KAPITEL 12
Anna-Maria fand den Typen, zu dem Oswald sie geschickt hatte, schon vom ersten Augenblick an unerträglich. Die Art, wie er sie ansah. Wie ein Objekt. Ließ sie draußen vor seiner Wohnungstür stehen und bat sie nicht herein. Und dann dieses arrogante Nicken mit dem Kopf. Immerhin war sie die rechte Hand von Oswald. Und trotzdem behandelte er sie wie einen billigen Boten.
Sein Verhalten belebte ihre Eifersucht, die ständig in ihr schwelte. Sie fragte sich, ob Franz sie bei ihm angeschwärzt hatte. Und warum sich der Idiot nicht vorgestellt hatte. Er musste ja wohl einen Namen haben. Aber nein, breitbeinig stand er in Flipflops und zerrissener Jeans vor ihr und gähnte herzhaft. Er sah aus, als hätte er sich gerade erst aus dem Bett geschält. Zerzaustes Haar, dumpfer Blick. Die Wut darüber, dass Franz ausgerechnet diesen Loser als ihren Mittelsmann ausgewählt hatte, fraß sie von innen förmlich auf.
Außerdem gab es ja auch noch den Umschlag, den er ihr für ihn mitgegeben hatte. Sorgfältig verschlossen und zugeklebt. Kein Name, nur eine Anschrift. Sogar unter eine starke Lampe hatte sie ihn gehalten, aber keinen einzigen Buchstaben entziffern können. Lediglich Franz’ Handschrift auf dem Blatt Papier darin hatte sie wiedererkannt.
Sie saß auf ihrem Balkon und überlegte fieberhaft, wie sie Franz dazu bringen konnte, sich dieses Typens zu entledigen.
Immer wieder schob sich ein ganz anderer Gedanke dazwischen. Was passiert hier gerade mit mir? Was für einen Sinn soll das Verliebtsein haben, wenn es so wehtut?
Der letzte matte Glanz der Abendsonne löste sich am Horizont auf. Es roch nach Regen. Sie atmete tief ein und genoss die Frische, bis die unruhigen Gedanken sie wieder einholten. Sie war so versunken, dass sie die Zeit vergaß und viel zu spät begriff, dass sie schon längst nach Skogome hätte aufbrechen müssen.
Die Fahrt dorthin verbrachte sie in einem Nebel aus Angst. Sie wusste, Oswald würde wütend sein, weil sie sich verspätete. Sie versuchte sich damit zu beruhigen, dass alles anders werden würde, wenn er wieder entlassen wurde. Gefängnis setzte jeden unter Druck. Sie verlor sich in Zukunftsträumereien. Stellte sich vor, wie sie bei ihm eingehakt an Zusammenkünften und Feiern teilnahm. Im Scheinwerferlicht. Sie sah die Fotos ihrer Hochzeit vor sich, auf denen sie liebevoll die Nasenspitzen aneinanderrieben.
Aber keine der Fantasien half gegen die Angst, darum überlegte sie sich eine gute, glaubwürdige Ausrede, die ihre Verspätung erklären sollte. Google hatte einiges an Aktivitäten von ›Sofia Bauman‹ gemeldet. Nichts Konkretes, aber immerhin.
Gehetzt kam sie dort an. Ein junger Mann saß im Wachhaus am Haupteingang. Gedankenverloren. Anna-Maria war erleichtert, McLean hätte sie mit einem Blick durchschaut. Der Wachmann hob die Hand, während er sein Telefonat beendete. »Franz Oswald hat den Besuchsraum verlassen«, teilte er ihr mit. »Er wollte sich wieder seinem Studium widmen, nachdem er eine Viertelstunde auf Sie gewartet hat.«
»Verdammt, ich muss ihn aber unbedingt sprechen.
«
»Wir können ihn fragen, aber zwingen dürfen wir ihn nicht dazu.«
»Nein, natürlich. Aber sagen Sie ihm bitte, dass ich gezwungen war, etwas Dringendes zu erledigen, was mit seinem Fall zu tun hat«, log sie. »Dass ich Informationen habe, die ihn interessieren werden.«
Der Wachmann seufzte.
»Okay, aber es wäre besser, wenn Sie das nächste Mal pünktlich kommen. Die Besuchszeit ist auch gleich vorbei.«
Er wandte sich ab und führte ein weiteres Telefonat. »Er kommt gleich.«
Oswald ließ sie fünfzehn Minuten warten. Als der Wachmann sie ins Besuchszimmer brachte, saß er bereits da. Seine Augen hatten einen boshaften Glanz.
»Was willst du?«
»Verzeih, dass ich dich habe warten lassen. Aber Google hat mir gemeldet, dass Sofia Baumans Name ein paarmal aufgetaucht ist. Ich wollte mir das alles vorher noch durchlesen.«
»Aha, und gibt es etwas Konkretes?«
»Nein, bisher noch nicht. Ein paar Posts auf Facebook und so etwas. Sie hat über Elvira geschrieben, wie unmöglich sie es findet, dass sie zu ViaTerra zurückgegangen ist.«
»Hat sie meinen Namen erwähnt?«
»Wie bitte?«
»Du hast genau gehört, was ich gesagt habe. Hat sie mich erwähnt? Meinen Namen. Franz fucking Oswald?«
»Also, ich weiß nicht, ich erinnere mich nicht. Aber ich glaube schon. Oder vielleicht nicht direkt, aber sie hat es angedeutet …«
»Halt’s Maul.«
»Bitte?
«
»Hör auf zu schwafeln. Glaubst du, dass ich nicht merke, dass du mich anlügst?«
Er strich sich mit der Hand durch die Haare, eine geistesabwesende Geste, die sie nur zu gut kannte. Aber erst jetzt begriff sie, dass sie das Anzeichen für einen bevorstehenden Wutausbruch war. Sein Kiefer wirkte verkrampft. Sein Blick verfinsterte sich, und die Zornesfalte nahm Form an. »Du hast ja gar nichts unter Kontrolle. Wie viel bezahle ich dir eigentlich fürs Rumsitzen und Lügen? Das ist ja nicht zum Aushalten.«
Seine Stimme hatte einen unangenehmen Klang, fast schrill. Wenn er in dieser Stimmung war, drehte er ihr alles, was sie sagte, im Mund um und verwendete es gegen sie. Am besten verhielt sie sich still und wartete, bis er sich wieder beruhigt hatte.
»Ich verlange über alles informiert zu werden, was sie unternimmt. Verstanden? Jeden noch so kleinen Kommentar. Jedes beschissene Foto, das hochgeladen wird. Jedes verdammte Smiley in ihren grenzdebilen Posts. Den ganzen Scheiß will ich wissen.«
Für einen kurzen Augenblick wurde es vollkommmen still in Anna-Marias Kopf. Oswalds Mund verwandelte sich in eine lautlose Öffnung. Es fühlte sich an, als würde jemand ihren Brustkorb zudrücken. Sie hörte ihren Atem in der Nase, spürte ihren Herzschlag, sanft und gleichmäßig. Der Druck im Brustkorb ließ nach, ein leichter Schwindel aber blieb. Sie musste sich gegen die Wand lehnen, ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen. Sie nahm den Raum um sich herum kaum wahr, auch nicht Oswalds Stimme, die ihn füllte. Wie aus weiter Ferne. Sie packte ein scheußliches Gefühl, eine Mischung aus Klarheit und Panik. Sie hatte es immer geahnt, den Gedanken aber nie zu Ende gedacht
.
Erst jetzt sah sie Oswalds Verhältnis zu Sofia Bauman mit ganz neuen Augen. Hier ging es gar nicht um Rache. Auch nicht um eine PR-Maßnahme. Oder um den Ruf von ViaTerra. Das hier war etwas Persönliches. Gesteuert von einer leidenschaftlichen Besessenheit, die man nicht beeinflussen, geschweige denn beenden konnte.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«, schrie er.
»Ja, jedes Wort. Ich verstehe. Du wirst jede noch so kleine Information bekommen. Versprochen.«
»Gut, ich habe deine Lügen und die ständige Inkompetenz satt. Und jetzt zeige ich dir, was ich hier drinnen ertragen muss, während es dir scheißegal ist, wie es mir geht.«
Sie wollte protestieren, aber er hob abwehrend die Hand. Dann holte er etwas aus seiner Hosentasche und legte den kleinen, in Toilettenpapier gewickelten Gegenstand in seine Hand und packte ihn aus. Sie zuckte zusammen, ihr wurde schwindelig, weil sie im ersten Moment dachte, dass dort ein abgeschnittener Finger lag. Sie wagte genauer hinzusehen. Blutige Sehnen und weiße Punkte. »Was ist das?«
»Mettwurst. Die ich essen muss, während du mein Leben ruinierst und mein Geld verschwendest. Ich finde, du solltest die mitnehmen und aufessen, damit du begreifst, wie ernst die Angelegenheit hier ist.«
Anna-Maria musste mehrmals schlucken, dann packte sie das Gefühl einer alles vernichtenden Hoffnungslosigkeit.