Es geht an

Mit einem ordentlichen, in sorgfältig gewählten Worten abgefassten Reisepass unternahm Anna Stina Fahrten über die Bezirksgrenzen nicht nur nach Halland, sondern auch nach Kristinstad und Blekinge, um die Bücher zu verkaufen, die ihr Vater drucken ließ. Oft genug war sie lange unterwegs, und es konnte vorkommen, dass Algot und Helmut bereits mit dem Abendbrot angefangen hatten, bevor sie endlich selbst etwas in den Magen bekam.

Vor allem klapperte sie regelmäßig die Buchhandlungen ab, mit denen nun bald jede Ortschaft, die etwas auf sich hielt, ausgestattet war. Und die Büchereien.

Das Buch Die Woche mit Sara , das schwedische Original heißt ins Deutsche übersetzt: Es geht an , handelte von dem Sergeanten Albert, der sich auf einer Schiffsreise in die eigensinnige Glasermeistertochter Sara Videbeck verliebt. Wie sich herausstellt, werden seine Gefühle erwidert – jedoch unter einer Bedingung. Die junge Sara möchte nämlich gerne wie in einer Ehe mit dem Sergeanten zusammenleben, nur ohne dass sie vorher heiraten! Sie gibt Albert einige Gründe dafür an, die alle mit der weiblichen Befreiung vom Manne zu tun haben. Oder vielmehr: Wir wollen einander lieben, aber unter gleichen Bedingungen .

Dass derart unsittliches Gedankengut überhaupt in Buchform erschien, stieß vielen schon schlimm auf. Dass der Verfasser überdies ein Pfarrer war, machte die Sache noch schlimmer. Und als ob es damit nicht reichte, stand dieser Pfarrer jetzt auch noch unter Mordverdacht und befand sich auf der Flucht vor dem Gesetz.

»Carl Jonas Love Almqvist«, sagte Anna Stina. »Man mag über ihn sagen, was man will, aber ich bewundere jeden, der Propst Sikelius in Aringsås gegen sich aufbringt.«

»Und vielleicht auch mich ein wenig«, sagte Helmut, der sich damit abfinden musste, dass seine Tochter und er sich beim Küchendienst in einem von Anna Stina eingeführten Zweitages-Prinzip abwechselten.

Bei einem der ersten gemeinsamen Frühstücke von Algot, dem Druckermeister und seiner Tochter berichtete diese von ihrer Verkaufstätigkeit. Freilich zauderte der eine oder andere Buchhändler bei der Vorstellung, die unsittliche Woche mit Sara in sein Regal zu stellen. Doch Anna Stina argumentierte geschickt mit den Profitaussichten, und die Geldgier des Händlers setzte sich meistenteils durch. In den einzigen zwei Fällen, in denen der jeweilige Buchhändler standhaft geblieben war, so ausführlich Anna Stina ihm ihre Argumente auch dargelegt hatte, hatte sie aus Rache die Gattin des Händlers aufgesucht und ihr ein Freiexemplar überreicht. Das erbrachte zwar keine höheren Verkaufszahlen, führte dafür aber, so Gott wollte, zumindest zu häuslichen Differenzen bei den Ehegatten.

Mit dem Kommunistischen Manifest spielte es sich nicht ganz so einfach ab. Ein echter Buchhändler gehörte ja zum Bürgertum und war zudem belesen und verstand – oder erahnte zumindest –, was in Europa und auf der Welt vor sich ging. Allein das Wort Kommunismus war vielen unbekannt. Dann erklärte Anna Stina, dass das ungefähr so wie Sozialismus sei, nur noch ein wenig verdrehter. Darüber solle sich der Herr Buchhändler nur keine Sorgen machen! Denn was schade es schon, an den Träumern, die es sich leisten konnten, sich an den Fantasien der beiden Manifest-Verfasser zu ergötzen, ein hübsches Sümmchen zu verdienen? Noch dazu Deutsche, was verstünden die schon?

Und das aus dem Munde von einer, die einen ebenso deutschen wie geliebten Vater zu Hause hatte.

Die meisten ließen sich überreden. Aber längst nicht alle. Folglich suchte Anna Stina auch etliche Studentenvereine in Växjö und Jönköping auf, mit gemischtem Ergebnis. Sie fand es schade, dass sich kein einziger Arbeiter, Pächter oder Tagelöhner das Manifest leisten konnte, wenn man bedachte, dass es just ihnen versprach, an die Macht zu kommen, nachdem die Könige, Adligen, Priester, Bürger und Bauern entmachtet worden wären.

»Du wirst doch nicht etwa Kommunistin, mein Liebling?«, sagte Helmut besorgt, als sie mit ihrem Bericht zu Ende war.

Anna Stina sagte lachend, da könne Vater ganz beruhigt sein.

»Die Männer, die das Manifest geschrieben haben, Marx und Engels, sind zwar klug, irren aber in einem wichtigen Punkt.«

Helmut war sich nicht sicher, ob er mehr darüber wissen wollte. Wenn irgend möglich, ging er politischen Diskussionen mit seiner Tochter aus dem Weg. Dennoch sah er sich genötigt, zu fragen:

»Und der wäre?«

»Die Hauptthese der Kommunisten lautet, dass Könige, Grafen, Barone, Bürger und Bauern alle miteinander Ausbeuter und das personifizierte Böse sind«, sagte Anna Stina.

Helmut nickte.

»Wenn man die Bürger weglässt, mag wohl etwas dran sein, nicht wahr?«

»Gut möglich. Aber der Sklavenarbeiter auf der untersten Stufe der Hühnerleiter, der mit Mistschaufeln nie mehr als einen Reichstaler am Tag verdient – wer sagt, dass der ein so viel besserer Mensch ist? Wir wissen über ihn doch nur, dass er am ärmsten dran ist.«

»Du meinst, wenn Graf und Tagelöhner Plätze tauschen, bleibt alles beim Alten, nur mit vertauschten Rollen?«

Jetzt war Anna Stina mit Nicken an der Reihe.

»Möglicherweise mit dem Unterschied, dass der Graf am liebsten seinen Knecht weiter ausbeuten würde, während der Sklave den Grafen wohl lieber an einem Baum aufhängen würde, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu böte. Um es ihm heimzuzahlen.«

»Graf Bielkegren gleich aufzuhängen, wäre wohl etwas zu dick aufgetragen«, sinnierte Algot vernehmlich, nachdem er sich bis dahin lieber zurückgehalten hatte. »Aber ein Tritt in den Allerwertesten würde ihm sicherlich gut bekommen.«

»Du hast heute Küchendienst, Liebling«, sagte Helmut, bedankte sich für das Essen und machte sich auf den Weg zu seiner Druckerpresse.

Nicht weil er es sonderlich eilig hatte, sondern weil ihm jedes Gespräch mit Anna Stina über gesellschaftspolitische Themen gegen den Strich ging. Besser war es, sich davon tunlichst fernzuhalten.

Zurück blieben die Tochter und der Ex-Pächter.

»Warum seid Ihr so in das Buch des schwachsinnigen Pfarrers vernarrt?«, fragte Algot, hauptsächlich, um irgendetwas zu sagen.

Anna Stina gefiel es gar nicht, wie Papa Helmut den Verfasser der Woche mit Sara bezeichnete.

»Carl Jonas Love Almqvist … der hat bereits vor fünfzehn Jahren gesagt, wie die Dinge stehen.«

»Etwa, dass es eine gute Idee ist, seinen Gläubiger mit Arsen zu vergiften?«

Wie Algot diese Worte sofort bereute! Schließlich saß er nun unter vier Augen mit der einzigen Frau beisammen, die ihn bislang wahrhaftig interessierte. Warum konnte er sich nicht etwas mehr nach ihr richten?

»Vielleicht sollte ich dieses Buch einmal lesen«, versuchte er es.

Doch er hatte seine Chance vertan. Anna Stina stand vom Tisch auf und begann abzutragen.

»Geh und leg dich schlafen, Algot. Es ist schon spät, und du musst ja morgen Maische ansetzen. Ich kümmere mich um den Abwasch.«