KAPITEL 37
Damian Dwight machte es sich in seinem Liegestuhl bequem. Versuchte, sich zu entspannen. Wollte den Pool, die Palmen und den blauen Himmel genießen. Die Ruhe und die Stille. Aber sein ganzer Körper kribbelte. Sein Drink war warm geworden und schmeckte schal. Auch die Frau, die vor Sonnencreme glänzend neben ihm auf einem Liegestuhl lag, nervte ihn wahnsinnig. Sie waren die Einzigen am Pool, um den an die hundert Liegestühle standen. Aber sie hatte sich ausgerechnet den neben ihm ausgesucht. Unter normalen Umständen hätte er sie mit Sicherheit angemacht, aber die Umstände waren alles andere als normal. Diese Ungewissheit machte ihn geradezu panisch. Sogar die Ekzeme, die er als Kind so oft in Arm- und Kniebeugen gehabt hatte, waren wieder aufgeblüht. Seine Gedanken drehten sich unablässig im Kreis und überboten sich darin, die schlimmsten Szenarien zu entwerfen.
Er war in der Nacht mehrmals aufgewacht und hatte jedes Mal seinen Kontostand online überprüft, aber er hatte immer auf dieselben Zahlen gestarrt. Das Netz war voller reißerischer Überschriften und Fotos vom Unfallort, die ihm zum Teil zu schaffen machten. Er hätte nicht gedacht, dass ihm ihr Tod so naheginge. Schließlich war sie nicht sein Lieblingsmensch gewesen. Aber der zugedeckte Körper auf der Bahre, das auf der Seite liegende Motorrad, das wurde auf einmal persönlich. Er war wirklich niemand, der besonders leicht warme, weiche Gefühle für andere Menschen hegte. Warum lief ihm dann aber eine einsame Träne die Wange herunter? Wahrscheinlich lag das auch viel eher daran, dass er sich hintergangen fühlte. Die schwindelerregende Summe war nicht ausgesprochen, sondern nur aufgeschrieben worden. Die durchdringenden Augen, die ihn als kleinen Fisch durchschaut hatten, der auch im großen Becken schwimmen wollte. Er hatte die Herausforderung angenommen und damit geprahlt, dass er auch was Großes, Risikoreiches auf die Beine stellen könnte. Und plötzlich stand er mit einer dicken Rolle Drahtseil auf einer verlassenen Landstraße. Dass die Polizei von einem Unfall ausging, war der einzige Lichtblick in dem ganzen Elend.
Die Frau im Liegestuhl neben ihm lächelte ihn an. Er nahm sein Glas und goss den Rest seines Drinks in den Pool, um sie zu provozieren. Aber sie lachte nur. Dann nahm er sein Handtuch und ging in die Hotellobby zurück.
Die Frau am Empfang lächelte ihn an.
»Sir, da ist eine Expresssendung für Sie eingetroffen«, sagte sie in gebrochenem Englisch.
Damian spürte etwas Kaltes auf seinem schweißnassen Rücken. Und das wanderte den Nacken hinauf und kribbelte auf dem ganzen Schädel.
»Ein Brief. Hier, bitte sehr!« Sie hielt ihm einen braunen Umschlag hin. Zögernd näherte er sich dem Empfangstresen. Der Umschlag war leicht, fast schwerelos. Aber er fühlte, dass ein härterer Gegenstand darin lag. Er traute sich nicht, den Umschlag sofort aufzureißen, wollte nur so schnell wie möglich in sein Hotelzimmer.
»Darf ich Ihnen noch mit etwas anderem behilflich sein?«
»Nein, vielen Dank. Ach ja, wer hat den Umschlag zugestellt? «
»Der Expressbote von DHL.«
Die Erkenntnis, dass seine Illusion von totaler Anonymität soeben zerplatzt war, ließ ihn noch panischer werden. Reglos stand er eine gefühlte Unendlichkeit vor seinem Hotelzimmer. Er hatte Horrorfantasien von Pistolenmündungen, die ihn hinter der Tür erwarteten. Langsam steckte er die Karte ins Türschloss und öffnete noch langsamer die Tür. Aber niemand war im Zimmer. Durch das gekippte Fenster zog eine sanfte Brise. Es war fast so, als würde der Raum seine Einsamkeit ein- und ausatmen. Sein Laptop stand unberührt auf dem Tisch. Da fiel ihm wieder der Umschlag in seiner Hand ein. Beschriftet war er nur mit seinem Namen und der Anschrift des Hotels. Kein Absender, aber er war eindeutig in Schweden abgestempelt worden. Er tastete und befühlte den Umschlag, dann riss er ihn mit dem Finger auf und starrte auf die Wäscheklammer. Keine Nachricht, nur eine alte Wäscheklammer aus ausgebleichtem Holz. Er untersuchte sie wie eine potenzielle Bombe.
Das ist die Nachricht, erkannte er. Klarer kann man es gar nicht ausdrücken.
Die Panik saß ihm im Nacken, als er sich an seinen Rechner setzte und sich einloggte. Er fluchte laut, als der Server der Bank einen Fehler meldete und um Geduld und Verständnis bat. Dann versuchte er es erneut. Er öffnete sein Konto und brauchte einen Moment, um das Gesehene zu verarbeiten. Denn die Zahlen, auf die er starrte, waren so atemberaubend, dass er mit offenem Mund davorsaß.
Eine ganze Weile hatte er die schwindelerregende Summe angestarrt, bevor er wagte, einen leisen Seufzer der Erleichterung von sich zu geben.
Vor seinem inneren Auge nahm ein neues Leben Form an. Er spürte aber auch Wehmut. Dachte an Schweden, das er nie wiedersehen würde. Aber daran war nichts zu ändern. Und in der Tat war es auch ein kleines Opfer. Außerdem hatte er keine Wahl gehabt. Franz Oswald war kein Mann, dem man Widerworte gab.
Er sah aus dem Fenster. Die Palmen bogen sich im Wind. Seit mehreren Tagen fühlte er sich zum ersten Mal im Hier und Jetzt. Dann wurde ihm bewusst, dass er schon seit einer Weile ein dämliches Grinsen auf den Lippen hatte.