Schwarzbrenner Olsson
Zu jener Zeit war das Schnapsbrennen für den Hausgebrauch in Schweden erlaubt, vorausgesetzt, man gehörte dem Adel, dem Bürgertum, den Bauern oder der Geistlichkeit an. Einfachere Leute, also solche, die mehr Grund als andere hatten, ihren inneren Schmerz zu betäuben, waren darauf angewiesen, denjenigen etwas abzukaufen, die mehr als genug für den Eigengebrauch besaßen.
Zudem war Hausgebrauch ein dehnbarer Begriff. Mit dem richtigen Namen und Stammbaum konnte man in der Bezirksverwaltung in Växjö ein Weiterverkaufsrecht beantragen – Graf Bielkegren war einer von denen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten. Für teuer Geld versorgte er seither seine Pächter und Tagelöhner mit dem, wovon sie annahmen, sie bräuchten es (im Übrigen nahmen alle an, dass sie es bräuchten, außer dem Sohn von Schweinezüchter Olsson auf Kråketorp). Wenn ein Tagelöhner kein Geld hatte, konnte er einen Krug Schnaps gegen ein paar Überstunden eintauschen, damit er, wenn endlich Feierabend war, trinken konnte, bis er sich vor der Einsicht, dass der Folgetag genau wie der davor sein würde, plus Kopfschmerzen, in den Schlaf geflüchtet hatte.
Propst Sikelius in Aringsås machte es wie der Graf. Seelsorge war schließlich nicht umsonst zu haben, und in schweren Zeiten ließ die Kollekte gerne zu wünschen übrig. Die Kirche brauchte jeden nur erdenklichen Reichstaler, den sie ergattern konnte. Zudem: Wer hatte Seelsorge nötiger als einer, der just sein letztes Hemd versoffen hatte?
Algot hingegen wäre ausgelacht worden, hätte er versucht, eine Genehmigung zum Brennen zu bekommen. Oder vielmehr verhaftet, da er ja nun keinem der vier Stände mehr angehörte. Höchstwahrscheinlich beides.
Ihm blieb also nichts anderes übrig, als sich neue Märkte zu erschließen und alle Konkurrenten zu übertrumpfen. Und, nicht zu vergessen, aufzupassen, dass er unterwegs nicht dem Bezirks-Amtmann über den Weg lief.
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Der Graf verkaufte an alle seine Tagelöhner und Pächter. Die Bürger und Bauern waren Selbstversorger. Der Propst in Aringsås versorgte die restliche Gemeinde. Für Algot blieben da nur die durstigen Durchreisenden übrig. Also die Gleisbauer, die jetzt und in den kommenden Jahren Eisenbahnschienen zwischen Malmö und Katrineholm und weiter bis nach Stockholm verlegen sollten. Die waren ja Auswärtige, zogen ständig umher und gehörten folglich nicht per se zum gräflichen oder priesterlichen Kundenkreis.
Zum ersten Mal hatte Algot vor ein paar Jahren von ihnen gehört, als sie die Südgrenze des Verwaltungsbezirks Kronoberg überquerten. In den Lokalzeitungen wurde vor ihnen gewarnt, seitdem ein vorbeikommender Bauer während der Mittagspause der Gleisbauer angehalten, in ihre Richtung gespuckt und verkündet hatte, sie wären mit dem Teufel im Bunde. Diese Ansicht hatte der Bauer von seinem Priester übernommen, der auf einen Reichstagsmann gehört hatte, welcher seinerseits versucht hatte, jeglichen Eisenbahnbau mit dem Argument zu vereiteln, die Dampfkraft schwäche die körperlichen und seelischen Kapazitäten der Menschen und mache sie unglücklich. Am unglücklichsten war am Ende wohl der Bauer, denn nachdem er sein Argument vorgetragen hatte, verprügelten ihn die Gleisbauer, ehe sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandten.
Der unfreiwillige Pächter hatte jedoch andere Pläne, als sich mit den harten Männern anzulegen, die günstigerweise den Landstrich um Vislanda erreicht hatten.
Denn die Verwaltungsbezirksgrenzen durfte man nicht ohne Reisepass überschreiten, und einen solchen bekam man nicht so ohne Weiteres. Zunächst brauchte Algot dafür ein priesterliches Attest, das bezeugte, wer er war, und dass er von tadellosem Leumund sei, wie es hieß. Erst mit solch einem Dokument durfte er beim Oberbefehlshaber Ihrer Majestät des Königs in der Bezirksverwaltung in Växjo vorsprechen und demütig um einen Pass ersuchen. Wenn dieser Mann gnädig genug gestimmt war, konnte es gelingen. Wenn nicht, dann nicht.
Den Pass würde Algot aber erst brauchen, wenn sich die Gleisbauer der Grenze von Jönköping näherten. Das Einzige, was er vorerst brauchte, war deren Zustimmung.
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Der Graf, der Propst und andere, die für den Eigenbedarf brannten und weiterverkauften, schwörten darauf, möglichst tüchtig einzuheizen, damit es flott voranging. Je heißer es brannte, desto rascher bekam man die Krüge voll. Dass dabei eine Menge Vorlauf mit reinrutschte, war unvermeidlich, insofern man überhaupt wusste, was das war. Fusel war kein chemischer Begriff, sondern kurz und gut eine Bezeichnung für Schnaps, der den seelischen Schmerz der Trinkenden betäubte, wenn diese sich redlich mühten, das Getrunkene nicht wieder von sich zu geben, bevor der eigentliche Alkohol im Blutkreislauf angekommen war. Die beste Methode sollte darin bestehen, sich beim Trinken die Nase zuzuhalten. Die Kombination von Branntwein und Geschmackserlebnis war den meisten ebenso fremd wie Graf Bielkegren die Kombination von Ehe und Liebe.
Wenn der Schmodder fertig war, mischte man alles zu gleichen Teilen mit Wasser, schüttelte kräftig und füllte es zum Weiterverkauf in Krüge ab. Für vierzig Schillinge den Krug bekam der Kunde, was er brauchte. Und es kam ihm auch nicht wieder hoch, vorausgesetzt, er hielt sich halt eben die Nase zu.
Algot war natürlich nicht der einzige Schwarzbrenner. Wie die Wespe, die zu Süßem strebt, krochen Glück suchende Schwarzbrenner von überallher aus ihren Löchern, um sich an den harten Gleisbauern ein hübsches Sümmchen zu verdienen. Der eine verlangte lächerliche zwölf Schilling für einen Krug. Der andere vierundzwanzig, oder gar ganze sechsunddreißig. Aber wer keine Kostprobe anbot, verkaufte nicht viel, egal zu welchem Preis. Nach etlichen Jahren im Staatsdienst waren die harten Männer abgebrüht, was den Konsum von Schwarzgebranntem anging. Jedes Mal, wenn ihnen ein Krug zur Kostprobe gereicht wurde, rechnete niemand mit etwas anderem, als dass der Branntwein bestenfalls scheußlich schmecken würde. Schlimmstenfalls mussten sie den Verkäufer vermöbeln und ihm den ungenießbaren Sprit selbst einflößen.
Kein Wunder, dass Algot ein gerüttelt Maß an Argwohn entgegenschlug, als er mit seinen sechzig ersten Krügen ankam, sorgsam auf dem Wagen hinter Brunte aufgestapelt. Plus einem Krug zur Kostprobe.
Die volle Wagenladung machte die Gleisbauer neugierig. Neue, vielversprechende Lieferanten tauchten ständig auf, aber selten mit mehr Krügen, als in eine Karre passte. Und jetzt kam da sogar einer mit Pferd und Wagen!
»Wie willst du das alles loswerden?«, sagte der Gleisbauer ganz vorne, hinter dem die anderen herschlurften.
»Kostprobe gefällig?«, sagte Algot.
Der Gleisbauer winkte einen der Männer aus der Gruppe herbei:
»Probier du, Seppo. Sind es vierundzwanzig Schilling, zwölf Schilling oder eine Tracht Prügel?«
Der mit Namen Seppo trat ein paar Schritte vor, griff sich Algots Probierkrug und setzte zu einem ersten vorsichtigen Schluck an. Gefolgt von einem merklich längeren. Bis es aus ihm herausplatzte:
»Perkele! «
Er war Finne, und Algot verstand zwar nicht, was er sagte, aber durchaus, was er damit meinte.
Der zweite in der Schlange sagte es auf Schwedisch:
»Teufel auch! Gib mir mehr davon, und ich verleg die Eisenbahngleise wahr und wahrhaftig bis ganz nach Moskau!«
»Geben, nun ja«, sagte Algot. »Ich bekomme zwei Reichstaler den Krug.«
Das war fast zweieinhalbmal mehr als je irgendwer zu fordern gewagt hatte. Die Gleisbauer sahen sich an, nachdem sich genügend von ihnen den Mund geleckt hatten. Zwei Reichstaler?
Ja. Absolut angemessen.