Als ich Siebzehn war, jobbte ich in einem Lager als Gabelstaplerfahrer, als eines Tages der Kantinenkoch Ingo mich singen hörte und mich für abends auf ein Bier einlud. Ich sollte noch einen Kumpel mitbringen, dann würden wir eine Band gründen. Als ich von der Arbeit nach Hause kam, rief ich meinen Kumpel Schocker an und erzählte ihm, dass ich eine Band hatte. Er fragte, ob er mitspielen dürfte. Ich sagte klar, er sagte giftig. Giftig war damals das Wort für echt nass und so kam er sofort mit der Klampfe und einer Pulle Appelkorn rüber.
Als wir abends in der Kneipe ankamen, hatten wir unser erstes Stück fertig.
Ingo stellte uns Kurt vor - ein 50jähriger fetter vorbestrafter Alkoholiker, der gerade eine Bassdrum geklaut hatte - und zwölf Bier später hatten wir uns auf den Bandnamen »Birbæks Bodega Blues Band« geeinigt. Jetzt brauchten wir nur noch Musik.
Die Kneipe gehörte Kurts Mutter. Also gingen wir runter in den Keller, bauten die Verstärker auf und spielten unser Stück zweimal durch. Alle fanden das Lied echt giftig und darauf tranken wir was. Irgendwann waren wir hacke, aber so hacke wir waren: es war nicht zu übersehen, dass Kurt schwer einen an der Waffel hatte. Alkohol schien ihn aggressiv zu machen und nach zehn Appelkorn musste er jedem den Todesgriff zeigen, den sein Ex-Zellengenosse im Knast ihm beigebracht hatte. Er legte seine fetten Arme um meinen Nacken und verdrehte mir den Kopf. Zuerst dachte ich, er wäre einsam, aber er wollte mich nur umbringen.
Am nächsten Abend trafen wir uns wieder in der Kneipe. Ingo überraschte uns mit der Nachricht, dass er uns beim diesjährigen Nachwuchsfestival angemeldet habe. Ich fragte ihn, was die wohl sagen würden, wenn die Kurt sahen, aber Kurt meinte: »Scheiß drauf! Wenn wir erst mal auf der Bühne sind, soll mal einer versuchen, uns da wieder runterzuholen!«
Ich fand, das klang nach Spaß, also spielten wir unser Lied stundenlang durch, betranken uns und versuchten, Kurt in die Eier zu treten, wenn er uns zu nahe kam.
Das Nachwuchsfestival sollte in sechs Tagen stattfinden. Daher probten wir jeden Tag. Kurt war noch mal in den Musikladen eingebrochen und hatte jetzt auch eine Snare. Außerdem hatte er mir den Nacken verknackst und ich war krankgeschrieben. Es sollte das letzte Mal in meinem Leben sein, dass ich mich krankschreiben ließ, aber das ist eine andere Geschichte.
Tagsüber schrieb ich neue Songs mit Schocker, abends betranken wir uns und nachts standen wir Schmiere. Wir waren uns alle einig, dass Musik machen echt giftig war. Eine Woche später hatte Kurt ein komplettes Schlagzeug zusammen. Ingo war ganz gut am Bass, Schockers Gitarre hatte schon manches Mädchenherz zum Schmelzen gebracht, und ich konnte zwar nur mittelmäßig singen, aber wie ich hörte, sah ich dabei echt lustig aus. Das Problem hieß eindeutig: Kurt.
Bislang hatten wir gehofft, der Krach aus seiner Ecke hätte damit zu tun, dass er kein komplettes Schlagzeug hatte. Jetzt aber hatte er eins, doch der Krach wurde nicht besser, nur lauter. Zudem hatte er in dem Musikladen eine Fanfare mitgehen lassen und so kamen wir regelmäßig in den Genuss einer geschmetterten Angriffsattacke der Kavallerie. Niemand traute sich, Kurt auf seine Mängel anzusprechen, aber wir begannen uns zu wünschen, sein Todesgrifflehrer wäre Epileptiker gewesen.
Am Tag vor dem Auftritt hatten wir - trotz Kurt - sieben Lieder zusammen, die wir zwar nie zweimal hintereinander in derselben Version spielen konnten, aber die Stücke an sich waren echt giftig, wie uns sogar Kurts Mutter bestätigte. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie stolz auf ihren Sohn und bei der Generalprobe wurde Kurt sentimental. Er weinte ergriffen, nannte uns seine Freunde und nahm uns das Versprechen ab, dass wir immer zusammenbleiben würden. Wir nickten ergriffen und nutzen die Gelegenheit, ihm das Versprechen abzunehmen, dass er am Auftrittstag nüchtern sein würde. Er nickte ergriffen - und darauf tranken wir was.
Dann kam unser großer Tag. Die erste Überraschung beim Nachwuchsfestival war das Publikum, das aus achtzigjährigen Jazzfans bestand. Die zweite Überraschung war, dass die beste Band der Stadt im Rahmen desselben Wettbewerbs direkt vor uns auftreten würde. Die dritte Überraschung war die schlimmste: Kurt war nüchtern. Er redete keinen Mist, versuchte niemanden umzubringen, es war erschütternd.
Eine Stunde vor dem Auftritt wurde uns endgültig klar, dass Kurt mit dem Druck nicht fertig wurde. Im Schlosshof saßen 500 Zuschauer und das waren für Kurt Nüchtern eindeutig 500 zu viel. Er zitterte am ganzen Körper.
Ich schaute Ingo und Schocker fragend an, sie nickten mir zu, ich schrieb unsere Karriere ab und drückte Kurt eine Pulle Appelkorn in die Hand. Kurt köpfte die Pulle an einer Mülltonne und er hätte sie ex leer gemacht. Aber als wir sahen, wie die beste Band der Stadt vor uns draußen abräumte, nahmen wir ihm die Flasche ab und begannen mitzutrinken.
Als wir zum Soundcheck auf die Bühne gerufen wurden, begann mein neues Leben. Die Bühne war riesig und davor waren über 1000 Augen auf uns gerichtet. Außerdem gab es eine Gesangsanlage, was mich sehr beeindruckte. Durch den Krach im Probenkeller hatte ich nie gehört, wie meine Stimme klang, und ich war überrascht, dass man hier jedes Wort verstehen konnte. Meine deutschen Texte basierten auf meiner dänischen Grammatik, und schon beim Soundcheck erntete ich erste Lacher, die mich zusätzlich motivierten. Der Nachteil an der Anlage war aber eindeutig, dass man jetzt auch Kurt hörte, der, mit einer halben Pulle Appelkorn im Kopp, zu alter Form auflief. Was er spielte, klang irgendwie immer anders als das, was wir spielten, aber Kurt meinte, wir müssten einfach jeder eine Pulle Appelkorn trinken.
Nach dem Soundcheck mussten wir neben der Bühne warten, bis der Veranstalter uns ansagt hatte. Wir standen herum und langsam legten sich meine Haare wieder. Kurt hatte nämlich einen Augenblick völliger Stille im Hof dazu genutzt, ein Mikrofon in die Fanfare zu stecken und voll reinzublasen. Die Jazzfreunde krochen immer noch auf allen vieren zwischen den Bänken herum und suchten ihre Brillen. Ich wollte gerade Schocker fragen, ob wir nicht besser abhauen sollten, aber dann hörte ich zum ersten Mal in meinem Leben, wie meine Band angesagt wurde. Meine Beine zitterten, mein Herz klopfte, das Adrenalin schoss mir ins Blut - wir kippten schnell noch einen Appelkorn, dann stürmten wir brüllend auf die Bühne.