Nächster Überraschungsgast
Während ein Besuch nach dem anderen bei Familie Zimmermann eintrudelte, erlebte Graf Bielkegren einen seiner unschöneren Abende.
Erst die Entdeckung, dass der vor die Tür gesetzte Hausdieb Olsson seine Kate auf einem Grundstück in Aringsås wieder aufgebaut hatte. Dann das mit der blutigen Hure und seine Flucht zurück ins Schloss.
Damit nicht genug: Als sich Gustav abermals in seinen Weinkeller schlich, hörte er, wie jemand oben gegen die Tür hämmerte, die er zum Glück abgeschlossen hatte.
»Vater, bist du da?«, rief eine Männerstimme.
Der Nichtsnutz Mauritz war also in den Schoß der Familie zurückgekehrt. Wie konnte in so kurzer Zeit so viel Elend auf einmal über ihn hereinbrechen?
Der Graf wischte sich den Schweiß von der Stirn und jagte die Kellertreppe hoch. Er schloss auf, öffnete die Tür und stellte sich freudig überrascht:
»Mauritz! Kommst du zu Besuch?«
Der Sohn schien der Begegnung mit seinem Vater mit gemischten Gefühlen zu begegnen. Sogleich roch der Graf Lunte.
»Oder haben sie dich erneut unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen?«
Mauritz, der in seiner Uniform bedröppelt dastand, zog es vor, das Thema zu wechseln.
»Was hast du da unten im Keller gemacht, Vater? Warum hast du dich eingesperrt und mein Rufen nicht gehört?«
Drei Fragen hintereinander, die zu beantworten der Graf nicht vorhatte. Stattdessen schubste er den Sohn bis ins Herrenzimmer vor sich her und drückte ihn in einen der beiden Ledersessel.
»Komm, wir rauchen eine, mein Sohn, mit etwas französischem Branntwein dazu. Hast du schon einmal Cognac gekostet?«
Auch wenn Mauritz die zuvorkommende Behandlung seines Vaters nicht verdiente, war es doch unumgänglich, ihn vom Keller samt diesbezüglichen Fragen abzulenken.
Mauritz leerte sein Cognacglas in einem Zug. Dem Grafen schwante, dass er auch vorher schon nicht mehr ganz nüchtern gewesen war.
»Holla«, sagte er und schenkte ihm nach. »Bedeutet das, dass dich etwas bedrückt? Du weißt ja, ich bezahle den General dafür, dass er dir gegenüber Nachsicht walten lässt.«
Mauritz sah unglücklich aus und lallte etwas.
»Der Scheiß-General ist vor acht Tagen gestorben. Plötzlicher Herzinfarkt …«
Sofort durchfuhr Gustavs Hirn der irritierende Gedanke, dass er dem frisch Verstorbenen erst vorige Woche die jährliche Nachschlags-Bestechungssumme geschickt hatte.
Mauritz fuhr fort:
»… aber die haben schon einen Nachfolger eingesetzt.«
Da konnte sich ja wohl jeder denken, was nun kommen würde.
»Einen, den ich nicht bestochen habe und der nicht weiß, wer du bist«, stellte der Graf fest.
»Vor allem war er gemein und brutal. Als ich ihm erzählt habe, dass ich den König kenne, hat er mir eine Ohrfeige gegeben.«
»Kennst du den König?«, fragte der Graf in saft- und kraftlosem Ton.
»Karl XIV . Johan war doch wohl voriges Jahr hier zu Besuch?«
»Vor zehn Jahren sind er und sein Hofstaat hier vorbeigekommen; wenn ich mich recht entsinne, habe ich dich in deinem Zimmer eingesperrt, damit du keine Dummheiten sagst oder machst.«
»Aber trotzdem«, sagte Mauritz.
»Außerdem ist Karl Johan vor ein paar Monaten gestorben. Der jetzige König heißt Oskar.«
»Ich weiß«, sagte Mauritz. »Aber trotzdem«, wiederholte er und rief seinem Vater damit ins Gedächtnis, wie weit es mit seinem Verstand her war.
»Was hat der neue General noch gemacht, außer dir eine – sicherlich wohlverdiente – Maulschelle zu verpassen?«
»Er hat mich militärstrategisch unbrauchbar genannt und zu verschwinden gebeten.«
Graf Bielkegren seufzte.
»Hättest du das doch nur getan. Aber jetzt bist du hier. Wie kommt es übrigens, dass du Uniform trägst, obwohl du doch deinen Abschied nehmen musstest?«
Mauritz grinste schief. »Unterwegs hierher bin ich in einigen Gasthäusern abgestiegen. Die Frauenzimmer sind verrückt nach Männern in Uniform.«
»Also aus dem Königshaus gestohlen. Zudem zerknittert und schmutzig«, sagte der Graf. »Und an einem Ärmel fehlt ein Knopf. Was machen wir nur mit dir, Mauritz?«
Der Sohn musterte seinen Ärmel und stellte fest, dass der Vater recht hatte. Der Knopf musste ihm abhandengekommen sein, als … nun ja, das brauchte der Vater ja nicht zu wissen. Eine richtige Schreckschraube, dieses Weibsstück.
Am Vorabend hatte Mauritz im Wirtshaus in Sävsjö gerüchteweise gehört, in Aringsås gäbe es eine besonders schnuckelige Hure. Die Angelegenheit verlangte Nachforschungen. In der Rückschau betrachtet, hätte er das wohl besser unterlassen, wenn man bedachte, wie es ausgegangen war.
»Was Ihr mit mir machen sollt, Vater? Ich werde in Bälde sechsundzwanzig Jahre alt, und Ihr kommt ja nun so langsam in die Jahre. Wäre es für mich nicht an der Zeit, in meine Rolle als künftiger Graf eingewiesen zu werden? Ich habe da so einige Ideen, wie wir den Betrieb weiterentwickeln können.« Gustav Bielkegren leerte sein Glas französischen Branntwein und drückte die Zigarre aus. Er dachte sich, nichts auf der Welt interessierte ihn weniger als die Frage, was für Ideen Mauritz bezüglich Kronogårdens zukünftigem Wohl und Wehe vorschwebten.
»Geh nun schlafen, mein Sohn, morgen reden wir weiter.«