Kapitel 34: Raus aus dem Feuer!
AUF DEM RÜCKWEG
von Cali Bottom hatte ich das Auto gestern eine Weile auf Autopilot eingestellt, um alle möglichen Informationen über Dis
herausfinden zu können. Es war übereilt gewesen, mich kopfüber in dieses Spiel zu stürzen und zu hoffen, erfolgreich zu sein, ohne so viel wie möglich darüber zu wissen. Als ich in meine Kapsel gestiegen war, um zum ersten Mal ernsthaft zu spielen, war ich wegen der Scheidung meiner Eltern aufgebracht gewesen. Dann hatte der Erste Stadtrat Whiteacre mir eine großartige Quest gegeben, die ich um jeden Preis hatte abschließen müssen, und ich war vom Strudel der Ereignisse erfasst worden.
Also hatte ich beschlossen, jede freie Minute außerhalb von Dis
darauf zu verwenden, meine Wissenslücken zu füllen. Dabei war ich auf einige interessante Punkte gestoßen:
Als Spielwelten noch in den Kinderschuhen steckten, Immersionskapseln nur in Fantasybüchern existierten und Charaktere noch per Tastendruck
gesteuert werden mussten, war World of Warcraft
eines der beliebtesten Spiele überhaupt gewesen. Die Gründer von Snowstorm Inc.
galten als große Fans des einfachen Spiels, daher gab es in Disgardium
jede Menge Hinweise auf „WoW”.
Einer davon war die Farbabstufung bei den Namen der Gegenstände, die sie direkt übernommen hatten. Grau
stand für Sachen minderwertiger Qualität, weiß
für normale Gegenstände ohne Boni, grün
repräsentierte ungewöhnliche Gegenstände mit geringen Boni, blau
stand für seltene, lila
für epische, doch nicht einzigartige Sachen und orange
war die Farbe für legendäre Gegenstände, die nur ein einziges Mal in der gesamten Spielwelt existierten.
Außerdem hatten sie rot
für gottähnliche Gegenstände hinzugefügt. Sie kamen nicht nur äußerst selten vor, sie waren auch unglaublich wertvoll. Sie stellten die Spitzenklasse der Ausrüstung und Artefakte dar und vereinigten alle Vorteile von legendären und skalierbaren Sachen in sich. Nachprüfbare Informationen gab es nur über wenige dieser Gegenstände, doch eines war bekannt: Sie gehörten bei Weitem nicht alle den Anführern der mächtigsten Clans, wie man vermuten könnte, denn sie verbanden sich mit der Seele der Person, die sie zuerst aufgehob.
Niemand, der ein gottähnliches Artefakt erhalten hatte, verriet, wie er es bekommen hatte. Wegen des Namens der Gegenstandsklasse hatten einige Spieler ihr Glaubenslevel bei einem
der zahlreichen Götter von Disgardium
maximal erhöht. Sie hatten fantastische Kettenquests der Götter abgeschlossen, doch es war umsonst gewesen. Sie hatten zwar unermessliche hohe Belohnungen erhalten, doch es hatten sich keine gottähnlichen Gegenstände darunter befunden.
Gerüchte, dass gottähnliche Gegenstände als Anreiz für Spieler eingeführt worden waren, die allein spielten, wurden von den Entwicklern weder bestätigt noch dementiert. Es hieß, im ursprünglichen World of Warcraft
hätte man die besten Gegenstände nur als Mitglied eines starken Clans oder einer großen Raidgruppe mit feststehender Mitgliederliste erhalten können. Spieler, die lieber allein spielten, hätten dagegen in die Röhre geschaut, denn die Chance, mit einer zufällig gebildeten Gruppe erfolgreich zu sein, war minimal gewesen.
Offenbar hatte Snowstorm Inc.
beschlossen, dass starrköpfige Einzelgänger ebenfalls eine Belohnung verdienten, darum musste man keine kämpferischen Fähigkeiten besitzen, um gottähnliche Gegenstände zu erhalten, sondern einen flexiblen Verstand und ein draufgängerisches Gameplay haben.
Ich hatte mir weder über meinen Gameplay-Stil noch über rote
Gegenstände je Gedanken gemacht. Ich war über die blauen
von Dargo und Crusher vor Freude außer mir gewesen und hatte mir die größte Mühe gegeben, sie nicht an Crag oder die Dementoren zu verlieren. Seitdem hatte
sich jedoch etwas in meiner Wahrnehmung der Spielwelt verändert.
Chance, verbesserte Beute zu erhalten: Erfolg!
Die Qualität der Belohnung hat sich zu episch verbessert.
Während des Kampfes hatte ich der Meldung keine Aufmerksamkeit schenken können, doch nun sah ich, dass der Boss des Bösen der Tiefen ursprünglich statt eines epischen einen seltenen Gegenstand hätte droppen sollen, aber ich hatte Glück gehabt. Hier war die epische lilafarbene
Beute der schauerlichen Gottesanbeterin Faras. Als ich mich auf das Objekt konzentrierte, erschien eine lange Beschreibung.
Handschuhe des Bösen aus den Tiefen
Episch, Teil des Sets „Das Böse aus den Tiefen”
Stoffrüstung
Rüstung: 24
+19 Intelligenz
+7 Ausdauer
+9 % Chance auf kritischen Schaden
+7 % Zauberkraftbonus
Haltbarkeit: 300/300
Erforderliches Level: 20
Verkaufspreis: 193 Goldmünzen
Chance, den
Gegenstand nach einem Tod zu verlieren, reduziert sich um 90 %.
Set „Das Böse aus den Tiefen”: Gürtel, Armbänder, Krone, Handschuhe, Halskette, Umhang, Sandalen und Hose
2/8 Teile des Sets „Das Böse aus den Tiefen”: Reduziert erlittenen Magieschaden um 15 %.
4/8 Teile des Sets „Das Böse aus den Tiefen”: Wenn der Träger im Kampf Schaden erleidet, hat er die Chance, einen 500-TP-Schild zu spawnen.
6/8 Teile des Sets „Das Böse aus den Tiefen”: +50 Intelligenz
8/8 Teile des Sets „Das Böse aus den Tiefen”: +100 Rüstung, +33 % Manaregeneration
Meine erste epische Beute war offensichtlich für Magier gedacht, und sie war Teil eines Sets! Sowohl Crawler als auch Tissa würden sie einsetzen können. Wir hatten nicht vereinbart, wie die Beutestücke aufgeteilt werden sollten, und sie wussten nicht, was ich gerade erhalten hatte. Aber ich wollte sie nicht anlügen. Selbst wenn ich diesen niedrigleveligen, epischen Gegenstand für einige Tausend Goldmünzen würde verkaufen können, wollte ich ihn erst den Dementoren zeigen, um zu sehen, was sie sagen würden. Danach könnte ich entscheiden, was ich damit
tun wollte.
In diesem Dungeon gab es noch 7 weitere Bosse, doch wenn ich alle töten würde, würden selbst meine Freunde misstrauisch werden. Außerdem hatte ich mich bereiterklärt, zuzuschauen und die Dementoren wiederzuerwecken, wenn sie gestorben waren, nicht mehr. Sollten sie morgen früh ruhig auch etwas arbeiten. Über das Interface stellte ich den Wecker auf 6:45 Uhr ein und legte mich schlafen.
* * *
„Wach auf, Scyth”, flüsterte eine sanfte weibliche Stimme. Sie wurde lauter und lauter, bis ich begriff, dass es kein Traum war, sondern mein Wecker. Ich öffnete die Augen, nur um sie gleich wieder zu schließen, weil ich weiterschlafen wollte, doch ich musste aufstehen. Das Gruppenchat-Fenster flackerte ununterbrochen. Das bedeutete, dass ich viele neue Nachrichten erhalten hatte.
Ich blieb noch einen Augenblick liegen und stellte sicher, dass meine Gesundheit sich völlig regeneriert hatte und Fluch der Untoten deaktiviert war. Dann überflog ich den Chat.
[6:32] [Gruppe] [Crawler]:
Wir sind schon in der Nähe, Scyth. Infect ist in Tarnmodus gegangen, um den Eingang zur Instanz zu überprüfen. Wie geht‘s dir?
[6:33] [Gruppe] [Tissa]:
Guten Morgen, Alex! He, bist du noch da
?
[6:37] [Gruppe] [Tissa]:
Alex?
[6:41] [Gruppe] [Bomber]:
He, Sheppard. Ich habe ein paar Liter frisch gekochten Halblingskaffee aus dem Sprudelnden Krug mitgebracht und werde persönlich dafür sorgen, dass du ihn trinkst!
[6:47] [Gruppe] [Infect]:
hat das Böse aus den Tiefen betreten.
[6:48] [Gruppe] [Crawler]:
Wir sind in der Mine, Scyth. Axioms Leute sind verschwunden. Das Portal sagt, dass der Ort nicht verfügbar ist, aber Infect ist schon hineingegangen.
[6:48] [Gruppe] [Infect]:
Ich bin drinnen! Es hat funktioniert.
Verdammt, sie waren schon hier. Als ich aufstand, taten mir meine Knochen und mein Rücken weh, und diese Schmerzen fühlte ich in meinem realen Körper. Ich streckte mich etwas, aber dadurch fühlte ich mich auch nicht besser. Meine Kehle war trocken und ich wollte unbedingt etwas essen – in der realen Welt. Mein Körper gab mir zu verstehen, dass ich so schnell wie möglich meinen Hunger und Durst stillen musste. Unter den Debuff-Symbolen bemerkte ich eine Interface-Warnung, die mir mitteilte, dass ich bald dehydriert wäre und in 5 Stunden gezwungen würde, Disgardium
zu verlassen.
[6:48] [Gruppe] [Scyth]:
Es ist alles in Ordnung, ich habe geschlafen.
Kaffee kann ich gut gebrauchen, Bomber. Ich warte beim ersten Boss auf euch. Na ja, er ist eher eine Leiche ... Er konnte die lange, harte Faustmassage nicht aushalten und ist einfach gestorben. Übrigens, hallo!
[6:49] [Gruppe] [Crawler]:
hat das Böse aus den Tiefen betreten.
[6:49] [Gruppe] [Bomber]:
hat das Böse aus den Tiefen betreten.
[6:49] [Gruppe] [Tissa]:
hat das Böse aus den Tiefen betreten.
[6:50] [Gruppe] [Bomber]:
Haha! Hast du ihn zu Tode gekitzelt?
[6:50] [Gruppe] [Scyth]:
Ja. Ich habe ihn die halbe Nacht gekitzelt. Apropos, er hat einen epischen Gegenstand gedroppt.
[6:50] [Gruppe] [Crawler]:
Was du nicht sagst! Guter Junge. Link zur Beute, bitte.
[6:51] [Gruppe] [Scyth]:
[Handschuhe des Bösen aus den Tiefen
]
– oder so ähnlich.
Auf einmal war es im Chat ruhig. Offenbar waren sie von dem epischen Set derart begeistert, dass sie rannten, um mich so schnell wie möglich zu erreichen.
10 Minuten später betraten die Dementoren Faras‘ Höhle. Infect erschien hinter mir,
hielt mir die Augen zu und flüsterte gespielt verführerisch: „Rate mal, wer es ist?”
„Hör auf”, murrte ich und befreite mich. „Erspar mir deine Spielchen!”
Als Tissa mich sah, wirkte sie sofort Heilige Erneuerung
, doch es war keine große Hilfe. Dann umarmte sie mich und flüsterte mir ins Ohr: „Danke.”
Crawler klopfte mir auf die Schulter und der große Bomber umarmte mich so kräftig, dass er mir fast eine Rippe gebrochen hätte. Er konnte seine Freude nicht verstecken.
„Es hat funktioniert! Wir haben‘s geschafft! Ich würde zu gern die Gesichter der Idioten von Axiom sehen, wenn sie rauskriegen, dass wir ihnen das Achievement unter der Nase weggeschnappt haben. Big Po wird die Sicherung durchbrennen!”
„Verkauf das Fell nicht, bevor du den Bären erlegt hast, Bomber”, sagte Crawler. Er sah mich mitleidig an und nahm mich bei der Schulter. „Du kannst deine Kapsel jetzt verlassen, Scyth. Wir warten auf dich.”
„Aber was ist mit den Fortschritten? Werden sie nicht rückgesetzt?”
„Nicht, solange wenigstens ein Gruppenmitglied in der Instanz am Leben ist. Reicht dir eine halbe Stunde?”
„Ich glaube schon, ich würde gern duschen”, erwiderte ich.
„Kein Problem”, sagte Crawler. „Wir haben den Endboss schon einmal erreicht. Du kannst dir auch
ruhig länger Zeit lassen, während wir die Mobs ausschalten. Erhol dich etwas. Wir haben bei den letzten Versuchen etwa 6 oder 7 Stunden gebraucht, aber da du den ersten Boss schon erledigt hast, schaffen wir es dieses Mal sicher in 5 Stunden. Okay, geh jetzt.”
„Wenn du willst, kannst du auch etwas Schlaf nachholen”, schlug Tissa vor.
„Ja, wenn er keine Erfahrung verdienen will”, warf Infect ein. „Wenn er nicht hier ist, erhält er nämlich keine.”
„Unser Levelunterschied ist so groß, dass er sowieso nicht viel Erfahrung erhält”, entgegnete Tissa. „Bist du an ein paar Erfahrungspunkten pro Mob interessiert, Scyth? Einschließlich der Bosse sind es vielleicht 300 bis 500 Punkte, aber es liegt bei dir. Ich wette, soviel hast du letzte Nacht von einer einzigen Mobgruppe erhalten.”
„Ja, da ist was dran”, sagte Crawler. „Mach dir keine Gedanken wegen der Loot. Wir haben ein faires System, um sie aufzuteilen. Klassisches Need & Greed. Was man braucht oder einfach nur haben will. Wenn wir einen Gegenstand erhalten, auf den niemand aus einem der beiden Gründe Anspruch erhebt, was sehr unwahrscheinlich ist, verkaufen wir ihn, und das Geld kommt in die Truhe des Clans. Dein Anteil ist 20 %, und wir werden ihn dir natürlich geben. Wenn du nichts gebrauchen kannst, zahlen wir dir deinen Anteil am Marktwert der Ausrüstung
aus.”
Die Dementoren sahen mich abwartend an. Ich überlegte, ob ich weitere 5 oder 6 Stunden in dem Dungeon verbringen und es riskieren wollte, durch den Flächenzauber eines Bosses oder einen aggressiven Mob zu sterben. An diesem Ort gab es schließlich jede Menge Fallen, man konnte leicht in irgendein Loch fallen. Ich konnte es mir nicht leisten, zu sterben, aber ich wollte den Dementoren helfen, dem letzten Boss Schaden zu verursachen, indem ich Seuchenenergie einsetzen würde. Die Stärke meines Angriffs würde plausibel sein. Sie waren keine Anfänger und würden verstehen, dass ich durch die Fähigkeit, dort zu respawnen, wo ich gestorben war, Unbewaffneten Kampf
sehr schnell gelevelt hatte.
„Okay, ich werde mir ein bisschen Schlaf gönnen”, entschied ich. „Ruft mich auf meinem Kommunikator an, falls ihr mich braucht.”
„Machen wir”, sagte Ed. „Wegen ... Lass uns später reden. Ruh dich erst mal aus.”
Ich aktivierte Notausstieg, und dieses Mal erhielt ich keine Warnungen über verlorene Fortschritte. Die Welt um mich herum verlor ihre Farbe, und dann wurde alles schwarz.
Notausstieg wurde aktiviert!
Verbleibende Zeit: 3 ...
„Komm wieder hierher zurück. Wie schicken dir Infect, um dich zu uns zu führen. Nach dieser Höhle geht es mit den Labyrinthen weiter ...” Crawlers Stimme verstummte.
„He, und was ist mit dem Kaffee?”, fragte
Bomber beleidigt. Das war das Letzte, was ich hörte.
Was wollte Crawler wohl mit mir besprechen?
* * *
Die Pause war genau das, was ich brauchte. Als ich aus der Kapsel kletterte, hatte ich solchen Durst, dass ich in der Küche gleich aus dem Wasserhahn trank. Danach bestellte ich drei Portionen verschiedener Frühstücke – Tomatenomelett, Hot Dogs, Eier und Speck, Toast, Bohnen, Käsecroissants und ein Thunfisch-Sandwich – und ging dann unter die Dusche. Nachdem ich gegessen und eine ganze Packung Orangensaft getrunken hatte, ging ich in mein Zimmer und fiel erschöpft ins Bett.
Ein Anruf von Tissa weckte mich. Während ich mich wusch und mir die Zähne putzte, dachte ich darüber nach, was ich den Dementoren sagen würde, falls Fluch der Untoten ausgelöst oder Ed mich nach meinem Gefahrenstatus fragen würde. Es beruhigte mich, dass sie mich nicht würden töten können. Im Gegenteil, wahrscheinlich würde ich sie töten. Danach würde ich in den Morast gehen und dort bleiben, bis ich alt genug wäre, um die Sandbox zu verlassen. Im Morast gab es keine Verhinderer, und hochlevelige Mobs würde ich mithilfe meines Fluchs erledigen können, selbst wenn sich alle auf einmal auf mich stürzen würden. Nichts würde mich davon abhalten können, Mal der Vernichtenden Seuche
bis zur Hö
chstgrenze zu leveln.
* * *
„Wir hatten auch Glück”, prahlte Infect. „Locust, der vierte Boss, hat einen weiteren epischen Gegenstand gedroppt. Es ist ein Panzerhemd. Der Rest ist auch gute Ausrüstung, aber nicht blau
...”
„Wir sind nicht wegen der Loot hier”, unterbrach Ed ihn und gab mir das Artefakt, in das sie so viel Hoffnung steckten.
Wiederauferstehungsstein
Artefakt
Gebrauch: Lässt ein totes Gruppenmitglied wiederauferstehen
Abklingzeit: 1 Stunde
Wert: 2.000 Goldmünzen
2.000 Münzen betrug nur der Kaufpreis des Händlers. Bei einer Versteigerung würde dieser Stein sicher bis zu 10.000 Goldmünzen einbringen.
„Ja, er hat uns ein Vermögen gekostet”, sagte Tissa. „Verlier ihn nicht. Öffne ihn am besten im Bedienfeld und aktiviere ihn von da aus.”
„Ich hoffe, dass wir ihn nicht brauchen werden”, bemerkte Crawler. „Also gut, sind alle bereit? Scyth, sollen wir die Taktik noch einmal durchgehen?”
„Einen Augenblick noch, ich will den Kaffee trinken”, erwiderte ich und nickte Bomber zu. „Ich bin gerade erst aufgewacht.”
Der Tank wühlte in seiner Tasche und holte einen großen, heißen Weinschlauch hervor. „Jetzt
wird es in deinem Inventar nicht kalt werden”, grinste er. „Leider habe ich nur noch einen. Wir haben ihn extra für dich aufgehoben. Den anderen haben wir schon ausgetrunken.”
„Es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen, Scyth”, sagte Crawler nervös.
Die Dementoren waren angespannt. Sie standen kurz vor ihrem Ziel. Ihre vergangenen Versuche, den Endboss zu besiegen, waren gescheitert, aber dieses Mal hatten sie eine echte Chance.
„Ja, lasst uns gehen.” Ich erhob mich und gab Bomber den geleerten Weinschlauch zurück.
Unterwegs wiederholte Crawler unsere Taktik zum hundertsten Mal. Meiner Meinung nach war es reine Zeitverschwendung, denn es war noch niemandem gelungen, den Boss zu töten, was heißen musste, dass alle bekannten Taktiken fehlgeschlagen waren. Wir einigten uns darauf, dass ich nicht am Kampf teilnehmen würde, um am Leben zu bleiben, und erst in der letzten Phase dazukommen würde, wenn die Gesundheit von Murkiss, dem Level-23-Boss, unter 20 % gesunken war. Dann würde die Gruppe so viel Schaden wie möglich brauchen, denn Murkiss würde einen Wutanfall
bekommen und zuerst den Tank und dann die restliche Gruppe niedermähen, wenn sie den Boss nicht zuerst töten würden.
Es dauerte eine Weile, den spiralförmigen Weg hinunterzugehen, den Tissa mit ihrer
Magie erleuchtete. Wir überquerten einen engen, in eine Felsklippe geschlagenen Pfad, der über eine Lavagrube führte. Schließlich erreichten wir den Eingang zu einer riesigen Höhle.
Gleich darauf entdeckte ich den unbesiegten Endboss des Dungeons. Er war die wahre Verkörperung des Bösen aus den Tiefen: ein gigantischer Skorpion. Er hatte einen schwarzen Panzer mit vielen orangefarbenen Auswüchsen und glühende Scheren. Der aus mehreren Segmenten bestehende Schwanz stellte sich drohend auf. Die Kreatur besaß 30.000 Gesundheitspunkte.
Die Dementoren erklärten mir, dass das größte Problem die magischen Fähigkeiten des Bosses wären. Neben starken körperlichen Angriffen und Giftattacken wie Stachel
oder den Angriffen seiner mächtigen Scheren hatte Murkiss noch andere Möglichkeiten, die uns in Schwierigkeiten bringen könnten.
Ich erfuhr, dass er spontan handelte und unberechenbar war. In zufälligen Zeitabständen konnte Murkiss an eine willkürliche Stelle in der Höhle teleportieren und den ihm am nächsten stehenden Spieler angreifen. Manchmal setzte er diese Fähigkeit kein einziges Mal ein, manchmal nutzte er sie einmal pro Minute.
Den Erzählungen des Clans zufolge, dauerte die Teleportation weniger als 1 Sekunde, daher hatte er ständig ihren Schlachtplan durchkreuzen können. Während der Tank zum Boss hinü
bergelaufen war, war derjenige, neben dem der Boss aufgetaucht war, in größter Gefahr gewesen, getötet zu werden. Die Dementoren hatten fieberhaft zurückgeschlagen und ihre gesamten defensiven Fähigkeiten eingesetzt, um die Gesundheitspunkte des Bosses zu reduzieren. Sie hatten keine Möglichkeit gehabt, zu entkommen, weil der Boss jedes Mal, wenn er teleportiert und an anderer Stelle aufgetaucht war, den Flächenschaden Erdbeben
gewirkt hatte, der 3 Sekunden dauerte. Der Zauber verlangsamte jeden, der sich in einem Radius von 3 Metern befand, um 50 %.
Darüber hinaus hatte der Boss oft Entflammen
eingesetzt, indem er mit seinen glühenden Scheren auf den Boden geschlagen und Flammenstrahlen produziert hatte, die in alle Richtungen verlaufen waren. Ein weiterer Spezialangriff, Feuer der Tiefen
, könnte jeden Spieler innerhalb von 3 Sekunden verbrennen. Sobald er ihn eingesetzt hatte, hatte Crawler mehrmals zur Warnung rufen müssen: „Raus aus dem Feuer! Alle raus aus dem Feuer!”
Manchmal hatte Murkiss alles mit Saat des Nethers
bespuckt und die Höhle mit kleinen Pfützen von schwarzem Schleim überzogen. Wenn Spieler zu lange in einer dieser Pfützen stehen blieben, mussten sie einen hohen Preis bezahlen. Nach einigen Sekunden wurden sie in die Tiefen hinuntergezogen, und dort unten konnten sie bis zum Ende des Kampfes nichts tun. Gewöhnlich starben sie jedoch vorher. Die Kreaturen der Tiefen waren zwar klein und blind, aber sie konnten lebendes Fleisch riechen
und wurden davon angezogen. Wenn sie fanden, wonach sie gesucht hatten, konnten sie eine Person im Handumdrehen ausschalten. Darum hatte Crawler immer wieder „Raus aus den Pfützen” geschrien.
Murkiss hatte noch eine vierte Fähigkeit: Er konnte Netherwürmer
beschwören, die einen beliebigen Spieler verschlangen und dann wieder unter der Erde verschwanden. Man konnte ihnen nicht entgehen. Wenn es verschlungenen Spielern nicht innerhalb von 30 Sekunden gelungen war, sich zu befreien, indem sie die Kreatur von innen töteten, starben sie. Es würde unser Ende bedeuten, wenn Bomber oder Tissa von einem Wurm verschlungen werden würden. Bombers DPS oder Schadensgeschwindigkeit war nicht hoch genug, um den Wurm in der kurzen Zeit zu töten, und ohne Tank würde die Gruppe nicht lange überleben. Falls Tissa verschlungen werden würde, würde der Tank dran glauben müssen. Schraubzwinge
und Stachel
konnten Bomber trotz seiner defensiven Fähigkeiten die Hälfte seines Lebens entziehen, und ohne die heilende Kraft der Priesterin von Nergal wäre er in 8 Sekunden tot.
Entflammen
und Feuer der Tiefen
hatten zwar keinen besonders großen Eindruck auf die Dementoren gemacht – sie mussten einfach schlau genug sein, vor dem Feuer und den Pfützen wegzulaufen und sich von Tissa heilen zu lassen –, dafür beunruhigten sie Saat des Nethers
und Erdbeben
aber umso mehr. Es war praktisch ein Glücksspiel. Bei fünf oder sechs ihrer neun Versuche –
das System erlaubte nur einen Versuch pro Woche für einen Dungeon wie diesen – war entweder der Tank oder die Heilerin verschlungen worden.
„Die Wahrscheinlichkeitstheorie ist auf unserer Seite”, sagte Crawler. „Außerdem haben wir dieses Mal Scyth dabei.”
„Ich hoffe, dass du recht hast”, erwiderte Tissa. „Im Inneren eines Wurms in Säure zu schwimmen, macht wirklich keinen Spaß.”
„Kein Wort mehr darüber. Denkt positiv!” Crawlers bestimmter Ton ließ keinen Zweifel an seiner eigenen positiven Einstellung. Er kratzte sich am Hinterkopf und überlegte, ob er alles bedacht hatte. Dann rief er: „Seid ihr bereit?”
„Ja!”, antworteten wir einstimmig.
„Dann lasst uns anfangen!”