Vom Möhrenbeet zum Geschäft
Algot, Anna Stina, Helmut und Maja starrten die fast fertig aufgebaute Destilliermaschine an, die sie nie in Betrieb nehmen würden. Die Frage war, wie sie sie am besten loswurden. Der Druckermeister schlug vor, dass sie sie zerlegt im Laufe einiger Wochen nach und nach fortschafften und Stück für Stück an verschiedenen Stellen im Wald wegwarfen. Tunlichst im Wald des Grafen. Mit etwas Glück würde den das ärgern.
Anna Stina fand, ihr Vater mache die Sache unnötig kompliziert. Das meiste könnten sie doch im Garten verbrennen, nachdem sie es vorher in Kleinteile zerhackt hätten. Das restliche Metall bräuchte wenig Platz und lasse sich bestimmt irgendwo hinter dem Brennholz verstecken.
»Legen wir einfach los«, schloss sie. »Wenn du die Axt holst, Algot, kann ich sie dem Engländer in die Hand drücken, wenn er das nächste Mal aufwacht.«
»Frank Miles mit einer Axt in der Hand?«, sagte Algot. »Bist du dir da ganz sicher?«
Auf jeden Fall nahm er Anna Stina beim Wort und ging in der großen Werkzeugkiste nachsehen; die, die aus Platzgründen in eine Ecke hinter die Destilliermaschine und die Druckerpresse gequetscht worden war.
In dem Moment kam es zu einer überraschenden Wendung: Die Tür zum Korridor öffnete sich von der anderen Seite, und ein junger Mann im Anzug trat ein.
»Verzeiht die Störung«, sagte Elias Henriksson, »aber die Küchentür war nicht abgeschlossen, und mein Klopfen und Rufen hat anscheinend niemand gehört. Deshalb bin ich eingetreten, da ich in einer gewissen Sache bei Euch vorsprechen möchte. Ich vertrete als Anwalt einen jungen Leutnant, der vorerst ein Weilchen in Eurem Möhrenbeet liegen bleiben möchte, um sich von einem kleinen Überfall zu erholen. Er kommt bestimmt gleich nach; ich bilde indessen die Vorhut in dieser Angelegenheit, könnte man sagen.«
Algot, dem die Stimme bekannt vorkam, blickte vorsichtig von seiner Position hinter Druckerpresse und Destilliermaschine auf. Weil weder Anna-Stina noch Maja oder Helmut eine Erwiderung einfiel, fuhr der Anwalt fort:
»Mein Klient wurde von einem offenbar soeben erst erwachten Mann ausländischer Herkunft zu Boden geschlagen. Um sechzehn Uhr dreißig nachmittags, ist notiert. Aus diesem Grund wünsche ich in erster Linie Herrn Druckermeister Zimmermann und in zweiter Herrn Apotheker Otterdahl zu sprechen.«
Elias Henriksson hatte freilich noch nicht ausgeredet, als er auch schon eine der drei wiedererkannte, die völlig baff nebeneinander aufgereiht vor ihm standen. Im Handumdrehen war es um seine seriöse Miene geschehen.
»Fräulein Anna Stina?«
Sie hatten ja neulich ein Tässchen Kaffee miteinander getrunken, wenn nicht gar zwei.
Worauf Algot mit der Axt in der Hand vortrat.
»Und Algot!«, fügte der Anwalt mit noch breiterem Lächeln hinzu.
»Die noch nicht richtig Verlobten!«
»Möglicherweise hat sich da in letzter Zeit etwas geändert«, sagte Anna Stina.
»Zur allgemeinen Freude«, sagte Helmut Zimmermann. »Aber könnte wohl jemand die Güte haben, mir zu erklären, was hier vorgeht?«
»Gerne auch mir«, sagte Maja.
***
Mauritz Bielkegren war nicht ernsthaft verletzt, er war eher zu Boden gerungen als zusammengeschlagen worden. Allerdings wagte er einstweilen nicht aufzustehen, solange Frank Miles auf der Türschwelle stand und in einer Fremdsprache, vermutlich Englisch, fluchte. Als der Ausländer fertig geflucht und die Tür hinter sich zugeknallt hatte, war das Problem, dass der Weg vom Möhrenbeet zu der Küchentür, die der Anwalt benutzt hatte, schauderhaft nahe an besagter Kate vorbeiführte. Was, wenn der lebensgefährliche Mann die Tür wieder aufmachte und zu einer erneuten Attacke überging?
So blieb der Leutnant lieber noch etwas liegen und dachte nach, ehe er sich zur Truppenverschiebung, also seiner selbst, durchrang. Strategischer Rückzug konnte man es nennen. Wenn er die andere Richtung einschlug und Druckerei samt Hauptgebäude umrundete, konnte er durch die Tür schlüpfen, die Henriksson vor ihm genommen hatte, ohne der Kate allzu nahe zu kommen.
Unterdessen hatten Algot, Anna Stina, Helmut, Maja und der Kandidat auseinanderklamüsert, wer wer und mit wem wie bekannt war, und zudem hatte Elias Henriksson die wahre Geschichte zu hören bekommen, wie die Kate des Grafen an ihrem neuen Platz gelandet war.
Der Anwalt sah sich die riesige Maschine aus Frankreich an und sagte, die überträfe bei Weitem alle seine kühnsten Fantasien, nach allem, was Algot ihm in der Konditorei von seiner heimischen Schwarzbrennerei erzählt habe.
Da zeigte der Sohn des Schweinezüchters auf den kleinen, geradezu unschuldigen Apparat in der Ecke, den sein Vater ihm vermacht hatte, und fügte hinzu, dass sich die Dinge seit ihrem gemeinsamen Kaffeetrinken so ziemlich zugespitzt hätten. Mit der Axt in der Hand stünde er jetzt da, weil sie vorhätten, die größere Maschine kurz und klein zu schlagen und die Stücke zu verbrennen, bevor jemand etwas davon mitbekam.
»Uns ist nämlich klar geworden, dass die Bezirksverwaltung uns nie und nimmer die Genehmigung erteilen wird.«
Helmut Zimmermann ergänzte:
»Uns Bürgern mit unzumutbaren Steuerlasten zu kommen … da hat man keine Hemmungen. Aber wenn wir versuchen, ein paar armselige Groschen zu verdienen, um uns besagte Steuern leisten zu können – legen sie uns Steine in den Weg!«
Anna Stina konnte sich nicht daran erinnern, wann Helmut zuletzt irgendwelche Steuern bezahlt hatte, aber das anzusprechen, würde sie nicht weiterbringen. Stattdessen schoss sie sich auf die Worte ein, die zuvor zum Thema Möhrenbeet und wer sich darin befand gefallen waren.
»Wie wär’s, wenn wir uns schleunigst in die Küche begeben, ehe der Idiot, der uns ins Haus steht, die Maschine zu Gesicht bekommt?«
Zu spät.
»Von welchem Idioten ist hier die Rede?«, fragte Mauritz Bielkegren, der es schließlich doch gewagt hatte, den Weg des Anwalts durch den Kücheneingang zu benutzen, und von dort den Durchgang zur Druckerei gefunden hatte.
»Algot Olsson«, beeilte Algot sich zu antworten. »Der Idiot in der Kate, dem Ihr nachstellt, Herr Leutnant.«
»Olsson?«, sagte Mauritz. »Nach seinem Akzent zu urteilen, hätte ich einen anderen Namen erwartet.«
»Ihr ahnt ja nicht, wie viele Olssons es in England gibt«, sagte Algot. »Smith, Jones, Williams, Brown und Olsson sollen die häufigsten englischen Namen sein.«
Weiter brauchte er sich nicht zu Ablenkungszwecken ins Zeug zu legen – denn Mauritz Bielkegren hatte die Destilliermaschine entdeckt. Was sich im Übrigen kaum vermeiden ließ, da sie ja nun mal fast den gesamten Platz im Raum einnahm.
»Aha, was haben wir denn da! Die Liste wird immer länger. Zu den bisherigen Anklagepunkten Katendiebstahl und Körperverletzung einer Person gräflichen Geblüts kommt also auch noch Schwarzbrennen hinzu!«
Indessen hatte sich der Anwalt, der, ohne seinen Klienten zu verständigen, die Seiten gewechselt hatte, hinter Helmut und Anna-Stina geschlichen, um ihnen zuzuflüstern: »Verkauft ihm den Kokolores.«
Der Kandidat orientierte sich an dem, was Helmut Zimmermann über eine Genehmigung gesagt hatte. Und er wusste nur zu gut, dass in diesem Land nicht alle gleich behandelt wurden. Die Bezirksverwaltung würde dem Grafen nie etwas abschlagen, ganz gleich, was! So konnte also der eine Nutzen aus etwas ziehen, das der andere loswerden wollte.
Natürlich hatte Elias keine Möglichkeit, seine Idee den anderen zu unterbreiten; deshalb war jetzt sein schauspielerischer Einsatz gefragt. Nachdem er den passenden Abstand zu Vater und Tochter Zimmermann wiederhergestellt hatte, verwandelte er sich abermals in den Rechtsanwalt, als der er gekommen war:
»Dies ist nun also mein Klient, Leutnant Bielkegren. Ihr seid Euch gewiss bereits begegnet?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er im Weiteren darauf ein, was der schwachsinnige Mauritz zuletzt gesagt hatte:
»Doch lasst mich zuvörderst eins konstatieren .«
(Er hatte längst die Erfahrung gemacht, dass einem Fremdwörter allenthalben zu Überlegenheit verhelfen können.)
»Zuvörderst muss ich, wie gesagt, konstatieren , dass Gewaltanwendung Gewaltanwendung bleibt, ungeachtet dessen, ob der Geschädigte gräflichen Geblüts ist oder nicht.«
Als er schon damit fortfahren wollte, Zweifel am Tathergang zu säen – er könne mit eigenen Augen bezeugen, dass es sich lediglich um einen winzigen Knuff gehandelt habe und der Leutnant zufällig gestolpert sei –, fiel Anna Stina ihm ins Wort:
»War Olsson in der Kate etwa grob zum Herrn Leutnant? Das können wir nicht dulden! Vater, wenn Ihr die Güte hättet, das Kupferrohr von der Küchenbank zu nehmen, können wir den Herrn Leutnant bitten, Platz zu nehmen. Ein Schnäpschen ist wohl das Mindeste, was wir ihm zur Entschädigung anbieten sollten.«
Mauritz erinnerte sich, wie ihm der bis dato einzige Schnaps, den er beim Druckermeister aufgetischt bekommen hatte, gemundet hatte. Das war etwas anderes gewesen als das, womit er seine Tage daheim im Schloss begann und beendete. Der Schnaps hatte eigentlich ohne Weiteres mit dem französischen Branntwein seines Vaters mithalten können, diesem sogenannten Cognac.
»Also, ich bin ja nun im Laufe weniger Stunden zweimal überfallen worden …«, wendete er ein, während er zur Küchenbank geleitet wurde.
»Ein Schnaps ist kein Schnaps, wie wir in Bayern zu sagen pflegen«, steuerte Helmut bei.
»Habe ich das Wort Schnaps gehört?«, sagte Frank Miles, der nach dem zweiten Aufwecken nicht mehr hatte einschlafen können.
»Hilfe!«, piepste Mauritz Bielkegren.
Aber Anna Stina hatte sich bereits standfest zwischen Frank Miles und dem sitzenden Leutnant aufgebaut und ließ verlauten, dass alsbald doppelte Schnäpse in beide Richtungen ausgeschenkt würden, wenn es den Herren nur gelänge, Gemütsruhe zu bewahren.
Während sie ihren Worten Taten folgen ließ, kam Helmut dazu, Maja und Algot die Idee des Anwalts auseinanderzusetzen.
Als den beiden Streithähnen je ein Schnaps pro Bein ausgeschenkt worden war, fuhr der Kandidat mit seinen Ausführungen fort:
»Wie ich dem Druckermeister samt seiner Gesellschaft erläutert habe, bevor der Herr Leutnant das Möhrenbeet verließ, bin ich Herrn Bielkegrens Rechtsbeistand, Anwalt Henriksson mit Namen.«
»Da habt ihr es!«, stellte Mauritz Bielkegren mit Genugtuung fest.
Der Anwalt gebot seinem Klienten freundlichst zu schweigen.
»Wenn es sich so verhält, wie ich soeben erfahren habe, nämlich dass der Herr Bezirks-Amtmann Rask bezeugen kann, dass der Vater des Herrn Leutnants die Kate tatsächlich an … ja, wie war doch gleich sein Name?« Der Kandidat sah fragend Algot an.
»Algot Olsson«, sagte Algot Olsson.
»Genau! Wenn die Kate verschenkt wurde, war es das. Und meine Rechtsanwaltsehre verbietet es mir, die behauptete kürzliche Misshandlung zu bezeugen. Es war eher ein versehentlicher kleiner Stieber, worauf der Herr Leutnant ausgerutscht ist.«
Das gefiel Mauritz Bielkegren gar nicht.
»Was bist du für ein elender Rechtsverdreher …?«, setzte er an, während Anna Stina flugs mit Nachschenken zur Stelle war.
»Das sehe ich ganz genauso«, sagte Frank Miles, um auch nachgeschenkt zu bekommen.
»Hingegen«, sprach der Kandidat weiter, »ist uns allen ersichtlich, dass wir hier eine ausgewachsene Branntweinproduktionsanlage vor uns haben – um deren Fortbestand es geteilte Meinungen gibt, wenn ich es recht verstehe?«
Verkauft ihm den Kokolores!
Das hatte der Kandidat geflüstert. Algot, Anna Stina, Maja und Helmut dachten jeder für sich angestrengt nach. Sie konnten ja nicht wissen, dass alle vier das gleiche dachten: Ein gewisser Verkaufswille müsste kenntlich werden, ohne dass dies für den angepeilten Käufer gar zu offensichtlich wurde.
»Geteilte Meinungen …«, begann Helmut (irgendwo musste er ja anfangen). »Inspiriert von dem ausgezeichneten importierten Wasserburg Wodka – den einige hier im Raum soeben verkosten –, kam der Gedanke auf, ebensolchen hierzulande herzustellen.«
»Welch abscheulicher Gedanke!«, entfuhr es Maja.
Geteilte Meinungen hieß es ja.
Bis dahin hatte sie sich in der aktuellen Situation konsequent zurückgehalten. Ihr war zu unwohl dabei, sich in einem Raum mit dem widerlichen Leutnant Bielkegren aufzuhalten. Doch nun hatte sie sich überwunden.
»Ich kann es nicht oft genug sagen, lieber Herr Zimmermann! Trennt Euch nicht um dieses Monstrums willen von der Druckerpresse! Ihr, die Ihr die Literatur doch ebenso liebt wie ich! Was soll aus unserem Land werden, wenn wir das gedruckte Wort zugunsten des verderblichen Branntweins aufgeben?«
Anna Stina verstand und blies ins gleiche Horn:
»Und wie könnte uns der Herrgott das jemals verzeihen?«
Bis hierher war der Kandidat hochzufrieden mit seinen Mitakteuren. Er legte eine Kunstpause ein, um die Reaktion des Leutnants auf das Gesagte zu beobachten. Die ließ nicht lange auf sich warten, denn jetzt hatte Mauritz eine Idee. Zwar eine andere Idee als die allgemein beabsichtigte, aber immerhin.
»Ich muss zugeben, dass Euer importierter Wodka allerhöchsten Qualitätsansprüchen genügt, doch was die Spirituosenfabrik vor meinen Augen angeht … Kann es sein, dass Ihr hier gegen Recht und Gesetz Branntwein selbst produziert?«
Im Vollgefühl seiner Überlegenheit fuhr Mauritz fort:
»In dem Fall können wir uns sicher einigen, was unter anderem die Kate angeht. Ich bin nämlich keiner, der ohne Not Dinge ausplaudert, wie Bischof Brask schon im achtzehnten Jahrhundert gesagt hat.«
»Im sechzehnten Jahrhundert, aber nun ja«, sagte sein Anwalt.
»Januar 1517, wenn ich mich recht entsinne«, ergänzte Algot.
»Woher weißt du so was?«, sagte Anna Stina verblüfft.
»Ich hatte einmal einen großartigen Lehrer.«
»Meiner war ein Idiot«, sagte Mauritz Bielkegren. »Aber wie wär’s, wenn wir zur Sache kommen? Ich verrate keinem, was ich weiß, wenn Ihr mir dafür meine Kate wiedergebt.«
Der ehemalige Kandidat, nunmehr Rechtsanwalt, war soeben von einem Idioten als Idiot bezeichnet worden. Aber das machte nichts, denn jetzt war es Zeit für den nächsten Schritt in seinem in aller Eile aufgestellten Plan.
»In meinen laienhaften Advokatenaugen sieht es nicht danach aus, dass die Maschine in Betrieb ist, oder was sagt Ihr, Herr Zimmermann?«
»Das ist korrekt, Herr Advokat«, sagte Helmut.
»Und möge es niemals dazu kommen, in Gottes und des Herrn Jesu Namen!«, sagte Maja.
»Darf man fragen, welche Kapazität sie besitzt, für den Fall, dass sie genutzt würde?«, fragte der Kandidat weiter.
»Sechstausend Liter am Tag«, sagte Helmut. »Ich weiß nicht recht, wie viel ein Liter ist, es handelt sich um eine französische Maschine, aber es dürfte wohl in etwa unserem Hohlmaß, ›Stop‹, entsprechen.«
Der halb französische Mauritz Bielkegren wusste sehr gut, wie viel ein Liter war. Sechstausend davon am Tag, das wären ja … Mauritz versuchte es mit Kopfrechnen … ohne Erfolg.
Maja musste ihm beispringen.
»Ich kann Euren Eifer gut verstehen, Herr Zimmermann. Aber bedenkt, würdet Ihr am Jüngsten Tag lieber mit Armen voller Reichstaler vor unserem Herrgott stehen – oder mit der Kunde, dass Ihr Euer Leben der Kultur, Literatur und Volksbildung geweiht habt?«
Helmut gab sich die größte Mühe, betreten dreinzuschauen.
»Ich weiß nicht, Maja. Ihr sät Zweifel in meinem Gemüt. Ich habe ja einige Angebote von Kaufinteressenten für die Maschine. Deshalb ist sie noch nicht fertig aufgebaut, und weil ich mich davor gedrückt habe, in der Bezirksverwaltung die entsprechende Genehmigung zu beantragen.«
»Ach so, sie ist in der Tat noch nicht fertig aufgebaut?«, sagte Anwalt Henriksson. »Dann kann ich schwerlich rechtliche Bedenken geltend machen.«
»Was bist du für ein elender Rechtsverdreher?«, wiederholte Frank Miles das zuvor Gehörte in der Hoffnung auf noch einen Schnaps.
Anna Stina schenkte ihm und dem Leutnant nach, während bei Mauritz endlich einzusickern schien, was sie ihm schon länger begreiflich zu machen versuchten. Er bedankte sich nämlich nur kurz fürs Nachschenken und saß eine Weile stumm da, um nachzudenken.
Sechstausend Liter am Tag! Wie viele Tage hatte das Jahr doch gleich wieder? Dreihundert? Sechs mal drei war ja wohl … fünfzehn. Fünfzehntausend plus zwei Nullen … anderthalb Millionen! Ein Reichstaler pro Liter Profit war niedrig angesetzt, aber leichter zu berechnen. Diese Fabrik wäre ja … für Kronogården die Rettung!
Der angehende Graf hatte fertig nachgedacht.
»Was verlangt Ihr für die Maschine?«, fragte er wohl eifriger, als er sich vorgenommen hatte.
»Nein, nein!«, rief Helmut. »Sie steht nicht zum Verkauf!«
»Doch!«, ereiferte sich Anna Stina. »Vater, bitte! Denk an Jesus Christus!«
Mauritz Bielkegren war zum Lachen zumute. Er war ja nicht auf den Kopf gefallen! Ihm war klar, dass der Druckermeister von den Frauenzimmern um ihn herum unter Druck gesetzt wurde. Genau das Gleiche wie mit Papa Gustav im Schloss – der eine Mann schwächer als der andere!
Er hingegen war stark. Ein, zwei oder vielleicht sogar drei Millionen Reichstaler im Jahr Gewinn – oder Bücher drucken, die sowieso keiner lesen wollte? Was war das denn für eine Wahl! Außerdem hatte doch wohl auch Jesus seinerzeit Wein getrunken?
Mit einer Spirituosenfabrik dort, wo die Gräfin noch ihre gottverdammten Vollblüter hielt, konnte das Sägewerk einpacken.
Mit Mauritz’ stummen Überlegungen reichte es jetzt, fand Algot, es hatte lange genug Schweigen im Raum geherrscht. Er wollte sich einbringen.
»Allein in Schweden gibt’s schwedische Stachelbeer’n«, sagte er aufs Geratewohl.
»Hä?«, machte Mauritz.
Der Ex-Pächter hatte sich Anna Stina zuliebe über den schwachsinnigen Pfarrer kundig gemacht. Die meisten seiner Werke waren in der Landesbibliothek von Växjö vorrätig.
»Das war ein Zitat von Carl Jonas Love Almqvist«, sagte er. »Dichter. Pfarrer. Künstler. Also so fern von all den verderblichen Auswirkungen des Branntweins wie nur irgend möglich.«
Das machte den werdenden Grafen um so selbstsicherer. Der Apotheker schlug sich also auf die Seite der Frauenzimmer! Der Druckermeister stand mit seiner Branntweinvision allein auf weiter Flur.
Aber jetzt durfte man sich nicht zu stur geben.
»Ja, diese verderblichen Auswirkungen sind freilich von Übel. Und im Unterschied zu vielen anderen haben wir Adligen einen Ruf zu wahren. Doch wie dem auch sei: Ich könnte mir eventuell vorstellen, Eure Fabrik zu übernehmen, Herr Zimmermann. Aber mehr als fünfzigtausend Reichstaler kommen nicht infrage.«
Helmut traute seinen Ohren nicht. Fünzigtausend? Für das Ungetüm, das sie eben noch kleinhacken und verbrennen wollten? Und für das er tausendfünfhundert bezahlt hatte?
»Fünfzigtausend?«, sagte er. »Das ist deutlich unter unserem Einkaufspreis! Wenn für Euch außerdem die Kate des Pächtertölpels ins Geschäft einfließen soll, Herr Leutnant, beenden wir die Verhandlungen am besten hier und jetzt!«
Die Kate? Die hatte Mauritz vergessen. Vor allem konnte sie ihm unter den neuen Umständen gänzlich gestohlen bleiben.
»Zweihunderttausend Reichstaler!«, eröffnete Helmut sein Gegenangebot.
Wenn das mal nicht etwas happig ist , dachte Algot.
Wenn das mal nicht etwas happig ist , dachte Anna Stina.
Wenn das mal nicht etwas happig ist , dachte der Kandidat.
»Wenn das mal nicht etwas happig ist«, sagte Frank Miles, ohne so genau zu wissen, worum es eigentlich ging.
Mauritz Bielkegren empfand schon fast Sympathie für den Mann, der ihn im Laufe des Tages zweimal misshandelt hatte.
»Da muss ich Euch zustimmen, Olsson.«
»Olsson?«, wunderte sich Frank Miles.
Zum Glück fiel es nicht weiter auf.
Der Leutnant dachte jetzt an all die hohen Verluste des Sägewerks. Und daran, welche Kosten die verfluchten Pferde seiner Mutter verursachten. Die Lösung für sämtliche Probleme der gräflichen Familie sah er so gut wie fertig aufgebaut vor sich.
»Für den Anfang wollen wir die Kate beiseitelassen.«
Das würde er seinem Vater schon noch erklären, denn jetzt hatte er das größere Ganze im Blick! »Sagen wir glatt hunderttausend Reichstaler? Und dazu bekommt Ihr als Kompensation elf arabische Vollblüter. Und übernehmt die Leitung eines der führenden Sägewerke von ganz Schweden.«
Laut den Büchern waren kaum mehr als hunderttausend Reichstaler verfügbar. Was für ein gescheiter Schachzug von ihm, fand Mauritz, das Sägewerk als Verhandlungsmasse ins Geschäft einzubringen: mit etwas zu bezahlen, das nur Verlust abwarf!
»Was sind Vollblüter?«, erkundigte sich Algot neugierig.
Das wusste Frank Miles.
»Pferde! Die arabischen Vollblüter sind nicht ganz so edel wie die englischen.«
»Pferde?«, sagte Helmut. »Was sollen wir damit?«
»Macht damit, was Ihr wollt! Verkaufen oder aufessen«, sagte Mauritz Bielkegren. »Aber das werden kostspielige Mahlzeiten, wenn Ihr Euch für Letzteres entscheidet.«
Jetzt war der Druckermeister an der Reihe, nachdenklich in sich zu gehen. Der Sohn des Grafen wollte also mit Sägewerk und Tieren bezahlen. Helmut ahnte das schwer Begreifliche, nämlich dass es der Familie Bielkegren an flüssigem Geld fehlte. Da galt es entweder mit Bedacht vorzugehen oder zu einem raschen Entschluss kommen.
Es wurde der rasche Entschluss.
»Das Sägewerk könnt Ihr behalten, Herr Leutnant«, sagte er. »Die Pferde nehmen wir meinetwegen. Wenn Ihr fünftausend auf die hundert drauflegt, kommen wir eventuell ins Geschäft.«
»Halleluja!«, sagte Maja.
Zum Henker noch mal , dachte der Kandidat. Heilige Scheiße .
Mauritz hätte zwar am liebsten nichts mehr mit dem Sägewerk zu tun gehabt, aber soweit er sich erinnerte, lagen noch mal fünfzigtausend extra auf einem anderen Konto. Wozu auch immer. Wenn er die hinzutat, ließ sich das Geschäft schuldenfrei abwickeln.
»Könnt Ihr beim Vertragaufsetzen behilflich sein, Herr Advokat?«, fragte er.
Dem stimmte Elias Henriksson zu. Wenn die Parteien sich einig seien, schlage er einen Termin in der Sparkasse in Växjö um zehn Uhr am nächsten Tag vor.
»Morgen um zehn in der Sparkasse von Växjö«, wiederholte Mauritz Bielkegren und hielt Druckermeister Zimmermann die Hand hin.
Helmut schien zu zögern. Und noch ein wenig zu zögern. Der Advokat, Algot, Anna Stina und Maja hielten die Luft an.
»Morgen um zehn«, bestätigte Helmut schließlich. »Bestimmt werde ich es bereuen, aber ich stehe nun mal zu meinem Wort.«
Anna Stina hatte die ganze Zeit die Wasserburgflasche in der Hand gehalten. Jetzt sagte sie:
»Danke, lieber Vater, dass du zur Vernunft gekommen bist. Das müssen wir schon fast feiern! Möchtet Ihr auch ein Gläschen, Herr Advokat?«
»Ja, danke«, sagte Frank Miles.