Kapitel 18: Lizenz des Abgesandten
DIE BENACHRICHTIGUNG ÜBER eine neue Nachricht piepte. Am Rand meines Blickfelds blinkte Tissas Symbol.
Die Spielerin Tissa (Melissa Schäfer) möchte dich als Freund hinzufügen. Akzeptierst du?
In den Privatsphäre-Einstellungen kannst du die Stufe des Informationszugriffs von Freunden im Hinblick auf deinen Charakter festlegen.
Erst nachdem ich die höchste Sicherheitsstufe gewählt hatte, sodass nicht einmal mein Online-Status oder meine Position auf der Karte angezeigt wurde, akzeptierte ich Tissa als Freundin. Inzwischen versuchte ich, den Wolf abzuwehren, doch es war umsonst. Er war etwa eine Tonne schwer, und ich hatte nur 2 Stärkepunkte. Seine stinkende Spucke tropfte mir ins Gesicht, während er wild knurrend an mir herumnagte, als ob ich ein Knochen wäre. Wütend biss ich ihn ebenfalls.
Der Wolf drückte mich mit seiner Pranke zu Boden, packte meinen Kopf mit seinen Zähnen und schüttelte ihn, um ihn mir abzureißen, doch mein Hals brach nicht. Schaden wurde zwar nicht angezeigt, aber ich konnte mich auch nicht bewegen. Ich schlug mit den Fäusten um mich und schwang eine Hammerfaust , sobald ich genügend Mana hatte. Die Spezialfähigkeit entzog Bossen viel weniger Gesundheit als normalen Mobs, selbst wenn es ein kritischer Treffer war, wobei normale Schläge kaum durch die dicke Haut des Bosses drangen.
Du hast Crusher Schaden zugefügt: 19
Tissa schrieb mir eine persönliche Nachricht und fragte, wo ich wäre. Ich antwortete, dass ich im Wald vor dem Wolf weglaufen würde. Sie warnte mich, dass sie ihre Ersatzkleidung anziehen und in 40 Minuten zurückkehren würden. Sie hatte einige Ausrüstungsteile gedroppt, und Crawler regte sich offenbar schwer darüber auf, dass er seinen epischen Umhang verloren hatte. Die Dropchance war nur 10 % gewesen, doch er hatte ihn trotzdem fallen lassen.
Ich sagte ihr, dass sie sich nicht zu beeilen bräuchten, weil ich auf einen Baum geklettert wäre. Der Wolf würde versuchen, an mich heranzukommen, aber ihre wertvollen Gegenstände einschließlich Crawlers epischen Umhangs lägen an der Stelle, an der sie sie verloren hätten. Tissa gab Eds Grüße verbunden mit wilden Drohungen an mich weiter. Aber ich verstand ihn – oder genauer gesagt, jetzt verstand ich ihn. Episch war episch. Wenn Crag bereit gewesen war, mich wegen eines blauen , ziemlich niedrigleveligen Gegenstands in die Pfanne zu hauen, musste lilafarbene Ausrüstung unglaublich viel wert sein. Die Chance, einen solchen Gegenstand in der Sandbox zu bekommen, war sicher verschwindend gering gewesen.
Du hast Crusher Schaden zugefügt: 1
Verfehlt!
Verfehlt!
Du hast Crusher Schaden zugefügt: 14
Verfehlt!
Verfehlt!
Verfehlt!
Du hast Crusher Schaden zugefügt: 2
Verfehlt!
Das war der Verlauf meines Kampfes gegen den Boss. Statt Angst einzusetzen oder sein Rudel herbeizurufen, nagte er systematisch an mir herum, knurrte und versuchte, Fleischstücke herauszureißen. Zum Glück wurde er nicht von einer Person gesteuert wie Dargo, sonst hätte er bemerkt, dass etwas nicht stimmte, und vielleicht aufgegeben oder an den technischen Support geschrieben. Haha.
Immer wieder schlug ich mit den Fäusten zu, und der Lebensbalken des Wolfes sank langsam aber sicher. 10 Minuten später hatte er keine Gesundheit mehr. Als nur noch ein Zehntel des letzten Prozents seines Lebens übrig war, verlor er das Interesse, begann zu winseln und lief weg. Ich hatte die Spucke des Wolfes in den Augen, und das Mondlicht ließ die Bäume lange Schatten werfen, sodass es einen Moment dauerte, bis ich bemerkte, dass ich allein auf der Waldwiese war. Ich sprang auf. ‚Keine Chance, mein Lieber‘, dachte ich. ‚Du entkommst mir nicht!‘
Crusher schleppte sich durch ein Gebüsch. Vor ihm befand sich ein toter Baum. Er steckte seine Schnauze in den hohlen Baumstumpf, als ob er blind wäre. Er erinnerte mich an Duda im Schäferhund-Modus, wenn die Batterien leer waren, und für einen Moment tat er mir leid. Der allmächtige und bisher unbesiegte König des Waldes war nun gezwungen, vor einem Level-3-Noob davonzulaufen.
Ich hatte jedoch keine Zeit zu verlieren. Der Kampfmodus war noch aktiv, und ich musste den Fluch loswerden oder mich in einiger Entfernung verstecken, bevor die Dementoren zurückkamen. Ich hatte mich noch nicht entschieden.
Ich ging um den Wolf herum und packte ihn bei seiner furchterregenden, haarigen Schnauze. Er versuchte vergeblich, sich zu befreien. Seine riesigen, wässrigen Augen blinzelten, und seine Zunge hing ihm aus dem Mund. Er erhob eine Pfote und setzte sie mir auf die Brust. Seine enorm großen Krallen hinterließen Kratzer und rissen Hautfetzen und Fleisch mit sich, doch sie verursachten keinen Schaden, es war nur ein visueller Effekt. Dann blieben sie an einer Rippe hängen. Sie brach zwar nicht, aber meine Beine knickten unter dem Gewicht ein. Gleich darauf leckte er mir das Gesicht. Was?
Ich nickte, kraulte den Wolf hinter dem Ohr ... und schlug ihm mit einer Hammerfaust auf seine feuchte, schwarze, tellergroße Nase. Mein Sichtfeld füllte sich mit Systemmeldungen, doch bevor ich sie las, öffnete ich meine Tasche, holte einige der billigsten grünen Gegenstände heraus und warf sie auf den Boden, um Platz für die Beute von Crusher zu machen.
Du hast Crusher kritischen Schaden zugefügt: 47!
Crusher ist tot.
Erhaltene Erfahrungspunkte: 500
Erfahrungspunkte auf derzeitigem Level (4): 310/2100
Du hast Level 4 erreicht!
5 freie Attributpunkte verfügbar.
Freigeschaltetes Achievement: Erster Kill: Crusher
Von allen Spielern deiner Sandbox warst du der erste, der diesen lokalen Boss getötet hat. Der gigantische Level-15-Wolf Crusher war einst das Alphatier des Wolfsrudels im Düsterwald. Als Welpe wurde er vom Atem eines Schlafenden Gottes berührt. Nach und nach wurde sein Urteilsvermö gen getrübt, bis er eines Tages sein gesamtes Rudel tötete, einschließlich seiner eigenen Welpen. Dadurch erhielt er neue Kräfte: Die Fähigkeit, sein ehemaliges Rudel zu beschwören, und Grässliches Geheul, das die Herzen seiner Feinde mit Angst erfüllt.
Nun hat Crusher durch dich die ewige Ruhe gefunden, doch bevor ihn das Zeitliche gesegnet hat, hat er etwas von seiner Macht auf dich übertragen.
Belohnung: Aktive Fertigkeit ‚Grässliches Geheul‘
Grässliches Geheul
Aktive Fertigkeit
Derzeitiges Level: 1
Wenn du das Geheul anstimmst, bekommen deine Feinde große Angst. Das Blut erstarrt in ihren Adern, das Herz rutscht ihnen in die Hose, die Haare stellen sich ihnen auf und sie laufen panisch davon.
Diese Fähigkeit wirkt bei allen Feinden, doch je höher ihr Level ist, desto höher ist ihre Chance, sie ignorieren zu können.
Dauer: 10 Sekunden
Aktiver Radius: 10 Meter
Hoch lebe der Held!
Möchtest du deinen Namen veröffentlichen? Du erhältst dafür +100 Ansehen bei der Stadt Tristad und +5 Ruhm.
Auf keinen Fall! Egal, wie sehr ich auf einfache Weise Ansehen bei der Stadt bekommen wollte, die unerwünschte Aufmerksamkeit war nicht erstrebenswert. Nein. Ich lehnte das Privileg ab.
Achtung, alle Spieler der Sandbox!
Einem anonymen Spieler ist der Erste Kill des Düsterwald-Bosses Crusher gelungen! Einwohner und Besucher von Tristad, Hut ab vor einem anonymen Spieler ! Hoch lebe der Held! Hoch lebe ein anonymer Spieler !
Nicht einmal 1 Sekunde war vergangen, als ich Freundschaftsanfragen von Crawler, Bomber und Infect erhielt. Mehrere Nachrichten von Tissa kamen herein.
„Was zum Teufel ...?”
„Wie hast du das geschafft?”
„Sag mir, dass du es nicht warst!”
„Streich das und sag mir, dass du es warst!”
„Wir sind gleich da!”
Ich akzeptierte die Freundschaftsanfragen der Jungs. Nach Tissas Flut von Nachrichten folgten nun die ersten von den anderen Dementoren.
„Was ist gedroppt?”, schrieb Crawler. „Verdammt, Scyth, was zur Hölle ...?”
„Die Loot gehört uns!”, verkündete Bomber anmaßend und fügte noch einige Drohungen hinzu. „Sheppard, ich erwürge dich! Ich reiße dir den Kopf ab! Ich ertränke dich im Schulklo! Ich mach dich fertig!”
„Wie zum Teufel ist das möglich, Scyth?”, meldete sich Crawler erneut.
„Unternimm nichts, bevor wir da sind!”, befahl Infect. „Bewache den Umhang! Sammle die Beute ein und versteck dich! Lauf weg! Beweg dich nicht von der Stelle oder, noch besser, stirb einfach. Ein epischer Gegenstand? Ein epischer! Mach schon, antworte! Ich breche dir das Genick!”
Während ich die chaotischen Nachrichten las, stellte ich mir vor, wie schockiert und konfus die Dementoren sein mussten. Sie hatten ein gemeinsames Ziel und zogen nicht einmal in Betracht, dass ich meine eigenen Pläne haben könnte. Sie dachten, dass ihre höheren Levels ihnen das Recht gaben, mir Befehle erteilen zu können. Ihr Verhalten erinnerte mich an die Situation hinsichtlich des Staatsbürgerschaftsstatus‘ in der realen Welt.
Naja, sie würden schnell herausfinden, dass sie falsch lagen. Ich wollte die Beute gar nicht unbedingt für mich behalten, aber der Ton, in dem sie mit mir gesprochen hatten, verärgerte mich. Sie hätten etwas Respekt zeigen können. Ich war schließlich ein Held! Erster Kill ! Ich grinste sarkastisch.
Schnell machte ich mich auf den Weg, denn ich musste von hier verschwinden. Hinter einem Baum glühten zwei grüne Augen. Ich war nicht sicher, was es sein könnte.
Noch während ich flussaufwärts lief, verteilte ich die Attributpunkte vom Leveln auf Ausdauer und Stärke. Ich ignorierte Ed und seine Freunde und antwortete nur Tissa: „Ich habe eure Gegenstände und die Loot vom Boss nicht angerührt. Die Sachen sind grün . Es ist hier nicht sicher für mich, darum habe ich mich aus dem Staub gemacht.”
In 3 Minuten würde der Fluch deaktiviert werden, darum sprang ich in den Fluss und schwamm mit langen Zügen zum anderen Ufer. Die Steingreifer, die das Wasser schäumen ließen, bemerkte ich nicht einmal. Ich erhielt die Fertigkeit Schwimmen, die mir half, das andere Ufer noch schneller zu erreichen.
Von da an musste ich sehr vorsichtig sein. Fluch der Untoten war nicht mehr aktiv, und ich wollte Kämpfe vermeiden, um die Sachen in meiner Tasche nicht zu riskieren. Vorsichtig kroch ich vorwärts, starrte in die Dunkelheit, bis meine Augen schmerzten, und wich allen Mobs aus. Dadurch levelte ich Tarnung und Nachtsicht um je 3 Punkte.
Als ich aus dem Wald trat, konnte ich die Lichter von Tristad sehen. An den Stadtmauern patrouillierten Wachen, die Fackeln in den Händen hielten. Ich war fast am Ziel. Ich wollte in die Stadt gehen, die Gegenstände in meine Truhe packen und mich etwas ausruhen. Ich war erfolgreich gewesen. Außer den blauen Sachen und 30 zerstü ckelten Monstern hatte ich die Beutestücke von Crusher in meiner Tasche.
Medaillon mit dem Porträt eines Mädchens
Einzigartiger Questgegenstand
Offenbar haben sehr kräftige Kiefer auf diesem glanzlosen, schäbigen Medaillon herumgebissen. Es enthält das Porträt eines lächelnden jungen Mädchens, das vor vielen Jahren in Tristad lebte. Derjenige, der sie einst geliebt hat, kann sich kaum mehr an ihr Gesicht erinnern.
Es gibt jemanden, der dieses Medaillon kennt. Finde ihn.
Es war ein Questgegenstand, aber es gab keine Informationen über Belohnungen, und ich hatte die dazugehörige Quest nicht erhalten. Meine Erfahrung sagte mir jedoch, dass es bei einem einzigartigen Questgegenstand, den ein Boss gedroppt hatte, nicht darum gehen konnte, für 1 Kupfermünze oder 1 Erfahrungspunkt 5 gestohlene Kronleuchter von Kobolden zurückzuholen. Ich würde dieses Medaillon auf keinen Fall weggeben.
Und jeder Spieler in der Sandbox würde seine Seele für den Gegenstand verkaufen, der den letzten Platz in meiner Tasche füllte.
Beschwörungspfeife
Legendär
Einzigartiger Gegenstand
Einmaliger Gebrauch
Wenn aktiviert, beschwört die Pfeife dauerhaft ein Reittier: Legendärer Geisterwolf
Erforderliches Level: 40
Die Straße, die zur Stadt führte, war verlassen. So beliebt dieses Spiel auch war, zu dieser Zeit waren alle Spieler aus der Sandbox im Bett, da am nächsten Tag Schule war.. Unter der Woche war es nicht ratsam, nachts in Dis zu sein. Jeder Schüler erhielt nur drei Entschuldigungen pro Semester. Für alle weiteren Fehlzeiten wurden Strafpunkte beim Staatsbürgerschaftstest abgezogen. Es stand außer Frage, was wichtiger war: Dis war immer verfügbar, doch die Chance, gute Noten zu bekommen, gab es nur einmal im Leben.
Ich überprüfte, ob die Straße frei war, und ging schnell auf das Stadttor zu. Es waren nur noch 50 Meter, als der Alarm klingelte. Ein Feind war in der Nähe! Ich warf einen Blick auf die Minikarte und entdeckte drei rote Punkte. Crag, Vista und Rashidos näherten sich aus drei verschiedenen Richtungen und schnitten mir den Weg in die Stadt ab.
Verflucht! Meine erste Reaktion war Beunruhigung, doch ich hatte mich schnell wieder gefasst. Meine Ausrüstung bestand aus digitalen Gegenständen, es waren nur Teile des Binärcodes. Auf Level 20 würde ich diesem alten Zeug keinerlei Beachtung schenken. Sicher, es wäre schade, das Reittier zu verlieren, aber vielleicht würde ich spä ter ein noch wertvolleres als dieses blaue finden. Den Inhalt meines Inventars loszuwerden, wäre zwar ärgerlich, doch zu verhindern, als Gefahr enttarnt zu werden, war weitaus wichtiger.
Crag kam auf mich zu und erhob seine Hand als Zeichen seiner friedlichen Absicht. Seine Komplizen standen mit gezogenen Waffen neben mir.
„Scyth, alter Freund, ich habe dich vermisst! Wir warten schon lange auf dich. Wir haben gestern und heute die ganze Stadt durchsucht und sogar deine Eltern gefragt, um sicherzugehen, dass du auch in Dis bist.” Der Krieger gluckste. „Wundere dich nicht, wenn deine Mutter deinen neuen Freund Tobias erwähnt. Man weiß ja nie, vielleicht fragt sie ja nach mir.”
„Mach ihn kalt, Toby!”, rief Vista. Warum verhielt sie sich so blutdurstig? War sie immer noch wütend wegen des zerrissenen Kleides? Oder hatte sie Geschmack daran gefunden, leichtes Geld zu verdienen?
„Beruhige dich, Schätzchen.” Crag sah sie unzufrieden an. „Warum sollen wir ihn sofort töten? Damit wir später in der Sandbox hinter ihm her jagen müssen? Er wird uns geben, was wir haben wollen, nicht wahr, kleiner Scythy?”
„Natürlich, Crag”, nickte ich. „Ich gebe es zu, du hast gewonnen. Das Sterben tut ziemlich weh. Ich habe die letzten beiden Tage im Wald verbracht, um dir aus dem Weg zu gehen, aber es war offensichtlich umsonst. Fliehen zu wollen, ist sinnlos. Lass uns zusammen ins Gasthaus gehen. Ich hole den blauen Gürtel aus meiner Truhe und gebe ihn dir.”
„Guter Junge”, erwiderte der Krieger. Er lächelte breit, aber seine Augen blieben kalt. Er richtete sein Schwert auf mich und ließ es ein paarmal vor mir durch die Luft sausen. „Ich will nicht unhöflich sein, es ist nur die Rache dafür, dass du uns so lange hast warten lassen. Wir sehen uns beim Gasthaus.”
Mit diesen Worten erhob er sein Schwert.