KAPITEL 27
Das Erste, was Sofia sah, waren die grünen flachen Berge entlang der Küste, die im Landesinneren in sanfte Hügel übergingen. In der Ferne erstreckte sich, so weit das Auge reichte, ein breites, tiefes Tal. Dann tauchte die Golden Gate Bridge auf und dahinter die Skyline von San Francisco. Hohe Wolkenkratzer an der Küste, eingehüllt in einen feinen Nebel, aber vielleicht spielten ihr auch die Augen einen Streich, weil sie sich noch nicht an das neue Licht gewöhnt hatten und unscharf sahen. Vor der Küste lagen mehrere Inseln, eine davon beherbergte ein burgähnliches Gebäude, vermutlich war das Alcatraz.
Es war ein sonniger Tag, trotzdem hing eine Nebelwand hinter der Golden Gate Bridge über dem Meer, als würde sie nur darauf warten, sich heimlich unter der Brücke in die Stadt schleichen zu können, um sie zu verschlingen. Als das Flugzeug über die Halbinsel flog, sah die Stadt riesig aus, aber sie hatte gelesen, dass die Orte entlang der Bucht alle ineinander übergingen und man nicht erkennen konnte, wo der eine aufhörte und der andere anfing. Genau genommen konnte sie sich nur an den Wolkenkratzern von San Francisco als Anhaltspunkte orientieren. Beide Seiten der Bucht waren von einem wilden Durcheinander von Villen, Hochhäusern, Straßen und Autobahnen gesäumt.
Sie überquerten noch eine zweite Brücke, die so hoch war, dass ein Containerschiff ohne Schwierigkeiten darunter
passieren konnte. Das Wasser schimmerte grün unter ihr. Sie sah, wie sich die kleinen Wellen kräuselten, so nah waren sie. Ihr wurde ganz schwindelig, aber da setzte das Flugzeug zur Landung an. Zehn Stunden hatte sie im Flugzeug gesessen, kein Auge zugetan – und trotzdem war sie nicht müde.
Jetzt fängt es an, mein neues Leben.
Alles war so schnell gegangen. An dem Abend, als sie Dilbert verstümmelt hatten, hatte sie sich entschieden, das Land zu verlassen. Das Konstrukt, das sie in ihrem Inneren errichtet hatte – das Leugnen ihres schlechten Zustands und dass ihr Oswalds Manöver etwas anhaben konnten –, war in dieser Nacht in sich zusammengestürzt. Nachdem sie ihren Körper wieder einigermaßen unter Kontrolle gehabt hatte, ob das nach zehn Minuten oder einer Stunde gewesen war, wusste sie nicht mehr, hatte sie sich mit Dilbert aufs Sofa gelegt und sich in seinem Fell heiser geweint und geschluchzt. Mit krächzender Stimme hatte sie dann ihre Eltern angerufen und sie gebeten, sie abzuholen. Sie wollte weder warten, bis die Polizei kam, noch eine Minute länger in ihrer Wohnung bleiben.
Die Tatsache, dass die Polizei zwar die Kamera bis in die Wohnung der Anwältin Anna-Maria Callini zurückverfolgen, vor Ort aber keine Beweise entdecken konnte, hatte auch nicht gerade zu ihrem Wohlbefinden beigetragen. Sie gingen von einem Irrtum aus, unter Umständen auch von einem Komplott. Ihre Entscheidung stand fest, als sie überlegte, was Oswalds nächster Schachzug sein könnte. Sie würde auch um ihretwillen gehen, aber vor allem, um ihre Familie und den Hund zu schützen.
Aus lauter Verzweiflung hatte sie abends Markus Strid angerufen und ihm alles erzählt. Er schwärmte von San
Francisco, einer Stadt, über die er vor Kurzem eine Reportage geschrieben hatte. Sie würde in der multikulturellen Millionenstadt an der Bucht untertauchen können und sich sowohl anonym als auch geborgen fühlen.
Auch mit Benjamin hatte sie sich ausgesprochen und versöhnt. Er wollte zwar nicht, dass sie ging, erkannte aber auch die Notwendigkeit. Sie hatten sich versprochen: keine Fehltritte, keine Unaufrichtigkeiten, solange sie fort war.
Die Stellenanzeige hatte sie ausgerechnet auf der berüchtigten Anzeigenwebseite Craigslist gefunden, auf der man alles kaufen und verkaufen konnte, vom Hamster über Sex bis zu Einfamilienhäusern: »Bibliotheksassistentin gesucht, Palo Alto Bibliothek«. Sie hatte sofort ihre Bewerbung mit Lebenslauf dorthin gemailt und schon am nächsten Tag eine Antwort im Posteingang gehabt. Eine Melissa Arbor hatte ihr geantwortet, um ihr mitzuteilen, dass sie sehr gern jemanden mit Sofias Erfahrung im Team begrüßen würden. Der Ton der Mail klang wie der einer Freundin und nicht, als käme sie von einer Arbeitgeberin. Sofia machte das sofort misstrauisch, aber sie googelte ihren neuen Arbeitsplatz und fand tatsächlich eine Melissa Arbor als Personalchefin der Bibliothek. Und sie war es auch, die Sofia in kürzester Zeit bei der Beschaffung ihrer Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung half.
Als Sofia die Passkontrolle passiert, ihr Gepäck geholt und durch den Zoll gegangen war, stand Melissa Arbor bereits dort und wartete auf sie. Sie hielt ein kleines Plakat mit der Aufschrift Willkommen in San Francisco, Sofia Bauman!
hoch.
Melissa war afroamerikanisch, groß und kurvenreich. Sie trug einen grünen Rock mit weißer Bluse und Stilettostiefeln. Mit strahlenden Augen kam sie auf Sofia zu und umarmte sie herzlich
.
»Du musst hungrig und müde sein«, sagte Melissa Arbor. »Wir essen einen Happen auf dem Weg, bevor ich dich zur Wohnung fahre.«
Die Wohnung hatte Arbor ihr besorgt, und Sofia hatte sie sofort genommen, obwohl sie nur ein Foto vom Wohnzimmer gesehen hatte. Aber die Zeit drängte. Ihr Job ging bald los. Und die Bibliothek war von der Wohnung aus zu Fuß erreichbar.
Sofia erzählte ihrer zukünftigen Chefin, dass sie keine Zeit mehr gehabt habe, sich um Möbel zu kümmern, und darum die ersten Tage in einem Hotel unterkommen würde. Aber da lachte Melissa Arbor nur.
»Wir haben dir einfach schon mal das Nötigste besorgt, ein Bett und so was. Nichts Edles, aber für den Anfang reicht es vielleicht. Wir können am Wochenende gern zusammen zu IKEA fahren und den Rest besorgen.«
Melissa Arbor redete wie ein Wasserfall, Sofia hörte ihr zu und genoss die Landschaft.
Ihr erster Eindruck war, dass das Licht viel stärker und die Sonne viel wärmer war und dass sie noch nie so viele Autos gesehen hatte. Wenn sie an einem Einkaufscenter vorbeifuhren, tauchten immer dieselben Firmenschilder auf, die Wiederholung vermittelte den Eindruck, als stünden sie still und würden sich keinen Millimeter vorwärtsbewegen. Aber dann bogen sie von der Autobahn ab und waren von den grünen Hügeln umgeben, die sie vom Flieger aus gesehen hatte. Die Landschaft war offen und frei.
Sie waren etwa eine halbe Stunde gefahren, als Melissa an einem japanischen Restaurant anhielt, das hervorragendes Essen zubereitete: Schalen mit Reis, Fleisch und Gemüse. Sie aßen draußen. Die Sonne ging gerade unter und tauchte den Himmel in ein sattes Orange und Rosa. Sofia war
überwältigt von den vielen neuen Eindrücken. Sie spürte keine Sehnsucht und keinen Kloß im Hals, weil alles noch so neu und aufregend war.
Nach dem Essen ging die Fahrt weiter. Sie fuhren über eine Brücke, unter der Eisenbahngleise verliefen, und hatten kurz darauf ihr Ziel erreicht. Das Haus hatte vier Stockwerke, eine weiße Fassade und längliche Balkone. Arbor fuhr in die Tiefgarage, in der ihr ein fremder Geruch entgegenschlug. Es roch etwas nach Abfall, und dies mischte sich mit exotischen Düften nach Akazien und Eukalyptus. Arbor zeigte ihr den hauseigenen Pool, die Liegestühle und die Sauna.
»Der Pool ist den ganzen Tag zugänglich«, erklärte sie, »du wirst sehen, manchmal ist das ein Segen, weil du in deiner Wohnung keine Klimaanlage hast. Und du wohnst unterm Dach, da kann es richtig warm werden, wenn die Sonne den ganzen Tag draufknallt.«
Der Fahrstuhl knirschte und erinnerte sie an einen Lastenaufzug. Das Haus wirkte etwas heruntergekommen, aber nicht verkommen. Und als sie die Wohnung betraten, dachte Sofia zuerst, dass sie in der falschen waren. Arbor hatte sie als eine Einzimmerwohnung beschrieben, aber jetzt begriff sie, dass sich das in Amerika auf die Anzahl der Schlafzimmer bezog und es immer ein Wohnzimmer dazu gab. Was wiederum die schamlos hohe Miete erklärte. Die leere Wohnung wirkte riesig. Die Wände waren frisch gestrichen, der Boden mit einem beigen Teppich ausgelegt. Die Küchenschränke waren aus braunem Holz. Vom Wohnzimmer aus kam man auf den Balkon.
Melissa Arbor verabschiedete sich, drehte sich aber noch einmal in der Tür um.
»Eine Sache noch, das ist mir ein bisschen peinlich, aber
manchmal gibt es hier Kakerlaken. Die beißen zwar nicht, sind aber irre eklig. Das Einzige, was man machen kann, ist keine Essensreste herumliegen zu lassen und alles sauber zu halten. Wenn sie doch kommen, ruf bei dem Vermieter an.«
Nachdem Melissa Arbor gegangen war, wurde es ganz still in der Wohnung. Sofia packte ihre Koffer und Taschen aus und musste dabei an ihre Ankunft auf ViaTerra vor drei Jahren denken. Irgendwie unheimlich. Auch damals war sie allein in einer fremden Welt gewesen.
Als alles verstaut war, ging sie auf den Balkon. Direkt vor dem Geländer wuchs ein Baum, den sie später als Olivenbaum zuordnen konnte und der ihr die Sicht auf die Straße versperrte. Die Wohngegend war ruhig, obwohl Autobahn und Eisenbahntrasse nicht besonders weit entfernt waren. Das Einzige, was sie im Augenblick hörte, waren der Verkehr, der als sanftes Rauschen in der Ferne präsent war, und die Stimmen zweier Passanten unten auf dem Bürgersteig.
Erst jetzt spürte sie die Müdigkeit. Wie ein taubes Gefühl im Kopf, das ihr die Konzentration nahm. Sie dachte an alle, die sie zurückgelassen hatte. An Benjamin, der beim Abschied geweint hatte. An Simon, der bestimmt schon längst wieder wach war und in seinen Beeten herumstocherte. Sie dachte auch an Dilbert, der in Almas Obhut wahrscheinlich ziemlich pummelig werden würde. Sie stellte sie sich als kleine, kaum sichtbare Punkte vor, fast zehntausend Kilometer entfernt.
Auch an Franz Oswald dachte sie und spürte, dass auch er ganz weit entfernt war. Vielleicht war das böse Auge, das sie immer bewacht hatte, endlich geschlossen worden.
Sie hatte zwei Tage, bevor ihr neuer Job anfing, und sie nutzte die Zeit, um ihre Wohnung auf Vordermann zu bringen.
Am ersten Tag ließ sie sich WLAN und Festnetz mit geheimer Nummer installieren. Der Handwerker benötigte den Vormittag dafür, danach lief sie zu dem nächsten Einkaufszentrum und kaufte sich ein Handy, das weder mit ihrem Namen noch mit ihrer neuen Adresse in Verbindung gebracht werden konnte. Sie kaufte sich auch ein billiges Fahrrad, das sie in der Tiefgarage an einem Pfeiler abschloss. Bevor sie in ihre Wohnung zurückkehrte, sprang sie in den Pool. Die morgendliche Frische hatte sich mittlerweile in drückende Hitze verwandelt. Sie richtete sich zwei Mail-Accounts ein. Ein Hushmail-Konto nur für Familie und engste Freunde in Schweden und einen normalen Account für neue Kontakte in den USA. Den Namen ihres Kontos leitete sie von einem Straßenschild ab, das ihr gefallen hatte, woodsideroad99@gmail.com. Es war unmöglich, das zurückzuverfolgen.
Mit dem Fahrrad fuhr sie durch die nähere Umgebung, um sich etwas zu essen zu kaufen. Schließlich fand sie ein Delikatessengeschäft, in dem sie sich ein Sandwich kaufte und es zu Hause in der Küche aß, während sie den Blick durch die leere Wohnung wandern ließ. Sie beschloss, Melissa zu fragen, ob ihr Angebot noch galt, mit ihr zu IKEA zu fahren.
Es dauerte nicht lange, und Melissa stand in Jeansshorts, roter Leinenbluse und Flipflops vor ihr und wedelte mit dem Autoschlüssel. Auf dem Weg zu IKEA fragte Sofia, ob es vielleicht möglich wäre, dass ihr Name nicht auf der Homepage der Bibliothek zu sehen wäre. Als Arbor mit einem sehr langen Schweigen reagierte, wusste Sofia, dass es unvermeidbar war, ihr von ViaTerra zu erzählen. Während sie im Stau steckten, was Melissa nichts auszumachen schien, erzählte Sofia ihre Geschichte. Als sie mit ihrem Bericht fertig war,
legte Melissa ihren Kopf auf eine Seite und dachte mit leicht geöffneten Lippen einen Moment lang nach. Die Sonne schien auf ihre braunen Hände, die mit protzigen Ringen geschmückt waren.
»Das wird kein Problem sein«, sagte sie schließlich. »Wir nennen dich einfach Sofia Andersson, so heißen doch fast alle in Schweden, oder? Und auf ein Foto von dir verzichten wir einfach. Aber deine Handynummer können wir doch rausgeben?«
»Ja, das ist in Ordnung. Ich habe mir ein neues Handy gekauft und einen neuen Mail-Account eingerichtet.«
Bei IKEA fanden sie alles, was Sofia brauchte. Einen kleinen Küchentisch mit zwei Hockern, ein paar Lampen, ein Sofa, Bücherregale und Küchenzeug. Das würde ihr schon am nächsten Tag geliefert werden.
Auf dem Nachhauseweg fragte sich Sofia, wann in den USA das Gehalt wohl ausgezahlt wurde, denn sie wollte ihren Eltern, die ihr auf unbestimmte Zeit Geld geliehen hatten, nicht so lange auf der Tasche liegen. Die Lebenshaltungskosten waren vergleichbar mit denen in Schweden, aber das Gehalt war etwas geringer als das in Lund.
»Es gibt viele Möglichkeiten, Geld zu sparen«, sagte Melissa, die ihre Gedanken erraten hatte. »Ganz in der Nähe gibt es einen Markt, in dem man günstig Früchte und Gemüse kaufen kann, ich zeige ihn dir in den nächsten Tagen mal. Und man bekommt täglich neue Kupons für Supermärkte in den Briefkasten geworfen.«
Am nächsten Tag fuhr Sofia einkaufen und entdeckte auch den kleinen Markt, von dem Melissa erzählt hatte. Er war wie ein großes Zelt, in dem es Früchte und Gemüse in Farben und Größen gab, wie sie Sofia noch nie zuvor gesehen
hatte. Sie kam mit zwei vollen Tüten zurück, die sie an ihrem Lenkrad transportierte. Als sie um die Ecke bog, hielt gerade der Lieferservice von IKEA vor ihrem Haus.
Gegen fünf Uhr war sie mit allem fertig. Sie hatte vergessen, zu Mittag zu essen, weil sie so damit beschäftigt gewesen war, alles zusammenzubauen und einzurichten. Ihr tropfte der Schweiß nur so herunter, und sie beschloss, den Abend im Liegestuhl am Pool zu verbringen, bis es sich in ihrer Wohnung wieder abgekühlt hatte.
Das Klingeln ihres Festnetzanschlusses war so schrill, dass sie zusammenzuckte. Diese Nummer hatten nur ihre Eltern. In Schweden war es jetzt zwei Uhr morgens. Bilder von schweren Unfällen und möglichen Todesfällen schossen ihr durch den Kopf.
»Hej! Ist ja schwerer, dich zu erwischen, als ein Date mit einem Mafiaboss. Du bist wirklich abgetaucht. Ich musste deine Eltern förmlich erpressen, damit sie mir deine Nummer geben. Ich hoffe, das war jetzt okay?«
Sie hatte Wilmas Stimme sofort erkannt.
»Solange du sie niemandem weitergibst. Warum bist du morgens um zwei Uhr noch wach?«
»Ich genieße die Stockholmer Schären nach einem Krebsfest, das leider etwas ausgeartet ist, nachdem sich neunzig Prozent der Gäste haben volllaufen lassen. Den Rest kannst du dir ja denken.«
»Mann, tut das gut, deine Stimme zu hören, Wilma. Das ist alles so anders und aufregend hier.«
Sie setzte an, um ihrer Freundin alles zu erzählen, aber Wilma unterbrach sie.
»Das will ich gleich alles hören, aber ich muss dir erst noch etwas erzählen. Ist zwar nicht so cool und willst du bestimmt auch nichts von wissen, musst du aber.
«
»Was ist denn los? Ist was passiert?«
»Nein, nicht wirklich, oder doch. Ich bin heute von einem Typen angerufen worden, der sich als Åke Svensson ausgegeben hat. Er hat gesagt, er sei ein alter Klassenkamerad von dir, und wollte deine neue Adresse haben. Aber ich habe die Lüge sofort durchschaut.«
Sofia hörte Wilmas Stimme einen Moment lang nur ganz dumpf, wie das Hintergrundbrummen eines Staubsaugers. Sie zuckte zusammen, als Wilma hustete.
»Oh Gott! Was hast du da gesagt?«
»Ich habe ihm so feinfühlig wie möglich zu verstehen gegeben, dass er mich mal kreuzweise kann. Und da hat er mir dann Geld angeboten, wenn ich ihm deine Nummer gebe. Tausend Euro, um genau zu sein.«
»Das ist ja verrückt!«
»Und als ich ihm gesagt habe, dass ich deine Nummer gar nicht habe, sie ihm aber auch nie geben würde, hat er die Summe verdoppelt.«
»Und dann?«
»Ja, das war das eigentlich Sonderbare, denn als ich ihm erzählt habe, dass du ins Ausland gegangen bist, wirkte er richtig froh. Und hat sofort aufgehört, mir weitere Angebote zu machen.«
»Die müssen ja vollkommen verzweifelt sein. Warum bloß?«
»Das kannst du sicher viel besser beantworten als ich. Aber jetzt erzähl mal von San Francisco.«
»Wilma, ich möchte, dass du damit zur Polizei gehst. In Lund gibt es eine Beamtin, die heißt Andrea Claesson. Die ist super, ich gebe dir ihre Nummer.«
Sie hörte ihre eigene Stimme, die an Kraft verlor, während sie sprach. Sie spürte die widersprüchlichen Signale ihres
Körpers, sie schwitzte, und gleichzeitig war ihr Mund wie ausgetrocknet. Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sie spürte Oswalds Existenz, obwohl er zigtausend Kilometer weit entfernt war. Und ihr wurde klar, dass er die ganze Zeit da sein würde, wie eine unterirdische Strömung, wie ein leises Surren in ihrem Bewusstsein, das niemals verstummte.
Sie zwang sich, Wilma mit fröhlicher Stimme von ihren ersten Tagen in der Stadt zu erzählen, aber innerlich war sie mit etwas ganz anderem beschäftigt. Nachdem sie aufgelegt hatte, ging sie auf den Balkon. Und jetzt sah sie auch die vielen kleinen Früchte, die am Olivenbaum hingen, und roch den herzhaften Duft, der von den Blättern aufstieg. Lange stand sie so dort und hing ihren Gedanken nach, die sie zu Simon führten. Und sie wusste, warum sie dringend mit ihm reden musste.