Das erste Produkt

Der Destillierapparat war aufgebaut und blubberte leise vor sich hin, ein Geräusch, das Helmut Zimmermann an Hafergrütze erinnerte. Er war so neugierig wie wissbegierig. Fragte nach diesem und jenem, brachte übereilte, selten hilfreiche Verbesserungsvorschläge an.

Die Tage vergingen, ohne dass er sich einbringen konnte. Frustriert, wie er war, fuhr er eines frühen Morgens zur Glashütte in Kosta und kam mit vierhundert 1,3-Liter-Glasflaschen wieder, wozu ihn das frühere Gespräch unter Männern beim Bier in Växjö inspiriert hatte.

»Jetzt brauchen wir nur noch ein Etikett zu erfinden.«

Wenn das nicht ein guter Einfall war , dachte er. Denn wer kannte sich auf dem Gebiet besser aus als er?

Der ehemalige Pächter dankte seinem Schicksal, weil es ihn mit dem erfinderischen Druckermeister zusammengebracht hatte.

»Extra Reiner Schwedischer Branntwein?«, schlug er vor.

Helmut Zimmermann schüttelte langsam den Kopf. Die Nüchternheitsapostel der Nation schienen ihre Stimmen immer lauter zu erheben. Daher hatte der Druckermeister schon eine Umdrehung weitergedacht. Er fürchtete, dass es bald zu einem neuen Gesetzeserlass kommen würde. Wenn der unselige Tag einträfe, wäre es für die Firma Olsson-Zimmermann klüger, eine Import- statt einer Produktionsgenehmigung zu haben.

Algot staunte nicht schlecht. Und duzte den Druckermeister im Überschwang:

»Willst du etwa Alkohol importieren , nachdem wir uns mit all dem hier so abgerackert haben?«

Der Pächter zeigte auf den Destillierapparat, das Fass mit Maische, die Regale mit den Krügen, die neuen Flaschen – alles!

»Nein, verdammt«, sagte Helmut Zimmermann. »Seit wann muss etwas das sein, wonach es aussieht?«

Kurz und gut, der Druckermeister meinte, dass sie in der Druckerei weiter schwarzbrennen, das Ergebnis aber als Importware ausgeben sollten.

»Verstehe«, sagte Algot und rätselte weiter, wie das Etikett dann wohl aussehen könnte.

Ihm fiel die allerletzte Stunde Europakunde ein, die der Kandidat ihm erteilt hatte: eine spannende Geschichte von einem erblindeten Prinzen, der das Königreich Hannover übernommen und sich mit Zeigen per Handzeichen beholfen hatte. Algot erinnerte sich zum einen daran, weil er ein ausnehmend gutes Gedächtnis hatte, zum anderen wegen der Bilder, die er bei der Geschichte vor sich gesehen hatte. Woher hatte der Blinde gewusst, in welche Richtung er zeigen musste?

»Extra Reiner Hannoveraner Branntwein?«, schlug er vor.

Helmut Zimmermann nickte nachdenklich. Doch wenn sie in deutschen Gefilden bleiben wollten, gab es vielleicht bessere Alternativen? Er selbst kam ja aus dem Süden.

»Bayerischer Branntwein?«, überlegte er laut.

»Wird in Bayern überhaupt Schnaps gebrannt?«, fragte Algot.

»Nicht dass ich wüsste, aber das weiß ja auch sonst keiner hier in Skandinavien.«

Die Männer tüftelten weiter.

»Manche sagen zum Branntwein Wodka«, meinte Algot.

»Bayerischer Wodka?«, sagte der Druckermeister und ließ sich die Wörter auf der Zunge zergehen. »Nein. Aber vielleicht Wasserburg Wodka

»Und warum?«, fragte Algot.

»Das ist mein Geburtsort.«

Helmut Zimmermann fand, dass sich Wasserburg in schwedischen Ohren sowohl nach Qualität als auch genau richtig ausländisch anhörte. Und das Wort Wodka dazu verlieh dem Ganzen einen guten Klang! Zudem nahm er an, dass er irgendwo ein Bild vom Stadtwappen hatte, welches mit aufs Etikett gehörte.

»Ein brüllender roter Löwe. Mit einer Zunge, lang wie eine Flamme. Das ist doch was!«

Algot kostete den Namen genüsslich aus: Wasserburg Wodka .

Unbedingt.

Helmut Zimmermann dachte schon einen Schritt weiter:

»Wasserburg Wodka – deutsche Qualitätsware seit 1320.«

»Ist deutsche Qualität besser als schwedische?«, wollte Algot wissen.

»Wie lange will Er sich noch an der Wirklichkeit festklammern?«, gab sich der Druckermeister empört.

»Und ist die Stadt wirklich so alt?«, fuhr der Pächter fort.

»Älter, aber wenn Er eine bessere Jahreszahl weiß, immer her damit!«

Worauf Algot vorschlug:

»1332?«

Zimmermann nickte. Viel besser.

So kam es, dass ein neuer Branntweinanbieter Einzug im bettelarmen Schweden hielt:

»Genial!«, rief Algot aus, als er das gedruckte Etikett auf der ersten Flasche sah. »Ich frage mich, ob mein Branntwein nicht gerade doppelt so gut geworden ist.«

»Dreimal«, sagte der Druckermeister und fügte hinzu, nun sei es aber höchste Zeit, dass sie zum Du übergingen. Zumal Algot ja schon einige Male damit vorangeprescht sei. Und nun seien sie schließlich Kompagnons.

Zimmermann reichte Algot seine schmutzige Druckermeisterfaust.

»Ich heiße Helmut. Ist mir ein Vergnügen!«

Stolz und erwartungsvoll schlug Algot ein.

»Wie blickst du in die nächste Zukunft, Helmut?«

»Wir brauchen einen größeren Destillierapparat«, sagte der Deutsche.

»Um das Geschäft in Schwung zu bringen.«

***

Sie mussten vieles auf einmal bedenken. Jetzt, da der Branntwein sowohl in der Flasche als auch mit Namen und Etikett daherkam, galt es das Produktionstempo um einige hundert Prozent anzukurbeln. Nun reichte es nicht mehr, sich nur allein auf die Gleisbauer zu verlassen, denn wenn die plötzlich zehnmal mehr als zuvor in sich reinschütteten, würde es mit Sicherheit nie und nimmer eine Eisenbahn durch ganz Schweden geben.

Allenthalben schossen neue Wirtshäuser wie Pilze aus dem Boden, samt und sonders potenzielle Abnehmer von Wasserburg Wodka. Aber nicht, bevor Helmut die benötigte Verkaufsgenehmigung unter Dach und Fach hatte.

An zweiter Stelle auf der Liste stand, dass er irgendwo in Europa einen ordentlichen Destillierapparat auftreiben und es ihm gelingen musste, den ohne allzu hohen Bürokratieaufwand nach Schweden zu schaffen.

»Heißt das, du willst den Apparat gesetzeswidrig importieren?«, fragte Algot.

»Hast du auch nur die mindeste Ahnung, wie viele Gesetze es zu allem und jedem gibt?«, entgegnete sein Kompagnon. »Wie sollen sich normale, anständige Leute die alle merken können?«

Bevor Algot mit einem möglichen Einwand kommen konnte, wechselte der Druckermeister flugs das Thema. Am allerwichtigsten erschien ihm, dass der wertvolle Branntweinbrenner bei ihrem Geschäft nicht wegen Herumtreiberei oder gar Haus-Diebstahls eingesperrt wurde. Man konnte ja nicht wissen, welche Fäden der Graf noch ziehen wollte. Mittlerweile musste er wohl bereits entdeckt haben, dass er nicht nur seinen Pächter auf Kråketorp, sondern auch gleich die ganze Kate dazu losgeworden war.

»Spute dich mit der Maische, denn es wird Zeit, dich in einen anderen zu verwandeln. Wir treffen uns in zehn Minuten in der Küche!«