Der vielseitig begabte Frank Miles
1793 – 1853
Wie sich herausstellte, hatte der hochgewachsene Engländer bereits das sechzigste Lebensjahr überschritten.
»Nicht zu glauben!«, sagte Helmut aufrichtig und dachte sich, einen so alten Mann könne er zur Not doch wohl leicht niederringen. Bis ihm einfiel, dass er selbst auf die fünfzig zuging.
Nein, da galt es, Frank Miles um jeden Preis bei Laune zu halten.
»Danke«, sagte er. »Meinen runden Geburtstag habe ich im Gefängnis von Jönköping begangen.«
Maja erkundigte sich, ob das Gefängnispersonal seinen Jubeltag irgendwie gewürdigt habe? Sechzig Jahre nötigten einem schließlich Respekt ab.
O ja, und ob!
»Es war ein bisschen rührend«, musste Frank Miles zugeben. »Sie haben eine brennende Talgkerze in die klumpige Grütze gedrückt, und da es in meiner Zelle immer gleichbleibend düster war, hat sie so eine schöne Licht-Stimmung hervorgezaubert, dass ich fast fromm geworden wäre.«
»Aber nur fast, darf man vermuten?«, sagte Anna Stina mit Gedanken an all die Bibeln, mit denen er um sich zu werfen pflegte.
Das bejahte der Engländer. Obendrein habe es an allen Ecken und Enden dermaßen gezogen, dass die Kerze ständig hin und her geflackert sei, wodurch die ohnehin schon mickrige Geburtstagsgrütze auch noch einen Talg-Stich abbekommen habe.
»Ein vielseitig begabter Mann, sagtet Ihr?«, fragte Algot, um die Erzählung ganz in Helmuts Interesse voranzutreiben und herauszufinden, welchen Nutzen sie aus dem Engländer ziehen konnten.
Frank Miles nickte. Er kannte sich mit beinahe allem ein bisschen aus, da er, seit er neun Jahre alt war, mindestens vierzig- bis fünfzigmal den Beruf gewechselt hatte.
Er wurde kurz vor der Jahrhundertwende in der Hauptstadt London geboren. Seine Mutter war früh verschwunden, aber sein – allem Anschein nach – Vater hatte dafür gesorgt, dass der kleine Frank ein Dach über dem Kopf und mehr oder weniger was in den Magen bekam.
»Besonders lieb ist mir die Erinnerung daran, wie Vater mich samstags zum Spaziergang Richtung Marktplatz an die Hand nahm, wo wir uns gemeinsam die wöchentlichen Hinrichtungen am Galgen ansahen.«
»Am Galgen?«, fragte Maja erschrocken.
»Ja, verdammt, was wurden in meiner Kindheit in London Leute gehängt! Es reichte, wenn man etwas mehr stahl, als gut für einen war, oder den Falschen beklaute, und schon baumelte man selber in der Schlinge.«
»Und das war Euer Wochenendvergnügen mit Eurem Vater?«
Frank Miles nickte.
Ab seinem neunten Lebensjahr ging er allein zu den Hinrichtungen, da sein Papa nicht immer rechtzeitig nach Hause kam und bisweilen tagelang fernblieb. Die Hinrichtungen waren trotzdem ein Erlebnis gewesen, bis sich eines Tages herausstellte, dass einer der armen Sünder ausgerechnet …
Der Engländer unterbrach sich mitten im Satz.
»Euer Vater war?«, riet Anna Stina.
»Das war so ungerecht!«
Sein Papa hatte nicht mal etwas gestohlen! Und wurde trotzdem zum Tod durch den Strang verurteilt, weil er leider den Falschen zusammengeschlagen hatte.
»Wenn Ihr nur wüsstet, wie wütend der wegen jeder Kleinigkeit werden konnte!«
»Ach wirklich?«, sagte Anna Stina.
Um nicht vom gleichen Schicksal ereilt zu werden, entschloss sich der mittlerweile vierzehnjährige Frank, die Millionenstadt London hinter sich zu lassen. Er wanderte Richtung Norden und landete vorderhand in Watford. Erst in einer Papierfabrik, dann in einer Brauerei. Einer Baumwollspinnerei. Einer Schmiede. Einer Wäscherei …
»Eine Zeit lang war ich auch Totengräber. Und am Ende bekam ich sogar eine Stelle in einer Buchdruckerei! Was sagt Ihr dazu, Herr Zimmermann?«
Helmut strahlte über beide Backen. Wenn das keine guten Aussichten waren!
»Ganze drei Tage lang«, fuhr der Engländer fort.
Das Lächeln des Druckermeisters erlosch.
»Warum nicht länger?«
»Das würde Euch einleuchten, Herr Zimmermann, wenn Ihr wüsstet, was für ein Trottel der Druckereivorarbeiter war! Das hat ihn drei Zähne gekostet.«
Algot erkundigte sich, ob Herrn Miles’ so abwechslungsreiche Berufserfahrung wohl darin begründet läge, dass er ein ums andere Mal Pech mit seinen Vorgesetzten gehabt habe, was ihm mit einem Kopfnicken bestätigt wurde.
»Im Lauf der Jahre habe ich mich immerzu gefragt, was mit den Leuten nicht stimmt.«
Nach Watford war der Engländer in Luton, Bedford, Northampton, Birmingham, Burton upon Trent, Mansfield, Sheffield, Castleford, York – und Darlington gelandet. »Wo ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit der Viehfutterbranche machte. Eine Drecksarbeit, muss man schon sagen. Da musste ich mich allabendlich im Fluss waschen.«
»Und das ging so lange gut, bis sich der Viehfutterhersteller als ein Trottel entpuppt hat?«, riet Anna Stina. Keineswegs! Hingegen war die Frau des Futtermischers eine ebenso reinliche Sauberkeitsfanatikerin wie Frank Miles, und gemeinsam machten die beiden es sich zur Gewohnheit, einander gleich nach Sonnenuntergang am Flussufer zu waschen.
»Eine glückliche Zeit, der Sommer 1818«, schwelgte Frank Miles in seinen Erinnerungen.
Doch als der Herbst ins Land zog, stellte sich heraus, dass die Viehfutterherstellergattin von all dem vielen Waschen schwanger geworden war. Mit ihrem Mann hatte sie schon fünf Kinder, da hätte ein sechstes wohl auch keinen großen Unterschied gemacht, hätte nur nicht ein Stier vor einiger Zeit dem Ehemann der Schwangeren seine edelsten Teile zertreten, weshalb er seither unfähig war, …
»Nun ja, Ihr versteht schon. Etwas Schlimmeres kann einem wohl kaum passieren, was?«
Da er nun also gezwungen war, erneut aufzubrechen, kam der Engländer zu dem Schluss, dass er sich wohl möglichst weit wegbegeben sollte. Und so gelangte er nach Schottland, in eine von einem Waliser betriebene Baumwollspinnerei.
»Ein Trottel?«, erkundigte sich Anna Stina.
Gewissermaßen schon, wenn auch anders als die anderen in den Jahren davor. Der hier hatte Ideen, wie man aus der Welt einen besseren Ort zum Leben machen könnte.
Maja fragte vorsichtig an, worin denn diesmal das Trottelige bestanden habe, und erfuhr, dass der Waliser namens Owen reich wie ein Krösus gewesen sei und an das Gute im Menschen geglaubt habe. Er hatte in seiner Kattunfabrik die Kinderarbeit verboten und den Arbeiterkindern stattdessen Schulbildung ermöglicht und ihnen moralische Grundsätze und etwas, das er Solidarität nannte, beigebracht. Sie lernten Lesen, Schreiben, Tanzen, Singen und … nun ja, kurz und gut, dieser Fabrikherr Owen sei nicht ganz richtig im Kopf gewesen. War ein Arbeiter krank, erhielt er die Erlaubnis, bis zu seiner Genesung daheim zu bleiben. Wenn eine Spinnereimaschine kaputt ging, bezog der Arbeiter auch in der Zeit bis zur Reparatur seinen Lohn.
Maja sagte, sie habe schon von schlimmeren Zuständen als solchen gehört und auch selbst Schlimmeres als das erlebt. Mit freundlichem Lächeln erwiderte Frank Miles, jetzt solle Fräulein Maja aufpassen:
Denn das habe dazu geführt, dass sich manche Arbeiter auf Teufel komm raus krankgemeldet hätten. Oder in die Fabrik gegangen seien, nur um heimlich ein Stück Metall zwischen die Zahnräder fallen zu lassen und alles zum Stillstand zu bringen. Und im Übrigen hätten sie aus den verschiedenen Lagerräumen der Spinnerei gestohlen wie die Raben, um die Sachen weiterzuverkaufen. Einmal sei ein ganzes Fass schottischer Whiskey verschwunden, und es hieß, das sei für den Fabrikherrn Owen der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, denn er habe das Ganze mit der Bemerkung aufgegeben, dass man alten Hunden offenbar nicht mehr das Sitzen beibringen könne.
»Was ist bloß mit den Leuten los?«, empörte sich Maja.
»Ganz meine Rede!«, sagte Frank Miles.
»Und was hat der Herr Direktor Owen dann gemacht?«, fragte Algot.
»Er ist nach Amerika aufgebrochen, um irgendwo eine ideale Gemeinschaft zu gründen. Eintausendzweihundert auserwählte Männer, Frauen und Kinder sollten miteinander eine Zukunft aufbauen.«
»Wie schön!«, sagte Maja. »Ein Hoch auf Herrn Direktor Owen!«
»Oder auch nicht«, sagte Frank Miles. »Jahre später kam mir zu Ohren, dass auch das nicht gut ging. Die Auserwählten bekamen sich offenbar in die Haare und gerieten darüber in Streit, welcher Gott den besten Frieden auf Erden schaffen könne.«
Helmut, der eine Weile geschwiegen hatte, wollte nun aber doch wissen, wie es sich ergeben hatte, dass Herr Miles in Schweden gelandet war.
»Meine Kehle wird allmählich trocken«, bekam er zur Antwort, woraufhin dem Erzähler frisch eingeschenkt wurde, ehe er fortfuhr.
Kurz nachdem sich der gutgläubige Direktor Owen fortbegeben hatte, wurde dem Engländer klar, dass nun in der Spinnerei ein anderer Wind wehte und es nur eine Frage der Zeit war, bis ihm die Faust ausrutschen und er dem neuen Vorarbeiter eine reinhauen würde, denn der war ein richtiger Idiot.
»Also schlich ich mich eines Nachts hin, schnappte mir ein Pferd mit Wagen, schaffte es, das Whiskyfass draufzuwuchten, und verschwand.«
»Also seid Ihr der, der den Whiskey gestohlen hat?«, sagte Maja.
»Hatte ich das nicht gesagt?«
Im Hafen von Edinburgh trat Frank Miles in Verhandlungen mit einem Schotten ein, wodurch es ihm gelang, das Whiskeyfass gegen ein Ticket nach Amerika einzutauschen.
»Seid Ihr etwa auch in Amerika gewesen?«, fragte Maja.
Frank Miles schüttelte den Kopf.
Die Fahrt nach New York hatte zwei Tage gedauert. »Das fand ich ziemlich schnell, aber erst nachdem ich von Bord gegangen war, ging mir auf, dass ich mich in Göteborg und nirgends sonst befand.«
Er hatte versucht, umzukehren und wieder an Bord zu gehen, doch dafür hätte er ein neues Ticket gebraucht; hinzu kam, dass das Schiff ohnehin bloß nach Edinburgh zurückfuhr.
Frank Miles war einem Betrüger aufgesessen!
Einem Schotten !
»Ich blieb also, wo ich war, und lernte auch noch Krabben pulen. Und Fischernetze flicken. Hummerfallen leeren. Und noch einiges mehr, bis ich den Göteborger Hafen notgedrungen hinter mir ließ.«
»Weil es da zu viele Trottel gab?«, erkundigte sich Anna Stina.
»Bloß einen«, sagte Frank Miles. »Der Vorteil am Krabbenpulen von früh bis spät ist, dass es irgendwann wie von allein geht. Ohne groß nachzudenken. Das verschaffte mir Zeit, in mich zu gehen, und da bin ich plötzlich draufgekommen, dass vielleicht gar nicht immer nur die anderen an allem schuld waren.«
»Ach wirklich?«, sagte Anna Stina zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit.
»Und ich nahm mir vor, nie wieder die Beherrschung zu verlieren!«
Doch da wurde Frank Miles abermals von seinem Pech verfolgt. Ein neuer Krabbenpuler kam an seine Seite, und es stellte sich heraus, er war Schotte.
»Der besagte Schotte?«, fragte Algot.
»Nein, nicht der , der mich um das Whiskeyfass betrogen hat, aber Schotte ist Schotte. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn grün und blau zu schlagen.«
»Klingt vernünftig«, sagte Anna Stina.
»Worauf Ihr mit dem Hafen von Göteborg fertig wart?«, wollte Algot wissen.
Ja. Der Engländer kam zwar rein zahlenmäßig selbst nicht mehr hinterher, glaubte aber, dass er sich mittlerweile seit etwa fünfundzwanzig Jahren in Schweden aufhielt. Ein Vierteljahrhundert, wenn man so wolle. Von Ort zu Ort, von Arbeit zu Arbeit. Und die ganze Zeit bemüht, sein unbeherrschtes Temperament zu zügeln.
»Und was meint Ihr, welchen Erfolg Ihr damit hattet, Herr Miles?«, fragte die Tochter des Druckermeisters.
»So lala«, antwortete der Engländer.
Nachdem er wie seinerzeit ab dem Alter von vierzehn Jahren in England nun durch ganz Südschweden gezogen war, hatte er in einer finsteren Nacht das Glück, einen ganzen Tresor in die Finger zu bekommen, der einem Grossisten in Malmö gehörte.
»Habt Ihr etwa einen Tresor gestohlen?«, sagte Maja.
»Nein, so etwas könnte ich nie im Leben tun!«, erwiderte Frank Miles.
Dafür sei der viel zu schwer gewesen.
Aber er sei eben unverschlossen gewesen, und als er ihn aufgemacht habe, habe er eine unverschämt hohe Summe Reichstaler gefunden. Genau genommen fünfhundert. In Papierform!
»Ich hatte freilich schon von Banknoten gehört, aber noch nie eine zu Gesicht bekommen. Ich stopfte mir das ganze Bündel in die Taschen und verließ Malmö, zur Sicherheit auch gleich Schonen. Machte nicht eher Halt, als bis ich zwei Tage darauf in Växjö angelangt war.«
Frank Miles gab zu, dass er nervös war, als er den Dienstraum der Sparkasse betrat und denen einen Schein im Wert von ganzen fünf Reichstalern hinhielt. Doch er bekam dafür nicht nur Münzen, sondern auch ein Lächeln zurück! Endlich war er reich!
Bis dahin hatte Maja versucht, auch gute Seiten an dem neuen Bekannten zu sehen, doch als der bei der Ausräumung des Malmöer Grossistentresors angekommen war, schwanden ihre Hoffnungen. Algot schenkte Frank Miles Schnaps nach, noch bevor dieser ihn darum bat (der wievielte es wohl sein mochte?), weil das Getränk offenbar die finsteren Gedanken des Engländers beschwichtigte. Das war ja die reinste Medizin! Wie wäre es, wenn der Apotheker tatsächlich das zu werden versuchte, was er bereits von sich behauptete?
Dieser Gedanke nistete sich immer hartnäckiger in Algots Kopf ein, und das, während Helmut weiterhin hin und her überlegte, welchen praktischen Nutzen sie aus dem Manne ziehen könnten, der sich, abgesehen von allem anderen, nun auch noch als Tresordieb entpuppt hatte – und dessen gestohlenes Geld der Druckermeister seinerseits gestohlen und auf Umwegen zum Erwerb eines neuen Destillierapparates nach Nordfrankreich geschickt hatte.
Frank Miles rieb sich die Nase und sagte, er sei bereit, mit seiner Lebensgeschichte fortzufahren, wobei er auch versprechen könne, dass nicht mehr viel nachkomme.
Nach seinem Erfolg in der Sparkasse sei er im nächsten Wirtshaus eingekehrt, in der Annahme, er habe sich einen feuchtfröhlichen Abend verdient, zumal es ein Samstag gewesen sei. Im Lauf des Abends tat er sich mit einem Handelsreisenden in Stoffen zusammen. Sie hatten viel Spaß miteinander, bis seinem neuen Trinkgenossen das Geld ausging. Da fiel dem Mittellosen ein, dass er abends zuvor beim Kartenspiel in einem Wirtshaus in Hässleholm fünf Bücher gewonnen hatte. Viel zu spät hatte er gemerkt, dass eben diese Bücher in einer ihm unverständlichen Sprache gedruckt waren. Doch zum großen Glück des Handelsreisenden stellte sich heraus, dass es sich dabei um Englisch handelte, also ausgerechnet Frank Miles’ Muttersprache.
»Fünf Bücher gegen eine große Flasche Bier, das war doch ein guter Tausch für mich. Erst am nächsten Tag merkte ich, dass eins davon ebenso gut diesen Waliser Owen in Schottland als Verfasser gehabt haben könnte.«
»Das Kommunistische Manifest ?«, riet Helmut.
»Genau das! Dass man mir so einen Schund untergejubelt hat! Mein erster Gedanke war, den Handelsreisenden aufzuspüren und kurz und klein zu schlagen!«
»Was sonst«, merkte Anna Stina an.
»Doch dann dachte ich einen Schritt weiter.«
Ein langes Leben hatte Frank Miles ja gelehrt, dass die Trotteldichte auf der Welt hoch war. Und jetzt saß er auf einem Buch, das versprach, mit allen, denen es richtig gut ging, abzurechnen und allen, denen es bislang schlecht gegangen war, aufzuhelfen. Wer wollte so etwas nicht lesen?
»Graf Bielkegren?«, riet Algot.
Frank Miles hob seine Ersparnisse ab und eröffnete ein Buchcafé mit lauter Regalen voller hochwertiger Literatur. Und annoncierte nicht nur in der Lokalzeitung Växjöbladet , sondern auch in der Smålandsposten , man sei dort willkommen, wenn man ein Buch mitbringe und es gegen eins aus dem Sortiment im Café tausche. Auf die Weise sollte jeder, der es wünschte, stets neuen Lesestoff erhalten.
»Und wie hohe Einnahmen habt Ihr Euch davon versprochen?«, erkundigte sich Helmut, der immer noch auf eine verwertbare Begabung dieses Frank Miles lauerte.
»Außerdem die billigste Tasse Kaffee der ganzen Stadt!«, verkündete Frank Miles.
»Wie gesagt«, meinte Helmut.
Ob der Engländer wohl einen Riecher für irgendetwas anderes als Schlägereien hatte?
»Aber genau hier kommt doch der Herr Druckermeister ins Spiel!«, rief Frank Miles.
Abends und nachts habe er das Kommunistische Manifest ins Schwedische übersetzt, um anschließend vierhundert gedruckte Exemplare davon zu bestellen.
»Die ich Euch im Voraus bezahlt habe, oder etwa nicht, Herr Zimmermann?«
Helmut nickte beschämt.
Eine Begegnungsstätte für lesehungrige, kaffeedurstige Växjöer. Allesamt mit idiotischen Träumen von etwas Besserem im Leben! Dort wollte Frank Miles stehen und das Pamphlet der schwachsinnigen Deutschen feilbieten!
»Ein Reichstaler das Stück hätte schon bei der allerersten Auflage vierhundert in die Kasse gespült!«
»Achthundert, wenn Ihr so viel Verstand hättet, einen ordentlichen Preis zu verlangen«, sagte Anna Stina.
Helmut gab zu, dass die Idee gar nicht allzu absurd sei, auch wenn der Engländer sich unnötige Mühe gemacht habe. Anna Stina habe ja bereits die komplette zweite Auflage vom Manifest verkauft, ohne zu dem Zweck den Umweg über ein Café zu machen.
»Wo genau ist es schiefgegangen?«, hakte er nach.
Bei der Erinnerung an jenen Tag seufzte Frank Miles.
Zuerst hatte sich herausgestellt: Das einzige Buch, das die Leute zu Hause gehabt hätten und gerne im Tausch gegen ein anderes hergeben wollten, sei eben justament die Bibel gewesen. Noch bevor der Herr Zimmermann seine Druckerpresse anwerfen konnte, zierten die Regale des Buchcafés sechzig Bibeln. Als die einundsechzigste gebracht wurde und der fragliche Kunde sich auch noch Gratiskaffee zu ergaunern versuchte, indem er einen Knopf in die Kaffeekasse legte – da wurde es dem Cafébetreiber zu bunt.
»Es fing ganz gesittet damit an, dass ich den Betreffenden bat, den Knopf aus der Dose zu nehmen und runterzuschlucken. Als er sich weigerte, versuchte ich, ihm zu helfen. Um uns scharten sich die Leute. Und dann kam der Arm des Gesetzes hinzu.«
»Zumindest kamen Euch die Bibeln sehr zupass«, sagte Anna Stina.
»Bloß fünf von denen. Danach wurde ich niedergerungen.«
Damit war nicht nur die Geschichte, sondern auch Frank Miles am Ende. Er hatte nichts mehr zu erzählen und sagte, er müsse sich nach einem langen Tag ausruhen, ob das möglich sei? Ob er zuvor einen Scheidebecher bekommen könne?
»Ruhet in Frieden, Herr Miles«, sagte Helmut. »Heute Abend gibt es etwas ganz Schlichtes zu essen, wir wecken Euch rechtzeitig vorher, versprochen.«
Der Druckermeister witterte die Gelegenheit auf ein Strategieplanungsgespräch mit den anderen darüber, was sie eventuell aus der Erzählung des Engländers gelernt hatten und wie sie künftig am besten mit ihm fertigwurden. Mitarbeiter, die um neun Uhr aufstanden und sich kurz vor der Mittagspause noch mal hinlegten? Es war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass dieser Frank Miles ein Aktivposten sein würde.