Kapitel 3

Es war Anfang Januar. Weihnachten und Neujahr waren ruhig verlaufen, und nur Meg schien eine Veränderung in Geoffs Wesen festzustellen. Sie sprach Lizzie darauf an. »Habt ihr zwei euch gezankt, oder was?«

»Gezankt? Geoff und ich? Nein. Wie kommst du darauf?«

»Nur weil er auf einmal so merkwürdig ruhig ist. Nun, nicht direkt ruhig, aber nicht so schnell bei der Hand mit seinen Sticheleien; er ist sozusagen nicht mehr der Mittelpunkt der Party; er macht keine Späße mehr.«

»Aber Meg, worüber sollte er denn Späße machen? Du weißt doch, wie schlecht es Dad während der Feiertage ging.«

»Nun, gerade weil John so niedergeschlagen ist, würde ich denken, daß Geoff ihn etwas aufheitern sollte. Aber wie geht’s dir, Mädel?«

»Ich fühle mich, als könnte es jede Minute losgehen. Nein, nein«, beruhigend streichelte sie Megs Arm, »ich fühle mich einfach nur so schwer, daß ich platzen könnte.«

»Wie viele Tabletten hast du noch?« Meg ging zum Beistelltischchen und öffnete eine kleine Schachtel. »Nur noch vier«, stellte sie fest. »Aber Geoff fährt heute nachmittag mit dem Rezept beim Apotheker vorbei. Das Rezept ist für vier Einheiten, und du bist erst bei der dritten.«

»Und ich hoffe, daß ich die vierte nicht mehr brauche.«

»Ich auch. Aber wann immer du dich entschließt, das Kleine rauszulassen, such dir einen hübschen Tag aus, ja? Dieser Wind und die Regenschauer machen mich ganz niedergeschlagen. Ich bin bis auf die Knochen naß geworden, als ich heute früh zurückkam.«

»Geschieht dir recht. Was mußt du auch rausgehen bei so einem Wetter, das höchstens den Enten gefällt«, lachte Lizzie.

»Das mit den Enten stimmt; ich habe neun Stück draußen herumwatscheln sehen ‒ und ich habe sechs Eier gefunden!«

»Ha! Wenn das Mrs. Hobson wüßte!«

»Könnten diese Lippen sprechen, könnten diese Augen sehn«, sang Meg schmunzelnd, »sie würde glatt vor Wut vergehn.«

Lizzie lehnte sich in dem großen Stuhl neben dem Kamin zurück und begann über Megs Worte nachzudenken. Sie war nicht ganz aufrichtig zu Meg gewesen: Sie hatte eine Veränderung an Geoff wahrgenommen, aber sie konnte nicht genau sagen, worin diese eigentlich bestand; außer, daß er vielleicht etwas stiller geworden war, nicht mehr so lebhaft und aufgekratzt. Doch er war immer noch freundlich und besorgt. Oder irrte sie sich da etwa?

Bisher hatte er sie morgens immer mit einem Scherz begrüßt, zum Beispiel: »Wie gehts den zwei Partnern?« oder »Na, was macht dein Untermieter?« Doch während der letzten Woche waren seine Begrüßungen etwas gedämpfter ausgefallen. »Wie fühlst du dich; konntest du schlafen?« ‒ die Fragen, die unter diesen Umständen auch ein besorgter Bruder stellen würde; es fehlte ihnen die Wärme und Sorge eines … Jetzt hatte sie den Grund gefunden: Richard! Richard hatte in der vergangenen Woche zweimal angerufen. Obwohl er nichts dazu gesagt hatte, war Geoff beide Male gerade durch die Diele gegangen, als sie telefoniert hatte.

Richard sagte, er habe angerufen, weil seine Mutter wissen wolle, wie es Lizzie gehe. Die Zuneigung, die Richards Familie ihr entgegenbrachte, erfüllte sie jedesmal mit einem Gefühl der Wärme. Es gab doch gute Menschen auf der Welt. Auf gewisse Art hatte sie wirklich Glück. Zuerst war da Geoff, der sie in seine Familie gebracht hatte, und dann waren Bertha und John all die Jahre so freundlich zu ihr gewesen. Allerdings hatte John sich ihr gegenüber deutlich verändert, seit Bertha tot war. Und dann Meg. Meg war wie ein Stern, der von einem wolkenverhangenen Himmel blinkte. Lizzie sagte sich, daß sie wahrhaftig von Freundlichkeit umgeben war; weshalb konnte sie dann der bevorstehenden Entbindung nicht friedvoll und freudig entgegensehen? Aber eigentlich kannte sie die Antwort schon? Andrew war nicht mehr da, um ihre Freude zu teilen, und ihr Kind würde seinen Vater niemals sehen.

Geoff kam ins Zimmer und blieb einige Schritte entfernt von Lizzie stehen. Während er seinen Mantel zuknöpfte, fragte er: »Brauchst du noch etwas außer den Tabletten?«

»Ja bitte. Pfundweise Schinken, aber fetten. Du weißt, ich mag es fett.«

Er lächelte. »Ich werd’s besorgen«, sagte er und fügte hinzu: »Ich habe auch deine Süßigkeiten-Coupons. Was soll ich damit anfangen?«

»Ich vermute, es gibt keine Schokolade; dabei hätte ich so gern welche.«

»Vielleicht kann ich welche auftreiben.«

Lizzie sah aus dem Fenster. »Du wirst naß werden.«

»Ach, es gibt höchstens einen kurzen Schauer. Jedenfalls habe ich den Bus verpaßt, also werde ich bis zur Ecke laufen müssen. Aber ein wenig frische Luft, ob naß oder trocken, wird mir nicht schaden. Und dir geht’s gut?«

»Ja, mir fehlt nichts.«

»Gut. Auf bald dann.«

»Auf bald!«

Lizzie blickte ihm nach, als er aus der Tür ging. Irgend etwas war anders. Lag es daran, daß Geoffs Vater Einwände gegen ihre Verbindung hatte? Möglicherweise. Was immer es war, es schien Geoff Sorgen zu bereiten. Wenn sich an seinem Benehmen nichts änderte, würde sie ihn auf das Thema ansprechen. Sie war immer für Offenheit gewesen.

Geoff stieg langsam den Hügel hinauf. Das Gehen fiel ihm schwer, denn der Wind kam von vorne und seine Hüfte schmerzte. Als er oben angelangt war, lehnte er sich an das niedrige Brückengeländer, um Atem zu schöpfen. Wenn der Bus rechtzeitig kam, überlegte er, hätte er gute Chancen, Janis nach ihrer Nachmittagsschicht zu treffen.

Seit der Nacht, als er durch ihre Hintertür geflüchtet war, hatten sie sich viermal gesehen ‒ jedesmal an der Theke, und während er Unmengen von Tee trank, hatten sie sich über ganz alltägliche Dinge unterhalten. Sie redeten sogar über den Krieg.

Manchmal nahmen auch andere Männer und Frauen an der Theke am Gespräch teil, wobei jeder die Gelegenheit wahrnahm, seine Expertenmeinung zu Gehör zu bringen und seinem Ärger über die Amerikaner Luft zu machen. Was denken diese Amerikaner, wer sie sind? hieß es. Und wenn alles vorbei ist, werden sie damit angeben, daß sie alles alleine geschafft haben, diese Maulhelden.

»Nun, ohne diese Maulhelden wären wir schlimm dran gewesen«, meinte eine andere Fraktion.

So ähnlich hatte es sich bei allen vier Begegnungen abgespielt, wenn Geoff ganz beiläufig die Kantine betreten hatte, um eine Tasse Tee zu trinken. Aber er wußte, und Janis wußte es auch, daß es so nicht weitergehen konnte. Er hatte sich vorgenommen, sie heute nach Hause zu begleiten und mit ihr zu sprechen.

Und dann? … Was war mit Lizzie? Warum hatte er sich überhaupt so sehr um Lizzie bemüht? Sie hatte ihm nie wirklich viel bedeutet; jedenfalls nicht in dieser Hinsicht. Er hatte Sehnsucht nach einem hübschen Gesicht gehabt, und der Zufall wollte es, daß sie gerade dagewesen war. Er hatte sich zu sehr um sie gekümmert, und jetzt würde er ihr einiges erklären müssen. Doch zuerst mußte er mit Janis reden. Sogar wenn er nur an ihren Namen dachte, zitterte er vor Begierde.

Als er auf der anderen Seite den Hügel hinabging, geriet er in einen Regenschauer. Zuerst hatte er gar nichts bemerkt, dann plötzlich schien sein Gesicht einem Bombardement von winzigen Eissplittern ausgesetzt zu sein. Er drehte den Kopf zur Seite und hinkte weiter. Plötzlich sah er eine Frau, die ihr Fahrrad am Fluß entlang in den Schutz des Waldes schob, da, wo er bis an das steile Ufer reichte und einen Hohlweg bildete, der zur Scheune führte …

Er schwang sein gesundes Bein über die Böschung und klammerte sich mit dem schwachen Griff seiner Linken an die Zweige, während er mit der rechten Hand sein steifes Bein nachzog. Währenddessen rief er ständig: »Warte, warte!« Aber die Gestalt schien ihn nicht zu hören und strebte unverwandt dem Wald zu.

Er schlitterte seitlich vom Flußufer hinab und rief unablässig ihren Namen, bis auch er endlich den Schutz der Bäume erreicht hatte. Hier blieb er stehen. Es war ziemlich ruhig, denn der Regen sickerte nur schwach durch das dichte Astwerk.

»Janis! Janis!« Geoff sah verschwommen ihre Umrisse und eilte darauf zu. Als er sie erreicht hatte, fragte er keuchend: »Was machst du hier draußen auf einem Fahrrad?«

Sie wischte sich die Regentropfen vom Gesicht. »Ich benütze ein Fahrrad, weil ich zufällig kein Pferd mehr besitze.«

»Aber warum, und zu dieser Zeit …?«

»Du wirst mir wahrscheinlich nicht glauben, wenn ich dir sage, daß ich deinen Vater suche.«

»Meinen Vater? Ist er nicht auf dem Gut?«

»Nein, sonst wäre ich nicht hier. Brewster hat sich mit seiner Fessel in einem Stacheldraht verfangen, und Vater hat getobt. Ich rief den Tierarzt an, aber der war nicht zu erreichen, und Rice hat heute seinen freien Nachmittag, und dein Vater war nirgends aufzutreiben.«

»Er ist vor über einer Stunde aus dem Haus gegangen; er wird wohl am anderen Ende des Anwesens sein. Soweit ich weiß, werden dort einige Vögel vermißt.«

Janis zuckte die Schultern. »Sprich nicht von vermißten Vögeln. Vater hat diesen Honeysett in Verdacht.«

»Mein Dad glaubt nicht, daß es der alte Ted war. Das war ganz professionell aufgezogen. Ted verteilt seine Aktivitäten, er ist nicht allzu gierig. Aber gestern muß etwas Großes im Gange gewesen sein, die Diebe haben sogar zwei tote Vögel in der Nähe des Westtors verloren.«

Sie gingen jetzt nebeneinander her, manchmal ganz nahe beieinander, manchmal durch Wurzeln auf dem Weg getrennt. Dann waren sie wieder auf freiem Feld, und vor ihnen stand die heruntergekommene Scheune, die für so lange Zeit ihr heimlicher Treffpunkt gewesen war.

Geoff drehte sich zu Janis und fragte leise: »Du bist ganz naß; warum hast du keinen Regenmantel angezogen?«

Genauso leise antwortete Janis: »Ich hatte keine Zeit.«

»Nun, dann sollten wir uns unterstellen, bis der Regen nachläßt«, meinte Geoff.

Langsam gingen sie auf das Gebäude zu. Das halboffene Tor hing nur noch an einer Angel und war an seiner Unterseite fast von Gras und Unkraut eingewachsen. Geoff stemmte seine Schulter dagegen, um die Öffnung so weit zu verbreitern, daß Janis ihr Fahrrad an ihm vorbei in die Scheune schieben konnte.

Drinnen schien es kälter zu sein als draußen. Ein dumpfer Geruch wie von verrottenden Pflanzen schlug ihnen entgegen. An einer Seite hatte das Dach nachgegeben, und Efeu rankte sich um die Ketten, die immer noch an der Steinmauer hingen.

»Ist dir kalt?« fragte Geoff, als er Janis im düsteren Licht zittern sah.

»Nein, nein. Es ist nur«, Janis blickte um sich, »die alten Mauern haben die Zeiten nicht sehr gut überstanden, nicht wahr?«

»Nein, allerdings nicht.«

»Genau wie ich.« Sie sahen sich direkt in die Augen, und Geoffrey fragte: »Was meinst du damit?«

»Was ich gesagt habe. Es ist nur einige Jahre her ‒ sechs, um genau zu sein daß ich mich jung gefühlt habe und mein Körper von Erwartung und Abenteuer erfüllt war. Das Abenteuer habe ich mit dir gefunden. Dann kam Richard, und der Krieg, und dann …« Sie öffnete weit den Mund und sog tief die Luft ein, dann legte sie die Arme um sich, wie ein verzweifeltes Kind, das sich selbst trösten möchte.

Geoff kämpfte gegen den Wunsch an, sie in die Arme zu nehmen. Statt dessen meinte er: »Aber du hattest doch alles, was du wolltest. Was ist verkehrt gelaufen außer dem … Mißgeschick deines Mannes?«

Janis sah ihn mit zynischem Lächeln an. »Kennst du mich nicht zu gut, um zu wissen, daß das eine kindische Frage ist? Du spürtest von Anfang an, daß es meine Art ist, den Kuchen nicht nur essen, sondern gleichzeitig auch behalten zu wollen. Ich wollte einfach alles. Als Tochter meiner Mutter wollte ich mich nicht mit dem Makel einer Scheidung beflecken. Ich wollte immer noch die ehrbare Mrs. Boneford und die Tochter zwar nicht von Ernest Bradford-Brown, aber von Mrs. Alicia Silton-Weir-Conway sein, deren Onkel ein Admiral ist, und die Bischöfe und Generäle zu ihrer Hochzeit einladen konnte. Aber ich Idiotin mußte alles noch schlimmer machen, indem ich als Komplizen meines Ehebruchs ausgerechnet Richards besten Freund auswählte. Er war sogar sein Trauzeuge gewesen. Daß das Zusammenleben dieses Freundes mit seiner eigenen Frau sich auf öffentliche Ereignisse wie Jagden, Bälle und Hochzeiten beschränkte, hat niemanden interessiert. Wenn ich Nachhilfe in Ehebruch gebraucht hätte, wäre sie für mich ein leuchtendes Beispiel gewesen …«

»Halt den Mund!« zischte Geoffrey. »Was willst du eigentlich? Willst du an mein Mitleid und mein Verständnis appellieren? Wofür hältst du mich? Wenn du ein Bekenntnis ablegen willst ‒ dafür ist die katholische Kirche da, dort kannst du beichten!«

Janis’ Lippen und Augenlider zitterten, während ihr schmaler Körper unter ihrem Mantel anzuschwellen schien. Sie drehte sich auf dem Absatz um und griff nach der Lenkstange ihres Fahrrades. Doch noch ehe sie sie erreicht hatte, lag sie in Geoffs Armen. Seine Rechte lag schwach auf ihrer Hüfte, doch mit seinem gesunden linken Arm preßte er sie eng an sich. Der Kuß, den er auf ihre Lippen drückte, war wild und brachte sie beinahe aus dem Gleichgewicht. Einen Augenblick lang erwiderte sie seinen Kuß, dann löste sie ihre Lippen von seinem Mund und legte den Kopf an seine Schulter.

Ein starker, altersschwarzer Pfeiler stützte die verbliebenen Dachbalken, und Geoffrey, als suche er selbst eine Stütze, zog Janis die paar Stufen hinauf, wo sie sich dann beide an den Pfeiler lehnten. Neben ihnen tropfte der Regen durch ein Loch im Dach. Draußen strich der Wind durch die Bäume und hohen Gräser und verursachte ein sanftes Rauschen im Hintergrund.

»Es mußte so kommen, nicht wahr?« Geoff sprach mit belegter Stimme.

»Du … du denkst doch nicht immer noch das gleiche?«

»Nein, das tue ich nicht. Ich denke jetzt anders, aber … immer noch ähnlich.«

»O Geoff! Weißt du, daß du ein Narr bist? Ich … ich kann mich nicht wirklich ändern.«

»Was meinst du damit? Willst du immer noch herumspielen?«

Sie wollte sich aus seinem Griff lösen, aber er hielt sie fest. Verärgert fuhr sie ihn an. »Ich spiele nicht herum. Ich meine …«

»Du meinst, du hast im Moment niemand bestimmten im Auge, aber es könnte ja noch jemand auftauchen. Willst du das damit sagen?«

»Nein, nein. Aber etwas weiß ich genau: Du hast dich nicht verändert; du bist immer noch …«, sie versuchte wieder, sich zu befreien, »schwer von Begriff.«

»Sag das richtige Wort, sprich es aus!«

»Schau her, Geoff. Ich könnte so viele Männer haben, wie das Jahr Tage hat, und so viele in einer Nacht, wie es Tage in der Woche gibt, wenn ich die Korporale mitrechne. Aber es gab niemanden. Niemanden, seit meiner Scheidung.« Ihre Stimme nahm den heftigen Ton an, den er so gut kannte. »Vielleicht bin ich wählerisch; ich nehme keinen, der unterhalb meiner eigenen Gesellschaftsschicht steht.«

Geoff schob sie so grob von sich, daß sie fast auf den Rücken fiel. Seine Stimme wurde laut. »Genau da sind wir vor vielen Jahren stehengeblieben. Erinnerst du dich? Genau an dieser Stelle hast du mir an den Kopf geworfen, ich wäre ordinär; und jetzt erzählst du mir, du könntest deinen Spaß haben mit Leuten, die deiner Gunst würdig sind; Männer vom Offizierstyp, aber echte Offiziere, nicht solche wie ich, die aus der Mannschaft aufgestiegen sind. Bei Gott! …«

»Hör auf damit! Du bist auf deine Art genauso snobistisch wie ich. Denk nur an den Abend damals, und an diese zwei aufdringlichen, hartnäckigen Korporale. Vielleicht sind sie normalerweise ganz anständige Kerle, aber sie scheinen zu glauben, daß der Krieg ihnen eine Sondergenehmigung gibt, wenn es um eine geschiedene Frau geht, die noch dazu ihren armen verstümmelten Ehemann im Stich gelassen hat! Sogar vom Abschaum der Stadt wird man als Freiwild betrachtet. Und die Frauen sind auch nicht viel besser. Ja, ich stehe zu dem, was ich gesagt habe, und ich werde es nicht zurücknehmen. Ich bin niemandes Beute für eine Nacht, und das gilt auch für dich!«

Janis wollte wieder zu ihrem Fahrrad gehen, und wieder hielt Geoff sie auf. Diesmal lächelte er, als er sagte: »Wir sind schon ein Paar, was? Von Anfang an sind wir uns an die Gurgel gegangen, um uns im nächsten Moment vor Leidenschaft fast gegenseitig aufzufressen.« Er fühlte ihr Zittern und fügte hinzu: »Das stimmt doch, oder? Hör zu, ich will dir etwas sagen. Es ist seltsam, daß wir jetzt gerade hier sind, denn ich war auf dem Weg zu dir, um mich mit dir zu treffen und mit dir nach Hause zu gehen, weil ich dir sagen wollte, was ich denke. Es sollte ganz anders werden, als es jetzt war ‒ freundlich, ruhig. Ich wollte dir erklären, daß ich wirklich mit dem Gedanken gespielt habe, Lizzie zu heiraten, aber daß ich jetzt weiß, daß ich es nicht könnte. Das war mir von dem Augenblick an klar, als ich dich am Silvesterabend gesehen habe. Wir … wir könnten es miteinander versuchen, denn in Wirklichkeit sind wir einander sehr ähnlich, du und ich.«

»O Geoff, bitte treib es nicht zu weit. Aber da wir uns gerade die Wahrheit sagen … auch meine Gedanken sind sieben Jahre in der Vergangenheit zurückgegangen, nein, sogar acht. Auch ich fühlte mich zu dir hingezogen, aber … wenn das alles gesagt ist, hat sich nichts geändert. Laß uns praktisch denken. Du hast keine Arbeit, sondern lebst von deiner Pension. Ja, du hast ein Zuhause, aber es ist auch das Zuhause deines Vaters … und des Mädchens.« Obwohl sie sich nicht überwinden konnte, Lizzies Namen auszusprechen, fuhr sie fort. »Und da ist das Kind, das sie bekommt. Du hast Verpflichtungen. Was mich angeht, so bin ich von Vaters Großzügigkeit abhängig, die mir erlaubt, die Wohnung zu mieten, in der ich lebe. Dazu habe ich noch das bißchen, das ich verdiene. So steht es also. Und, Geoff, so sollten wir es im Moment auch lassen; ich möchte aber, daß du weißt, daß ich … daß ich sehr froh bin, daß du in mein Leben zurückgekehrt bist.«

Er wollte sie wieder küssen, als eine Autohupe ertönte. Die Straße verlief nur etwa dreißig Fuß entfernt, war aber durch Büsche verdeckt.

Janis legte den Kopf zurück und horchte. Als vier langgezogene Hupsignale erklangen, löste sie sich aus Geoffs Armen und sagte: »Das ist Vater. Er benutzt dieses Signal, wenn ich draußen bin und er mich braucht; jedenfalls war es früher so. Doch, das ist er; sicher ist er auf dem Weg in die Stadt. Ich muß gehen.« Als sie nach der Lenkstange des Fahrrads griff, faßte Geoff sie am Arm. »Hast du so viel Angst vor ihm?«

Janis drehte sich zu ihm um und sagte weich: »Nein, ich habe nicht wirklich Angst vor ihm, aber ich fürchte mich davor, daß er mich hier mit dir erwischt. Sein stärkster Wunsch ist, sich an jemandem für Andrews Tod zu rächen; aber dich zu ertappen, würde ihm fast genausoviel bedeuten. Wir bleiben in Verbindung!«

Sie strebte dem Ausgang zu, doch Geoff ging ihr nach und zog sie am Arm. »Wann?«

»Morgen habe ich bis zwei Uhr Dienst.« Bittend streckte sie die Hand aus. »Bitte, bleib noch drin, für den Fall, daß er über die Hecke schaut.«

»Lieber Gott!«

»Bitte, Geoff!«

»Na gut, geh.«

Er beobachtete, wie Janis das Rad nach links auf die Straße zuschob, die Straße, die auch er auf seinem Heimweg genommen hätte.

Sie verschwand hinter dem Vorhang des Regens, der immer noch gleichmäßig fiel. Eine Stimme rief: »Ich hab ihn. Warum hast du so lange gebraucht?«

Janis’ Stimme kam wie vom Ende eines Tunnels. »Ich bin doch gleich gekommen! Wie geht’s Brewster?«

»Was glaubst du wohl, wie’s ihm geht? Ich mußte nach Newcastle und dann wieder zurück fahren, um Fulton zu helfen, bis der Tierarzt kommt. Du bleibst heute nacht bei deiner Mutter, bis ich zurück bin.«

Ihre Stimme klang jetzt so schwach wie ein Echo. »Ich muß aber …«

Er hörte die Worte ihres Vaters: »Du bleibst!« Danach wurde ein Motor gestartet.

Es war still, abgesehen vom Rauschen des Regens. Geoff ging zurück in die Scheune und lehnte sich mit geschlossenen Augen und zusammengebissenen Zähnen an den Pfeiler. Warum, zur Hölle, hatte er sie überhaupt zur Kenntnis genommen? Und warum war er jetzt nicht einfach hinausgegangen und hatte sich dieser stinkenden, aufgeblasenen Null gestellt und ihn gefragt, was er sich eigentlich einbilde?

War dies ein neuer Anfang? Würde es so weitergehen? Sollte er sie immer nur heimlich treffen, und voller Angst, daß ihr Alter etwas spitzkriegen könnte? Das würde er auf die Dauer nicht aushalten. Aber was, wenn die Alternative nur sein konnte, sie gar nicht mehr zu sehen? Denn, was immer sie auch behaupten mochte, es war offensichtlich, daß sie ihren Vater fürchtete.

Geoffrey richtete sich auf. Er bemerkte, daß an der Hand, mit der er den Pfeiler berührt hatte, Moos klebte. Schnell zog er seinen Mantel aus und schnitt eine Grimasse, als er feststellte, daß auch sein rechter Ärmel und ein Teil des Mantelrückens grün verschmiert waren. Er ging nach draußen und hielt den Mantel so vor sich, daß der Regen in das Gewebe eindringen konnte. Dann nahm er sein Taschentuch und versuchte, den Schmutz abzureiben, was jedoch nichts weiter bewirkte, als daß der Fleck sich jetzt noch deutlicher von dem rehfarbenen Stoff abhob. Er schlüpfte in den Mantel und folgte dem Pfad, den Janis vor ein paar Minuten genommen hatte. Er würde nach Hause gehen und den Trenchcoat gegen seinen Wintermantel tauschen müssen; denn als eingefleischtem Soldaten war es ihm zuwider, anders als fleckenlos in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Er würde daheim erzählen, daß er ausgerutscht wäre, was an einem Tag wie diesem ja durchaus glaubhaft war.