Über die Sexuallehre der katholischen Kirche, Eheversprechen und Patchworkfamilien

Ihr Parteifreund Helmut Schmidt hat ein Buch geschrieben, das Religion in der Verantwortung heißt. Eine Quintessenz daraus ist, dass er den persönlichen Bezug zur Religion durchaus für hilfreich und nützlich hält, aber katastrophal in der Auswirkung, wenn sie zur politischen Kategorie wird. Haben Sie das Buch gelesen?

 

Das habe ich, aber die Stelle müssten Sie mir nennen, wo er sagt, dass Religion generell katastrophale Auswirkungen hat.

 

Der Ausdruck »katastrophal« ist vielleicht übertrieben, aber er warnt vor einer politischen Instrumentalisierung von Religion.

 

Davor war lange Zeit sehr zu warnen, und das muss man auch im Auge behalten. Ich denke da an die Zeit, in der vor Wahlen von katholischen Kirchenkanzeln Wahl-Hirtenbriefe mit konkreten Empfehlungen verlesen wurden. Das würde zu dem passen, was Sie gerade wiedergegeben haben. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch den anerkannten Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde zitieren: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« Das heißt, man braucht Ableitungen, Begründungen für die Wertordnung unseres Grundgesetzes. Und natürlich ergibt sich aus den kirchlichen Lehren und Aktivitäten Wesentliches für solche Begründungen, etwa für die Solidarität mit den Schwächeren, für die Menschenwürde oder inzwischen auch für die Religionsfreiheit. Es gibt eigentlich kaum ein Feld, wo nicht aus der christlichen Religion etwas für die Begründung dieser Werte hergeleitet werden kann. Außerdem: Wenn Sie sich das christliche Menschenbild anschauen und sich ein bisschen im Neuen Testament auskennen, dann wissen Sie, dass christliche Religionen immer wieder ihren Blick auf die Schwachen richten. Man soll die Hungrigen sättigen, den Durstigen zu trinken geben, die Kranken und Gefangenen besuchen und die Fremden aufnehmen, heißt es da im Matthäusevangelium an der Stelle, die ich schon nannte. Auch liest man, dass der Kranke des Arztes bedarf und nicht der Gesunde. Das sind doch Gedanken und Erinnerungen, die nicht schädlich sind für die Politik, sondern genau das Gegenteil – hilfreich.

 

Schmidt kritisierte auch mehrfach die Sexuallehre der Katholiken, ihre Vorstellungen von der Empfängnisverhütung, gerade in Bezug auf die Entwicklung der Weltbevölkerung.

 

Gemeint ist jene Enzyklika »Humanae vitae« aus dem Jahr 1968, die alle Verhütungsmittel verbietet. Darüber, dass viele Katholiken dem nicht folgen, haben wir schon gesprochen. Auch über die anschließende Königsteiner Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, in der es heißt, es bleibe letzten Endes der Gewissensentscheidung des Einzelnen überlassen, ob und in welchen Situationen Verhütungsmittel angewendet werden. Selbst für sehr gläubige Katholiken ist das Spannungsverhältnis dadurch erträglicher geworden.

 

Empfinden Sie es tatsächlich als ein Spannungsverhältnis?

 

Sicher besteht da ein solches zwischen der Enzyklika, die ein absolutes Nein vorgibt und nur die Nutzung der natürlichen Fruchtbarkeitspausen als Möglichkeit zu einer gewissen Geburtenlenkung bejaht, aber alle anderen Verhütungsmittel wie die Pille oder Kondome ablehnt, und dem Papier der Bischofskonferenz, das die Gewissensentscheidung des Einzelnen gelten lässt.

 

Wie sind Sie persönlich damit umgegangen?

 

Meine Kinder stammen aus der Zeit vor der Enzyklika.

 

Wenn man sich dem nähert, was die Kirche zur Empfängnisverhütung sagt – das haben Sie einmal anklingen lassen –, gäbe es dann vielleicht mehr Kinder in Deutschland?

 

Sicher.

 

Sie würden es in dieser Hinsicht befürworten, mehr dem christlichen Bild zu folgen?

 

Entschuldigung, ich habe mich eindeutig für die Königsteiner Erklärung ausgesprochen. Und damit meine ich, dass Empfängnisverhütung nach Gewissensentscheidung des Einzelnen und also auch die Pille möglich sind. Ich meine nicht, dass man die Erklärung aufheben und die strenge Lehre durchsetzen muss, damit mehr Kinder auf die Welt kommen. Das ist eine Verbindung, die ich nicht herstelle. Zudem sollte man den quantitativen Einfluss dieser Enzyklika realistisch beurteilen. Schließlich weise ich noch auf einen Unterschied hin: In Deutschland und einigen vergleichbaren Ländern sinkt die Kinderzahl, weltweit steigt sie. Zahlen nannte ich schon.

 

Es wird über kaum etwas so gern öffentlich gestritten wie über die Sexualmoral der katholischen Kirche. Viele meinen, die Kirche müsse sich modernisieren und in diesem Punkt bestimmte Positionen aufgeben. Wo sehen Sie die Berechtigung?

 

Dabei geht es aber nicht so sehr um das Thema, das wir jetzt besprochen haben.

 

Doch! Etwa um Empfängnisverhütung, um Verhütung von sexuell übertragbaren Krankheiten …

 

Darüber redeten wir ja gerade. Es geht aber wohl auch um den außerehelichen Geschlechtsverkehr.

 

Um den sowieso.

 

Das ist ein Hauptpunkt. Und es geht um die Homosexualität. Zur Homosexualität finden sich jetzt gelegentlich kirchliche Meinungen, die zwar nach wie vor das Nein betonen, aber doch ein stärkeres Verständnis für diesen Personenkreis erkennen lassen. Verglichen mit den scharfen Verurteilungen der Vergangenheit, ist das ein gewisser Fortschritt.

 

Begrüßen Sie die Entwicklung? Der Spiegel-Journalist Matthias Matussek und Autor des Buches Das katholische Abenteuer meint, gerade die Kirche hätte die Pflicht, Positionen zu formulieren, die nicht den Normen des Alltags entsprechen, um so eine Orientierung geben zu können. Wie sehen Sie das?

 

Ich sehe den Fortschritt der Kirche darin, dass sie es nicht mehr beim absoluten Nein ohne jede weiteren Erläuterungen und Erklärungen bewenden lässt, sondern auf die Situation der jeweiligen Menschen eingeht. Ja, dass sogar darüber eine innerkirchliche Auseinandersetzung möglich geworden ist. So war ich zum Beispiel schon früh gegen ein strafrechtliches Verbot der Homosexualität. Als Abgeordneter habe ich selbst an dem allmählichen Abbau und der Beseitigung des Paragrafen 175 mitgewirkt. Dies vor allem deshalb, weil es eben Menschen mit einer anderen sexuellen Identität gibt. Was den außerehelichen Geschlechtsverkehr angeht, herrscht wohl tatsächlich ein sehr starker Widerspruch zwischen den Lehren der katholischen Kirche und der Realität vor. Bis zum Tag des Hochzeitssakraments zu warten und dann zum ersten Mal mit dem Partner zu schlafen, das deckt sich schwerlich mit meinen Beobachtungen und Lebenserfahrungen. Ob die Kirche gut beraten ist, ein solches Spannungsverhältnis weiter aufrechtzuerhalten, und ob nicht Abwendungen von der Kirche auch damit zusammenhängen, das ist eine durchaus berechtigte Frage.

 

Aber wenn nicht die katholische Kirche, wer soll denn sonst einen absoluten Anspruch einer moralischen Position verfechten?

 

Es ist ja gut, wenn scharf formulierte Grenzen aufgezeigt werden, doch muss man sich immer die Felder ansehen, auf denen man sie aufrichtet. Und man muss sich mit der Spannung zwischen diesem scharfen Nein und der Wirklichkeit auseinandersetzen. Bei den Gläubigen wächst meiner Ansicht nach die Erkenntnis, dass ein Thema auch dann nicht erledigt ist, wenn die Kirche ein absolutes Nein verhängt hat. Sie fordern die Diskussion, damit man zu neuen Perspektiven und Einsichten gelangen kann. Besonders nach dem Aufdecken der Missbrauchsfälle hat diese Entwicklung an Fahrt gewonnen. Über hundert katholische Theologen äußerten sich bekanntlich vor einiger Zeit in einer gemeinsamen Erklärung in diesem Sinn.

 

Und Sie begrüßen das nachhaltig?

 

Einfach zu sagen: »Roma locuta, causa finita – Rom hat gesprochen, die Sache ist beendet«, das reicht eben nicht mehr. Es bedarf eines neuen »Aggiornamento«, wie es Johannes XXIII. forderte, als er 1962 das Zweite Vatikanische Konzil einberief. Und das brachte ja große Fortschritte.

 

Würden Sie denn gern darüber einmal mit Ihrem bayerischen Papst ins Gespräch treten? Wäre das eine verlockende Aussicht?

 

Mit Kardinal Joseph Ratzinger führte ich im Jahr 1979, also noch vor seinem Pontifikat, im bayerischen Fernsehen eine sehr lebhafte Debatte über den Schwangerschaftsabbruch. Erst neulich habe ich mir die Aufzeichnung dieser Sendung wieder angesehen. Und solche Diskussionen, bei denen man sich zuhört und auf die Argumente des anderen im Detail eingeht, könnte man durchaus auch auf anderen Gebieten führen.

Sehr beeindruckt war ich von dem Disput zwischen Habermas und Ratzinger in der Katholischen Akademie in München. Die beiden hatten sich 2004 getroffen, um über Religion und Aufklärung zu reden. Habermas und Ratzinger kamen dabei in einem wichtigen Punkt zu einem Einverständnis. Der Satz, dem beide zustimmten und dabei mit dem Kopf nickten, lautete: »Die Religion bedarf der Vernunft, um sich immer wieder von menschlichem Beiwerk zu reinigen. Und die Vernunft bedarf der Religion, um ihre Grenzen zu erkennen.« Das hat sich mir sehr eingeprägt.

Sicher wäre es reizvoll, jetzt mit Papst Benedikt XVI. zu diskutieren. Er ist ein kluger Mann. Ich würde ihm dann allerdings auch kritische Fragen stellen.

 

Zum Beispiel?

 

Zum Beispiel sagte er, die Gespräche mit den traditionalistischen Piusbrüdern, die bisher wesentliche Punkte des Zweiten Vatikanischen Konzils abgelehnt haben, und die Aufhebung der Exkommunikation ihrer Bischöfe, das sei ein Zeichen des besseren Verständnisses und der Versöhnung. Da würde ich fragen, ob ein solches Zeichen nicht auch oder sogar eher gegenüber den wiederverheirateten Geschiedenen am Platze wäre? Auch zum Stand der Ökumene hätte ich Fragen. Da scheint es manchmal, als ob er die Griechisch-Orthodoxen stärker im Blick hätte als die Evangelischen. Aber bei seiner bevorstehenden Reise nach Erfurt, wo er dem Augustinerkloster, das eng mit Luther verbunden ist, die Ehre erweisen will, kann sich dieser Eindruck ja ändern.

 

Haben Sie schon einmal nach einem Termin gefragt?

 

Da würde ich mich übernehmen.

 

Sie beide mögen Südtirol, Sie könnten sich ja auf einem Berg begegnen …

 

Gelegentlich besuchte er dort dasselbe Gasthaus in Dreikirchen bei Villanders wie ich, wohl des Ausblicks wegen. Aber als Papst kam er nicht mehr dorthin.

 

Wie schwer war Ihr Konflikt als Katholik, als Sie sich scheiden ließen und anschließend wieder heirateten?

 

Das war ein Konflikt, den ich ernst genommen habe, denn eine solche Entscheidung bedeutet den Ausschluss vom Abendmahl, von der Kommunion. In dieser Zeit vertiefte ich mich ein bisschen in die Materie. Dabei bin ich auf ein interessantes Papier der Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz gestoßen. Verfasst wurde es von dem noch heute als Bischof von Mainz amtierenden Karl Kardinal Lehmann, dem Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Walter Kasper, der später als Kardinal in Rom tätig war, sowie dem Erzbischof von Freiburg, Eugen Seiterich. In diesem Papier legten sie dar, dass nach ihrer Meinung auch in diesen Fällen eine Gewissensentscheidung zu respektieren sei. Sie haben das Papier nach Rom geschickt. Aber die Reaktion war negativ. Mir gab es aber eine Orientierung.

 

Eine Scheidung und eine Wiederheirat sind doch relativ schwere Verstöße – hat man dadurch nicht die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche verwirkt?

 

Man wird, wie gesagt, exkommuniziert, aber man ist nach wie vor Mitglied der Kirche.

 

Aber ist das nicht eine Anmaßung – gerade bei Menschen wie Ihnen, die nicht vom Glauben, sondern nur von einer der möglichen Richtlinien abgefallen sind?

 

Es ist ja keine Maßnahme, die auf mich alleine bezogen ist, es ist eine generelle. Zudem: Rom hat nicht völlig geschwiegen. Es heißt nämlich in dem einschlägigen Text, die Kirche müsse sich diesen Menschen in liebender Fürsorge zuwenden.

 

Das sieht man an Benedikt XVI. jeden Tag.

 

Ich weiß nicht, ob er wiederverheirateten Geschiedenen in konkreten Situationen begegnet ist.

 

Es fehlt ein Signal der Kirche.

 

Ich komme zurück auf das, was ich zuvor sagte: Wenn schon Versöhnungszeichen gegeben werden, dann wäre es vielleicht am Ende gerade hier am Platze. Immerhin weist mir – und sicher auch anderen – der Gedanke einer Gewissensentscheidung einen gangbaren Weg.

 

Den Sie offensichtlich für sich gehen konnten. War es für Sie eine Überlegung, sich aus Gründen der Exkommunikation vielleicht nicht scheiden zu lassen?

 

Nein, das war keine ernsthafte Überlegung.

 

Meine Güte, »… bis dass der Tod euch scheidet« – dieses Eheversprechen ist doch faktisch überholt, das belegt jede Scheidungsstatistik der letzten Jahre. Mag es sein, dass man dieses Ideal zu einer Zeit erdacht hat, in der das Leben des Menschen einfach zu kurz war, um sich vorzustellen, dass die Ehe kürzer sein könnte als das Leben – aber heute?

 

Das mag durchaus eine Rolle spielen. Ich gebe aber zu: Die Idealvorstellung von einer Ehe, die ein Leben lang hält, diese Idealvorstellung sollte man nicht einfach beiseite legen. Und es gibt doch gute Beispiele dafür, etwa Helmut und Loki Schmidt. Sie waren achtundsechzig Jahre verheiratet. Ich bin dafür, dass den Menschen solche Beispiele bewusst werden. Sie geben Anlass zum Nachdenken. Auch über das, was die Kirche zur Ehe sagt, sollte nachgedacht werden. Doch scheitert eine Ehe, gelingt sie nicht, dann erhebt sich eben die Frage, ob die kirchliche Reaktion darauf wirklich gottgewollt ist und den Menschen gerecht wird.

 

Mögen Sie die Idee eines Ehevertrags? Die Vorstellung, dass Menschen sich nur dann verheiraten, wenn sie vorher vertraglich festgelegt haben, unter welchen Bedingungen sie sich wieder trennen? Als Jurist könnte Ihnen das doch gefallen?

 

Von solchen Verträgen höre ich jetzt zum ersten Mal. Mir wäre das auch fremd. Denn schon meine erste Ehe war auf Dauer angelegt. Und die zweite, die nun schon achtunddreißig Jahre währt, nicht minder.

 

Aber zeigt es nicht, dass viele Menschen der Institution Ehe nicht mehr in einem Maße vertrauen, wie sie es früher getan haben?

 

Das mag so sein. Aber rechnen Sie es meinem Alter zugute, dass mir der Gedanke, vor der Heirat auf dem Standesamt und vor der kirchlichen Trauung Trennungsbedingungen festzulegen, befremdlich vorkommt.

 

Macht es Sie traurig, wenn Sie hören, dass besonders in Großstädten jede zweite Ehe geschieden wird? Oder muss man das einfach akzeptieren ?

 

Man sollte darüber nachdenken. Freuen kann ich mich darüber nicht. Sicher gibt es dafür eine Reihe von Sachargumenten. Eines haben Sie eben genannt, es gibt aber noch andere. Ich habe aber den Zustand der Gleichgültigkeit gegen diese Entwicklung noch nicht erreicht – und will das auch nicht.

 

Familie ist da, wo Kinder sind. Würden Sie diesen Satz so unterschreiben? Oder macht dann das Eheprivileg im Grundgesetz keinen Sinn mehr?

 

Selbst wenn es keine Kinder gibt, aus welchen Gründen auch immer, ist deswegen nicht der besondere Charakter einer Ehe in Zweifel zu ziehen. Kinder sind aber wünschenswert, und wer sein Leben in sinnvoller Weise reicher machen will, der wird Kinder bejahen. Die Bestimmung im Artikel 6 des Grundgesetzes, auf die Sie Bezug nehmen – »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung« –, hat nach wie vor Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass zwar andere Gemeinschaften in einer ganzen Reihe von Punkten in ähnlicher Weise rechtlich geregelt werden können wie die Ehe, diese aber jedenfalls als ein fester Bestandteil unserer Rechtsordnung geschützt bleibt.

 

Man darf also niemanden dafür bestrafen, dass er einen gleichgeschlechtlichen Menschen liebt?

 

Er wird nicht nur nicht mehr bestraft, sondern er hat seit längerer Zeit die Möglichkeit, eine Lebensgemeinschaft zu vereinbaren. Für diese sind rechtliche Regeln normiert worden, die in mancher Hinsicht Regeln entsprechen, die für die Ehe gelten.

 

Stück für Stück ist das erkämpft worden.

 

Was ist denn nicht erkämpft worden?

 

Aber warum stellt man gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht vollkommen gleich?

 

Zum einen hat das historische Gründe. Zum anderen sehe ich in Verbindungen, in denen die gemeinsam gezeugten Kinder eine zentrale Rolle spielen, einen Unterschied gegenüber Gemeinschaften, bei denen dieser Gesichtspunkt entfällt.

 

Es gibt viele schwule und lesbische Paare, die Kinder adoptieren, was aber nur in einer rechtlichen Grauzone möglich ist. Wenn in diesen Partnerschaften in gleicher Weise elterliche Liebe weitergegeben werden kann – wo ist dann das Problem, ihnen auch in gleicher Weise Rechte zu geben?

 

Die Annäherung der Rechte ist weit fortgeschritten. Aber noch einmal: Für mich gibt es schon einen Unterschied zwischen einem auf natürlichem Wege in der Ehe gezeugten Kind und einem adoptierten Kind. Das sollte für die elterliche Fürsorge keine Rolle spielen. Aber das in der Ehe gezeugte Kind scheint mir ein Teil der Wesensbestimmung jener Verbindung zu sein, die da zwischen Mann und Frau besteht. Außerdem: Ist es nicht ein gewisser Unterschied, ob ein Kind Vater und Mutter oder ob es stattdessen zwei Väter oder zwei Mütter hat?

 

Aber Sie sagten selbst, in manchen Ehen entscheidet man sich bewusst gegen Kinder. Zugleich legt man zwei Männern, die ein Kind wollen, erhebliche rechtliche Schwierigkeiten in den Weg.

 

Ob das heutige Adoptionsrecht in diesen Fällen besondere Schwierigkeiten aufwirft, kann ich nicht beurteilen. Aber ich bleibe dabei: Für mein eigenes Urteil ist es von Relevanz, ob die Verbindung auf die natürliche Zeugung eines Kindes hin orientiert ist oder ob ein Kind nur durch Adoption hinzukommen kann.

 

Haben Sie ein Unwohlsein bei dem Gedanken, wenn zwei Männer ein Kind adoptieren wollen?

 

Es verursacht bei mir kein Unwohlsein. Aber die Sorge, dass dem Kind dann eine Mutter fehlt.

 

Das Familienbild hat sich in den letzten Jahrzehnten völlig verändert. Mutter, Vater, Kind – diese Vorstellung ist mittlerweile durch neuer Vater, neue Mutter, mehrere Kinder ersetzt worden, durch das, was man Patchworkfamilie nennt. Stellt uns diese Entwicklung nicht vor sehr große Herausforderungen?

 

Wir, das heißt die Beteiligten, schaffen diese Herausforderung selbst und sind deswegen nicht nur gebeten, sondern auch aufgefordert, aus dieser Situation – gerade mit Blick auf die Kinder – das Beste zu machen.

 

Noch einmal allgemein gefragt: Im Grundgesetz ist bisher nur diese besondere Ehe erwähnt worden. Reicht das noch aus?

 

Ja. Wollen Sie das Grundgesetz ändern?

 

Ich frage nur.

 

Und ich frage nur umgekehrt.

 

Kann man nicht die Begriffe von Ehe und Familie so verändern, dass alles darunter fällt?

 

Wir haben das Thema bereits erörtert. Dabei habe ich festgestellt, dass wir durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts einen Rechtszustand haben, bei dem die Lebensgemeinschaften inzwischen einen der Ehe durchaus angenäherten Status genießen. Aber die Ehe als Institution abzuschaffen und in einem allgemeinen Begriff aufgehen zu lassen – dafür kann ich mich nicht erwärmen. Dem widerspreche ich.

 

Gibt es richtige und falsche Formen des Zusammenlebens?

 

Es gibt innerhalb der Ehe miserable Partnerschaften, und es gibt Lebensgemeinschaften, bei denen die Partnerschaft gut funktioniert. Und umgekehrt. Das wird auch so bleiben. Wichtig ist mir dabei vor allem, welche Rolle im Zusammenleben die Kinder spielen.