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Das Gepäckband holt tief Luft und setzt sich mit einem mechanischen Geräusch in Bewegung, das eine baldige Wiedervereinigung von Koffern und wartenden Eigentümern verspricht. Leute drängen sich um seinen Mund, aus dem die Gepäckstücke in einem unregelmäßigen Strom ausgespuckt werden. Hannah wartet in einsamer Überlegenheit etwas weiter vom Epizentrum entfernt – warum begreifen die Leute nicht, dass die Koffer auf dem Band rundherum gefahren werden und dass es daher ein Vorteil sein kann, sich zu verteilen? Dafür ist es doch zur Hölle noch mal konzipiert und gebaut worden. Mit verschränkten Armen beobachtet sie ihre Mitpassagiere; wohin wollen sie jetzt, wovor haben sie Angst? Dass jemand anderes mit ihrem vertauschten Koffer voller Wäsche abhaut?

Sie sind zusammen durch den Morgen gereist – mit der Dunkelheit eine Stunde zurück in der Zeit geflogen. In gewisser Weise ein beinahe poetisches Gemeinschaftserlebnis, einer der seltenen Umstände, bei denen sich Hannah als Teil einer Gruppe fühlt: Hier hängen wir, hoch über der Erde, und wenn wir herunterfallen, sterben wir alle zusammen. Hannah findet den Gedanken eines gemeinsamen Todes versöhnlich. Doch jetzt stehen sie hier, ihre Mitpassagiere, lebendig und in Sicherheit, wie Hyänen um ein totes Tier. Das Gefühl der Gemeinschaft verflüchtigt sich im Kampf um das Gepäck.

Sie zieht ihren schwarzen Koffer hinter sich her, eins seiner Räder ist kaputt, es klappert und schleift. Der Koffer hätte schon vor vielen Reisen ausgetauscht werden müssen. Hannah blickt sich um, versucht, sich einen Eindruck von Island zu machen – vom Flughafen aus betrachtet, unterscheidet es sich nicht besonders von Dänemark. Oder im Grunde genommen von den meisten anderen Orten der Welt: Stein, Metall, Glas. Schön arrangiert. Vielleicht liegt dahinter die Absicht, die Ankunft zu vereinheitlichen, sodass man nie genau weiß, in welchem Land man sich befindet. Vielleicht ist es eine Art fließender Übergang: Vor ein paar Stunden war man in einem anderen Land, weit weg, jetzt ist man hier, aber es sieht ganz ähnlich aus. Eine Art Schleuse, weil das menschliche Gehirn sonst mit der Umstellung nicht zurechtkommt. Oder vielleicht, weil die meisten Reisenden in Wirklichkeit Angst vor fremden Orten haben. Hannah stellt fest, dass die Neutralität hier auf dem nationalen Flughafen Keflavík von Symbolen der heimatlichen Verbundenheit unterlaufen wird: mit Flaggen geschmückte Duty-free-Shops, Souvenirs, Bauwerke aus Schokolade und Postkarten von Torfhütten und Wasserfällen. Isländischer Wodka, isländische Süßigkeiten. Wer braucht denn eine Kappe mit Hörnern und isländischer Flagge darauf? Hannah wagt einen verstohlenen Blick, während sie weitergeht: amerikanische Touristen. Sie spürt, wie ihr ein eiskalter Tropfen aus der rechten Achselhöhle die Seite hinunterläuft. Kalter Schweiß. Sie kann gar nicht schnell genug aus dieser Schleusensituation des Flughafens Keflavík herauskommen – mit einem heftigen Ruck zwingt sie ihren Koffer in die richtige Richtung und hofft, dass ihre Gastgeberin, Ella, gleich draußen auf sie wartet. So hat Bastian es versprochen.

Vor der Ankunftshalle angekommen, bereut Hannah ihr Projekt zum dritten Mal. Sie ist mit dem halbtoten Koffer im Schlepptau zwei Runden um den Parkplatz gelaufen, hat so langsam wie möglich zwei Zigaretten vor dem Eingang geraucht. Ihrem Treffpunkt. Aber Ella ist nicht da. Hannah schaudert unter dem Vordach vor Kälte, blickt zum Himmel hinauf. Er ist grau in verschiedenen Schattierungen, es hat zu regnen begonnen. Sie findet nicht, dass die Luft auch nur annähernd so frisch ist, wie man es ihr versprochen hat. Wo bleibt Ella? Plötzlich taucht ein irritierender Gedanke in Hannahs Kopf auf: Vielleicht gibt es Ella gar nicht? Vielleicht existiert gar kein Schreiblogis für sie, vielleicht ist das hier nur Bastians Art, sie loszuwerden? Nein, das würde er nicht machen. Ella ist wahrscheinlich nur auf dem Weg hierher an Herzversagen gestorben, sie ist ja eine ältere Frau. Scheiße auch, was, wenn ihre Gastgeberin nun leblos in einem Straßengraben liegt? Mit ihren taubgefrorenen Fingern fummelt Hannah am Feuerzeug herum, zieht den Rauch tief in die Lunge, hält ihn ein wenig, bevor sie ausatmet. Sie betrachtet eine komische Skulptur aus Stahl und Glas in verschiedenen Farben. Das Kunstwerk schwankt und sieht oben seltsam unfertig aus, als wollte es sich gen Himmel strecken und hätte es sich dann anders überlegt. Es ist noch nicht zu spät, um umzukehren. Icelandair fliegt Pendelflüge, vielleicht kann sie in dasselbe Flugzeug einsteigen, mit dem sie gekommen ist? Vielleicht sogar denselben Sitz bekommen?

Plötzlich bemerkt Hannah einen Jeep, der so langsam umherfährt, als würde jemand den Parkplatz nach verlassenen dänischen Autorinnen durchkämmen. Durch die verdreckte Windschutzscheibe meint Hannah die Frau zu erkennen, von der Bastian ihr flüchtig ein Foto gezeigt hat. Hannah hebt den Arm, fuchtelt um Aufmerksamkeit, es vergeht ein Moment, bevor sie sie bekommt. Aber dann ist ihr, als sähe sie ein Lächeln auf den Lippen der Dame erscheinen, der Jeep fährt in ihre Richtung, bleibt stehen. Ella steigt aus, adrett, ihre äußerliche Erscheinung wirkt überraschend gegensätzlich: rot gefärbtes Haar, Goldschmuck, Lippenstift, aber kombiniert mit einem grauen Fleecepullover und Holzschuhen. Unter dem Arm trägt sie ein altes Stück Pappe. Velkomin Hannah steht in roter Tusche darauf. Die Dame, wahrscheinlich etwas über sechzig, hält das Schild mit ausgestrecktem Arm hoch, lächelt übers ganze Gesicht und zeigt auf sich selbst:

»Ella.«

Hannah streckt die Hand aus. Weiß sehr wohl, dass Dänisch hier in der Schule mehr oder weniger Pflichtfach ist. Aber sie weiß auch, dass es ein Mythos ist, dass alle Isländer es sprechen und verstehen. Und sie will nicht als dumme Imperialistin erscheinen, also wird sie sich für den nächsten Monat auf Englisch durchschlagen.

»Hello, I’m Hannah. Thank you for letting me stay at your house.«

Ella sagt sehr schnell sehr viel auf Isländisch, fuchtelt mit den Armen, zerrt an Hannahs Koffer, der fast so groß ist wie sie selbst. Hannah durchschaut rasch die Situation: Ella kann weder Dänisch noch Englisch! In Gedanken schüttelt sie Bastian kräftig dafür, dass er ihr diese Information nicht gegeben hat. Mit Absicht, da ist sie sich sicher. Hätte Hannah das gewusst, wäre sie nie gekommen. Aber jetzt ist sie hier. Hannah greift nach dem Koffer, der aussieht, als würde er gleich die Oberhand über die kleine Dame gewinnen.

»Ich nehme ihn.«

Das Auto ist ein Jeep Cherokee, und aus den abgewetzten Sitzen und dem Radio mit Kassettenrecorder schließt Hannah, dass er schon seit vielen Jahren nicht mehr neu ist. Tickeditack, brumm, tickeditack, brumm. Der Motor spielt seine eigene Melodie, und sie klingt wie ein Abschiedslied. Hannah schaut Ella besorgt an, die beim Fahren den Missklang des Motors überhaupt nicht zu bemerken scheint. Oder vielleicht ist sie auch einfach daran gewöhnt? Hannah seufzt. Wenn sie einen tödlichen Verkehrsunfall haben werden, liegt das wohl eher an der Fahrerin als am Wagen. Ihr Blick wandert von dem bestickten Sofakissen, auf dem Ella gerade hoch genug sitzt, um aus dem Fenster sehen zu können, zu der dicken Gurkenglasbrille, die sie auf der Nase trägt. Die Nase selbst ist so dicht an der Windschutzscheibe, dass Ellas Atem auf dem Glas tanzt – sich absetzt und wieder verschwindet. Hannah überlegt, ob ein Gesundheitscheck für die Verlängerung des Führerscheins hier in Island wohl nicht allgemeine Praxis ist? Aber so alt ist Ella natürlich auch wieder nicht. Als sie einen Mercedes überholen und gerade noch einem entgegenkommenden Bus ausweichen können, wird Hannah allmählich unsicher, ob Ella überhaupt einen Führerschein hat. 110 Stundenkilometer. Auf einer Landstraße. Aber vielleicht wäre es auch gar nicht so schlecht zu sterben, dann müsste sie zumindest diesen Krimi nicht schreiben.

Der Motor klingt nun definitiv so, als wäre er kurz vor dem Kollaps. Hannah deutet mit ihrem ganzen Körper zum Kühler des Autos hinaus, hofft, dass sie Motor signalisiert. Dann hält sie sich die Ohren zu. Ella nickt auf eine Ich-weiß-schon-Art. Sagt etwas auf Isländisch.

Ella schaltet das Radio ein, dreht Phil Collins’ Another Day in Paradise auf. Sie rockt fröhlich mit, bewegt die Hände von einer Seite zur anderen, das Lenkrad und das Auto folgen der Bewegung. Das Auto schlängelt sich voran. Das Störgeräusch des Motors wird also durch ein lauteres Geräusch übertönt. Toll. Wenn es jemanden gibt, den Hannah noch mehr hasst als Jørn Jensen, dann ist es Phil Collins. Er soll auf keinen Fall den Soundtrack zu ihrem Tod beisteuern. Sie sucht ihr Handy heraus, ruft an, Bastian antwortet sofort. Ein Hallo ist überflüssig.

»Du musst mir einen Rückflug buchen.«

»War Ella nicht da?«

»Sie hat uns in den Graben gefahren, wir stecken beide in einem brennenden Auto fest. Ich spüre meine Beine nicht mehr.«

»Ich merke, Island hat deine Fantasie schon in Gang gebracht. Ella ist nett, oder?«

»Warum hast du nicht gesagt, dass sie kein Englisch spricht? Und dass sie Auto fährt wie eine Bekloppte und Phil Collins liebt?«

»Phil Collins ist doch gut!«

»Ach, hör auf! Die ganze Sache ist völlig abartig, ich weiß nicht, was ich da für eine Hirnblutung hatte. Aber ich weiß, dass morgen früh ein Flug nach Kopenhagen geht. Und da will ich mit.«

»Was ist mit dem Roman?«

»Dem Krimi.«

»Soll er sich selbst schreiben?«

»Hoffentlich. Es tut mir wirklich leid, aber ich halte das hier nicht aus. Ich will heim.«

Hannah hört Bastian irgendwo in Dänemark seufzen.

»Ich schau mal, was ich tun kann.«

»Danke.«

Hannah legt auf, lehnt sich zurück. Schicksalsergeben. Murmelt vor sich hin.

»Verdammte Scheiße, Dreckskacke.«

Ella bremst abrupt, macht das Radio aus. Sie halten am Straßenrand.

»Was?«

Hannah richtet sich auf, blickt sich um, weiß nicht, wonach. Sie spürt einen Stimmungswechsel.

Ella schaut stumm vor sich hin. Lange. Beugt sich über Hannah, öffnet das Handschuhfach, findet ein Stück zerknittertes Papier, einen Kugelschreiber. Dann schreibt sie konzentriert. Eine Minute lang. Als würde sie die Worte irgendwo aus ihrem tiefsten Inneren hervorholen. Der Zettel wird vor Hannahs Gesicht gehalten und sie liest – etwas, das aussieht wie eine Mischung aus Dänisch und Norwegisch.

Du gebrauchst viele Flüche und Kraftausdrücke.

Hannah liest noch einmal. Dann sieht sie Ella an. Ihr Magen zieht sich spürbar zusammen.

»Sprichst du Dänisch?«

Ella schreibt wieder. Die Wörter fließen diesmal ein klein wenig leichter.

Ich verstehe. Und schreibe bisschen.

Das Ziehen im Magen nimmt zu. Sie schweigt, es ist mehr als nur eine Kunstpause.

»Ich hab eigentlich schönere Worte in mir.«

Ella schreibt.

Dann gebrauche sie.

Hannah schaut sie an. Zum ersten Mal bemerkt sie Ellas Augen. Sie sind leuchtend grün. Wie hat sie solche Augen nur übersehen können? Hannah nickt.

Ella legt den ersten Gang ein, fährt weiter. Hannah blickt in die Natur hinaus, sie hat bisher überhaupt nicht auf die Umgebung geachtet. Das Auto frisst die Kilometer, sie reisen in Stille. Tickeditack, brumm, tickeditack, brumm. Fast in Stille.

Sechs Stunden, hat Hannah gelesen, dauert es zum Fischerdorf Húsafjörður zu fahren, das den nächsten Monat über ihr Zuhause sein soll. Sie hätte auch dorthin fliegen können; ein lokaler Flughafen erleichtert innerstaatliche Reisen, aber Ella hatte darauf bestanden, sie in Keflavík abzuholen. Hannah überlegt, ob Ella vor der Rückfahrt eine ausreichend lange Pause eingelegt hat, aber traut sich nicht zu fragen. Sie blickt verstohlen zu ihr hinüber, Ella sieht definitiv nicht müde aus. Hannah lehnt sich zurück und stellt sich auf die stundenlange Fahrt auf dem ziemlich harten Autositz ein, hinaus aus der Stadt, durch unerschlossenes Land. Sie haben die flache, von Lava geschaffene Mondlandschaft im Westen hinter sich gelassen und bewegen sich in Richtung Südosten, üppigeren Natureindrücken entgegen – auch wenn die braun-gelben Farbtöne des herbstlichen Verfalls in den Ebenen dominieren, sind überall noch Spuren von Grün zu sehen: Hannah ist überrascht, wie grün Island ist, selbst jetzt, wo es langsam Winter wird. Doch die Berge trotzen der Jahreszeit nicht: Ihre schneebedeckten Gipfel erheben sich in den Himmel, und Hannah betrachtet sie so fasziniert, wie es nur jemand kann, der aus einem Land ohne Erhebungen kommt. Als Autorin sollte sie in einer Art symbiotischen Beziehung zur Natur stehen, die sie zu überschwänglichen Worten inspiriert. Doch das Wesen der Natur macht ihr Angst, auch rein sprachlich, deshalb beschreibt sie in ihren Texten lieber innere Zustände. Nicht, weil Menschen leichter zu beschreiben wären als die Natur, aber es fühlt sich authentischer an.

Auch wenn sie erst vor wenigen Stunden gelandet ist, senkt sich bereits die Abenddämmerung herab. Hannah erinnert sich, irgendetwas über das spärliche Tageslicht in dieser Jahreszeit gelesen zu haben, aber sie fühlt sich unzureichend vorbereitet auf dreißig Tage Dunkelheit. Sie holt tief Luft und nimmt den Anblick der Landschaft durch das dreckige Autofenster in sich auf. Sie hat das vage Gefühl, dass es hier in der Dämmerung besonders schön ist.

Sie reden nicht. Ella konzentriert sich aufs Fahren und aufs Radio, aus dem jetzt die Stimme eines Isländisch sprechenden Mannes dringt. Hannah schnappt Wortfetzen auf, aber kapituliert davor, einen Zusammenhang herzustellen. Sie ergreift nicht die Initiative für ein Gespräch, konnte noch nie genügend Höflichkeitsfloskeln aufbringen, um sich mit Fremden ohne peinliche Pausen zu unterhalten. Smalltalk. Wie machen die Leute das nur? Stattdessen denkt sie darüber nach, was sie gelesen hat. Über Island. Über Húsafjörður. In dem Dorf sollen rund 1200 Einwohner leben, von zirka 360 000 in ganz Island. Geothermische Energie sichert fast die gesamte Wärmeversorgung und einen Großteil der Stromproduktion – mit anderen Worten, ein sehr nachhaltiges Land. Früher lebten die Menschen in Húsafjörður primär von der Fischerei, doch der Tourismus hat als Einkommensquelle inzwischen gleichgezogen.

Island ist Hannah immer wie ein Land vorgekommen, das von einem Volk mit leichtem Größenwahn bewohnt wird; ob das nun an den Vulkanen, den Wasserfällen oder den Sagas liegt, weiß sie nicht. Einmal war sie zu einer Vernissage eines isländischen Künstlers eingeladen, der Lithographien im Miniaturformat gestaltete, bei der sie die einzige Dänin gewesen war. Einen ganzen Abend verbrachte sie in einer Gesellschaft, in der nur Isländisch gesprochen wurde, obwohl alle auch Englisch und die meisten Dänisch konnten. Die Leute waren nicht unfreundlich, man lächelte und nickte ihr als Anerkennung für ihre Anwesenheit zu, und in ihrer Schweigsamkeit hatte Hannah sich außergewöhnlich gesellig gefühlt. Hätte sie ihr schweigendes Selbst an diesem Abend von außen betrachtet, hätte sie sich vermutlich eine spannende Geschichte darüber ausgedacht, wer sie war. An ihrem Rotwein nippend saß sie da und lauschte, und ohne die Worte zu verstehen, hatte sie den Stolz gespürt. Keinen dänischen Ich-muss-mich-behaupten-Stolz, der im Komplex eines kleinen Landes wurzelt. Eine Selbstsicherheit, die angeboren zu sein schien. Dass diese Selbstsicherheit in den Nullerjahren zu einer übermütigen Wirtschaftspolitik und Investitionen geführt hatte, die die Vulkaninsel fast in den Ruin getrieben hätten, war natürlich die Kehrseite der Medaille.

Húsafjörður steht auf einem Straßenschild, sie sind also fast am Ziel. In der Dunkelheit ist das Dorf schwer zu erkennen, aber Hannah kann am Rand der Ebene vereinzelte Häuser und das Meer erahnen. Sie stellt fest, dass das Dorf während des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1960er Jahre erbaut wurde, mit allem, was an wenig charmanter Betonarchitektur dazugehört. Nicht gerade die Schreibidylle, die sie sich vorgestellt hat, ohne eigentlich zu wissen, was die Vorstellung genau beinhaltet hätte. Eine Lehmhütte mit Moos auf dem Dach wie auf den Postkarten am Flughafen? Sie fahren an einem Teenager auf einem Fahrrad ohne Licht und einer geschlossenen Tankstelle vorbei. Alles hier riecht nach Provinz. Ihr Telefon klingelt, es ist Bastian.

»Und?«

»Es gibt keine Plätze mehr für morgen früh, aber abends um zwanzig Uhr kannst du einen SAS -Flug mit Zwischenstopp in Oslo nehmen. Es war nicht einfach, einen Platz zu kriegen, und du musst wissen, dass dir deine Spritztour vom Vorschuss abgezogen wird.«

»Welchem Vorschuss?«

»Jetzt hör auf. Willst du mitfliegen oder nicht?«

Hannah zögert.

Sie fahren auf ein einsam gelegenes Haus zu, es steht allein auf einer Ebene. Ella schaltet den Motor ab, Hannah betrachtet das Haus, das von Dunkelheit und Stille umgeben ist. Es ist aus Holz, übertrifft seine Besitzerin an Alter, und Hannah schätzt, dass es mit seinen zwei Stockwerken viel zu groß für eine Person ist. Dahinter hängt der Halbmond am Himmel, und Hannah kann ganze Sternbilder erahnen – ihr fällt auf, dass es schon viele Jahre her ist, seit sie zuletzt die Sterne gesehen hat. In der Stadt vergisst man leicht, dass es sie gibt.

Im Hörer an ihrem Ohr räuspert sich jemand.

»Ich sitze mit der Kreditkarte in der Hand und dem Finger auf der Maustaste da, soll ich auf Buchung bestätigen drücken?« Bastians Stimme hat einen ungeduldigen Klang angenommen. Hannah blickt zum Haus hinauf, ahnt Möglichkeiten, die sie noch nicht ganz kennt. Ein Augenblick vergeht. Sie holt tief Luft, so ruhig, wie schon lange nicht mehr.

»Nicht bestätigen! In einem Monat hast du deinen Krimi.« Sie öffnet die Tür und steigt aus.