Über die Zukunftsangst der Menschen, eine gesetzliche Begrenzung der Gehälter und Luxus

Ich erlebe Sie als einen Menschen, der sich mit tagespolitischen Fragen auseinandersetzt, Detailkenntnisse hat, sodass ich mich wiederum frage, wie Sie das herstellen? Telefonieren Sie viel? Führen Sie Gespräche, um sich ein Bild zu machen? Wie bilden Sie sich Ihre Meinung heute?

 

In erster Linie, indem ich seit sechzig Jahren eine Zeitung lese, die ich für zuverlässig halte, und das ist die Süddeutsche Zeitung. Wenn man die sorgfältig liest, wenigstens den politischen und den Wirtschaftsteil, dann ist man schon einigermaßen im Bilde. Seit einiger Zeit lese ich auch wieder den Spiegel, und ein guter Bekannter schickt mir ziemlich regelmäßig per Fax Kopien anderer aktueller Zeitungsausschnitte. In Abständen korrespondiere oder telefoniere ich über grundsätzliche Themen mit Erhard Eppler oder mit Jürgen Schmude, der 1982 mein Nachfolger als Bundesjustizminister war. Regelmäßig tausche ich mich auch mit Klaus Bölling aus. Und wenn es um ganz konkrete Fragen geht, dann beschaffe ich mir auch zusätzlich Informationen; etwa im Willy-Brandt-Haus oder bei der Bundestagsfraktion.

 

Aber innerhalb der SPD sind Sie nicht in irgendwelchen Gremien, sitzen Sie nicht in dem, was man heute Think-Tanks, also Denkfabriken, nennt?

 

Nein. Aber ich lese regelmäßig die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Monatszeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte. Die ist auf ihre Weise auch eine Art Denkfabrik.

 

Wie findet man aber Kriterien – das ist jetzt eine Frage der persönlichen Wertvorstellungen –, mit denen man in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, die eine gewisse Nachhaltigkeit haben? Helmut Schmidt hat in seinem Gespräch mit Fritz Stern zum Beispiel festgestellt, dass sich die heutige Politikergeneration relativ wenig für Geschichte interessiert. Stimmen Sie dem zu?

 

Das würde ich so generell nicht sagen. Wenn ich – und das geschieht ja noch immer recht häufig – zu Veranstaltungen eingeladen werde, dann zumeist, weil man mich als Zeitzeugen befragen oder von mir generell etwas über Geschichte hören will. Andererseits habe ich Anfang der neunziger Jahre mit anderen zusammen die Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie gegründet, um die Erinnerung an die Ursachen und Ursprünge des NS-Gewaltregimes, an den Widerstand und die Opfer jener Zeit und auch an die zweite Diktatur auf deutschem Boden wachzuhalten. Sie vermittelt Geschichte im Sinne des »Nie wieder! Nicht noch einmal !« und stärkt so die Demokratie.

 

Ist Geschichtsbewusstsein eine unbedingte Voraussetzung für Politik?

 

Ja. Wer nicht weiß, woher er kommt, der weiß auch nicht, wo er sich befindet und wohin ihn sein Weg führen wird. So lautet eine alte Volksweisheit. Der amerikanische Philosoph und Schriftsteller George de Santayana hat sogar einmal gesagt: »Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.« Es muss ja nicht jeder Politiker gleich ein ausgebildeter Historiker sein. Aber über die Geschichte des eigenen Landes, gerade über die des letzten Jahrhunderts, sollte man schon einigermaßen im Bilde sein.

 

Man könnte aber meinen, dass der Politiker der Gegenwart nicht nur die Geschichte kennen sollte, sondern im besten Fall auch Wirtschaftswissenschaften studiert haben, wenn möglich noch Finanzwissenschaften, um Einschätzungen treffen zu können.

 

Und natürlich auch Jura! Aber das ist ja utopisch und wäre eher kontraproduktiv. Es genügt, wenn er auf einem Gebiet Fachkenntnisse besitzt und weiß, wo und wie er sich auf den anderen Gebieten die jeweils notwendigen Informationen beschaffen kann.

 

Wenn Sie abwägen sollten: Wie wichtig ist dann zum Beispiel das Wirtschaftswissen gegenüber dem geschichtlichen Wissen?

 

Man braucht in beiden Richtungen eine Art Grundwissen. Wirtschaftliches Wissen kommt übrigens nicht ohne einen Blick in die Vergangenheit aus. Man braucht Kenntnisse über den »reinen« Kapitalismus und die soziale Marktwirtschaft, über den Kommunismus und über die Planwirtschaft. Man muss sich mit den Gedanken des amerikanischen Volkswirtschaftlers John Kenneth Galbraith und den Theorien eines John Maynard Keynes auseinandersetzen. Und es gibt im Kapital von Karl Marx, seinem Hauptwerk, Darlegungen über die Globalisierung, die sich auch heute noch zu lesen lohnen. Aber das sind nur Beispiele.

 

Bei all den einschneidenden Veränderungen, die wir in letzter Zeit erlebt haben, einschließlich der Schuldenkrise – wenn Sie eine Prognose wagen würden: Wohin wird uns diese Zäsur führen? In welcher Art und Weise wird sie unsere Gesellschaft, unser Land verändern?

 

Der Staat wird seine Verpflichtungen und Möglichkeiten wieder deutlicher wahrnehmen. Man wird den Markt weiter als sinnvolles Instrument nutzen, aber man wird ihm, weil er für die ökologischen und sozialen Folgen seiner Entscheidungen blind ist, präzise Rahmenbedingungen setzen. Und vor allen Dingen wird die Finanzkrise dazu führen, dass die Frage der Staatsverschuldung ganz oben auf der Tagesordnung bleibt – und zwar nicht nur wegen der Fälle in Europa, über die man aktuell redet, sondern beispielsweise auch wegen einem Land wie den Vereinigten Staaten. Man wird die Rating-Agenturen, die eine große Mitschuld an der Krise tragen, unter die Lupe nehmen müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man den gegenwärtigen Zustand, bei dem private Gesellschaften ohne wirkliche Eigenhaftung über Wohl und Wehe von Staaten durch ihre Herab- oder Heraufstufung entscheiden, so einfach weiterlaufen lässt. Und man wird sich um die noch immer fortbestehenden Steueroasen wie die Cayman Islands oder die Grenadinen kümmern müssen. Also, der Druck in Richtung Rahmensetzung und der Druck in Richtung internationaler Zusammenarbeit wird sich verstärken. Ich bin ja überhaupt der altmodischen Meinung, dass Krisen auch immer einen Anstoß zur Besserung geben können.

 

Sie glauben an eine Renaissance der Politik?

 

Daran glaube ich. Die Menschen haben erkannt: Überlässt man alles dem Markt, dann treten solche Krisensituationen ein, unter denen die Menschen bitter leiden. Dabei spüren wir das ja gar nicht so stark wie viele andere Völker in der Welt. Der Staat, der in der Vergangenheit immer geschwächt werden sollte – man bevorzugte das Private vor dem Staatlichen –, wird wieder eine Rolle spielen müssen, die seiner Verantwortung entspricht. Und das heißt: Er muss handeln.

 

Nehmen wir aber einmal den Worst Case an: Es könnte auch eine negative Entwicklung eintreten, bei der es nicht zu einer Renaissance der Politik kommt, sondern im Gegenteil zum chronischen Versagen ihrerseits. Wenn die Staaten zum Beispiel nicht gemeinsam und koordiniert gegen die Schuldenlast vorgehen, könnten, etwa durch eine hohe Inflation, überall in Europa die Menschen ihr Erspartes verlieren, ihren Wohlstand. Halten Sie das für überhaupt nicht möglich?

 

Ich schließe es nicht aus. Es ist durchaus denkbar, dass die Dinge sich zum Schlechteren wenden. Aber ich sehe deutliche Anzeichen dafür, dass diejenigen, auf die es ankommt, die Tragweite dessen, was jetzt zu entscheiden und zu bewegen ist, erkannt haben – und zwar nicht nur in den unmittelbar betroffenen Ländern.

Sicher gibt es auch bei uns Leute, die wieder zur D-Mark zurückkehren wollen, die die Euro-Gruppe einfach auflösen wollen. Das ist ein abenteuerlicher und außerordentlich gefährlicher Gedanke. Und soweit ich das verfolgen kann, sehen das auch diejenigen so, die jetzt die Verantwortung tragen.

 

In diesem Zusammenhang zitiere ich Jürgen Habermas, der der politischen Klasse – und die ist es ja, die das Heft in die Hand nehmen müsste – viel zu wenig Gestaltungskraft beimisst. Seiner Analyse zufolge sieht er die europäischen Regierungen eher als Getriebene an, ohne ein Gestaltungsziel.

 

Darf ich vorweg eine kleine Fußnote anbringen?

 

Schon jetzt?

 

Der Begriff »politische Klasse« stört mich. Er unterstellt, dass diejenigen, die in der Politik Verantwortung tragen – übrigens von Menschen dazu gewählt –, dass die völlig abgesondert sind und eine Klasse für sich bilden. Ganz so, wie man früher zwischen der Klasse der Arbeiter und der Klasse der Kapitaleigentümer unterschieden hat. Das ist bei aller berechtigter Kritik eine unzulässige Übertreibung. Deswegen habe ich den Finger gehoben.

 

Welchen Begriff nehmen Sie denn? Sprechen Sie von Regierungen?

 

Ich spreche von Verantwortlichen. Verantwortung tragen Menschen, die auf die Gestaltung des Gemeinwesens Einfluss haben – und das sind nicht nur Politiker. Mächtige Unternehmer, aber auch Verleger, Fernsehintendanten oder Redakteure haben mitunter mehr Macht als manche Politiker. Aus diesem Grund habe ich nicht nur etwas gegen das Wort »Klasse«, sondern auch gegen das Adjektiv »politisch«. Ich spreche deshalb lieber von den für das Gemeinwesen Verantwortlichen. Unter ihnen kann und muss man natürlich die Politiker besonders betrachten.

Jetzt aber zu Ihrer Frage. Habermas hat da sehr bedenkenswerte Gedanken geäußert. Ich habe ihn eher so verstanden, dass es in der Demokratisierung der Europäischen Union einen Rückstand gibt, insbesondere dass es noch immer an einem gemeinsamen Bild öffentlicher Meinung fehlt. Und da hat er völlig recht. Was erfahren oder lesen wir denn über die durchaus beachtlichen und manchmal schwierigen Verhandlungen des Europäischen Parlaments? Die gemeinsame öffentliche Meinung samt ihren Diskussionen und Konfrontationen würde auch durch eine zusätzliche europäische Liste neben den nationalen Listen bei den Europawahlen gefördert.

Getrieben sind die Regierungen gegenwärtig von der aktuellen Finanz- und Schuldenkrise. Aber da haben sie bisher insgesamt nicht so unvernünftig reagiert, wie häufig behauptet wird. Manches steht allerdings noch aus. So beispielsweise eine wirklich gerechte Beteiligung der Gläubiger an der Finanzierung der Schutzmaßnahmen, eine Finanztransaktionssteuer, eine stärkere Kontrolle der Rating-Agenturen und eine härtere Verschuldungsgrenze. Natürlich dürfen wir darüber das Ziel einer weiteren Integration Europas und eines einheitlicheren Auftretens nach außen nicht aus den Augen verlieren.

 

Können Sie den Menschen die Angst vor einer Inflation nehmen?

 

Ich würde mich übernehmen, wenn ich behaupte, ich wäre in der Lage, ihnen diese Angst zu nehmen. Aber die ermutigenden Zeichen sind stärker als die beängstigenden. Und die Europäische Zentralbank ist gerade in diesem Zusammenhang kaum zu kritisieren.

 

Die Bürger haben den Eindruck, dass die Verursacher der Krise immer noch nicht ordentlich zur Bewältigung herangezogen worden sind. Sie gehen davon aus, dass die Gewinne weiter privatisiert bleiben, die Verluste und die Risiken jedoch sozialisiert werden. Können Sie ihnen den Eindruck nehmen?

 

Nein. Alle Anstrengungen, die in diese Richtung unternommen wurden und werden, sind noch ungenügend. Da fange ich mal bei den Managern selbst an. Dass Leute, die in erster Linie an der Krise beteiligt waren oder sie sogar verursacht haben, irrsinnige Abfindungen erhalten oder weiterhin extrem hohe Vergütungen bekommen – das ist ein Punkt, den ich heftig kritisiere. Das hat mit Leistung nichts mehr zu tun, das ist offenbar ein Ansehenswettbewerb in dieser – jetzt verwende ich das Wort bewusst – Klasse. Derjenige in dieser Klasse, der die meisten Millionen erhält, kann die Brust am breitesten machen. Da würde ich viel stärker eingreifen.

 

Wie denn? Gehälter gesetzlich begrenzen?

 

Indem man einerseits auf das Instrument einer Höchstbegrenzung zurückgreift. Das hat man ja bei den Banken, die staatliche Hilfen erhielten, auch getan. Andererseits könnte ich mir ab einer bestimmten Millionensumme auch einen entsprechend höheren Steuersatz vorstellen. Ja, das könnte ich mir durchaus vorstellen.

 

Wie hoch? Das würde mich interessieren.

 

Da müsste ich noch mal genau das Verfassungsrecht studieren, ob es da wirklich eine Grenze gibt. Aber ich hätte gar keine Bedenken dagegen, dass ab einer Million und erst recht ab zwei Millionen dem Betreffenden nur noch 30 bis 35 Prozent verbleiben.

 

Also ein Steuersatz von 65 bis 70 Prozent?

 

Ja. Aber nicht für die Gesamteinnahme, sondern ab diesem von mir genannten Betrag. Das würde den Lebensstandard dieser Menschen in keiner Weise einschränken. Es würde dem einen oder anderen vielleicht verbieten, eine weitere Yacht oder ein weiteres Anwesen zu kaufen. Aber das ist keine Kränkung der Menschenwürde, die wird dadurch nicht berührt. Im Gegenteil, die Betroffenen könnten sogar Freude empfinden, dass sie in dieser Weise zum Gemeinwohl beitragen. In Amerika haben Microsoft-Gründer Bill Gates und der Investor Warren Buffett Milliardenbeträge für gemeinnützige Zwecke gestiftet.

 

Sie würden tatsächlich gesetzlich an Managergehälter rangehen?

 

Das würde ich mir erlauben. Wobei es natürlich sinnvoll wäre, wenn man das in der ganzen Eurozone durchsetzen könnte. Solch immense Gehälter schaffen Verbitterung. Wenn Sie das mit den Augen eines Mannes sehen, der ohne sein Zutun Arbeitslosengeld-2-Empfänger geworden ist, dann haben wir ein Beispiel dafür, wie diese gesellschaftliche Kluft Wut und Verbitterung erzeugen kann. Auch bin ich dafür – ich sagte es schon –, an den Rettungsschirmen die Gläubiger zu beteiligen, die Anleihen angeschlagener Staaten der hohen Zinsen wegen gekauft haben und so bewusst Risiken eingegangen sind.

 

Warum glauben Sie, dass die nationale Politik, in diesem Fall die der Regierung, sich mit dem Heranziehen großer Vermögen so schwertut?

 

Weil sich die FDP dem entschieden widersetzt und die Union die christliche Soziallehre nicht ernst genug nimmt. Ihre Repräsentanten sollten öfter die Schriften von Oswald von Nell-Breuning lesen und auf Norbert Blüm hören, der neulich den Oswald-von-Nell-Breuning-Preis bekommen hat.

 

Die größte Steuersenkung der letzten zwanzig Jahre, soweit ich es überblicke, kommt von der SPD, von Schröder & Co.

 

Ich würde die Vokabel »größte« streichen. Ich würde aber zugeben, dass es damals eine Steuersenkung gab, die von heute her betrachtet problematisch erscheint. Aber das gehört ja auch zur Politik, dass man sich besserer Erkenntnis folgend korrigiert.

 

Würden die von Ihnen angesprochenen Manager, Banker und internationalen Finanzmarktjongleure auf demselben Wertefundament stehen, das Sie in Ihrem privaten und beruflichen Leben für sich errichtet haben, hätten diese Personen es dann überhaupt so weit kommen lassen? Anders gefragt: Würde man es schaffen, wieder einen Teil dessen, was Ihnen an Kriterien wichtig ist, in deren Köpfe zu bekommen?

 

Sie sprechen einen ganz entscheidenden Punkt an. Es ist nicht allein mit gesetzlichen Maßnahmen getan, sondern man muss diese Leute auch als Menschen ansprechen. Man muss sie fragen: »Seid ihr mit euch wirklich im Reinen?« Und wenn Sie nach der Wertorientierung fragen, ja dann ist hier das Gebot der Nächstenliebe, ins Säkulare übersetzt, das Gebot der Solidarität bedeutsam. Darin steckt auch der Wert der Mitverantwortung, eben nicht nur für das eigene Wohlergehen, sondern ebenso für das Wohlergehen der Mitmenschen. Als Christ kann man sogar auf die berühmte Stelle bei Matthäus Kapitel 25, Vers 40 verweisen: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir« – also dem Herrgott – »getan«, heißt es dort. Man sollte sie auch fragen, ob sie gelegentlich daran denken, dass sie am Ende ihres Lebens in irgendeiner Form Rechenschaft abzulegen haben.

 

Da könnten Sie in Bayern anfangen. BMW-Chef Norbert Reithofer soll 2010 rund 4,3 Millionen Euro bekommen haben.

 

Das ist immerhin weniger, als andere verdienen, so etwa Herr Ackermann bei der Deutschen Bank. Hat er nicht ein Gehalt von ungefähr neun Millionen Euro? Davon könnte er mehr als vierzig Bundesminister bezahlen.

 

Neun Millionen Euro erhielt Ackermann nicht im Nachkrisenjahr 2010, da waren es »nur« 6,3 Millionen Euro. 9,3 Millionen Euro erhielt VW-Chef Martin Winterkorn, und Peter Löscher, Vorstandsvorsitzender von Siemens, war mit 8,9 Millionen Euro auch nicht weit davon entfernt. Aber diese Bezüge werden mit guten Argumenten vertreten, mit einer Gewinnsteigerung, einer Absatzsteigerung, einer Produktionssteigerung, manchmal auch einer moderaten Lohnsteigerung für die Mitarbeiter.

 

Einspruch! Der Unternehmensgewinn ist nicht allein Verdienst eines Vorstandschefs, Hunderte oder sogar Tausende haben daran mitgewirkt. Das ist doch kein Ein-Mann-Erfolg. Aus der Sicht des Grundgesetzes – es ist auch meine Auffassung – sind Unternehmen übrigens soziale Verbände und nicht nur Konstrukte zur Gewinnmaximierung. Also, über dieses Argument würde ich mit denen, die so denken, gern streiten. Sicher können Vorstandsbezüge auch einmal steigen. Und wenn ein Mann wie Josef Ackermann glaubt, seine internationale Bedeutung durch die Höhe seines Einkommens unterstreichen zu müssen, dann in Gottes Namen. Aber was fließt davon als Steuer an den Staat, und was macht er mit dem Geld, das ihm verbleibt? Und kann man die Bedeutung von Menschen wirklich in erster Linie an ihrem Einkommen messen? Da wären die in der Politik Tätigen ja geradezu völlig bedeutungslos.

 

Ja.

 

Ja? Gelegentlich könnte man ja die Einkünfte einmal konkret vergleichen. Ich leide jedenfalls nicht unter irgendeinem Minderwertigkeitskomplex, weil meine gegenwärtigen Bezüge etwas über 110 000 Euro liegen. Das verschafft mir die Freiheit, anderen gegenüber auf diesem Gebiet kritisch aufzutreten. Die hätte ich nicht, wenn auch meine Einkünfte siebenstellig wären.

 

Haben Sie in Ihrer aktiven Zeit das Gespräch mit diesen Firmenlenkern gesucht?

 

Damals gab es dieses Problem so noch gar nicht. Es gab eine Faustregel, nach der der Vorstandsvorsitzende das Zwanzigfache von dem bekommt, was ein durchschnittlicher Facharbeiter in seinem Unternehmen verdient.

 

Nicht das Zweihundertfache?

 

Nein, das Zwanzigfache. Das war in Ordnung. Da sah ich keinen Anlass, darüber zu reden. Gerade deshalb denke ich gern an Bertold Beitz und an andere erfolgreiche und verantwortungsbewusste Unternehmer aus meinem Bekanntenkreis. Jetzt, da haben Sie völlig recht, bekommen die Leute das Zweihundertfache oder sogar das Dreihundertfache. Warum eigentlich?

 

Was ist für Sie eigentlich Luxus?

 

Jetzt muss ich einen Moment nachdenken. Luxus? Wir, meine Frau und ich, führen ein Leben, das im Grunde luxusfrei ist. Vielleicht mal ein besonderes Geschenk für meine Frau, aber das will ich auch nicht als Luxus bezeichnen. Da müssen wir über den Luxusbegriff reden. Ist Luxus etwas, bei dem eine gewisse Geldsumme überschritten werden muss – oder ist Luxus etwas, was man sich üblicherweise nicht leistet? Wenn man im Urlaub in ein besonderes Lokal geht? Sie sehen, ich stottere bei Luxus.

 

Mit einem Haus in den Bergen, einem Landhaus, einer Yacht auf dem Mittelmeer oder einem großen Auto könnte man Sie nicht locken?

 

Wir haben uns locken lassen von einem alten Bauernhaus nebst einem schönen Garten und einem Obstanger. Das Haus war über neunzig Jahre alt und liegt in Niederbayern. Als wir es kauften, war es in einem sehr herabgekommenen Zustand. Wir haben es dann herrichten lassen und auch selbst verbessert. Da haben wir uns wohlgefühlt. Und sind immer dort hingefahren, wenn es die recht engen Freizeitverhältnisse erlaubten. Der Gedanke, dass mein Selbstwertgefühl davon abhängt, ob ich auf einer Yacht herumfahre …

 

Waren Sie jemals auf einer Yacht?

 

Ich glaube … einmal in Kiel. Da ging es aber um die Vorbereitung der olympischen Segelwettbewerbe im Jahr ’72.