Über die Gier, ein Schlamassel und das Leben mit zu wenig Kindern

Die Linke weist gern darauf hin, dass der Staat viel Geld für Zahlungen aufwenden muss, um beispielsweise – immer noch – Banken zu retten, Landesbanken, es aber an Mitteln für Bildung und Integration fehlt. Für Ihre Vorschläge zu Erhöhung bestimmter Steuersätze würde man Sie bei den Linken willkommen heißen, da bin ich mir ziemlich sicher.

 

Da bin ich aber gespannt. Aber letztlich sind dies populistische Äußerungen. Glauben Sie denn wirklich, es ginge den Menschen besser, wenn die Banken zusammenbrechen, wenn das Finanzsystem zusammenbricht? Geht es dann denen da unten besser? Ich glaube das nicht. Im Gegenteil: Der Staat wäre in einer Situation, in der sich seine Hilfsmöglichkeiten wahrscheinlich drastisch verringern würden. Und man hat doch Banken nicht geholfen, damit sie weiterhin so verantwortungslos wirtschaften wie bisher.

 

Aber dann muss man darüber reden, wie Bildung und Integration angesichts unserer Staatsverschuldung finanziert werden sollen.

 

Herr Schäuble würde darauf antworten: »Mit den unerwarteten Mehreinnahmen und durch Rückzahlungen der Banken.« Allheilmittel kann ich Ihnen jedoch nicht nennen. Aber mir hat imponiert, dass Grün-Rot in Baden-Württemberg die Grunderwerbsteuer anheben will, um etwa den Ausbau von Kinderkrippen zu finanzieren.

 

Tatsächlich flossen an die Landesbanken schon Zahlungen in Milliardenhöhe. Bei diesen Summen muss die Gerechtigkeitsfrage doch gestellt werden!

 

Ja. Die Länder mussten als Träger gegenüber ihren Landesbanken durch die Krise notwendig gewordene Verpflichtungen eingehen oder Beteiligungen erhöhen und sogar Geld transferieren. Wie viel davon wieder an die Träger zurückfließen könnte, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber auch hier ist zu fragen: Wäre der Zusammenbruch der Landesbanken für die Allgemeinheit die bessere Lösung?

 

Da Sie ein Optimist sind, glauben Sie also, dass man an dieses Geld herankommt.

 

Ich habe nicht gesagt, dass ich es glaube. Es ist eher eine Hoffnung. Aber die Landesbanken sind schon ein trauriges Kapitel. Denn der Staat war ja auch in Zeiten der Marktradikalität, als die Landesbanken sich im US-Immobilienmarkt oder in Island des erwarteten hohen Ertrags wegen engagierten, für sie als Träger verantwortlich. Da stehen übrigens auch die Aufsichtsorgane im Feuer.

 

Also erlag in dieser Zeit auch die Politik der Gier, dem Hunger nach mehr, wenn man schon viel hat?

 

Das heißt, dass sie sich übergessen hat. Das hatte dann Verdauungsstörungen bis hin zum Durchfall zur Folge.

 

Die wir jetzt alle ausbaden.

 

Da gebe ich Ihnen durchaus recht. Bei der Bayerischen Landesbank kommt noch etwas hinzu, nämlich der Kauf dieser merkwürdigen österreichischen Bank namens Alpe Adria. Ob es Gier war oder die Vorstellung, dass das Land Bayern dann in der europäischen Bankenliga mitspielte – letztlich wird beides nicht auszuschließen sein.

 

Man könnte auch von Größenwahn sprechen.

 

Man hat sich, höflich gesagt, sehr übernommen und Risiken sträflich unterschätzt.

 

Jedenfalls war das Vorgehen der BayernLB nicht bescheiden?

 

Keineswegs. Es stehen ja nicht nur Strafverfahren und Schadensersatzprozesse gegen Vorstandsmitglieder der Bank bevor. Schadensersatz soll auch von dem damaligen Vorsitzenden des Verwaltungsrats und seinem Stellvertreter verlangt werden. Ob ebenfalls Österreich als Staat herangezogen werden kann, ist offenbar Gegenstand von Verhandlungen. Der Verdacht, dass Repräsentanten der Alpe Adria sogar betrogen haben, besteht jedenfalls.

 

Ein Schlamassel.

 

Richtig, ein Schlamassel. Und das ist milde ausgedrückt.

 

Wird der Sozialstaat, wie wir ihn kennen, überhaupt Bestand haben? Abgesehen von der Beschleunigung auf der Kapitalseite beziehe ich jetzt die demografischen Veränderungen mit ein. Die Rechnung ist einfach: Es sind nicht genügend Nachkommen da, und von den vorhandenen kann man nicht erwarten, dass sie die immer mehr, immer älter werdenden Menschen finanzieren.

 

Die demografischen Veränderungen sind eines der großen Probleme der Zukunft, national, aber – wie ich schon sagte – alsbald auch global, allerdings in der entgegengesetzten Richtung. Auf der nationalen Ebene muss man wissen: Die Menschen über sechzig oder fünfundsechzig nehmen prozentual zu, was aber nicht nur damit zu tun hat, dass ihre Lebensdauer steigt. Es hängt ebenso damit zusammen, dass die Zahl der jährlichen Geburten seit langem sinkt. Hätten wir noch die Geburtenhäufigkeit der sechziger Jahre …

 

… hätten wir kein Problem.

 

Es wäre vielleicht immer noch ein Problem, aber ein viel kleineres. Aber bei den demografischen Ursachen wird meist nur hervorgehoben, dass die Alten so verdammt alt werden.

 

Nein, nein. Häufig genug heißt es, dass wir Frauen viel zu wenig Kinder bekommen haben, besonders in meiner Generation.

 

Sie schildern es so, als würde es wie ein Vorwurf klingen.

 

Nicht von Ihnen. Noch nicht.

 

Manche äußern sich so, ich jedoch nicht. Noch etwas: Wenn wir nicht die Migranten hätten, dann wäre der Anteil der über Fünfundsechzigjährigen noch wesentlich höher. Denn Migranten sind insgesamt jünger, und Migrantinnen bekommen mehr Kinder als Frauen – wie es so schön heißt – aus der angestammten Bevölkerung.

 

Einschub?

 

Ja.

 

Thilo Sarrazin hat das auch sehr ausgiebig analysiert und gelangte zu der Schlussfolgerung, dass die falschen Frauen in Deutschland die Kinder bekommen. Er geht sogar noch weiter und sagt, er könne sich vorstellen, dass eine Akademikerin …

 

… fünfzigtausend Euro erhält, wenn sie …

 

… ein Kind bekommt, bevor sie dreißig oder fünfunddreißig ist.

 

Mit Sarrazin haben wir uns an anderer Stelle eigentlich schon ausgiebig genug beschäftigt.

 

Aber seinen konkreten Vorschlag kann ich Ihnen nicht ersparen. Die Frage, die er aufwirft, ist doch, ob man demografische Probleme auch dadurch steuern kann, dass man finanzielle Anreize zum Kinderkriegen gibt?

 

Da ist ja schon einiges geschehen. Die mühsam erkämpfte Anrechnung der Kindererziehungszeiten bei den Renten zum Beispiel. Oder das Elterngeld. Auch in einzelnen Ländern die Befreiung von Kita-Gebühren.

 

All das hat nur nicht dazu geführt, dass mehr Babys geboren wurden. Deswegen frage ich, funktionieren solche Maßnahmen überhaupt?

 

Wahrscheinlich wäre ohne diese Maßnahmen die Geburtenrate noch geringer. Weitere wird man sich überlegen müssen. Wir müssen aber auch sehen: Solange die Mehrzahl der Frauen daheim war und sich vornehmlich um den Haushalt kümmerte, war die Kinderzahl höher. Das hat sich geändert, als immer mehr Frauen auch die berufliche Gleichberechtigung erkämpft haben. Für die Gleichberechtigung bin ich stets eingetreten. Und das tue ich weiterhin. Übrigens: Die SPD hat unter meinem Vorsitz 1988 als erste der herkömmlichen Parteien eine Frauenquote in Höhe von 40 Prozent eingeführt, die inzwischen als Geschlechterquote gelegentlich auch schon von Männern in Anspruch genommen wird. Aber jetzt die Frauen mit hohen Geldzahlungen – und das nur bei Akademikerinnen – zu längeren Berufsunterbrechungen und zu mehr Kindern zu bewegen, das halte ich für einen bedenklichen Vorschlag. Besser wäre es, die Männer dafür zu gewinnen, dass sie in solchen Fällen ihre Berufstätigkeit ebenso häufig und in gleichem Maße unterbrechen, wie man das von den Frauen erwartet. Das Elterngeld und die dort vorgesehenen Vätermonate sind ja ein Schritt in diese Richtung.

Jetzt aber zum eigentlichen Problem. Es stimmt: Wenn man sich nur die Beitragszahler der Rentenversicherung anschaut, erreichen wir in nicht allzu ferner Zeit ein Verhältnis von eins zu eins, ein Beitragszahler, ein Rentner. Wir sind jetzt schon bald bei 1,3. In diesem Zusammenhang hat die SPD einen sehr vernünftigen Vorschlag gemacht: nämlich die Einführung einer Bürgerversicherung, bei der nicht nur die, die in bezahlter Erwerbsarbeit stehen, Beiträge leisten, sondern alle, die ein Einkommen haben. Also auch Selbstständige. Gäbe es diese Bürgerversicherung, dann sähe es schon besser aus.

Dass die starre Altersgrenze von fünfundsechzig nicht mehr der Realität entspricht, darüber haben wir schon gesprochen. Wir haben heute nicht mehr drei Abschnitte im Leben, sondern vier. Jugend, volle Erwerbstätigkeit, die jungen Alten und die alten Alten. Ich bin natürlich ein alter Alter. Unter den jungen Alten gibt es viele, die gern noch aktiv sind. Das setzt aber voraus, dass sie Arbeit bekommen. Neuerdings höre ich, dass Unternehmen bereits nach älteren Facharbeitskräften suchen. Immerhin!

 

Sprechen wir weiter über die Art und Weise, wie wir leben wollen und welchen Anteil die Politik dabei haben kann. Bei der Familiengründung haben wir gesehen, welche Möglichkeiten des politischen Handelns es gibt. Mit der Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf die Rente bis zum Elterngeld und den Vätermonaten ist eine Menge passiert. Aus finanziellen Gründen wird man das momentan nicht ausdehnen können, aber vielleicht später einmal. Trotzdem ist die Geburtenrate nicht wesentlich gestiegen – kann man da im Umkehrschluss sagen, die Politik kann sich hier eigentlich ganz zurückziehen, da sie das nicht beeinflussen kann, es geht um andere Ursachen?

 

Wenn der Staat nicht gehandelt hätte, wäre die Zahl der Kinder, die auf die Welt kommen, noch niedriger. Deshalb muss man an diesen Maßnahmen festhalten. Und man muss sorgfältig überlegen, wo man – etwa bei der Kinderbetreuung und deren Kosten für die Eltern – noch deutlich verbessern kann. Einen Kernbereich nannte ich schon. Gefordert sind auch die Betriebe. Sie sollten Frauen in der Zeit der Schwangerschaft und vor allem danach Erleichterungen schaffen, beispielsweise durch Betriebskindergärten oder Arbeitszeitkonten, die dann später wieder ausgeglichen werden können. Oder durch Erleichterungen für den Wiedereinstieg.

Nur am Rande: Allein schon aus demografischen Gründen werden wir weiterhin eine gewisse Zuwanderung brauchen. Denn ich sehe nicht, wie wir ein erträgliches Leben führen können, wenn unsere Einwohnerzahl von knapp zweiundachtzig Millionen auf gut sechzig sinken und gleichzeitig unser Durchschnittsalter weiter steigen würde.

 

Aber Zuwanderer sind keine Deutschen, beklagt Thilo Sarrazin, deswegen schafft sich Deutschland ja ab.

 

Auch da irrt er. Die Zahl derer, die sich in der zweiten und dritten Generation von den hier Ansässigen kaum oder gar nicht mehr unterscheiden – also im Grunde Deutsche geworden sind –, ist viel größer, als man annimmt.

 

Aber Deutsche nur dem Pass nach, nicht im Herzen.

 

Aber man kann doch nicht leugnen, dass man im täglichen Leben immer häufiger Menschen mit türkischen oder anderen ausländischen Namen begegnet, die flüssig Deutsch, ja, sogar einen bayerischen oder einen anderen Dialekt sprechen. Kann man da wirklich sagen, dass sie nicht auch Deutsche im Herzen geworden sind?

 

Ist eine zu niedrige Geburtenrate nicht auch ein klassisches Feld für Werte und Weltbilder? In islamischen Ländern ist zu sehen, dass es eine Korrelation zwischen gläubigen Familien und Kinderreichtum gibt. In Israel ist das Ziel, möglichst viele Kinder zu haben, beinahe Staatspolitik. Fast könnte man meinen, dass dies nicht nur eine private, sondern auch eine ideologische Frage ist. Wir hatten das auch in Deutschland, im »Dritten Reich« – und haben uns dann mit einer berechtigten Skepsis davon abgewendet.

 

Gehen wir etwas weiter zurück, ins Mittelalter oder bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Da war nicht nur der christliche Glaube ein Grund für die größere Kinderzahl, sondern die Vorsorge für das eigene Alter. Es gab ja keine sozialen Sicherheitssysteme, also musste man sich an die Kinder halten. Sie sollten die Eltern, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten, ernähren. Und haben das ja auch getan. Außerdem gab es keine Mittel zur Empfängnisverhütung.

Forsche ich bei meinen eigenen Vorfahren nach, so waren da sechs Kinder oder sogar acht selbstverständlich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging die Zahl deutlich zurück, selbst im katholischen Bereich waren es oft nur zwei, drei Nachkommen. Ganz unabhängig davon, ob es wirklich eine Korrelation zwischen Religion und Kinderzahl gibt – es ist eine der höchstpersönlichsten Entscheidung des Menschen, ob Kinder gewollt sind oder nicht. Aber den Gedanken, dass vom Vorhandensein von Kindern und deren Zahl auch heute die Sicherheit der eigenen Generation und der eigenen Existenz abhängt, den sollte man sich gelegentlich durch den Kopf gehen lassen.

 

Diesen Gedanken haben wir an den Staat delegiert, nicht wahr? In dem Moment, wo der Staat Geld von den Kindern nimmt und anschließend an die Älteren verteilt – ich spreche da vom Generationenvertrag –, hat man dem Einzelnen die Verantwortung genommen.

 

Das ist mir zu generell. Wahr ist, dass von der Kinderzahl die Finanzierung des Rentensystems abhängt. Auch kann und soll der Einzelne für sein Alter durchaus einiges selbst tun. Der Staat fördert das ja.

 

Aber als Einzelner kann ich mich immer aus der Affäre ziehen, indem ich sage, dass die anderen ja Kinder bekommen, ich selbst muss dies ja gar nicht.

 

Das könnte eine höhere Belastung Kinderloser rechtfertigen.

 

Die Familie und ihr damit verbundenes Bild waren einst eher eine konservative Domäne, junge Linke konnten mit »Vater, Mutter, Kind« am wenigsten etwas anfangen. Die Glorifizierung von Kinderreichtum und der Rolle der Mutter hat dadurch enorm abgenommen. Wäre auch auf diesem Gebiet eine Renaissance angebracht, welcher Art auch immer? Hätten Sie da eine Idee?

 

Weiten wir das Thema etwas aus: Die Frage nach der Familie ist ebenso eine Frage nach der Ehe, nach Lebensgemeinschaften, nach der Haltbarkeit von Partnerschaften. Das ist ein Feld, das sich kaum in wenigen Sätzen abhandeln lässt. Aber ich will es versuchen. Natürlich ist in erster Linie der Einzelne gefordert, wenn es darum geht, wie er sein Leben gestalten will, und der Staat lässt ihm ja auch diese Freiheit. Dass der Staat hier eingreift und sagt: »Das musst du so und nicht anders machen«, das lässt unser Grundgesetz nicht zu. Aber wir sollten uns durch die Kirchen und durch andere Gemeinschaften zum Nachdenken anregen lassen. Und wenn wir schon über Kinder reden: Ist für den Einzelnen ein Kind nicht eine der größten Freuden, die er im Leben haben kann?

 

Das kann ich als Mutter nur bejahen.

 

Und wenn ich mir vorstelle, dass dieses Kind eines Tages nicht nur mir, sondern ebenso anderen helfen wird, dann erhöht das die Freude. Ich nehme ja für mein Wohlergehen auch die Leistungen der Kinder anderer in Anspruch. Das sind Gedanken, die ich in diesem Zusammenhang zur Diskussion stellen möchte. Im Übrigen: Wenn ein katholisches Paar streng nach den Regeln der Kirche leben und entsprechend der Enzyklika »Humanae vitae« Pauls VI. auf die Pille und andere Verhütungsmittel verzichten würde, dann würde sich die Zahl der Kinder deutlich vermehren.

 

Diese Enzyklika wird doch auch Pillenenzyklika genannt, oder?

 

Ja, das ist richtig. Aber die deutschen Bischöfe haben in ihrer Königsteiner Erklärung von 1968 – sie erging kurz nach Veröffentlichung der Enzyklika »Humanae vitae« – den Gläubigen zugebilligt, im einzelnen Fall nach ihrem Gewissen zu entscheiden. Und dem stimme ich zu.

 

Grundsätzlich könnte man sich aber darauf einigen, dass es Wertfundamente gibt, die ein Familienbild stärker befördern als andere?

 

Darauf kann man sich einigen. Für mich ist die Familie nach wie vor die soziale Einheit, die für die Entwicklung eines Menschen, für seine Sozialisation die größte Bedeutung hat. Und diese Kernaufgabe einschließlich der Erziehung zur Eigenverantwortung sollte auch bei der Familie bleiben.

 

Nur am Rande gefragt: Für wie wichtig halten Sie die Vorbildfunktion einer Ministerin wie Ursula von der Leyen, die sieben Kinder hat, oder einer Frau wie Kristina Schröder, der ersten schwangeren Ministerin in einem Bundeskabinett, die inzwischen ihr Kind bekommen hat?

 

Das finde ich gut. Sie geben Beispiele.

 

Haben wir uns davon verabschiedet, diesen Frauen vorzuwerfen, eine Rabenmutter zu sein?

 

Jede Mutter – nicht nur Mütter, die Politikerinnen sind – sollte individuell entscheiden dürfen, wie sie Beruf und Kind vereinbart. Aber dass man sogar in hohen politischen Ämtern eine Mutterschaft nicht mehr ausschließen muss, das ist eine positive Entwicklung. Mir hat auch gefallen, wie Andrea Nahles und ihr Ehemann dies mit ihrem Kind geregelt haben – der Mann ging da in Elternzeit.

 

Es gibt aber Leute, die sagen: Na gut, die gibt das Kind dann nach der Elternzeit des Mannes an die Großeltern ab, die auf dem Land in der Nähe von Bonn leben, und sie selbst arbeitet und wohnt in der Woche in Berlin. Andrea Nahles hat selbst berichtet, wie viel böse Briefe sie bekommen hat, mit dem Vorwurf, sie ordne der Karriere das Wohl der Familie unter.

 

Sollte man lieber keine Kinder bekommen, weil man nur am Wochenende daheim sein kann? Man muss allerdings das Wochenende dann entsprechend einrichten. Wie ist es bei Ihnen?

 

Für meinen Mann und mich gibt es kein klassisches »Wochenende«. Wir sind Freiberufler und arbeiten dann, wenn es etwas zu tun gibt. Dafür nehmen wir uns dann zum Beispiel im Sommer mehr freie Zeit, als andere Familien haben.

 

Dann lassen wir das so stehen.

Ich möchte noch einmal auf die Kluft zu sprechen kommen. Die gibt es natürlich nicht nur innerhalb unseres eigenen Volkes. Ein gewaltiges Auseinanderdriften gibt es ebenfalls auf der globalen Ebene. Manchmal staune ich, dass Menschen so viel klagen und jammern können. Ich sage dann: »Ist euch eigentlich klar, dass an die zwei Milliarden Menschen von rund einem Euro am Tag leben? Stellt euch mal bitte vor, wie es wäre, wenn ihr das selbst müsstet!« Diese Kluft zwischen armen und reichen Völkern ist eine zentrale Herausforderung. Sie kann nicht nur durch das Geld geschlossen werden, das man an die jeweiligen Regierungen transferiert. Da weiß man oft nicht, ob die Mittel auch dort ankommen, wo sie hingehören. Viel wichtiger ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Da gibt es die uralte Erfahrung: Es ist etwas Gutes, jemandem einen Fisch zu schenken, aber jemandem eine Angel zu schenken – das ist viel besser und kann sein Leben verändern. In diese Richtung muss die Hilfe zur Selbsthilfe gehen. Dem früheren Bundespräsidenten Köhler habe ich immer hoch angerechnet, dass er wieder und wieder auf Afrika hingewiesen hat. Letzten Endes gibt es da auch ein Eigeninteresse: Denn wenn die Schließung der Kluft nicht gelingt, wird sich die Zahl derer, die nach Europa streben, vervielfachen. Das wäre eine ganz normale menschliche Reaktion. Also: bitte diese globale Kluft ebenso im Auge behalten.

Natürlich gibt es gute Beispiele dafür, dass sich betroffene Länder selbst bemühen, die Kluft zu verringern. China hat inzwischen erkannt, dass sich durch diese rasante Entwicklung Arm und Reich im eigenen Land voneinander entfernen, also eine innere Kluft entsteht. Nicht anders Indien oder Brasilien. Das Ganze bewirkt aber neue Herausforderungen: Denn bei steigendem Wohlstand wollen die Menschen in China, Indien oder Brasilien so leben wie wir, mit einem Auto und einem hohen Stromverbrauch. Und das belastet wiederum die Umwelt. Dies darf jedoch keine Begründung dafür sein, dass wir Europäer, wir Deutschen sagen: »Jetzt bleibt mal lieber auf eurem früheren Niveau!« Nein! Ein weltweiter Ausgleich und eine weltweite Senkung der Umweltbelastung sind nötig.

 

Warum soll man in die Ferne schweifen, wenn man bei Rumänien anfangen könnte?

 

Rumänien hat insofern einen großen Vorteil, als das Land der Europäischen Union angehört und aus deren Mitteln unterstützt wird. Wichtig sind jetzt Kontrollen, um beispielsweise den Rechtsstaat zu etablieren und Korruption zu verhindern. Warum drängen denn beispielsweise Montenegro, Kroatien oder Mazedonien so in die EU? Weil sie sehen, dass sie dort besser aufgehoben sind. Sie strengen sich auch an, den EU-Standards gerecht zu werden.

 

Ich sehe seit ein paar Jahren Rumänen, die im Ausland mit großen Autos fahren, doch kommt man nach Rumänien, sind die Pferdewagen noch zahlreich. Es wird selbst im eigenen Land noch lange dauern, bis die Verhältnisse einigermaßen angeglichen sind.

 

Das ist richtig. Aber die Europäische Union kann da durchaus eingreifen.

 

Ein Deutscher könnte sich jetzt die Frage stellen: »Warum soll ich von meinem Wohlstand etwas abgeben? Damit die Rumänen mehr bekommen? « Da stößt man vermutlich wieder an die Grenzen der Nächstenliebe.

 

Es ist eine Verpflichtung, anderen Menschen, die in Not sind und denen es schlechter geht, zu helfen. Dabei ist der Nächste nicht nur der in der unmittelbaren Nähe. Es gibt, wie im Evangelium nachzulesen ist, auch den Nächsten in der Ferne. Neben diesem Argument gibt es aber noch ein zweites: Es ist doch ebenso unser Vorteil, wenn das Land Rumänien für uns ein wirtschaftlicher Partner werden kann, wenn Rumänien in immer stärkerem Maße deutsche Exporte abnimmt. Der finanzielle Transfer ist keine Einbahnstraße.