Ruhe vor dem Sturm
Der Firma Otterdahl & Zimmermann ging es so gut wie noch nie. Guthaben im Überfluss auf der Sparkasse von Växjö, und Apotheker Otterdahls magische Tropfen gegen finstere Gedanken gingen weg wie warme Semmeln. Sämtliche Apotheken im Umkreis, die Maja bei ihrer ersten Verkaufstour besucht hatte, vervielfachten ihre Bestellung beim zweiten Mal. Und das sprach sich herum.
Maja war eine so gute Kraft im Vertrieb, dass Helmut ihr Gehalt bereits vor der ersten Auszahlung erhöhte – und noch bevor überhaupt erste Gehaltsverhandlungen stattgefunden hatten.
»Ich hatte an hundert Reichstaler im Monat gedacht«, sagte der Druckermeister.
»Wahnsinn!«, sagte Maja, die so viel Geld weder in einzelnen Portionen noch je am Stück gesehen hatte.
»Gut, dann sagen wir zweihundert«, machte Helmut weiter.
Maja war völlig hingerissen und wollte sich revanchieren.
»Kann ich dann nicht ein paar von Euren Küchentagen übernehmen, Herr Zimmermann?«
»Dreihundert«, antwortete Helmut.
Zu einem ähnlichen Gespräch mit Frank Miles kam es freilich nie. Er hatte gehört, um was für Summen es in den Verhandlungen mit Leutnant Bielkegren gegangen war, und wusste, wie viel er selbst per Vorkasse für den Druck des Kommunistischen Manifestes bezahlt hatte. Weshalb er sich denken konnte, wie viel Anna Stina mit dem Verkauf eingenommen hatte.
Und doch war er zufrieden mit allem, wie es war.
Er hatte eine eigene Kate, durfte verschiedene Kräutermixturen mit achtzigprozentigem Alkohol verkosten und konnte sich aufs Ohr legen, wann auch immer ihm danach zumute war. Dazu noch die drei Mahlzeiten am Tag – was sonst hätte er sich vom Leben wünschen können?
***
Algot stand wieder am Destillierapparat für den Hausgebrauch, den er so gut kannte. Freilich galt es jetzt mehr Flaschen zu befüllen als zu den reinen Branntweinzeiten, die waren ja so viel kleiner. Dafür reichte der Apparat aus, auch wenn er nahezu rund um die Uhr in Betrieb war. Früher hatte er zwei Reichstaler den Liter verdient, jetzt vier mit Flaschen, die ein Bruchteil so groß waren.
Da die Gruppe nicht mehr jede Münze zweimal umdrehen musste, investierte der Apotheker in eine sinnreiche Konstruktion, in der der Brenner teilweise eingebaut war und im Nu ganz versteckt werden konnte, falls Gesetzeshüter zur Inspektion vorbeischauen würden. Der Rauch des Feuers unter dem Kessel wurde auch nicht mehr zum Fenster hinausgeleitet, sondern durch einen diskreten Schornstein.
Weiterhin gedieh die Woche-mit-Sara -Liebe zwischen Anna Stina und Algot, die nicht zu knapp Wohlgefallen aneinander fanden. Zu Helmuts Freude meinte die Tochter eines Tages sogar, sie sei nun bereit, mit Algot in den Stand der Ehe einzutreten – wenn auch bloß auf dem Papier. Und zwar stellte sie sich das so vor, dass der Vater ihr einen neuen Reisepass auf den Namen Anna Stina Otterdahl ausstellte. Darüber freute Algot sich sehr und schlug im Überschwang eine Zeremonie im Möhrenbeet vor, wenn der Pass fertig sei, doch das war ihr zu religiös. Helmut meinte dazu, dass er vorderhand auch mit dem kleinen Fortschritt zufrieden sei.
Die Frage nach einem neuen Reisepass für Anna Stina brachte Maja auf die gleiche Idee. Mittlerweile gab es keine Apotheke mehr im Bezirk Kronoberg, die nicht Apotheker Otterdahls magische Tropfen verkaufte. Der Vertrieb sollte sehr weit expandieren, damit er auch die Bezirke Jönköping und Blekinge abdeckte. Und in einem weiteren Schritt selbst alle Bezirke bis hinab nach Malmö.
»Und wie willst du heißen, Maja, wenn du nun schon die Gelegenheit zum Namenswechsel hast?«, erkundigte sich Helmut eines Abends bei Tisch.
Bevor Maja antworten konnte, warf Anna Stina ein:
»Warum trägt sie das Essen auf, und nicht du?«
»Ihr zahlt mir ein so hohes Gehalt, dass ich es ihm angeboten habe«, sagte Maja.
»Hast du dich von deinen Küchenpflichten freigekauft?«, sagte Anna Stina mit strengem Blick auf Helmut.
»Ganz so war es nicht«, versuchte es Maja.
»O doch«, hielt Anna Stina dagegen. »Du musst verstehen, mein Vater ist eine Schlange.«
Helmut blieb nichts anderes übrig, als zu versprechen, nächstes Mal wieder den Kochlöffel zu schwingen, wenn er an der Reihe war.
»Können wir damit zur Frage nach Majas künftigem Namen zurückkehren?«
»Was ist an Maja so verkehrt?«, wollte sie wissen.
An sich gar nichts. Nur Johansson hörte sich schon etwas schlicht an.
»Aber wenn wir ohnehin den Nachnamen ändern, brauchen wir uns ja auch sonst nicht lumpen zu lassen«, meinte Helmut.
Nach einigen Minuten Hin und Her am Küchentisch waren sich alle einig:
Die Vertriebschefin Marie-Luise Stråhle war geboren.
Frank Miles, der sich früh in den Feierabend verabschiedet hatte, nahm nicht an diesem Tischgespräch teil. Die Gruppe beschloss über seinen Kopf hinweg, dass er seinen Namen behalten durfte. Er kam ohnehin nie weiter rum als von der Kate zum Haus und zurück, eine Entfernung von jeweils einem Dutzend Schritten.
***
Alles in allem war die erste Zeit nach dem geglückten Geschäftsabschluss mit Leutnant Bielkegren und der Markteinführung der magischen Tropfen ruhig und harmonisch für Algot, Anna Stina, Marie-Louise und Helmut.
Wenn auch nicht lange.