Der Graf und seine vielen Sorgen
1852

Es gab nur ein Thema, über das sich Graf und Gräfin einig waren. Doch davon wurde nie gesprochen, weil es da um die Meinung des einen von der anderen und der anderen von dem einen ging.

Gustav Bielkegren tat sich selber leid. Er hatte (mit gewissem Zutun seiner Frau Gemahlin) drei Kinder in die Welt gesetzt. Und alle drei schlugen einzig und allein nach ihr!

Sie hießen Mauritz, Désirée und Sophia, aber bei sich nannte sie der Vater – in umgekehrter Reihenfolge – Dumm , Dümmer und Am Dümmsten .

Er hatte sich längst damit abgefunden, dass er sich ganz allein um Schloss, sechsundzwanzigtausend Hektar Wald plus Felder sowie das modernste Sägewerk Schwedens kümmern musste. Die restlichen Familienmitglieder verbuchte er als bloße Kostenfaktoren, Spielverderber und Problemfälle.

Auf das Sägewerk zu setzen, war übrigens die Idee des Grafen gewesen. Er war von allen Seiten gewarnt worden. Etwa, dass Schloss und Gutshof Kronogården zu weit ab von der Küste lägen und er sich lieber der Eisenerzgewinnung aus den nahe gelegenen Flussläufen widmen solle. Als ob der Graf selbst bestimmen könnte, wo sein Wald wuchs! Das Schnittholz erreichte auch auf Wasserwegen die Ostsee. Die im Vergleich zur Konkurrenz höheren Transportkosten mussten eben von Gustavs Brillanz in puncto Weitsicht, Organisation und Effektivität aufgewogen werden. Dass die Lästermäuler auch nach Jahrzehnten noch nicht so recht Lügen gestraft wurden, lag einzig und allein am Wetter. Wie viele außergewöhnlich strenge Winter konnten eigentlich aufeinanderfolgen?

Von all seinen Sorgen war die Ökonomie die hartnäckigste. Schließlich war der Graf ja nun mal Graf und nicht irgendein x-beliebiger Bürstenbinder. Und zudem kein x-beliebiger Graf! Er war die wichtigste Person des ganzen Landkreises und hatte in Südschweden nur sehr wenige, wenn nicht gar überhaupt niemanden über sich. Jedes Mal, wenn es den König mit seinem Hofstaat in den Süden von Stockholm verschlug, wurde als Zwischenstation unterwegs nach Dänemark auf Kronogården Halt gemacht. Entweder endete die Reise im Nachbarland, denn der dänische und der schwedische König hatten immer viel miteinander zu besprechen; oder die Fahrt führte in die deutschen Kleinstaaten und vielleicht sogar bis nach Paris. Bielkegren nahm besonders erfreut zur Kenntnis, dass es im Umkreis von Kronogården nie zu weiteren königlichen Aufenthalten auf schwedischem Terrain kam. Damit war und blieb er ein für alle Mal die einzige bedeutende Persönlichkeit weit und breit.

Der Graf hielt die Fahne seiner Ahnenreihe in der achten Generation hoch und verteidigte die Familienehre mit seinem Namen. Was aus der neunten Generation werden sollte, daran wagte er kaum zu denken. Wie hatte das Erbgut der Familie nur dermaßen auf den Hund kommen können?

***

Alles hatte damit angefangen, dass König Karl XIV . Johan zu Beginn seiner Regentschaft dem Sägewerk seinen ersten von zwei Besuchen abstattete. In seiner Entourage befand sich eine junge Dame aus dem französischen Hochadel. Majestät stellte sie Gustavs Vater vor und redete diesem zu, eine Verbindung zwischen Gustav und der Tochter von des Königs bestem Freund zu arrangieren. Dem Sohn blieb nichts anderes übrig, als sich für die junge Dame zu interessieren. Da sein Französisch zu jener Zeit größere Lücken aufwies, konnte er ihre geistigen Kapazitäten erst beurteilen, als es zu spät war. Nicht dass es ihm geholfen hätte, denn jeglicher königliche Wunsch war einem ja Befehl.

Das besagte Arrangement führte jedenfalls zu Sohn Mauritz, gefolgt von Töchterlein Désirée. Als Gustavs Vater das Zeitliche segnete, wünschte der frischgebackene Graf seine Erbfolge durch einen weiteren Sohn zu festigen und machte sich widerstrebend für den höheren Zweck an die harte Arbeit.

Es dauerte seine Zeit, aber acht Jahre nach Mauritz sollte es ein weiteres Kind geben. Sie wurde auf den Namen Sophia getauft, und damit fand Gustav, dass es reichte. Unter Hinweis auf hartnäckige Schlafstörungen teilte er das Bett nicht mehr mit seiner Gräfin.

***

Die Jahre gingen ins Land. Eines schönen Tages war Mauritz alt genug, sodass dem Grafen aufging: Die Gräfin und er hatten einen Schwachkopf gezeugt. Schuld daran gab er in erster Linie der Gemahlin, in zweiter dem Sohn. Sein Erstgeborener unternahm schlichtweg rein gar nichts. Und wenn doch, schlug es fehl. Das war besonders ärgerlich, weil sein nächster und einziger Nachbar, der Schweinezüchter Olsson, einen Sohn hatte, der seinem Vater offenbar an einem einzigen Tag mehr Nutzen brachte als Mauritz in seinem ganzen bisherigen Leben dem seinen. Zu allem Überfluss war der Bauernjunge auch noch ein paar Jahre jünger!

Um seinen Stammhalter in Fasson bringen zu lassen, schickte ihn der Graf auf die Offiziersschule nach Kristianstad, sobald er das entsprechende Alter erreicht hatte. Von wo er alsbald nach Hause retourniert wurde. Zweiter Versuch in Skövde mit gleichem Ergebnis.

Erst in Stockholm fand Gustav einen Regimentschef mit weitem Gewissensspielraum und ausreichend Geldnöten, um aus Mauritz trotz all seiner unverbesserlichen Defizite einen Leutnant zu machen.

Mit der ältesten Tochter Désirée klappte es besser. Gustav, dem es gelang, sie an einen nicht allzu anspruchsvollen dänischen Baron zu verheiraten, hatte seit jenem Tag nur noch an Dumm und Am Dümmsten zu denken.

Tochter Sophia war mittlerweile auch schon heiratsfähig, aber betrüblicherweise ganz die Mutter, von daher: gleichermaßen frei von Ausstrahlung wie Verstand. Das würde wahrlich kein leichtes Unterfangen werden!

Sohn Mauritz hatte zumindest den Vorteil, dass er günstig im Unterhalt war. Nach dem großzügig bemessenen Schmiergeld in Stockholm genügte dem General alljährlich ein tüchtiger Nachschlag an Reichstalern, damit der General nicht vergaß, was Gustav ihm dafür bezahlt hatte, dass er sich an ihn erinnerte. Ein verschwindend geringer Betrag im Vergleich zu den Kosten auch nur einer einzigen von zahlreichen Einkaufslaunen seiner jüngeren Tochter. Im Übrigen würde das Königshaus schon für Mauritz sorgen. Nun musste sich nur noch erweisen, ob irgendetwas aus dem elenden Nichtsnutz werden könnte.

Apropos Nichtsnutze, als da wären: seine Gemahlin Antoinette und ihre verfluchten Pferde, die zu nichts als starkem Galopp zu gebrauchen waren. Was ja an sich nicht von Übel gewesen wäre, wenn sich die Gräfin jemals irgendwohin davongemacht hätte. Aber die verließ ja nie die Ländereien. Leider!

Mit der Tochter gestaltete es sich auch nicht besser. Schon siebzehn und noch kein Freier in Sicht, ganz gleich, welche Schuhe und welches Kleid sie sich für den jeweiligen Tag aussuchte. Wenigstens war es zweimal nahe dran gewesen. Indes beide Male daran gescheitert, dass die Kandidaten zunächst auf einem Plausch mit der Auserwählten bestanden hatten.

»Puh!«, resümierte der Graf und schlich sich nach unten in seinen Weinkeller. Zur Sicherheit schloss er immer hinter sich ab, auch wenn er Frau und Tochter weisgemacht hatte, dort würden große fleischfressende Spinnen hausen. Nicht dass er je eine gesehen hätte oder es in Schweden überhaupt welche gab, aber das hielt die Frauenzimmer fern.

Endlich allein zwischen Fässern und Flaschen, musste er sich zunächst einmal setzen, um seinen Puls nach dem Souper herunterzufahren, denn die von Gräfin und Tochter zu Hecht und Zander servierten Gesprächsthemen drehten sich selten genug um etwas anderes als Ausgaben. Da war dieser Abend keine Ausnahme gewesen.

Anschließend stand er auf (es war ja Mittwoch) und öffnete vorsichtig die kleine Tür in der einen Ecke neben dem Eichenfass mit Cognac, die auf die Rückseite des Schlosses hinausführte, wo sein Sägewerk-Vorarbeiter Björk auftragsgemäß mit gesatteltem Pferd wartete.

»Ich wünsche dem Herrn Grafen einen angenehmen Ausritt«, log Björk.

Ob das eventuell eine Anspielung sein sollte?

»Ich brauche dich heute nicht mehr«, gab der Graf kurz und knapp zurück.