Schwesterherz an Bruderherz
Kronogården, den 20. Juli 1853
Geliebter Gérard!
Am heutigen Tage in aller Frühe habe ich Deine drei letzten Briefe erhalten, allesamt datiert auf das Ende des Monats Juni.
Du ahnst nicht, wie ungemein es mich freut, zu erfahren, dass das Weingut erneut Früchte trägt! Wir dürfen uns wahrlich glücklich schätzen, daß das Klima Dir freundlicher gesonnen ist als mir hier im hohen Norden. Das erinnert mich an den Vorschlag unseres lieben Vaters, ich möchte mit dem Gemahl, den er mir erwählt hatte, auf Kronogården mit dem Weinbau beginnen! Bei dreißig Minusgraden winters? Mitunter frage ich mich, ob ich meinem Schicksal entronnen wäre, wenn er gewusst hätte, wie kalt und dunkel es in den skandinavischen Ländern werden kann.
Hier ist es das alte Elend, Du entschuldigst schon. Désirée fühlt sich freilich dem Anschein nach wohl mit ihrem Baron in Dänemark, und das ist ja erfreulich. Sophia hingegen ist zunehmend beunruhigt hinsichtlich ihres zukünftigen Schicksals. Ich muß gestehen, daß ich mit ihr fühle. Unseren Erstgeborenen, Mauritz, haben wir nun vor knapp drei Jahren aus dem Haus gegeben. Gustav läßt sich seine militärische Laufbahn in Stockholm teuer Geld kosten. Wir werden sehen, wie lange es anhält, wenn man bedenkt, daß er ganz nach seinem Vater kommt.
Ansonsten nichts Neues, bis auf die Angelegenheit mit dem Weinkeller! Du weißt schon, der, in den Gustav einmal wöchentlich hinabsteigt und in dem er Stunde um Stunde verweilt. Mittlerweile zweimal wöchentlich! Mir ist unbegreiflich, was er dort unter all den Spinnen treibt. Und er schweigt wie ein Grab.
Je nun, je länger er sich fernhält, desto besser, meine ich!
Schreibe mir in Bälde wieder, geliebter Bruder, Du! Und berichte, wie es sich mit dem Verwalter anlässt! Ist zu erahnen, ob er ebenso tiefe Sentiments für Dich hegt wie Du für ihn?
Auf ewig Dein Zwilling
Antoinette