Kapitel 17: Crusher
ICH RANNTE DURCH
die Dunkelheit in den Wald. Mir brach der kalte Schweiß aus. Es würde 17 Minuten dauern, bis meine Gesundheit vollständig wiederhergestellt wäre. Die Dementoren durften mich vorher nicht erreichen, sonst wäre alles umsonst gewesen. Sie würden mich zusammenschlagen, mich als Gefahr identifizieren und erledigen. Das würde ihnen besondere Freude bereiten.
Eine potenzielle Gefahr der Klasse L war kein kleiner Klasse-Z-Nekromant mit Y-Potenzial. Wenn Ed und seine Freunde jemanden wie mich ausschalten würden, würden sie mit Boni überschüttet, von denen sie nur träumen konnten. Es wäre einfach für sie, mich einzuholen, wenn die Priesterin ihnen einen Buff auf Bewegungsgeschwindigkeit geben würde. Ich konnte nur hoffen, dass sie durch irgendetwas aufgehalten würden.
Tote Baumstämme flogen vorbei, ihre vertrockneten Äste stachen Löcher in meine Haut. Endlich erreichte ich den tiefen Graben, in dem die roten Kakerlaken lebten, und legte mich auf den Boden. Zu meiner Erleichterung war ich auf dem
ganzen Weg in keinen einzigen Aggro-Radius eines Mobs geraten, und meine Gesundheit regenerierte sich nach und nach: 72 % ... 81 % ... 97 % ...
Mein Herz, das mir bis zum Hals geschlagen hatte, beruhigte sich langsam. Schließlich riskierte ich es, einen Blick aus dem Graben zu werfen, doch ich zog meinen Kopf sofort wieder zurück. Die Dementoren! Sie hatten mich gesehen. Mein Blut brodelte, Unmengen von Adrenalin flossen durch meinen realen Körper. 100 %!
Fluch der Untoten wurde entfernt.
Nach ein paar weiteren Herzschlägen sah mein Körper wieder normal aus. Die Geschwüre und eiternden Wunden waren verschwunden, meine Muskeln füllten sich mit Blut und mein Fleisch war von sauberer, gesunder Haut bedeckt.
„Scyth?” Crawler erschien am Rand der Schlucht. „Versteckst du dich vor uns?”
Die anderen tauchten hinter ihm auf. Tissa schüttelte den Kopf. Infect schnaubte. Bomber senkte sein schweres Schild, stützte sich darauf und fragte: „Sheppard, bist du völlig verrückt geworden? Warum bist du in den Düsterwald gekommen?”
„Gute Frage”, sagte Tissa. „Ich dachte, dir wäre eine bessere Idee zum Leveln eingefallen, als hierherzukommen.”
Ich stand auf und kletterte hoch. Crawler reichte mir die Hand und zog mich heraus.
„Danke.
”
Er nickte, ohne seinen Blick von mir abzuwenden, und wartete auf eine Antwort.
Ich wischte den klebrigen Lehm ab und betrachtete mich aus der Perspektive meines Gegenübers. Ich trug nur Unterwäsche, war unbewaffnet und auf Level 3. Sie hatten recht, ich sah aus wie ein Idiot.
„Ich habe auf der anderen Seite des Tremitelles gelevelt”, begann ich ruhig. „Dann haben einige Ganker mich überrascht, und ich bin weggerannt. Ich bin in den Fluss gefallen, und er hat mich zu dieser Seite gebracht. Ich dachte mir, es könnte nicht schaden, mich mal umzusehen. Darum bin ich in den Wald gegangen.”
„Wie hast du es geschafft, an den Steingreifern vorbeizukommen?”, erkundigte sich Bomber erstaunt.
„Äh, was sind Steingreifer?”, fragte ich.
„Sie haben dich nicht angegriffen? Du hast großes Glück gehabt, Sheppard. Es sind kleine Fische, die Piranhas ähneln. Sie können einen Charakter innerhalb von Sekunden auffressen.”
„Klingt, als ob ich wirklich Glück hatte. Aber ich hatte noch mal Glück. Ich habe in der Entfernung einen Boss gesehen. Einen riesigen Wolf ...”
„Crusher”, nickte Crawler. „Wo genau hast du ihn gesehen?”
„An diesem Graben. Dann ist er verschwunden, und ich habe mich da unten versteckt. Nach einer Weile bin ich durch den Wald gegangen, habe die Fertigkeit Tarnung
erhalten und
dachte, der Graben wäre ein guter Ort, um sie zu leveln. Ich bin auch etwas herumgekrochen, bis die Ratte mich angegriffen hat.”
„Verstehe”, entgegnete Crawler. „Und was hast du jetzt vor?”
„Ich will in die Stadt zurückkehren. Seid ihr auf dem Weg dorthin?”
„Nein, wir sind auf der Suche nach Crusher.”
Ich sah zu Tissa hinüber. Sie nickte kurz. Das bedeutete, dass sie sich vertragen hatten und es noch einmal versuchen wollten, dieses Mal ohne Noobs.
„Seid ihr irgendwie besessen von ihm?”
„Er ist der neue Boss. Wir wollen Erster Kill
erhalten”, erklärte Crawler widerwillig.
„Ein Achievement? Verstehe. Na gut, danke für die Hilfe. Ich mache mich jetzt auf den Weg. Wir sehen uns in der Schule.”
Ich ging auf den Fluss zu, doch bevor ich das Ufer erreicht hatte, rief Crawler: „He, Scyth! Du willst es auf die harte Tour versuchen, was? Stirb einfach, dann bist du wieder auf dem Friedhof, wo du hingehörst. Du hast doch nichts zu verlieren, oder?”
„Stimmt”, erwiderte ich, „aber ich will es allein schaffen.”
Verdammt! Ich hatte die Steingreifer vergessen! Sie würden mich auffressen, und ich würde vor den Augen der Dementoren an der gleichen Stelle respawnen. Verdammt, ich hatte so viele Gegenstände in meiner Tasche!
„Bist du sicher?”, fragte
Crawler.
Seine Hand leuchtete auf. Eine Flamme flackerte in seiner Faust, wurde größer und füllte sich mit Plasma. „Ich könnte dir helfen. Es wird gar nicht wehtun.” Er lachte, hob die Hand und schloss sie.
Ich sah es bereits förmlich vor mir: Meine blaue
Beute würde droppen, ich würde respawnen, Tissas Augen würden vor Erstaunen und Freude groß werden, Ed würde eins und eins zusammenzählen und merken, dass etwas nicht stimmte ...
„Warte! Töte mich nicht. Ich will nicht getötet werden.”
„Warum nicht, Scyth?”, mischte Tissa sich ein. „Du wirst sowieso nicht überleben. Im Fluss wimmelt es vor Steingreifern.”
Ich warf einen Blick auf das Wasser, dessen Oberfläche schäumte. Die kleinen Fische mit ihren großen Zähnen waren wie im Rausch. Sie konnten uns sehen und sprangen aufgeregt aus dem Wasser, als ob sie es kaum erwarten könnten, mich aufzufressen.
Bei der Erinnerung an Hunderte scharfzahniger Mäuler, die mir Fleischstücke aus dem Körper herausgerissen hatten, erschauderte ich. Es hatte sich angefühlt, als ob man mich über einen Käsehobel gezogen hätte. Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Trotzdem durfte ich mich nicht von den Dementoren töten lassen, denn dadurch würde ich mich selbst verraten.
„Ich habe nein gesagt!”, schnappte
ich zurück.
„Nein?”
„Nein. Was ist denn daran so schwer zu verstehen, Rodriguez?”
Anders als sonst belehrte Ed mich nicht, dass wir uns in Dis
befänden und er hier Crawler wäre. Stattdessen schwieg er nachdenklich und kam näher. In seiner Hand befand sich kein Feuerball mehr, er hatte den Zauber aufgehoben.
„Irgendetwas stimmt hier nicht, Scyth. Ich weiß, dass du schlau bist und dich um dich um deine eigenen Sachen kümmerst. Es ist zu deinem Besten, wenn ich dich töte. Du sparst eine Menge Zeit und verlierst nichts, denn du trägst keine Ausrüstung und deine Erfahrung bleibt die gleiche. Außerdem musst du nicht herausfinden, wie sich die Bisse der Steingreifer anfühlen. Ich bin derjenige, der 1 Ansehenspunkt bei der Stadt verliert, ich habe den Nachteil. Ich will dir einen Gefallen tun und du lehnst ab? Das ist merkwürdig.”
„Bist du ein Sadist? Oder ein Pyromane? Hast du schon mal versucht, dich selbst zu verbrennen?”, rief ich.
„Ein Pyro... was?” Ed runzelte die Stirn. „Verbrennen? Was meinst du mit ‚Verbrennen‘? Du stirbst sofort. Du bist so schwach, dass mein Feuerball dich innerhalb von 1 Sekunde erledigen wird. Die Steingreifer werden sich sicher mehr Zeit lassen. Ich kann nicht verstehen, warum du meine Hilfe ablehnst.”
„Lass ihn in Ruhe, Crawler.” Tissa kam zu mir herüber. „Vielleicht hat er Angst vor Feuer. Stimmt‘
s, Alex? Du leidest unter Pyrophobie, richtig? Willst du, dass ich dich töte? Es ist wie Magie. Ich könnte Nergals Hand
auf dich wirken. Ruckzuck erledigt.”
Malik und Hung kamen herüber, als sie unsere angeregte Unterhaltung bemerkten, und hatten nun ebenfalls Vorschläge, wie sie mich töten könnten. Eine war schlimmer als die andere.
„Wie wäre es, wenn ich dir einfach den Kopf abschlagen würde, Scyth? Du wirst kein bisschen davon spüren”, schlug Bomber vor.
„Hört euch das an! Und was ist mit mir?”, beschwerte sich Infect. „Ich könnte dir die Kehle durchschneiden oder dir zuerst das Rückgrat brechen. Dann hast du keine Schmerzen mehr!”
„Einen Lichtpfeil
ins Auge!”
„Eine Feuerwand
ist besser, damit er seine Meinung nicht ändern und weglaufen kann.”
Die Dementoren hatten großen Spaß, jeden Vorschlag zu diskutieren und darüber zu lachen. Bomber musste so lachen, dass er in den Graben fiel und Infect mit sich zog. Das löste einen neuen Lachanfall aus. Diese Dummköpfe. Sicher, viele Jungen waren nun mal so, aber Tissa fand es so witzig, dass ihr vor Lachen Tränen in die Augen traten.
Zur Hölle mit diesen Idioten. Ich hätte mir keine bessere Gelegenheit denken können, um das Spiel zu verlassen. Ich öffnete das Befehlsmenü und blickte auf die Taste „Beenden”.
Du kannst
Disgardium
nicht beenden, während du dich im Kampfmodus befindest.
Um das Spiel zu beenden, verlasse den Kampfmodus oder aktiviere Notausstieg, indem du den Befehl in deiner Immersionskapsel oder auf deinem Interface benutzt. Der Kampf wird als verloren und dein Charakter als tot betrachtet!
Während ich verwirrt die Meldung las, hatte das Gelächter abrupt aufgehört. Crawler schrie: „Crusher ist hier! Bomb, komm hoch! Tissa, buffe uns! Danach wirke die gesamte Heilung auf den Tank! Infect, Staub!”
Die gut organisierte Gruppe wusste auch ohne seine Befehle, was zu tun war. Doch Bomber brauchte zu viel Zeit, um aus dem Graben zu klettern, und das machte Crawlers Plan einen Strich durch die Rechnung.
Der monströse, schwarze Wolf stürzte sich auf den Spieler, der ihm am Nächsten war: Tissa. Sie erstarrte zwischen seinen Kiefern wie eine leblose Puppe. Crusher schüttelte den Kopf hin und her, sodass die Priesterin 10 % ihrer Gesundheit verlor.
Infect rettete sie. Der Dieb setzte eine Klassenfähigkeit ein und warf dem Boss eine Handvoll verzauberten Staub in die Augen. Blut strömte heraus, Crusher öffnete die Kiefer und winselte wie ein kleiner Hund, während er sich mit den Pfoten immer wieder über die
Schnauze fuhr.
Tissa stellte sich hinter ihre Freunde, heilte sich und buffte die Gruppe. Die Körper der Dementoren wurden von Lichtblitzen eingehüllt, und bei ihren Namen erschienen die Symbole für Regeneration, Lichtschutzschild und einen Bewegungsgeschwindigkeitsbonus.
Bomber stand bereits an der Schnauze des Bosses und begann, durch sein Schild geschützt, mit seinem Schwert Aggro zu generieren. Infect drückte sich eng gegen Crusher und spielte mit der Geschwindigkeit einer Nähmaschine Locher. Seine Dolche flackerten in der Luft und ließen Gift auf den Boss tropfen. Crawler startete mehrere Feuerbälle, angefangen mit zahlreichen, schnellen Bolzen bis hin zu kleinen Brandkugeln, die Verwesungsschaden über Zeit verursachten.
Es passierte alles so schnell, dass ich bewegungslos zusah und völlig vergaß, was ich hatte tun wollen. Und das war, wegzulaufen. Dieser Moment wäre der beste Zeitpunkt gewesen, doch ich blieb. Das Geschick und die Genauigkeit meiner Klassenkameraden imponierten mir, sodass ich weiter zusah. Besonders beeindruckt war ich von Tissa. Sie wirkte zielsichere Zauber und heilte Bomber oder Infect, wenn er von einem Prankenhieb
angegriffen wurde – die Fähigkeit des Bosses, alle Nahkämpfer zu treffen. Außerdem verursachte sie während der ganzen Zeit Schaden, indem sie Nergals Hand
einsetzte.
Die Dementoren hatten die Gesundheit des
Wolfes auf die Hälfte reduziert, als er ein Geheul anstimmte und sein Rudel beschwor. Neben ihm tauchten aus dem Nichts 5 Level-14-Elitewölfe auf.
„Ich kümmere mich um sie!”, rief Bomber. Während der Krieger Aggro generierte, stach er sein Schwert in den Boden, sodass eine Vibration entstand, die sogar meine Gesundheitspunkte reduzierte. Alle Mobs stürzten sich auf ihn. Tissa biss sich auf die Lippe und konzentrierte sich nur auf den Tank. Ein heilender, grüner Lichtblitz kam aus ihrer ausgestreckten Hand und erreichte Hung.
„Schwerpunkt auf Feuer!”, kommandierte Crawler.
Es war das erste Mal, dass ich ihn in dieser Rolle sah. Er war ruhig, selbstsicher und wusste, was zu tun war. Er warf einen flammenden Bolzen auf einen der beschworenen Wölfe. Der Wolf fing Feuer, und Infect und Bomber schalteten ihn in Sekundenschnelle aus.
„Der nächste!”, rief Crawler und warf einen Feuerball.
Auf diese Weise räumten sie alle Adds aus dem Weg und konzentrierten sich dann wieder auf den Alphawolf. Crushers Gesundheitspunkte sanken kontinuierlich.
Während Tissa einen Manatrank trank, bemerkte sie mich. Sie warf das leere Fläschchen weg und rief: „Alex, du Idiot! Verdammt noch mal, lauf weg! Schnell!”
Also rannte ich. Wir rannten alle, denn
Crusher ließ sein schreckenerregendes Geheul hören, das uns mit dem Angsteffekt belegte, einer weiteren Fähigkeit des Bosses. Unser Verstand wusste zwar, was vor sich ging, doch unsere Körper rannten panisch davon. Ich verlor vollkommen die Kontrolle. Zuerst konnte ich kein Wort herausbringen, mein Körper handelte von allein. Dann riss ich den Mund auf und stieß einen gellenden Schrei aus. Meine Haare stellten sich auf. Infect und Tissa heulten vor Angst. Crawler war völlig neben der Spur und war in den Graben gefallen.
In den 10 Sekunden, die die Fähigkeit des Bosses andauerte, war ich bis zu den Knien in den Fluss gelaufen. Die Steingreifer schwammen um mich herum und hatten meine Gesundheit bereits um ein Drittel reduziert. Schnell rannte ich wieder heraus. An Land erwartete mich ein trauriges Szenario.
Ohne Tissas Heilung war Bomber von Crusher totgebissen worden. Der Körper des Tanks lag da und verschwand nicht. Offensichtlich hoffte Hung, dass die Priesterin ihn respawnen lassen würde.
Der Wolf sprang in den Graben. Gleich darauf hörte ich Crawler schreien. Die Kleidung eines Magiers war schließlich keine Plattenrüstung eines Kriegers, sie bot keinen Schutz.
Als Nächstes kam Tissa an die Reihe. Der Wolf schlitzte mit seinen riesigen Krallen ihre Brust auf und landete einen Prankenhieb
. Tissa wurde in Stücke gerissen.
Infect versuchte, zu entkommen, indem er sich
mit einer Rauchwand umgab, doch er hatte nicht mit dem Geruchssinn des Wolfes gerechnet. Crusher zog ihn aus der Unsichtbarkeit heraus, hielt ihn mit seinen Pfoten am Boden fest und riss ihm mit der Schnauze den Kopf ab. Danach drehte er sich zu mir um.
Ohne große Hoffnung aktivierte ich Steinhaut
und machte mich bereit, eine Hammerfaust
einzusetzen. Es war sinnlos, wegzulaufen, aber vielleicht würde ich seine grässliche, scharfzahnige Schnauze auf diese Weise wenigstens einmal treffen können.
Im nächsten Augenblick machte der Wolf einen Sprung, landete neben mir und warf mich zu Boden. Seine grauenhaften Reißzähne ergriffen mich beim Kopf und seine Kiefer schlossen sich. Mein Lebensbalken sank sofort auf null. Ich respawnte sofort, doch starb erneut.
Dieses Mal reichten nur 4 Tode aus.
Du trägst das Mal der Vernichtenden Seuche und bist tödlichem Schaden entgangen!
Du hast Fluch der Untoten erhalten: Dein gesamter erlittener Schaden wird um 100 % reduziert!
Der Fluch bleibt aktiv, bis deine Gesundheit vollständig wiederhergestellt ist.
Mal der Vernichtenden Seuche hat sich verbessert: +
1
Chance, Fluch der Untoten zu erhalten: 3 %
Derzeitiges Level: 3
Mit einer Hammerfaust
schlug ich Crusher einen seiner Reißzähne aus. Plötzlich musste ich grinsen, als ich mir vorstellte, wie Crawler sich auf dem Friedhof von Tristad gerade suchend nach mir umsehen würde und überrascht wäre, dass er den verfluchten Streber Alex Sheppard nicht finden konnte.