Der Knopf trifft auf seinen Besitzer
Der Druckermeister war sich nicht sicher, ob es bei ihm in den letzten zehn Jahren auch nur ein einziges Mal an der Tür geklopft hatte. Mit Ausnahme am Vorabend, als die blutige Maja zu ihnen gestoßen war.
Gefolgt von dem englischen Kommunisten, der sich als das Gegenteil eines solchen erwies. Stattdessen als – unter all dem vielen anderen – Tresordieb.
Und jetzt klopfte es schon wieder!
»Here we go , wie Frank Miles gesagt hätte«, warf Helmut in die Runde. »Gehst du, oder soll ich, Algot?«
»Du sitzt näher dran«, sagte der Chefbrenner.
Helmut ging zur Tür. Vom Küchentisch aus konnte man nichts sehen, nur hören.
»Guten Tag, ich bin Leutnant Mauritz Bielkegren, Sohn des Grafen Bielkegren und mit Seiner königlichen Majestät bekannt. Ich suche Algot Olsson.«
»Was ist das denn?«, sagte Algot am Tisch zu Anna Stina und Maja.
»Immer dieser Graf«, sagte Anna Stina.
»Also wirklich«, ergänzte Maja.
Helmut kam in die Küche zurück, dicht gefolgt von Mauritz Bielkegren in sauberer, frisch gebügelter Uniform.
»Rührt euch!«, sagte der Leutnant, als er die drei am Tisch erblickte. »Wer von euch ist Algot Olsson?«
»Ich nicht«, sagte Anna Stina.
»Ich auch nicht«, sagte Maja.
»Ich bin Apotheker Otterdahl«, sagte Algot. »Freilich ist mir derjenige bekannt, nach dem Ihr Euch soeben erkundigt habt, Herr Leutnant. Darf ich fragen, worum es sich handelt?«
Anna Stina kam Mauritz Bielkegren zuvor.
»Bitte nehmt Platz. Dürfen wir Euch ein Tässchen Kaffee anbieten?«
Mauritz erblickte die Branntweinflasche auf dem Tisch.
»Noch lieber einen Schnaps«, sagte er und setzte sich auf den Stuhl neben Maja, die er am Abend zuvor in seinem Rausch verletzt hatte.
Sie erkannte den Gewalttäter, er sie aber nicht. Also war der Sohn des Grafen bei ihr gewesen! Wonach dessen Vater sich geweigert hatte, ihr zu helfen. Zufall? Oder wusste der Graf Bescheid?
»Zufall«, entschied Maja.
Und sprach das Wort aus Versehen laut aus.
»Verzeihung?«, sagte Mauritz. »Was habt Ihr gesagt, gnädiges Fräulein?«
Maja reagierte geistesgegenwärtig:
»Was für ein wundervoller Zufall, dass Ihr zu uns und unserer unbedeutenden Druckerei gefunden habt, Herr Leutnant. Ich bin die erste Druckerei-Chefassistentin Maja Johansson; solltet Ihr je das Bedürfnis verspüren, alles über Euer spannendes Leben und Eure Freundschaft mit dem König zu Papier zu bringen, könnt Ihr Euch vertrauensvoll an uns wenden.«
Anna Stina sah Maja an. Sie verstand, dass etwas nicht ganz stimmte, nur nicht, was.
»Danke, gut zu wissen«, sagte Mauritz Bielkegren. »Aber jetzt bin ich in einer anderen Angelegenheit hier. Die Pächterkanaille Algot Olsson hat meinem Vater, dem Grafen, eine Immobilie entwendet. Und zwar genau die, die ich direkt hier nebenan wiedergefunden habe. Vorderhand suche ich den Olsson, um ihm Bescheid zu geben, dass der Fall vor Gericht kommen wird. Doch in dessen Abwesenheit könnt vielleicht Ihr, Herr Druckermeister, erklären, warum Ihr Diebesgut in Eurem Garten verwahrt?«
Helmut, der sich dachte, dass das Leben augenscheinlich von Stunde zu Stunde komplizierter wurde, fiel so schnell keine Antwort auf die Frage ein.
Und Algot kam ihm zuvor:
»Meines Wissens ist Algot Olsson, der Mann, den Ihr soeben als Pächterkanaille bezeichnet habt, Herr Leutnant, von tadellosem Leumund, oder zumindest unbescholten. Er hat seine Kate an mich, Apotheker Otterdahl, verkauft …«
Plötzlich fand Anna Stina die Situation komisch.
»Experte für Medizin gegen Zahnschmerzen und finstere Gedanken.«
Algot warf ihr einen irritierten Blick zu, fuhr jedoch fort:
»Soweit ich Kenntnis von der Materie habe, hat Euer Vater, Herr Leutnant, der Graf höchstselbst, die Kate verschenkt, mit dem Kronolänsman Rask als Augenzeugen. Der Kronolänsman dürfte im Übrigen auch von tadellosem Leumund sein. Und was den Herrn Grafen angeht, ist mir derzeit kein Grund bekannt, etwas anderes anzunehmen.«
Mauritz Bielkegren hatte nicht mit derart kräftigem Gegenwind gerechnet. Er dachte über die beste Methode nach, den Apotheker in seine Schranken zu weisen, brauchte jedoch Bedenkzeit.
»Kann man noch einen Schnaps bekommen?«, setzte er an.
Er reckte sich nach der Flasche, kam aber nicht heran, weil Maja sie sich schnappte.
»Nein«, sagte sie.
Anna Stina brachte Majas Benehmen mit ihrer Entdeckung zusammen, dass dem Leutnant ein Knopf am ausgestreckten Arm fehlte, und verstand.
»Ganz recht, Fräulein Maja. Uns schwant zwar, dass der Herr Leutnant solche Sitten und Gebräuche nicht gewöhnt ist, doch selbst wir in unseren schlichten Verhältnissen machen einen Unterschied zwischen mein und dein.«
Mauritz Bielkegren hatte nicht weiter vorausgeplant, als dass er in seiner stattlichen Uniform eintreten, sich vorstellen und seine enge Freundschaft mit dem König erwähnen würde. Das sollte doch wohl jedermann und jedefrau gefügig machen. Doch da saßen nun diese einfachen Menschen und gebärdeten sich aufsässig. Was war da zu sagen? Was zu tun? Was hätte sein Vater getan?
Womöglich war der Kronolänsman der Schlüssel zu allem? Wenn der einfach nur seine Zeugenaussage änderte, wäre die Diebstahlsfrage doch wohl ein für alle Mal geklärt?
Mauritz stand auf und sagte, er sei zu wichtig und beschäftigt, um herumzusitzen und mit jedem x-beliebigen Dahergelaufenen zu fraternisieren. Und fuhr in einem so gebieterischen Tonfall fort, wie er irgend vermochte:
»Ihr habt gehört, was ich gesagt habe! Offensichtlich muss ich zu besonders extraordinären Maßnahmen greifen, um es Euch begreiflich zu machen!«
»Offenbar habt Ihr an einem Ärmel einen Knopf verloren, Herr Leutnant«, sagte Anna Stina.
Mauritz sah die Frau an, die ihn gerade angeredet hatte. Maja verstand, dass Anna Stina verstanden hatte. Beide Frauen lächelten den Sohn des Grafen freundlich an, der sich ohne ein weiteres Wort trollte.
***
»Was ist da soeben geschehen?«, sagte Helmut, als Mauritz Bielkegren zweifelsfrei außer Hör- und Sichtweite war.
»Ich nehme an, dass der verlorene Knopf des Leutnants derselbe war, den wir in Majas Stirn gefunden haben«, sagte Anna Stina.
Die Chefassistentin nickte.
»Also sind sowohl der Graf als auch sein Sohn …«, setzte Algot an, kam aber nicht weiter.
»Ich bin mir so gut wie sicher, dass der Graf es nicht weiß«, sagte Maja. »Warum sonst hätte er bei mir angeklopft, nur um gleich darauf wegzurennen?«
»Aber trotzdem!«, sagte Helmut. »Wir sollten den Leutnant anzeigen.«
»Wenn der Kronolänsman nur nicht zum Kundenkreis gehört hätte«, fuhr Maja fort. »So leid es mir tut.«
Helmut regte sich über diese Worte seiner Chefassistentin auf:
»Der Graf hat deinen Mann auf dem Gewissen, Maja. Danach hat er dich ins Armenhaus geschickt, wo du unmöglich bleiben konntest. Du hast dich für die einzige Alternative entschieden, sonst wärst du erfroren! Du brauchst dich für gar nichts zu entschuldigen!«
Alle waren sich einig, dass die gottesfürchtige Familie Bielkegren größtmögliches Unglück verdient hatte.
»Apropos Unglück«, sagte Algot. »Ist es nicht ein gutes Gefühl, dass der Engländer noch Mittagsschlaf hält?«