Der Umzugswagen fährt vor

Der Stall war, wie er war, also nichts, was Brunte fehlen würde. Helmut Zimmermann versetzte ihm einen Tritt in die Seite, in der Hoffnung, dass er zusammenbrechen würde. Algot hielt ihn von einem zweiten Tritt ab, weil der Graf, wie er meinte, auch so schon böse genug wäre.

Sechs Stunden dauerte es, dann lag Algots Kate bündelweise ordentlich verschnürt auf seinem ohnehin bereits verbreiterten Wagen. Anna Stina übernahm die Aufgabe, den Destillierapparat, Krüge, Läuterungsrohre, sämtliche Bücher des Pächters, diverse Küchenutensilien und mittlerweile sogar eine Wechselgarderobe auf den anderen Wagen zu packen. Letztere untersuchte sie auch noch gründlich, ehe sie sie zusammenfaltete.

»Praktisch als Reserve, wenn Ihn nächstes Mal die Lust überkommt, in unserem Möhrenbeet schwimmen zu gehen.«

Algot hätte gern gewusst, wie lange sie wohl noch vorhatte, ihn daran zu erinnern.

»Man wird sehen«, sagte Anna Stina.

Schon nachdem sie Algots Behausung Stück für Stück fertig zusammengepackt hatten, war Zimmermanns Tochter klar, wo sie sie wiederaufbauen sollten. Die Druckermeisterfamilie besaß nicht nur ein großes Wohnhaus und eine noch größere Druckerwerkstatt, sondern auch ein großzügig bemessenes Grundstück.

»Neben dem hohen Flieder, an der Grundstücksgrenze hinter dem Haus. Da hat Er aus seinem Küchenfenster Sicht auf das Möhrenbeet.«

»Ihr könnt es wirklich nicht lassen«, sagte Algot.

»Sieht nicht so aus«, sagte Anna Stina.

Zum Schluss blieb nur noch eine Holzkiste voller Reichstaler übrig, die zum Vorschein kam, als die letzten Bodendielen im Wagen hinter Brunte verstaut worden waren.

»Was mag Er wohl darinnen haben?«, erkundigte sich Helmut Zimmermann, als Algot darauf bestand, sie direkt neben sich in den eigenen Wagen zu stellen.

»Teile meiner Zukunft«, antwortete Algot, womit dieses Thema von seiner Seite unmissverständlich beendet war.

Der Druckermeister kam auf etwas anderes zu sprechen:

»Was machen wir mit dem Pachtgrundstück?«

»Das gehört nun mal dem Grafen«, sagte Algot. »Stehlen gehört sich nicht.«

»Nun ja«, meinte Helmut Zimmermann. »Kommt ganz drauf an, was man von wem unter welchen Umständen stiehlt.«

Ganz allgemein pflichtete Algot ihm bei. Sich ein Buch unter den Nagel zu reißen, das jemandem gehörte, der nach einem Mordversuch nach Amerika geflohen war, mochte noch angehen (wobei das Buch ja davon handelte, was anging und was nicht). Zweifelhafter allerdings war, einen eingesperrten Kommunisten um die ganze Vorauszahlung nebst den Gewinn aus dem Verkauf eines Manifestes zu bringen.

»Ich habe es nicht nur gedruckt«, sagte Helmut Zimmermann. »Anna Stina und ich haben es auch gelesen, während wir die Typen setzten. So wie wir den Text verstanden haben, sollen sich in Zukunft alle mit dem, was sie können, gegenseitig helfen. Wir brauchen das Geld, der Kommunist nicht, denn sein Wasser und Brot bezahlt der Staat. Und dazu sein Dach über dem Kopf. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen! ›Einem jedem nach seinem Vermögen‹ steht übrigens schon im Alten Testament.«

»Da nicht, aber im Neuen«, stellte Algot richtig.

Anna Stina ergänzte, dass der Kommunist gewiss anderes in den Magen bekäme als nur Wasser und Brot, zumindest seit Ablauf des ersten Monats. Sie lebten ja nicht mehr im achtzehnten Jahrhundert.

»Umso besser«, erklärte Helmut. »Im Neuen Testament, sagt Er?«

Dass Algot ein hervorragendes Gedächtnis besaß, stand ja nun außer Frage; dennoch überraschte er sogar sich selbst mit dem folgenden Zitat, das er frisch von der Leber weg aufsagte:

»›Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.‹«

»Hat Er da soeben aus der Bibel zitiert?«, fragte Anna Stina bass erstaunt.

»Die Apostelgeschichte, Kapitel zwei, Vers 44 bis 45«, antwortete Algot.

»Mit Ihm stimmt etwas nicht!«

***

Stets und unter allen Umständen war es leichter, etwas abzureißen, als es aufzubauen. Einstweilen rackerte sich das Trio drei volle Tage mit Vorbereiten und Steineschleppen ab, bis der neue Grund für Algots Kate bereitet war.

Doch dann stand sie jedenfalls an ihrem neuen Platz, vom Weg aus teilweise vom stattlichen Fliederstrauch der Familie Zimmermann verdeckt. Das reinste Schloss, fand der Pächter, denn die gesamte Branntweinproduktion war in den hinteren Bereich von Helmut Zimmermanns Druckerei verlegt worden. Jetzt konnte das Bettgestell so verbreitert werden, dass zwei Personen Platz hatten.

Wozu wohl? , fragte sich Algot und ertappte sich dabei, wie er einen verstohlenen Blick in Anna Stinas Richtung warf.

Den sie nicht erwiderte.