Als ich zwölf war, kam ich eines Tages vom Torwarttraining nach Hause und wurde sofort in die Küche gerufen. Wenn meine Mutter mich in die Küche rief, musste ich meistens irgendwas im Haushalt tun, also rannte ich in mein Zimmer und drehte die Musik auf. Wenig später fiel in meinem Zimmer der Strom aus. Aha. Mein Vater war also auch in die Sache verwickelt. Statt nach mir zu rufen, stellte er mir immer den Strom ab, bis ich tat, was meine Mutter wollte. Notgedrungen ging ich in die Küche, wo meine Eltern auf mich warteten.
Meine Mutter erklärte mir, dass sie nach Deutschland ziehen würde, um einen besseren Job zu finden. Sie fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen.
Ich schaute meinen Vater fragend an.
Er meinte, dass er in Dänemark bleiben würde, er hätte ja hier schon einen Job.
Ich schaute meine Mutter fragend an.
Sie erklärte mir, dass ich früher ja ein Kinderzimmer mit meiner Schwester geteilt hätte, doch irgendwann hätten wir jeder ein eigenes Zimmer bekommen. Das wollte sie nun auch mit meinem Vater ausprobieren. Sie fragte mich, ob ich das verstehen könnte.
Na klar, sagte ich, aber jeder gleich ein eigenes Land? Wie sollten wir denn da zusammen frühstücken?
Mein Vater meinte, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich könne ihn jederzeit besuchen, außerdem war Deutschland gerade Fußballweltmeister geworden und mein großes Torwartidol, Sepp Maier, wohnte da. Ich würde Sepp bestimmt mal kennenlernen und dann würde der mir sein ganz spezielles Weltmeisterwissen verraten, was ich voll extrem fand. Extrem war damals das Wort für Granate, also zog ich mit meiner Mutter nach Deutschland - und dann begann der Ärger.
Die neue Wohnung war toll, aber obwohl ich die ersten Tage am Fenster verbrachte, entdeckte ich Sepp Maier nicht. Immerhin fand ich vor dem Nachbarhaus ein kleines Fußballtor.
Allerdings hatte jemand seine Unterwäsche daran aufgehängt. Ich lachte, lustige Leute diese Deutschen. Ich schnappte mir meinen Ball, rannte raus und begann, die Unterwäsche abzuhängen. Ich hatte gerade das Tor freigelegt und wollte ein paar Bälle drauf schießen, als eine Frau aus dem Nachbarhaus gerannt kam. Sie schrie mich in einer komischen Sprache an. Ich verstand kein Wort, aber aus den Filmen, die ich nicht sehen durfte, wusste ich, dass man Fremden ein Geschenk machen muss, also legte ich ihr den Ball vor die Füße und stellte mich ins Tor. Ich nahm mir vor, den Ball reinzulassen, um die Frau zu beruhigen, aber dazu kam es gar nicht. Die Frau trat volle Möhre gegen meinen Ball, doch der flog nicht ins Tor. Stattdessen sauste er im hohen Bogen über mich weg und hoppelte die Straße hinunter. Junge, Junge, die arme Frau hatte echt einen miesen Schuss, kein Wunder, dass sie so schlecht gelaunt war.
Als ich mit dem Ball zurückkam, war die Frau weg. Dafür hing die Unterwäsche wieder am Tor. Ich begann, die Unterwäsche ein zweites Mal abzuhängen. Sofort kam die Frau aus dem Haus gerannt und schrie mich wieder an. Ich legte ihr den Ball hin, doch sie wollte nicht an ihrer Schusstechnik arbeiten, stattdessen stellte sie sich vor das Tor und breitete die Arme aus.
Alles klar! Diesmal wollte sie also ins Tor! Ich nahm Anlauf und schoss den Ball unhaltbar ins Dreieck. Unterhosen wirbelten durch die Luft, ich ließ mich zu Boden fallen und rollte jubelnd über die Wiese. Doch jetzt stellte sich heraus, dass die Frau nicht nur mies schießen konnte. Nein, sie war auch noch ein schlechter Verlierer! Sie brüllte mich wieder an, und diesmal hörte sie gar nicht mehr damit auf. Zuerst hatte ich echt keine Ahnung, was ich tun sollte, aber aus den Filmen, die ich nicht sehen durfte, wusste ich, dass die Helden manchmal Liegestütze machten, wenn sie angebrüllt wurden. Also ging ich runter und gab der Frau zehn. Sie schimpfte weiter.
Ich gab ihr fünfzehn. Sie schimpfte weiter. Bei Siebzehn brach ich zusammen. Die Frau schimpfte weiter.
Junge, Junge, die Frauen in diesem Land waren echt nicht leicht zu befriedigen.
Als meine Mutter abends in mein Zimmer kam, fragte ich sie, wieso man in Deutschland Unterwäsche an Fußballtore hängt, und wie ich mit den Leuten hier reden sollte, wenn keiner Dänisch konnte. Meine Mutter erklärte mir, dass ich Deutschländisch lernen musste, und versprach mir dafür ein Fußballtor ohne Unterhosen.
Am nächsten Tag, meldete meine Mutter mich in einem Fußballverein an, und schon beim ersten Training wurde mir klar, dass in Deutschland nicht nur die Frauen seltsam waren. An den Fußballtoren im Verein hing zwar keine Unterwäsche, dafür standen sie mitten auf einem Asphaltplatz, der voller Löcher war, die mit Sand gefüllt waren. Ich schaute mich verwirrt um. In Dänemark hatte ich immer auf einer Wiese Fußball gespielt, doch hier war weit und breit kein Rasen oder auch nur ein Grashalm zu sehen. Das Spielfeld sah aus wie ein Parkplatz voller Katzenklos.
Meine neuen Mitspieler rannten auf dem Parkplatz herum und spielten sich den Ball zwischen den Sandlöchern zu. Sie gaben mir Zeichen, mitzumachen, und schließlich kam ich drauf: Das hier war gar nicht der richtige Fußballplatz! Aus den Filmen, die ich nicht sehen durfte, wusste ich, dass jeder Neue am ersten Tag immer veräppelt wird.
Ha! Ich klopfte dem Trainer anerkennend auf den Rücken und zeigte lachend auf den Platz. Der Trainer brüllte mich an. Ich ging runter und gab ihm zehn.
Dann fing das Spiel an. Ich hielt ganz gut, bis ein Schuss ins Sandloch traf, die Richtung änderte und unhaltbar ins Tor flog.
Ich wollte mich beim Trainer beschweren, doch plötzlich wurde mir alles klar: Das war bestimmt eine dieser geheimen Sepp-Maier-Methoden, von denen ich gehört hatte!
Ab da hechtete ich bei jedem Angriff durch das Katzenklo und hielt ein paar abgefälschte Bälle. Meine Mitspieler jubelten, sogar der Trainer wirkte zufrieden und ich war glücklich. Ich hatte die erste Sepp-Maier-Probe bestanden.
Die ganze Woche trainierte ich im Verein und am Wochenende durfte ich dann fernsehen.
In der Sportschau sah ich, wie Sepp Maier mitten im Spiel eine Ente über den Platz jagte. Er schlich sich an das Vieh heran und versuchte es zu erwischen, doch egal wie Sepp auch hechtete - die Ente flatterte mal nach rechts, mal nach links, und Sepp musste seine ganze Sprungkraft und Schnelligkeit aufbringen, um nur in die Nähe der Ente zu kommen, was ich voll extrem fand.
Am nächsten Tag hatten wir unser erstes richtiges Spiel. Ich sah mich auf dem Spielfeld um, doch weit und breit war keine Ente zu sehen. Mein Vater hatte mir oft erklärt, dass man im Notfall impofrisieren musste, also hechtete ich nach den Tauben, die überall auf dem Platz herumspazierten.
Sofort kam der Trainer angerannt und brüllte mich auf Deutschländisch an. Ich zeigte auf mich und rief »Sepp Maier!« Er brüllte mich an und zeigte auf die Auswechselbank. Ich gab ihm zehn, aber ich wurde trotzdem ausgewechselt.
Wir verloren das Spiel haushoch, weil der dicke Ersatztorwart im Tor stand. Er konnte null Fußball spielen. Das ganze Spiel lang kam er nicht mal in die Nähe einer Taube, ein Blödmann war das.
Beim nächsten Training war der ganze Platz wieder voller Tauben. Sofort fing ich an zu impofrisieren. Ich war kurz davor, eine fette Taube zu erwischen, da kam der Trainer angelaufen und brüllte mich an. Ich musste schon wieder auf die Auswechselbank. Direkt vor meinen Augen spazierten die Tauben über den Platz, doch der Trainer ließ mich nicht trainieren.
So langsam wurde mir klar, dass er keine Ahnung vom Sepp-Maier-Training hatte. Ich wusste echt nicht, wie lange ich das noch aushalten konnte. Ich wollte endlich wieder auf einer richtigen Wiese Fußball spielen und auf Dänisch angebrüllt werden.
Als meine Mutter abends in mein Zimmer kam, fragte ich sie, wann wir heimfahren. In Kopenhagen wartete ein saftiger Rasenplatz auf mich, außerdem vermisste ich meinen Vater. Meine Mutter erklärte mir, dass sie einen Job gefunden habe und für immer hierbleiben wolle. Sie fragte mich, ob ich das verstehen könnte. Ich nickte, und als sie am nächsten Morgen zur Arbeit fuhr, schmierte ich mir zwei Brote und machte mich auf den Weg.
An der Bushaltestelle wurde mir wieder klar, dass man ohne Sprache nicht weit kommt. Ich nannte dem freundlichen Busfahrer mehrmals die Adresse von meinem Vater, aber er fuhr nicht los. Stattdessen erzählte er irgendwas auf Deutschländisch, und schließlich kamen zwei Polizisten, die mich mit in ihr Haus nahmen, wo sie mich auf einen Stuhl setzten. Sie gaben mir eine Cola, ich bot ihnen dafür eine Leberwurststulle an, die sie aber ablehnten.
Die beiden Polizisten waren echt nett. Sie lachten immer, wenn ich ihnen Sepp Maiers Ententrick zeigte. Aber wenn ich nicht in Trainingsrückstand geraten wollte, musste ich jetzt echt los.
Endlich kam meine Mutter. Sie lächelte die Polizisten an und erzählte ihnen irgendwas, dann brachte sie mich zurück zu der Wohnung, wo sie mir mein Lieblingsgericht, Kærnemælksuppe med Flødeskum*, vorsetzte.
Sie erklärte mir, dass wir beide jetzt hier unser neues Leben aufbauen würden. Ich schaufelte Kærnemælksuppe in mich rein und sagte, na gut, ich könne ja noch einen Tag bleiben, aber dann müsse ich echt los. Sie lachte, und als sie am nächsten Morgen zur Arbeit fuhr, schmierte ich mir zwei Brote und machte mich wieder auf den Weg.
Ich traf meinen Kumpel, den Busfahrer wieder, aber heute wirkte er irgendwie traurig. Er fuhr nicht los. Stattdessen kamen wieder die Polizisten und nahmen mich mit. Heute gab es keine Cola.
Es dauerte lange bis meine Mutter endlich kam. Meine Mutter war ein rothaariges Energiebündel, aber jetzt sah sie müde aus. Die Polizisten redeten lange mit ihr, dann fuhren wir wieder in die Wohnung. Heute gab es kein Lieblingsgericht, stattdessen bekam ich Hausarrest und meine Mutter fuhr wieder arbeiten.
Während sie bei der Arbeit war, dachte ich nach. Meine Mutter wollte echt hierbleiben, das war mir nun klar. Ich wollte ja auch, dass wir zusammenbleiben, aber schließlich musste ich auch an meine Karriere denken. In Dänemark hatte ich eine ganze Saison gebraucht, um den fiesen Ole aus dem Tor zu verdrängen. Seit der letzten Saison war ich endlich die Nummer eins ... Und jetzt saß ich hier doof in Deutschland rum. Plötzlich ging mir ein Licht auf - Ole musste dahinterstecken! Er hatte gewartet, bis ich mal wegfahre, und mich dann eiskalt abserviert! Ich musste mich irgendwie an ihm rächen! Aber wie?
Den ganzen Tag dachte ich drüber nach und dann kam ich drauf.
Als meine Mutter abends in mein Zimmer kam, erklärte sie mir, dass sie mich an einer deutschen Schule angemeldet habe. Dort würde ich Deutschländisch lernen und neue Freunde finden. Ich würde mich hier bald wie zu Hause fühlen und bräuchte nun nicht mehr weglaufen.
Ich sagte, alles klar, ich wüsste jetzt, wer dahintersteckt, und ich hätte auch schon einen Plan. Ich würde im Katzenklo trainieren, Tauben fangen, Sepp Maier als Nummer eins verdrängen, Weltmeister werden und dann auf der Höhe meines Ruhmes nach Dänemark zurückfahren und meinem alten Trainer sagen, dass Ole ihn um den besten Torwart der Welt gebracht habe. Der Trainer würde Ole verprügeln und alles wäre wieder gut. Meine Mutter fand meinen Plan voll extrem. Sie küsste mich und versprach mir mein zweites Lieblingsgericht: Rødgrød med fløde**.
* Buttermilchsuppe mit Schlagsahne. Lecker.
** Rote Grütze mit Sahne. Super lecker.