu sagen, was sie wusste – aber diese Frau war viel zu intelligent und viel zu gut vernetzt, als dass eine Lüge nicht bereits mit sehr kurzen Beinen auf die Welt kommen würde.
»Das beruhigt mich nicht besonders. Ich vertraue Ihnen einiges an, wenn Sie für mich arbeiten. Ich hätte da gerne ein paar mehr Informationen, damit ich verstehe, was dort passiert ist.«
Minarel zuckte mit den Achseln. »Das tut mir leid. Ich kann Ihnen ja jetzt keinen Bären aufbinden. Wir wissen nicht, was passiert ist. Aber da Sie so gut informiert sind: Sie kennen unsere Erfolge, und Sie wissen, dass unser Angebot keine Augenwischerei ist. Wir behaupten nicht, dass wir Perfektion anbieten können. Es kann auch mal etwas schiefgehen, denn wir arbeiten in einem sehr gefährlichen Umfeld. Wo Gewalt nicht nur angedroht, sondern auch eingesetzt wird, kann es auch Opfer geben. Ich garantiere Ihnen nichts – außer dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um Sie vor jedem Schaden zu bewahren.«
Und das galt auch für den eingesetzten Simipathen. Minarel hatte es bereits mit McKinnon besprochen. Ein zweites Mal würde es jemand, der es eigentlich auf die Simis abgesehen hatte, nicht so leicht haben. Dass es in diesem Einsatz daher zwei Zielkorridore gab, die möglicherweise nicht vollständig in Einklang zu bringen waren, behielt Minarel besser für sich. Es würde Ariovista unleidlich machen, wenn sie davon erfuhr, und das war nicht gut, denn ihr Geld wurde dringend benötigt.
»Ich verstehe. Und ich werde mich Ihrer Dienste versichern, egal, was da passiert ist«, erklärte die Sängerin. »Aber Sie sollten wissen, dass derzeit viele Augen auf Sie gerichtet sind – und Ihre Firma. Natürlich kann mal etwas schiefgehen. Natürlich kann jemand wie der Prinzipal trotz aller Sicherheitsmaßnahmen zu Tode kommen – und die Ursache dafür ist dann, dass er ein pompöses Arschloch war, und nicht notwendigerweise Ihr Versagen. Aber dennoch: Gemessen werden Sie an jenen, die noch atmen und sich darüber freuen, dem ihnen zugedachten Schicksal entronnen zu sein. Nur Erfolg macht sexy. Glauben Sie mir, ich weiß genau, wovon ich spreche.«
Der letzte Satz ließ Minarel innehalten. Ihr lief ein kalter Schauer dabei den Rücken hinab. In den Worten der Sängerin war so eine Leere, eine tiefe Verbitterung hörbar gewesen, dass es sie direkt gepackt hatte. Kein Mitleidheischen, nicht einmal Selbstmitleid. Es war eine simple Feststellung gewesen, ein Urteil über das eigene Leben, das Amanda Ariovista selbst so gewählt hatte und in dessen Fortsetzung sie bereit war, sehr viel zu investieren. Dennoch. Da war irgendwo ein Abgrund. Ein sehr tiefer. Und Minarel wollte gar nicht hineinschauen.
Sie hatte Angst, ihr Spiegelbild darin zu entdecken.
»Dann sollten wir die Details besprechen«, sagte sie nach kurzer Pause.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Aber ja.« Minarel nickte empathisch. »Absolut.«