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Poms Geburtstag hatte das klarste und leuchtendste Herbstwetter seit der Erfindung des Oktobers. Es schwebte wie ein Geburtstagsgeschenk über unserem Hexenhaus. Und ausgerechnet in diesem Jahr fiel sein Geburtstag auf einen Samstag.

Seit dem frühen Morgen rennen wir wie die aufgescheuchten Hühner zwischen Küche und Garten hin und her, das Gras ist gemäht (Matte), das gröbste Unkraut gerupft (Phil und ich), die Feuerstelle von der Asche gesäubert (Matte und Mone), die Küche ist eingeräumt (Lena und ich), die Leckereien und die Getränke besorgt (Pom und David), Lampions und Lichterketten sind aufgehängt (Matte und Mone), Blumen und Kerzen auf allen Tischen (Tante Greta), und ein üppiger Geburtstagstisch auf der fast fertigen Veranda hinterm Haus lässt Pom strahlen wie ein blank geriebener Apfel. Mein Geschenk hat Pom auf einen kleinen Buchständer gestellt, der thront jetzt mitten zwischen all den anderen Geschenken. Mein Kalender mit den zwölf besten Fotos von Lady, die alle zum Bestaunen sind. Naja, Katzen. Katzen sind immer fotogen, selbst wenn sie sich gerade den Hintern putzen.

Jetzt klebt Lady gerade an Poms Beinen, sie ist noch nicht ganz angekommen, sie ist unruhig und nervös und anhänglich. Sie begreift noch nicht so recht, dass dieser fremde, laute, bunte Ort ihr neues Zuhause ist, das sogar einen Garten hat, den sie entdecken und erobern kann.

Pom hat sich ein weites, zart lilafarbenes Leinenhemd gekauft, und Lena hat ihm eine schöne Schlabberhose in einem tieferen Lila und eine Weste in einem gewagten Hellblau dazu genäht, er sieht einfach umwerfend darin aus, ein rundes, leuchtendes Bonbon. Er ist aufgeregt, er wirbelt um uns herum, schaut nach dem Rechten und dem Linken, steht allen im Weg und wird liebevoll zur Seite geschubst. Als meine Jungs irgendwann mit dem Getöse des crazy dogs ankommen, verkrümeln wir uns mit ihm nach oben in mein neues Zimmer. Masseltow soll unbedingt bei unserm ersten Auftritt dabei sein, unser aller Maskottchen. Aber vorher muss er natürlich noch mal sein ganzes Programm geben, die volle Bad-Dog-Nummer abziehen, dass einem die Ohren wackeln.

Matte flüstert erschrocken: «Warum hat dem denn noch keiner die Stimmbänder rausoperiert?» Er weiß natürlich nicht, dass Masseltows Ohren alles hören. Und deshalb gibt Masseltow noch einmal alles: gelbe Zähne zeigen, wüten und toben, dass man glauben kann, gleich kippt er um und landet im Jenseits.

Als Phil ihn in mein Zimmer bringt, hört man ihn leiser werden, und irgendwann ist es still. David ist weitsichtig und hängt ein Schild an meine Tür: Vorsicht! Wilde Bestie! Phil malt noch einen Totenkopf darunter, was Ötte arg übertrieben findet. Wir beschließen, später reihum nach oben zu schleichen und Masseltow zu trösten. Lady hat sich in Poms Zimmer unsichtbar gemacht und wird dort ausharren, bis alle Gäste und dieser fast kahle, außerirdische Alien-Teufel wieder verschwunden sind.

In unserem neuen Küchenesswohnzimmer, diesem großen, lichtvollen Raum, wartet eine lange Tafel mit blütenweißer Tischdecke von Tante Greta auf die Köstlichkeiten, die Lena vorbereitet hat und die die Gäste noch mitbringen werden. Das Geschirr ist gestapelt, die Gläser funkeln, ich habe sie lange und sorgfältig poliert, und draußen wiegt der fast noch sommerwarme Wind unsere Lampions und wirft Schatten auf die Wiese.

Wir, die Band, suchen uns den Platz zwischen den drei Birken aus, Pom hat Paletten besorgt, die werden unsere Bühne. Biergartentische und Bänke stehen um uns herum, wir räumen sie etwas zur Seite, damit Platz für das Publikum bleibt. Dann verkrümeln wir uns, wir wollen im Keller noch eine Generalprobe machen, aber die geht so komplett in die Hose, dass wir alle ganz blass werden.

Tante Greta ist unsere Rettung. Sie schiebt uns nach draußen. «Nix da, Herrschaften», sagt sie energisch, «das macht euch nur fertig. Und außerdem, jede Generalprobe ist eine Katastrophe, das gehört dazu.»

Hm hm, wir schlucken. Keiner traut sich, den anderen anzuschauen. Das kann ja heiter werden.

Lena ist seltsam ruhig, sie hat immerzu ein Lächeln im Gesicht, sie bewohnt von uns allen bereits diese «neue Heimat» am stärksten, aber sie hat sie auch auf ihre Art am meisten erschaffen. Sie sieht einfach großartig aus: Sie hat viele bunte Bänder ins Haar geflochten, und ihr tief blauvioletter Rock ist verwegen kurz und hinten länger mit ein paar Rüschen, irgendwoher hat sie ein altmodisches Mieder aufgetrieben, richtig geschnürt, mit orientalischer Stickerei, das ihre kleinen, runden Brüste betont – ja, Neid, Neid, Neid. Sie sieht aus wie eine Mischung aus Burgfräulein Jolande und Carmen.

Pom umkreist sie wie ein Hahn, fängt sofort an zu gackern und stöhnt: «Weib! Wie soll ich, dein Herr und Gebieter, ganz allein die Heerscharen deiner Anbeter vertreiben? Und wehe, du lässt dein Taschentuch fallen!»

Das kapier ich nicht, aber Phil erklärt es mir, und ich denke, die waren doch früher auch nicht ohne, die Ritterjungs und ihre Girls. O Pom, du übermütiger Geburtstagskuchen, dann pass mal gut auf dein Weib auf, das wird Lena nämlich richtig gut gefallen!

Und dann geht’s los. Natürlich kommen alle Gäste auf einmal, das Haus wird so voll, dass die Wände sich auseinanderbiegen, und Gelächter, Musik, Korkenploppen, Geschirrgeklapper und Gesprächsfetzen hängen in den Räumen und über dem Garten wie Federwölkchen. Pom rennt durch alles hindurch wie ein breit und fett grinsender Lebkuchenmann, und seine aufgeregten Augen sehen aus wie Rosinen. Als es kühler und dämmriger wird, kümmert sich Matte um das Feuer, Mone um die Kerzen und die Lampions, und ein warmes Licht schaukelt über der Wiese. Da kommt Pom angerannt und flüstert mit Ötte. Wir sind dran.

Auf der Stelle wird mein Herz zu einem Presslufthammer, meine Luft zu einer vagen Erinnerung, und ich beginne sie keuchend zu suchen. Davids Blässe ist noch blasser, Phil und Ötte nehmen sich kurz in die Arme, und dann tragen wir restlos verstummt unsere Instrumente in das tanzende Licht nach draußen.

Tante Greta kommt angelaufen, die wie immer prachtvoll aussieht in einem langen, engen, eisgrauen Seidenkleid mit wehendem Schal um ihren Hals, sie haucht jedem ein «Toi toi toi» über die Schulter, schnappt sich ein Weinglas und klopft so lange daran, bis auch wirklich der Allerletzte kapiert hat, dass nun was Besonderes beginnen soll. Na hoffentlich nicht besonders daneben! Pom steht in der ersten Reihe und sieht so neugierig und erwartungsvoll aus wie ein kleines Kind, das auf das Christkind wartet. Auf seine Ankunft mit Trompeten, Harfen und kleinen, pausbäckigen Engeln.

Tante Greta stellt sich auf unsere Bühne und erzählt irgendwas, keine Ahnung, was sie gesagt hat, ich kriege einen Panikanfall, ich sehe die vielen Gesichter, ich weiß, dass meine Lippen für immer versiegelt sind, kein einziger Ton wird aus diesem versiegelten Mund herauskommen, dann haut Phil auf die Pauke, dass das Geschirr klirrt und auch der Allerletzte merkt, dass er den Mund halten soll. Er greift seine Gitarre und beginnt.

Es wird still auf der Wiese. Mein Kopf und mein Herz wollen abhauen, aber dann kommt Öttes Einsatz, er singt, und meine Mundharmonika begleitet ihn, dann übernimmt David mit der Klarinette, und irgendwann bin ich dran mit einer Melodie, die die tiefsten Töne aus mir herausholt, die ich irgendwo versteckt hatte. Ich höre sogar selber, dass meine Stimme ungewohnt kräftig ist, jetzt muss ich höher klettern, das schaffe ich mühelos, ich staune. Als ich aufhöre zu denken, trägt mich die Musik fort zu einem Punkt, wo wir nur noch ein einziger klingender Ton sind, der mächtig in meinem Herzschlag pulsiert.

Und als der nicht enden wollende Applaus kommt, bin ich wieder zurück, ich kann nicht aufhören zu kichern, ich stupse Phil an, und wir kichern um die Wette, aber das hungrige Publikum will noch mehr. Wir spielen unser jiddisches Lied als Zugabe, die Füße wippen, und die bunten Lichter kreisen und kreisen. Als wir endlich aufhören, könnte ich glatt umkippen vor Freude. Mich einfach ins Gras legen, die Sterne pflücken und das Gesirre in mir drin genießen.

Pom kommt auf uns zu. Er ist so wundersam gerührt, er nimmt uns alle lange in den Arm, Phil quietscht, David und Ötte klopfen sich nach Männerart auf die Schulter, und Ötte, der genauso groß ist wie Pom, was mir bisher nicht aufgefallen ist, da sie noch nie so dicht nebeneinandergestanden haben, wischt sich klammheimlich ein paar Tränen in seinen Ärmel.

Matte und Mone kommen herbeigeeilt, dann all die anderen, wir werden gedrückt, unsere Hände werden geschüttelt, bis sie fast abfallen, wir sind ganz aus dem Häuschen, bis wir zu uns kommen, weil in weiter Ferne eine Bestie tobt und den Mond verschlingen will. Masseltow!!

Phil blickt mich an, ich blicke Phil an, wir nicken uns zu, rennen los und stürmen in mein Zimmer. Masseltow rast auf uns zu, springt Phil in die Arme, verdreht die Augen und fällt ins Koma. Ich erschrecke fast zu Tode, aber Masseltows Humor ist unergründlich, er tut nur so und grinst von einem kahlen Ohr zum verkrusteten anderen, in das ihm Phil Liebesworte flüstert, und Masseltow entspannt sich und gurrt wie ein Täubchen. Na bitte, sagen seine schelmischen Augen, wurde aber auch Zeit, dass einer von euch kommt und das Maskottchen massiert, füttert und ehrt ...

Wir sitzen auf meinem Flickenteppich, das Zimmer riecht noch neu und ungewohnt, die kleine Tischlampe wirft Schatten und Muster auf die Wände, die ich noch nicht kenne, Phil sitzt neben mir, Masseltow auf dem Schoß, und einen Augenblick habe ich das Gefühl, von diesem alten Haus umarmt zu werden. Alles ist gut. Wir lehnen uns aneinander und kippen in ein mächtiges Gefühl des Wohlseins.

Da dröhnt plötzlich in voller Lautstärke richtig klasse Rock’n Roll-Musik zu uns rauf, sodass wir Masseltow seinem Schicksal überlassen, wir rasen nach unten und toben los. Irgendwann löst Ötte Phil ab, und wir tanzen, was das Zeug hält. Ötte kann noch alle alten Schrittkombinationen, er könnte mich glatt über den Rücken schmeißen und dann durch die Beine ziehen, aber dafür ist der Platz zu eng. Er kann herrlich tanzen, der handzahme, immer etwas scheue Ötte wird wilder und wilder, wer hätte das gedacht, wir wirbeln und wirbeln, ich stampfe, als der Rhythmus härter wird, drehe mich um Ötte, und die Lichter werden lange, schlingernde Bänder.

Und dann macht es Zack, und ich nehme ein Irritation wahr, ein schwarzes Loch, das die ganze Schönheit dieses Abends in sich hineinsaugt: Ich sehe Kristin!

Mitten in einer Drehung bleibe ich stehen, Ötte stolpert über meine Füße, ich hauche ein «Tschuldigung» und bin weg, eine Erklärung kriege ich nicht hin, ich dränge mich durch die fröhlichen Gäste und suche Kristin, die meine tanzenden Augen inmitten der wogenden Menschenmenge gesehen haben, aber sie ist verschwunden.

Himmel, denke ich, Himmel sei Dank! Vielleicht war es nur eines dieser platzenden Champagnerbläschen in meinem Kopf, ich atme erleichtert durch und will gerade zu Ötte zurückkehren, da sehe ich einen Zipfel ihres rattenscharfen nachtschwarzen Lederminirocks um die Ecke verschwinden und Pom hinterher.

Was soll ich tun? Was soll ich bloß tun? Ist es das, was ich mich gerade zu denken traue oder bin ich nichts als eine bescheuerte, misstrauische, neidische Kuh? Das alles bin ich gerne, lieber Gott, ja, total, wenn es bloß nicht das andere ist, du weißt schon ...

Da höre ich Kristins auf heiser getrimmtes Lachen, rase um die Hausecke in die Dunkelheit und stolpere in sie rein, mittenrein in die beiden, die dort stehen, Kristin lässig an die Wand gelehnt, in der einen Hand eine Zigarette, ihr federleichter, tief ausgeschnittener Kaschmirpullover ist gut gefüllt, ihre Haut schimmert wie das Innenleben einer Perle, ihr großer, knallroter Mund schüttet gerade ein antrainiertes Bargelächter in die Luft, denn mein Vater, mein oberbekloppter, affenhormongesteuerter Vater steht dicht vor ihr, stützt sich mit einer Hand an der Wand ab, dicht neben ihrer Elfenbeinschulter, und fummelt mit der anderen Hand eine ihrer mahagonigetönten Locken aus ihrer Stirn.

Ohne nachzudenken schnappe ich ihn mir, schiebe ihn um die Ecke zurück ins Licht, schreie nach Lena, die – oh wie wunderbar! – gerade in der Nähe ist, schiebe ihn zu ihr hin und sage mit einer mir fremden Stimme: «Lena, Pom hat dich schon die ganze Zeit gesucht, er will endlich mit dir tanzen!»

Lena kichert, greift sich ihren Gemahl, der schnappt sich sein Weib, schaut durch mich hindurch, als gäbe es mich gar nicht, und sie verschwinden in dem Gewirbel ums Feuer.

Ich jage zurück, Kristin ist verschwunden, ich rase durch das Törchen auf die Straße, sehe sie um die Ecke biegen, spurte hinterher, packe sie an ihrem Kaschmirärmel – Himmel, der ist weich wie Kükenflaum! –, ich fauche und spucke Feuer und schreie: «Verpiss dich und mach’s mit den Kerlen in deinem Alter! Und wehe, du schleichst dich hier noch einmal ein! Wage es ja nicht!»

Dann drehe ich mich auf dem Absatz um und renne zurück, ich heule jetzt, als wäre ich dabei auszulaufen, ich habe das Gefühl, ich schütte alles aus mir raus. Weit entfernt höre ich Kristins schreckliches, raues Lachen, es ist wie ein kleiner, scharfer Stein, den sie in die Luft wirft, er dreht ein paar Pirouetten und landet genau mit der Spitze in meinem Herzen.

Ich schleiche in mein Zimmer und habe eine so gewaltige Sehnsucht nach jemandem, der mich in den Arm nimmt, dass mein ganzer Körper vor Verlangen danach schmerzt. Und ich will allein sein. Das Alleinsein kann ich haben, alles feiert unter mir im Haus und im Garten, der ausgelassene Lärm dringt bis hinauf zu Masseltow und mir, ich habe das Gefühl, dass das Haus hin und her schwankt, aber das kann auch mein schwankendes Innenleben sein. Ich schnappe mir Bad-Dog, der muss jetzt herhalten; wenn mich schon keiner wiegt, muss ich es tun. Masseltow knurbelt und seufzt, er tröstet mich ein wenig, leckt meine Hand, seltsam zart und hingebungsvoll, und ich drücke gerührt einen Kuss auf seine spitze Nase.

In mir tobt etwas rum, das will zerstören, das will alles kurz und klein schlagen, das will das komplette Geschirr an die Wand schmeißen. Und etwas schreit immerzu: Verrat, Rache, Tod und Teufel. Und: Betrug! Betrug! Ich weiß nicht, auf wen ich mehr Zorn habe oder Wut oder Enttäuschung, auf Pom oder auf Kristin. Und ich weiß nicht, mit wem ich mehr Mitleid haben soll, mit Lena oder mit mir. Oder sogar mit Pom, diesem Ungeheuer, das seine Urtriebe nicht kontrollieren kann, weil er meint, dass ein menschlicher Gockel das darf.

Ich sehne mich nach einer Freundin, nach Sarah, aber die ist mit dem Rest der Familie auf einer Feier in Frankfurt, David und Phil durften wegen des Auftritts hierbleiben. Ich sehne mich nach Tante Greta, aber ich kann es ihr nicht erzählen, was ich gerade gesehen habe, ich sehne mich nach Lena, ich will zusammen mit ihr weinen, aber ich weiß, dass sie nichts davon wissen darf. Mit wem soll ich reden, mit wem kann ich diese schreckliche Entdeckung teilen? Ötte, der heimlich in Lena verknallt ist, scheidet aus. David? Vielleicht. Aber wie könnte er danach jemals wieder Pom begegnen, geht das überhaupt? Und Phil? Der in seinem jungen Alter, na, immerhin so alt wie ich, oft so weise ist, weil er seine kindliche Unschuld behalten hat? Phil würde an dieser Welt verzweifeln. Und so scheidet er auch aus. Es bleibt Sarah, die erst übermorgen zurückkommt – bis dahin bin ich gestorben.

Scheiß auf das Erwachsenwerden, es ist nichts weiter als eine elende Angelegenheit mit durchgeknallten Männchen und hirntoten, bescheuerten Girls! Gerade war ich noch Mirjam, die ihren ersten erfolgreichen Auftritt als Bandmitglied hatte, die glücklich darüber war, und den Geburtstag ihres Vaters genoss. Und noch nicht wusste, dass der nichts weiter ist als ein vierundvierzig Jahre alter hirnvernebelter Wüstling. Dick und rund und blöd wie ein mit Hormonen angereicherter Fleischklops, der an kein Verfallsdatum glaubt. Ist Erwachsenwerden so? Ist Erwachsensein so? Ja, dann verdammt noch mal, dann will ich lieber jung sterben!

Mein Kopf brummt, mein Herz fühlt sich an wie ein aufgeschürftes Knie, da platzen die Crazy Dogs in mein Zimmer, angesäuselt, aufgekratzt und guter Dinge. Sie wollen Masseltow beglücken und treffen auf mich, darauf sind sie nicht vorbereitet. Ötte, der nur kurz in mein Gesicht schaut, das wahrscheinlich wie ein zusammengeknautschter Regenschirm aussieht, weicht etwas zurück und starrt mich an. David tut dasselbe. Und Phil schaut mit großen, bekümmerten Augen in meine, sodass ich wegblicken muss. Ötte ist nur ein paar Sekunden irritiert, dann schnappt er mich, nimmt mich in die Arme und drückt mich an sein verschwitztes T-Shirt mit Bad-Dog hinten drauf. Jetzt endlich werde ich gewiegt, gerade so, wie ich es mir gewünscht habe, da ist sein vertrauter Geruch nach Männerschweiß, nach Masseltow und nach Speick-Seife. Er drückt mich an seine Hühnerbrust und in seine ungewöhnlich starken Arme.

Ich heule und heule und heule. Und plötzlich habe ich alle Jungs im Arm, ich höre Phil knurren: «Sag, wer es war, und ich mach ihn fertig!»

Da muss ich plötzlich kichern und schaue zwischen meinen Tränen hindurch in sein rundes Gesicht, das ohne Arg um mich kämpfen und mich verteidigen würde, ich schnäuze mich und muss wieder kichern, all diese kräftigen Männerarme zerquetschen gerade meine Trübnis zu Kürbismus. Ich atme tief durch und sage: «Jungs, lasst mal gut sein. Was ihr gerade vor euch seht, nennt man in der klinischen Sprache der Gynäkologie PMS: Prämenstruelles Syndrom. Alles klar?»

Mirjam, du bist eine erstaunlich coole Socke. Ja, bin ich.

David und Ötte nicken betreten. Phil versteht Bahnhof, aber seine Augen sagen unmissverständlich: Was immer das ist, dieses PMS, es ist ganz sicher nicht das, was dich quält. Ja, guter Phil, da hast du recht. Aber ich kann es dir nicht erzählen.

Wir hocken uns auf meine Kissen, die ich vom Bett auf den Boden schmeiße, ich zünde Kerzen an, lösche das Licht, das tut meinem Gesicht gut, das von dieser Lüge etwas glüht und das Phil immer wieder heimlich mustert. Die Jungs hatten sich wohl auf eine längere Masseltow-Betreuung eingestellt und vorgesorgt. Sie haben Chips dabei und Erdnüsse, sogar eine Handvoll kleiner Frikadellen, die wir redlich mit unserem Maskottchen teilen, sie haben Bier und Limo und David eine halbe Flasche Rotwein.

Phil und ich schauen uns lange an, wir nicken uns zu und bestehen gleichzeitig auf einem Schluck Wein, so synchron, dass wir lachen müssen, wir machen Bitte-bitte, als David zögert, wir äffen Masseltow nach, wenn er um seine geliebte Fleischwurst fleht, denn schließlich haben wir heute auch schon was geleistet. Ja, in dieser anderen Zeit, als alles noch gut war.

Ich gebe diesem Gedanken keine Chance, zu einer Eiterbeule zu wachsen, denn der Rotwein wird uns gönnerhaft genehmigt. Wir legen Bessie Smith auf, sagen keinen Mucks mehr, strecken uns auf dem Boden aus, Ötte legt seinen Arm um mich, und wir hören das Summen der Nacht um uns herum, das Toben des Hauses unter uns und Bessies gewaltige Stimme. Danke, Jungs, ihr habt mich gerettet!

Das Geschwätz in meinem Kopf ist verstummt. Mein Herz ist irgendwo und ruht sich aus.