Kapitel 3: Schlechte Nachrichten
NACHDEM ICH GEGESSEN HATTE
, lud ich Dis
. Wie immer setzten Eve und ich uns auf die Bank gegenüber dem Gasthaus, das übrigens das einzige in ganz Tristad war. Wir unterhielten uns und beobachteten, was um uns herum vor sich ging.
Die Stadt hatte ihren eigenen Rhythmus. Spieler rannten fluchend zwischen dem Marktplatz, der Bank und der Auktion herum. Es war so laut, dass ich nach 20 Minuten im Spiel wünschte, ich wäre taub. Alle um uns herum schrien, stritten, verhandelten oder luden andere Leute in ihre Gruppen und neu gebildeten Clans ein. Heimische Händler und Handwerker hatten Anpreiser und Ausrufer eingestellt, deren Gebrüll den anderen Lärm noch übertönte. Mit meinen niedrigen Attributen zwischen ihnen zu manövrieren, war eine Herausforderung. Kuriere und andere niedriglevelige Spieler flitzten hierhin und dorthin, um ihre sozialen Quests für die Stadt zu erledigen.
Sie alle ignorierten den
rotgesichtigen Trunkenbold Patrick und taten so, als ob er nicht existierte. Der unbeliebte NPC war allen lästig, denn er bettelte immer um eine Kupfermünze. Trotzdem ging das Gerücht um, dass Spieler, die höchstes Ansehen bei ihm erreicht hatten, legendäre Quests von ihm erhalten konnten. Doch nur wenige hatten es versucht, denn bei 1 Ansehenspunkt pro Kupfermünze war es für die meisten Newbies zu teuer.
Etwas weiter die Straße hinunter verursachten einige ungeduldige Gnome Aufruhr bei einer Gruppe von würdevollen Zwergen. Selbst aus der Entfernung konnte ich erkennen, dass die Zwerge eine neue gnomische Erfindung erwerben wollten und beide Seiten hart verhandelten. Eine Stadtwache stand am Eingang zum Gasthaus und beobachtete die Passanten wie ein Falke ...
In den Sandbox-Gasthäusern wurde Spielern nur Sahnebier serviert. Alkohol war nicht erlaubt. Vulgäre Ausdrucksweise wurde mit einem Piepen angezeigt und mit dem Verlust von Erfahrungspunkten bestraft. Man konnte sich noch nicht einmal vollständig ausziehen. Statt Geschlechtsorganen hatten wir da unten ... nichts, ähnlich wie Puppen für Kinder.
Das war zu schade. Ich hatte keine Probleme mit Mädchen, aber bei dem Gedanken an mehr als eine Unterhaltung bekam ich ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Zu etwas Übung hätte ich nicht nein gesagt. Doch nur, um das
klarzustellen: Das schloss Eve O‘Sullivan nicht ein. Auf keinen Fall. Ihrem Nicknamen Aphrodite nach zu urteilen, musste sie anderer Meinung sein, obwohl ich nicht hundertprozentig sicher war, dass sie wusste, wer Aphrodite war.
Wenn ich davon träumte, über eine Unterhaltung hinauszugehen, betraf es immer Tissa Schäfer. Und ganz zufällig ging sie in diesem Moment gerade auf der anderen Straßenseite mit Ed und den anderen Mitgliedern des Clans vorbei. Sie redeten laut und lachten.
Da sie kaum ihre Beine bewegen konnten, mussten sie viel Gewicht mit sich tragen und sich entweder auf dem Weg zur Auktion auf dem Marktplatz, zum Schmied oder zu einem Händler befinden, um ihre Beute vor einem weiteren Raid loszuwerden. Wahrscheinlich waren keine wertvollen Gegenstände dabei, vielleicht nur ein Haufen rostigen Schrotts aus der Mine der hyänen-ähnlichen Gnolle. Das war keine besonders schwierige Instanz, doch sie hatten sie erledigen müssen, bevor sie den Dungeon der menschenfressenden Oger plündern konnten, zu dem sie unterwegs waren. Vielleicht planten sie auch, die neue Instanz in den Olton-Steinbrüchen zu absolvieren, von der in der Schule alle sprachen.
„Muss sie ihre Hüften so schwingen?”, fragte Eve genervt, als sie Tissa sah.
Ich ließ meinen Blick über Melissas hochgewachsene, gut proportionierte Figur wandern. Sie trug das kurze, weiße Kleid einer Priesterin
von Nergal dem Leuchtenden, der wichtigsten Gottheit in dieser Welt. Wenigstens war er der Gott mit den meisten Anhängern und hatte daher die höchsten Glaubenspunkte. Ich konnte nicht wegsehen. Es war ein faszinierendes Schauspiel, und nur Eves tadelnder Blick, den ich aus dem Augenwinkel sehen konnte, hielt mich davon ab, weiter auf Tissa Schäfers Po zu starren.
In Disgardium
waren alle Charaktere eine genaue Kopie der Leute, die sie spielten, aber in der realen Welt trug Tissa nie solche Kleidung. Dort lief sie meistens in zu großen Jeans und schlabbrigen Hoodies herum. Daher konnte ich ihre Gestalt nur hier richtig bewundern. Das war das Einzige, das mir an diesem Spiel gefiel.
Von allen Spielern, die ich in Tristad kannte, waren nur sie und Ed „Crawler” Rodriguez Magier geworden. Magie war ein unverzichtbarer Teil dieser Welt. Theoretisch konnte sie jeder meistern, doch es kostete unglaublich viel Geld, sie zu erlernen. Ein Buch über einfache Magie jeder beliebigen Schule kostete mindestens 10.000 Goldmünzen! Das war ungefähr die gleiche Summe in Phönix, etwa so viel wie ein fliegendes Auto kostete.
Doch keiner von ihnen hatte Bücher gekauft. Tissa hatte zufällig einen Questgegenstand gefunden, der sie zu einer langen Questkette geführt hatte, deren Belohnung eine einfache Magieausbildung im Tempel von Nergal dem Leuchtenden gewesen war.
Ed hatte den Kurs in Feuermagie angeblich
erhalten, nachdem er in einer Instanz ein Buch gelootet hatte. Entweder war das Schicksal ihm wohlgesonnen gewesen oder er hatte als Clan-Anführer einfach Anspruch darauf gehabt.
„Mir ist langweilig”, sagte Eve und sah mich erwartungsvoll an.
„Willst du einen Spaziergang durch die Stadt machen?”
„Nein.” Sie schüttelte den Kopf und ich wusste, dass ich falsch geraten hatte. Ich hatte jedoch keine Lust, ihr kleines, naives Flirtspiel mitzuspielen.
„Dann lass uns bitte einfach sitzen bleiben und nicht reden.”
Eve verstummte. Ich hätte gern etwas gelesen, doch es war nicht möglich, Sachen ins Spiel mitzubringen. Es war eine mittelalterliche Fantasy-Welt, in der die fortschrittlichste verfügbare Technologie primitive, von Gnomen und Zwergen angefertigte Pulverwaffen waren. Darum las ich – zum wiederholten Mal – die Ingame-Enzyklopädie. „Gnome versorgen die Zwerge mit verschiedenen Arten von Pulverwaffen: Gewehre, Musketen und sogar Kanonen. Und sie verachten neben anderen Technologien auch die Dampfkraft nicht ...”
Langweilig. Warum sollte ich mich mit Dampfkraft beschäftigen, wenn die Menschheit im modernen Zeitalter bereits begonnen hatte, das Sonnensystem zu kolonisieren?
Verdammt, die Zeit verging so langsam! Zu ärgerlich, dass ich die eine
erforderliche Stunde pro Tag nicht in mehrere Sessions aufteilen konnte. Das war aus Gesundheitsgründen verboten. Angeblich war es schädlich für die Psyche, ständig zwischen Realität und Spiel zu wechseln. Es gab dokumentierte Fälle, bei denen Leute sich nach einer virtuellen Session nicht richtig anpassen konnten. Im Spiel waren sie verwegen und trugen zweihändige Schwerter, während sie in der realen Welt Schwächlinge waren, sodass sie dort manchmal ihre Fähigkeiten überschätzt und sich verletzt hatten.
Erneut öffnete ich das Interfacemenü und sah mir mein Profil an.
Scyth, Level 1, Mensch
Realer Name: Alex Sheppard
Reales Alter: 15
Charakterklasse: Nicht gewählt
In Sandboxen mussten die Spieler ihren wirklichen Namen und ihr Alter angeben. Dadurch sollten Schülern lernen, ein Verantwortungsbewusstsein für ihr Verhalten im Spiel zu entwickeln. In den ersten Jahren hatten die Spieler nur ihren Nicknamen in ihrem Profil zeigen müssen und beliebige Erscheinungen erstellen können. Das waren gute Zeiten für alle Idioten und Verlierer gewesen, weil sie sich im Spiel an ihren RL-Bullies hatten rächen können. Dann hatte eine Welle elterlicher Empörung die Welt überrollt, sodass den Sandbox-Profilen schließlich die realen Namen hinzugefügt worden waren, und die Charaktere wie ihre RL-Gegenstücke aussehen mussten.
Am folgenden Tag waren nur wenige dieser Ganker zur Schule gegangen ...
Eve stand auf. Sie war mir nicht böse, meistens verzieh sie mir meine dummen Witze.
„Wohin gehst du?”
„Ich will hier nicht mehr rumsitzen”, antwortete sie. „Kommst du mit?”
Ich erhob mich, und wir gingen zusammen auf die Stadttore zu. Ich erinnerte mich, dass ich erst vor 5 Minuten vorgeschlagen hatte, einen Spaziergang zu machen, und sie abgelehnt hatte. Mädchen ...
Mills, der Wächter am Tor, warf uns einen kurzen Blick zu und signalisierte seinem Partner: „Lass sie vorbei!”
Wir warteten geduldig mehrere Sekunden, bis sich das Tor weit genug geöffnet hatte, um hindurchzugehen. Dann verließen wir die Stadt. Eve erzählte etwas von einem Geschenk, das ihre Eltern ihr zum Geburtstag kaufen würden, doch ich hörte kaum zu. Wir waren nur noch etwa 20 Meter vom Waldrand entfernt, als wir von einer Gruppe laufender Spieler eingeholt wurden. Ich fluchte. Dementoren waren das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Ich hatte immer das Gefühl, dass Ed, „Crawler”, mir komische Blicke zuwarf. Außerdem hänselte er mich ständig.
„Wo wollt ihr denn hin?”, fragte er grinsend. „Ein romantisches Date im Düsterwald? Oder wollt ihr ein paar Kaninchen überfallen?”
„Lass uns in Ruhe, Rodriguez”,
erwiderte ich.
Ich hatte mich in den letzten Monaten daran gewöhnt, von meinen Klassenkameraden aufgezogen zu werden. Es war immer das gleiche Szenario: Malik, „Infect”, ein dunkelhäutiger Dieb, würde Witze über meine Fortschritte machen und Hung, „Bomber”, würde auch etwas zu sagen haben. Dann würde Tissa ihre Klassenkameraden stirnrunzelnd zur Raison bringen, und Crawler würde klein beigeben und sagen, dass sie keine Zeit mehr mit kläglichen Noobs zu vergeuden hätten.
„Wohl kaum”, sagte Infect. „Gerade ist ein seltener Mob bei den Kaninchen aufgetaucht. Die beiden schaffen es nicht, ihn zu erledigen, das Level ihrer Ausrüstung ist zu niedrig.”
„Meinst du, sie werden die Schmetterlinge angreifen?”, fragte Bomber mit ernstem Gesichtsausdruck. Sein Vater war Chinese und seine Mutter Schwedin, was zumindest teilweise erklärte, warum Hung ein zwei Meter großes Muskelpaket war. „Sie werden niedergemacht, hundertprozentig.”
Ed stoppte den Akt vorzeitig. Er schwang seinen seltenen Zauberstab, der einen Strahl feuriger Funken in der Luft hinterließ. Dann ging er einige Schritte auf mich zu und sagte vertraulich: „Hör zu, Scyth. Aphrodites Familie hat ausgesorgt. Ihre Eltern werden ihr einen guten Job besorgen, bei dem sie eine Menge Geld verdient und nicht viel tun muss. Disgardium
bedeutet ihr nichts. Aber was ist mit dir?”
„Was ist mit mir, Ed?”
„Nenne mich Crawler, Scyth. Wir sind im Spiel,
nicht in der realen Welt!”
„Lass ihn in Ruhe!”, schrie Eve. Sie stand vor mir und warf Tissa einen bösen Blick zu.
„He, Aphrodite, wir unterhalten uns gerade! Für dich bedeutet all das nichts”, sagte Ed mit einer ausschweifenden Geste. „Aber für uns ist es sehr wichtig. Viel wichtiger als dort, wo die Welt von heuchlerischen Bastarden wie deinen Eltern beherrscht wird!”
„Wage es nicht, so über meine Eltern zu sprechen!”, erwiderte Eve wutentbrannt. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest.”
„Oh, wird dein Vater etwa nicht zum Verwaltungsleiter gewählt? Alle reden davon. Wie viele Hintern musste er dafür lecken? Oder wird Herr O‘Sullivan seine Reichtümer etwa nicht mit seiner kleinen Prinzessin teilen?” Ed verzog das Gesicht und spuckte auf den Boden.
„Du kannst mich mal, Idiot!”
„Pass auf, was du sagst, Dickerchen”, sagte Tissa träge.
„Und was, wenn nicht? Tötet ihr mich dann? Ha!” Eve war außer sich. Ich legte ihr beunruhigt die Hand auf die Schulter, doch sie wischte sie weg. „Es ist gar nicht möglich, in eurem blöden Spiel jemanden wirklich zu töten!”
Sie trat auf Rodriguez zu und wollte ihm ins Gesicht schlagen. Ed wich aus und öffnete dabei unabsichtlich seine flammende linke Hand. Ein Strahl komprimierten Plasmas
von der Größe einer Walnuss schoss heraus. Er traf Eve, deren Körper in Sekundenschnelle in Flammen stand, als ob es Napalm gewesen wäre. Ihre Kleidung – ein standardmäßiges Kleid für Anfänger – fing Feuer und verbrannte auf der Stelle, während ihre Gesundheitspunkte schnell sanken. Eve schrie. Empfindungen wie Schmerz waren hier deutlich gedämpft, aber es gab sie dennoch. Sie fiel zu Boden und versuchte, die Flammen mit den Händen auszuschlagen, aber der Schaden war für ihr Level 1 zu hoch. Einen Augenblick später war sie gestorben.
„Lieber Himmel, Crawler, war das unbedingt nötig?” Tissa blickte spöttisch auf Eves plumpen Körper, der nun nur noch mit Unterwäsche bekleidet war, und rümpfte die Nase, aber sicher nicht über das Feuer. Kurz darauf flackerte Eves Körper, und 5 Sekunden später war er verschwunden. Eve hatte diese Welt verlassen.
„Was, du verteidigst deine blöde Freundin noch nicht mal?”, fragte Crawler bissig.
„Falls du ihre Intelligenz meinst, sie ist nicht blöd”, entgegnete ich ruhig. „Jedenfalls nicht blöder als du.”
„Nein, sie ist nicht dumm, das stimmt. Aber sie ist trotzdem ein Stück Dreck, genau wie der Rest ihrer Familie”, provozierte Crawler mich. Er hielt einen neuen Feuerball in der Hand. „Na los, komm schon!”
„Brauchst du wirklich eine moralische Rechtfertigung, um einen schwächeren Spieler zu töten?
Letzten Endes ...”
„Machst du mal wieder große Worte, Scyth?”, unterbrach er mich. „Benutzt wohl lieber deine Zunge als deine Hände, was? Haha!”
„Guter Witz.”
Es ging ihm um sein Ansehen bei der Stadt. Eve hatte ihn zuerst angegriffen und er hatte sich verteidigt. Er hatte das Recht gehabt, sie zu töten. Nun wollte er, dass ich das Gleiche tat.
„Feigling”, sagte er und rotzte erneut.
„Es hat keinen Sinn, Eddie. Ihr seid zu viert, alle auf Level 15. Ich würde noch nicht mal eure Rüstung durchdringen können. Sicher, ich könnte wütend werden und dich zur Hölle schicken. Ich könnte dich sogar einen Idioten nennen und ausholen, um dir eine zu verpassen, sodass du mich mit reinem Gewissen zum Respawnen schicken könntest.”
„Er macht also wieder große Worte. Richtig, Jungs?”
„Ja, das ist alles, was er kann, Crawler”, antwortete Bomber. „Willst du, dass ich ihn ohne viele Worte erledige? Ich könnte ...”
„Lasst ihn in Frieden”, unterbrach Tissa. „Wir verschwenden unsere Zeit!” Sie drehte sich um, um zu gehen. Aber Rodriguez hatte sein Ziel erreicht. Obwohl ich versucht hatte, seine demütigenden Bemerkungen zu ignorieren, hatte er mich verletzt, und ich wollte darauf antworten.
„He, Ed!”, rief ich. „Weißt du was?”
„Was?”, fragte er
schulterzuckend.
„Letzten Endes ist diese Welt nur ein Spiel. Mehr nicht. Egal, wie cool du dich hier präsentierst, egal, was du im Spiel wert bist, das reale Leben bedeutet immer noch etwas.” Sie hörten alle zu, sogar Tissa, aber sie sagten nichts. Ich fuhr fort: „Und weißt du was? Falls du den Staatsbürgerschaftstest nicht bestehst, bist du dazu verurteilt, in der virtuellen Welt niedere Arbeiten zu verrichten. Dann musst du in virtuellen Minen oder auf Plantagen schuften oder die Straßen virtueller Städte kehren. Ist das ein Leben?”
Kein einziger Muskel bewegte sich in den Gesichtern der Dementoren. Nur über Tissas Gesicht legte sich ein leichter Schatten. Sie hatte ihre Mutter verloren, und ihr Vater arbeitete in Dis
. Es gab keine Chance für sie, zur Universität zu gehen.
„Zur Hölle mit ihm, Jungs. Wir können unsere Zeit besser nutzen”, sagte sie.
„Augenblick, Leute. Die Oger können warten.” Crawler kam herüber und beugte sich so nahe zu mir, dass wir uns fast Stirn an Stirn gegenüberstanden. „Solange ich dich kenne, hast du immer gedacht, dass du über allen anderen stehst, Scyth. Ich bin vielleicht nicht so intelligent, aber wenigstens habe ich Freunde. Hast du Freunde, Alex Sheppard?”
„Ja, habe ich.”
„Und wo sind diese unsichtbaren Freunde?”
Darauf hatte ich keine Antwort. Nur einsame Kinder träumten vom Weltraum. Alle anderen hatten jemanden, den sie verlieren könnten.
„Genau”, nickte Ed. „Denk darüber
nach, Schlaumeier. Buffe mich, Tissa.”
Die Priesterin des Leuchtenden Gottes erneuerte die Verstärkungszauber der Bewegungsgeschwindigkeit für die Dementoren, und sie liefen in westliche Richtung, ohne sich noch einmal umzusehen.
Ich verließ Dis
.
Du hast
Disgardium
verlassen, Scyth.
Bitte warte, um dich der realen Welt anzupassen.
Verbleibende Zeit: 00:59 ... 00:58 ... 00:57 ...
Undurchdringliche Dunkelheit umgab mich. Es fühlte sich an, als ob ich taub, stumm und wie ohnmächtig wäre. Nur der Geruch von Asche war noch in meiner Nase – eine Sinnestäuschung, als ich mich unfreiwillig an Aphrodites verbrannten Körper erinnerte.
Kurz darauf begab sich die Kapsel in die vertikale Position, und mein Gehirn hatte wieder Kontrolle über meinen Körper. Das Intragel, das für Gleichgewicht, Stoßdämpfung und die Erhaltung der Muskelspannung sorgte, wurde in die Wände der Kapsel gesaugt, um antiseptisch behandelt und gefiltert zu werden.
Meine Sinne waren wieder aktiviert. Ich stand in der Kapsel, ihre Türen öffneten sich geräuschlos. Ich stieg heraus und erstarrte. Aus dem Nebenzimmer drangen laute Stimmen, meine Eltern hatten wieder
einmal einen Streit, wie fast jeden Tag.
Ich zog meine Shorts und ein T-Shirt an und ging in die Küche, um mir ein paar Scheiben Brot eine Flasche Wasser zu holen, falls ich Hunger bekommen würde, während ich mir die Leman-Expedition zum Mars anschaute. Doch dann hielt ich inne und hörte zu, was meine Eltern sagten. Mein Vater versuchte, meine Mutter von etwas zu überzeugen, und er blieb dabei ruhig. Das war merkwürdig.
„... du musst es ihm sagen, Helene. Er ist ein kluger Junge, er findet es sowieso heraus.”
„Du bist so herzlos, Mark! Es ist sein letztes Schuljahr, und der Staatsbürgerschaftstest steht an. Verstehst du nicht, wie groß der Schlag für ihn sein könnte? Was ist, wenn er sich nicht davon erholt?”
„Nein, du verstehst nicht!” Mein Vater wurde lauter. „Früher oder später muss er es erfahren. Und je früher, desto besser, damit er Zeit hat, sich Gedanken zu machen und zu entscheiden, was er machen will.”
Wovon sprachen sie? Was sollte ich herausfinden? Ich betrat das Nebenzimmer, als meine Mutter gerade den Mund öffnete, um zu antworten. Als sie mich sah, seufzte sie laut.
„Alex ...”
„Mama, Paps? Ist alles in Ordnung?”
„Alles in Ordnung, Junge, alles ist gut ...”, murmelte mein Vater. Er legte seinen Arm um meine Schultern und zog mich zur Couch. Er warf meiner ä
rgerlichen Mutter einen kurzen Blick zu und sagte dann leise: „Alex, deine Mutter und ich lassen uns scheiden. Nein, nein, nicht sofort. Wir wollen bis nach deinem Staatsbürgerschaftstest warten.”
„Ihr lasst euch scheiden?”, wiederholte ich langsam. „Und was wird mit mir?”
„Du ...” Mein Vater sah meine Mutter an. „Helene?”
„Nein, es war deine Idee, du sagst es ihm. Ich will nicht, dass er mich für den Rest seines Lebens hasst!”
„Meine Idee?”, fragte er wütend. „Vielleicht hättest du an deinen Sohn denken sollen, bevor du ...”
„Mark!”, zischte meine Mutter. „Nicht vor Alex!”
Mein Vater nickte widerwillig und hielt sich zurück. Die Atmosphäre im Zimmer knisterte vor Spannung.
„Könnt ihr mir mal erklären, worum es geht?”
„Alex ...” Mein Vater räusperte sich. „Wir können es uns nicht leisten, dein Studium zu bezahlen. Es tut mir leid.”
„Was?” Ich dachte, ich hätte mich verhört. „Warum nicht?”
„Durch die Scheidung sinkt unser Familienstand auf G. Wir werden nicht genug Geld haben, um dich zur Universität zu schicken, wir können dich nur mit dem Notwendigsten versorgen. Du wirst dir Arbeit suchen müssen, Sohn.”
Arbeiten? Ohne Ausbildung? Was sollte
ich denn ihrer Meinung nach tun? Aber sie hatten doch für mein Studium gespart! Oder ...?
„Und was ist mit dem Geld, das ihr für mein Studium zurückgelegt habt?”, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort schon denken konnte.
„Hör dir das an!”, rief meine Mutter bissig und sah meinen Vater an. „Was glaubst du, wovon wir die ganze Zeit gelebt haben, Alex? Wir haben schon lange kein gutes Projekt mehr gehabt!”
Hilflos blickte ich zu meinem Vater, aber er rieb sich das Kinn und vermied es, mich anzusehen, während meine Mutter fortfuhr: „Unser Einkommen wird gerade reichen, um davon zu leben. Du bist bald erwachsen, Alex, du wirst lernen müssen, für dich selbst zu sorgen.”
Ich hörte weder ihr noch meinem Vater zu, der nur leere Worte äußerte. Nur ein einziger Gedanke ging mir im Kopf herum. Kein Weltraum? Ich explodierte vor Zorn.
„Das ist nicht fair!”, schrie ich. „Ihr könnt euch nicht scheiden lassen! Sicher, ihr streitet euch ab und zu. Na und? Bei allen Paaren gibt es manchmal Streit, das heißt aber nicht, dass sie sich alle scheiden lassen!”
Mein Gesicht verzerrte sich. Ich drehte mich weg, weil ich vor meinen Eltern nicht wie ein Baby in Tränen ausbrechen wollte.
„Es tut mir leid, Sohn, aber unsere Entscheidung steht fest”, hörte ich meinen Vater wie aus der Ferne. „Wenn du älter bist, wirst du
es verstehen.”
Als ob er meine Stimmung gespürt hätte, rieb unser Katzenhund Duda seinen Kopf an meinem Bein und miaute. Mechanisch nahm ich ihn hoch und ging in mein Zimmer. Ich vergrub den Kopf in einem Kissen und ließ meinen Tränen erst dann freien Lauf.
Keine Arbeit ohne Hochschulbildung. Keine Bildung ohne Geld. Mein Einkommen würde nur für eine Wohnung von der Größe eines Schuhkartons in einem Gebäude für arme Klasse-L-Leute ausreichen, und alles, was ich zu essen haben würde, wäre die fade, universelle Nährstoffmischung.
War Disgardium
am Ende das Einzige, was mir blieb?