Algot hilft seinem Vater, sich eine Meinung zu bilden

Sven Olsson konnte sich keine besseren Nachbarn als die wünschen, die er hatte. Insgeheim amüsierte er sich königlich darüber, wie Graf und Gräfin nicht nur an der bloßen, sondern auch noch erfolgreichen Existenz von ihm und seiner Familie Anstoß nahmen.

Beide wollten ihn aus der Gegend vertreiben, weil Bielkegrens übel riechende Gattin Platz für ihre Pferde brauchte!

Erst war die Bielkegren’sche angekommen und hatte ihn auf Französisch zu überreden versucht. Ein paar Tage später war der Graf dran gewesen. Wenigstens hatte er in einer verständlichen Sprache geredet und eine genau bezifferte Summe Reichstaler für Haus und Grund angeboten. Aber das Gespräch hatte zu nichts geführt, war ins Stocken geraten, als er ihm die Antwort darauf schuldig geblieben war, wo Sven denn dann mit seinen zahlreichen Schweinen, seiner kränkelnden Frau und seinem bald flüggen Sohn hinziehen solle.

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Sven und Gustav Bielkegren waren gleichaltrig. Natürlich hatten sie als Kinder nie miteinander gespielt und sich auch nie in der Schule getroffen. Einerseits, weil der Grafensohn im Schloss unterrichtet wurde, andererseits, weil Sven gar keinen Unterricht bekam.

Einen Schweinehof betrieb man schließlich am besten mit einem Näschen fürs Geschäft, was wenig zu tun hatte mit Katechismus lernen oder Kenntnissen darüber, was alle französischen Philosophen der Welt gedacht und verzapft hatten.

Im Übrigen war Sven aufgefallen, dass das Französische gewisse lautliche Ähnlichkeiten mit den Schweinen aufwies, wenn sie zufrieden waren, etwa wenn er und Algot ihnen Eimer mit faulen Äpfeln brachten.

Als der Vater des derzeitigen Bauern 1825 verschied, übernahm der Sohn den Hof. Von dem Tag an wuchs der Betrieb rasch, weil Sven nicht nur gelehrig, sondern obendrein auch von jugendlichem Eifer beseelt war. Aus dreißig Schweinen wurden fünfzig, hundert, zweihundert, die aktuelle Stückzahl betrug nun zweihundertneunundneunzig. Noch dazu etliche trächtige Säue.

Das Wohnhaus konnte schon im Jahr 1831 ausgebaut werden, gerade rechtzeitig vor Esthers Niederkunft mit Algot, der ihr einziger Sohn bleiben sollte. Am achten Geburtstag des Jungen weihten sie einen neuen Schweinestall mit Platz für vierhundert Tiere ein (man musste nach vorn blicken). Etwas später kam ein großes Schlachthaus hinzu, das sofort Gewinn abwarf, weil Sven auch die Nutztiere der Nachbarn im Umkreis annehmen und verarbeiten konnte.

Nach ein paar Jahrzehnten war der Schweinebauer Olsson ein gemachter Mann, der etwas galt! Und zwar dergestalt, dass andere in der Gegend, die ebenfalls etwas galten (wenn auch nicht ganz so viel), ihn nunmehr zum Repräsentanten der Bauern im Stockholmer Ständereichstag gewählt hatten. Bald sollte sich Sven also die Gelegenheit bieten, vor Seiner Majestät und den Reichstagsmitgliedern zu sprechen und seine politische Meinung kundzutun! Zudem würde König Oskar verstehen, was er sagte, denn der konnte ja Schwedisch, im Unterschied zu seinem Vorgänger – und im Übrigen auch zur Gräfin auf Kronogården.

Mittlerweile ging Sven auf die fünfzig zu. In nicht mehr allzu ferner Zukunft würde er aller Wahrscheinlichkeit nach den Löffel abgeben. Doch das bereitete ihm keine Sorgen, da der Sohn schon herangewachsen und wohlgeraten war.

»Wir sollten dich als neuen Schweinebauern einarbeiten, solange ich noch am Leben bin«, überlegte er laut. Seinerseits war er bereits als Zwanzigjähriger in die Fußstapfen seines Vaters getreten. »Dann könnte ich mich in meinen letzten Lebensjahren mit voller Kraft der Politik widmen.«

»Welche Meinung vertretet Ihr denn, Vater?«, fragte Algot.

»Zu was?«, wollte Sven wissen.

»Zu allem! Wenn Ihr vor Seiner Majestät sprechen und Eure politische Meinung kundtun wollt, wäre es doch gewiss zweckdienlich, eine Meinung auf Lager zu haben? Gerne auch zwei.«

Der Schweinebauer dachte nach. Ja, welcher Meinung war er eigentlich? Er fand, dass die Winter zu streng ausfielen, der Graf ein Idiot war, die Gräfin nun mal roch, wie sie roch, und der Weg nach Växjö etwas zu weit war.

Sven verstand, dass man damit keine Politik betreiben konnte.

»Wahrscheinlich sollte ich am besten noch mehr Meinungen haben, nicht wahr?«

***

So kam es, dass das künftige Reichstagsmitglied, der Schweinebauer Sven Olsson, in seinem Landstrich von Hof zu Hof fuhr, um sich anzuhören, wie die Bauern, die er vertreten sollte, das Leben sahen. Zur Sicherheit nahm er Algot als sein drittes Ohr mit auf die Reise.

Er und sein Sohn mussten sich anhören, dass alles Mist sei: die Steuern, das Wetter, die Faulheit der Knechte und Mägde und der Kirchgangszwang. Ein Bauer merkte ferner an, er habe eine viel zu sauertöpfische Frau, als ob der kommende Reichstagsmann daran was ändern könnte.

Nur Andersson auf dem Hügel war mit seiner Meinung zum ganzen Elend weitsichtiger als die anderen. Er lud Sven und Algot zum Kaffee ein und erinnerte sie an die Revolution in Frankreich vor einigen Jahren und zu wie viel Unruhen es danach gekommen sei: in den deutschen Kleinstaaten, in Österreich-Ungarn, Polen, Venedig, Tschechien, also so gut wie überall. Selbst in Stockholm flogen Steine auf die Regierung. Aber nur so lange, bis keine Steine mehr da waren, anschließend war wohl jeder wieder zu sich nach Hause gegangen.

Der belesene Bauer berichtete, dass ehrbare französische Bürger und Bauern gänzlich den Verstand verloren und sich mit den Sozialisten zusammengetan hätten, um gemeinsam stärker zu sein und mehr Erfolg mit ihrer Revolution zu haben.

Sven saß schweigend da, während sich Andersson durch ganz Europa redete.

Aber Algot nahm all seinen Mut zusammen und fragte, was denn der größte Fehler an den Sozialisten sei? Darauf erfuhr er, dass sie den König stürzen, eine Republik einführen und fast jeden wählen lassen wollten!

»Wo kämen wir da hin, wenn jeder dahergelaufene Landstreicher mitentscheiden dürfte?«, ereiferte sich der Belesene. »Das Mindeste, was man von einem verlangen kann, der das Gesetzbuch ändern will, ist ja wohl, dass er die vorhandenen Gesetzestexte lesen kann?«

Dank der hilfreichen Einflüsterungen seines Sohns versprach der Reichstagskandidat Sven Olsson aus dem Regierungsbezirk Allbo (ganze sechzehn Gemeinden!) seinem heimischen Umfeld, für die Aufrechterhaltung der Monarchie einzutreten sowie dafür, dass nur des Lesens Kundige das allgemeine Wahlrecht ausüben dürften.

Dass Sven selbst Buchstaben und Wörter weder entziffern noch niederschreiben konnte, betrachtete Algot als überwindbares Hindernis. Da musste Vater eben umso mehr reden. Unter anderem vor dem König, auf den sie weiß Gott auch ganz gut verzichten konnten.