Die Gräfin und ihre vielen Sorgen
Antoinette Bielkegren tat sich selbst leid. Sie hatte (mit gewissem Zutun ihres Herrn Gemahls) drei Kinder in die Welt gesetzt. Der Erstgeborene kam zu allem Unglück ganz nach dem Vater. Antoinette fand ja, dass es mit einem von der Sorte reichte, doch nun hatte sie gleich zwei Stück um sich.
Aus der ältesten Tochter wurde sie auch nicht richtig schlau. Gustav hatte sie an einen einfachen Baron in Dänemark verheiratet, und in ihrem letzten Brief hatte Désirée geschrieben, wie glücklich sie sei.
Glücklich? In Dänemark?!
Zumindest sprach der Baron Französisch. Aber er war immer noch Däne. Und sein Vermögen bestand im Wesentlichen aus achtundvierzig Windmühlen zum Mahlen von Mehl. Mehl, aus dem Brot gebacken wurde! Wer wollte schon von Brot und dänischem Bier leben, solange es Gänseleberpastete und Wein von der Loire gab , dachte eine, die seit über zwanzig Jahren unter Heimweh litt.
Dann war da noch Sophia. Mit ihren nunmehr siebzehn Jahren nach wie vor voller Lebenslust. Aber wie lange wohl noch? Das schauderhafte Schweden saugte ihnen beiden so allmählich jegliche Vitalität aus Mark und Bein.
Antoinettes Vater trug dafür die Schuld, dass es so weit gekommen war. Obschon selbst ein Marquis, hatte er sich vom Bürgerlichen Jean Baptiste Bernadotte blenden lassen, der in der französischen Armee zum General aufgestiegen war. Die beiden waren bereits unverbrüchlich beste Freunde, als Bernadotte unversehens erst Kronprinz und dann auch noch König von Schweden wurde. Bis auf den heutigen Tag gab es Antoinette Rätsel auf, wie sich der Bürger Bernadotte, ein ordensdekorierter Offizier in der stolzesten Armee der Welt, freiwillig zum Herrscher über wenig mehr als ein paar Lümmel, Säufer und Hungerleider mit Ruhr und/oder Typhus krönen lassen konnte. Nun, das wäre ja noch angegangen, wenn er nicht obendrein seinem Freund die Idee eingeflüstert hätte, dessen Tochter mit dem Sohn eines schwedischen Grafen zu vermählen.
Ihr Vater und der Bürgerliche hatten es natürlich trotz alledem gut gemeint. Ein Graf stand schließlich im Adelsrang ein Ideechen über einem Marquis. So kam es, wie es kommen musste. Woraufhin sowohl der bürgerliche König als auch Antoinettes Vater entschwanden – und sie ihrem Schicksal überließen.
Das Vermögen des vulgären Gustav bestand im Übrigen nicht einmal aus Windmühlen, sondern aus Bäumen! Brot war – im Unterschied zu Bohlen und Brettern – zumindest essbar, wenn man es in Olivenöl tunkte.
Mehr als alles andere fehlten der Gräfin ihr Bruder und die französischen Ländereien der Familie. Nicht zu fassen, dass sie das Loiretal – den Garten Frankreichs! – gegen nichts als Kiefern und Fichten, Kiefern und Fichten eingetauscht hatte: Winter mit meterhohem Schnee und einen Schweinezüchter zum Nachbarn, mit dem sich nicht gepflegt parlieren ließ. Wozu auch immer das hätte gut sein sollen, außer, um ihm zu verklickern, dass man ihn loswerden wollte.
Und zu allem Überdruss waren es auch noch zwei Stunden per Pferdekutsche in die nächste Stadt.
Växjö . Allein schon der Name war ihr ein Graus. Antoinette hatte sich hoch und heilig geschworen, nie im Leben einen Fuß dort hineinzusetzen; ein Gelübde, das sie seither bereits mehrmals hatte brechen müssen. Erst vor zwei Jahren, als der Dom feierlich wieder eingeweiht wurde. Alle, die etwas auf sich hielten, waren eingeladen, von allen wurde nicht nur erwartet, zu erscheinen – sondern auch beeindruckt zu sein! Als ob es Notre-Dame nicht gäbe? Fünfhundert Jahre älter und mindestens ebenso viele Male schöner.
Antoinette träumte davon, gemeinsam mit Sophia aus dem Land zu fliehen, bevor diese das gleiche schlimme Schicksal ereilte wie Désirée. Leider musste es bei dem Traum bleiben, denn wie sollten sie jemals aus dem eiskalten Norden fliehen können? Der Graf war ja bis in alle Ewigkeit an die sechsundzwanzigtausend Hektar seines vermaledeiten Waldes gebunden. Und in Adelsfamilien trennte man sich nicht, nicht ohne einen Skandal zu verursachen.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen: sich dem einfältigen Gatten gegenüber mindestens ebenso einfältig zu geben und die Vorteile mitzunehmen, die sich daraus ziehen ließen. Wie beispielsweise die prachtvollen Araber.
»Puh!«, resümierte Antoinette ihre und Sophias Lage, ging in ihr Gemach, nahm an ihrem Schreibtisch Platz, griff zu Papier und Gänsekiel und setzte zum nächsten Brief einer nicht enden wollenden Serie an.
Frère bien-aimé. Geliebter Bruder … Stell dir vor!