Fünfzigtausend gesucht
Mauritz Bielkegren war bemüht, die aktuelle Lage in ihrer vollen Tragweite zu erfassen.
Auf der Positiv-Seite war zu vermerken, dass seine Mutter, Gräfin Antoinette, nicht zur Last fiel, alldieweil sie ihre Tage vornehmlich im eigenen Gemach verbrachte. Wenn sie dennoch durchs Schloss ging, schien sie Umwege zu nehmen, um ihm auszuweichen.
Positiv auch, dass seine kleine Schwester Sophia ihr Gejammer wegen Schuhen und anderem Überflüssigen eingestellt hatte. Und zwar, seit Mauritz ihr gedroht hatte, sie sonst an den nächstbesten Schaf- oder Schweinezüchter zu verheiraten, Viehbestand hin oder her.
Hinsichtlich der Branntweinfabrik und ihrer Zukunft hielten sich die positiven mit den problematischen Aspekten die Waage.
Einerseits war sie so gut wie fertig aufgebaut. Andererseits fehlte es an einer kleineren Dampfmaschine, für die kein Kapital vorhanden war. Und natürlich an der behördlichen Produktionsgenehmigung.
Um Letztere brauchte er sich ja nun nicht den Kopf zu zerbrechen. Der Oberbefehlshaber in der Bezirksverwaltung hatte bislang stets gespurt. Jetzt hatte Mauritz außerdem vor, ihn zum kommenden Souper mit dem König einzuladen. Derartiger Glanz ließ das Risiko einer Absage von null auf unter null sinken, wofern das möglich gewesen wäre.
Das große und immer noch ungelöste Problem stellten die Reichstaler dar.
Es gab keinen Wald mehr, den man eben rasch an das Königshaus verkaufen konnte.
Es gab kein Sägewerk, aus dem man bare Münze ziehen konnte.
Hingegen gab es einen ganzen Stab an Dienstboten in Küche und Hof, die für so gut wie alles heillose Mengen an Reichstalern verschlangen. Die Köchin hatte sogar die Frechheit besessen, zu Mauritz zu gehen und damit zu drohen, dass sie den Grafen auf seinem Krankenlager aufsuchen würde, wenn sie nicht bekäme, was sie wollte.
»Wenn Sie beim Grafen anklopft, erschlage ich Sie«, hatte Mauritz gesagt. »Ich hatte zu viel um die Ohren, aber Sie soll bekommen, was Sie verlangt.«
»Wann?«, wollte die Köchin wissen.
»Morgen.«
»Alles , was ich verlange! Sonst tische ich dem König morgens, mittags und abends Blutpudding ohne Preiselbeermarmelade oder Eier auf, versprochen. Dann werden wir ja sehen, wer hier wen erschlägt.«
Es ging ja nicht nur darum, zur Sparkasse zu pilgern und um einen Kredit zu bitten, sondern man riskierte, dass in der Gegend herumgetratscht wurde. Das kam dann noch auf die Erniedrigung obendrauf, mit dem Hut in der Hand vor den Bankdirektor hinzutreten.
Und doch, es blieb ihm keine andere Wahl.
***
Im Kopf des jungen Leutnants überschlugen sich die Gedanken, nachdem er sein Pferd ein paar Schritte von der Bank angebunden hatte. Direkt nebenan befand sich die führende Apotheke der Stadt. Einer Eingebung folgend, ging Mauritz hinein, bat um vier Flaschen von Apotheker Otterdahls Wundermittel gegen finstere Gedanken, erfuhr, dass der Apotheker nur noch zwei davon auf Lager hatte, kaufte beide, leerte die eine und betrat die Bank.
»Recht schönen guten Tag, Sjölander«, sagte er mit lauter, selbstsicherer Stimme zum Bankdirektor, der es nicht gewohnt war, nur mit Nachnamen angeredet zu werden.
»Guten Tag, Herr Leutnant«, antwortete Direktor Sjölander höflich. Um sich anschließend auf seine eigene bescheidene Art zu revanchieren:
»Was Euch wohl in unser einfaches Etablissement führen mag, Herr Leutnant? Wollt Ihr Geld einzahlen? Denn Gegenteiliges kommt ja leider nicht mehr infrage.«
Mauritz schob Sjölander schon fast in sein Direktorenbüro und schloss die Tür hinter ihnen beiden.
»Was für Reden führt Ihr da vor Euren Bankangestellten und den Leuten?«
Mauritz war wütend, wenn auch nicht so wütend, wie er ohne die Zaubertropfen im Blut gewesen wäre. Er verzichtete auf weiteren Streit mit dem Herrn Direktor, der ja schließlich derjenige war, welcher auf dem Gelde saß, und erging sich stattdessen in Erklärungen, dass sich der Gutshof in einer Phase der Expansion mit hohen Investitionskosten befände, Schwedens modernstes Sägewerk bedauerlicherweise von einem Produktionsausfall betroffen sei und er daher einen kurzfristigen Kredit über lumpige fünfzigtausend Reichstaler brauche.
Direktor Sjölander mochte den Jungspund vor sich nicht (den Grafen konnte er auch nicht leiden, wenn er es sich recht überlegte), war aber zu professionell, um sich seine Entscheidungen von derartigen Gefühlsregungen diktieren zu lassen. Folglich antwortete er, dass er dem Herrn Leutnant gern behilflich sein wolle, wenn sich dieser mit einem ganz simplen Arrangement zur Etablierung einer gewissen Sicherheit einverstanden erkläre.
Sicherheit? War etwa der Name des Herrn Grafen sowie sein eigener nicht Sicherheit genug?
Das zweite Fläschchen mit Apotheker Otterdahls Medizin brannte dem Leutnant in der Tasche.
Doch der Bankdirektor versicherte ihm, es handle sich lediglich um eine Formalität. Er werde gerne bereits am nächsten Morgen einen Gutachter nach Schloss Kronogården schicken.
»Aus zweckdienlichen Erwägungen sollte Eure fragliche Sicherheit einigermaßen transportabel sein«, sagte Direktor Sjölander. »Wir wollen nicht das ganze Schloss wegtragen müssen, falls es hart auf hart kommen sollte. Es ist übrigens bereits bis zur Schornsteinoberkante und darüber hinaus verpfändet, wie der junge Herr Leutnant sicherlich weiß.«
Davon hatte Mauritz keine Ahnung gehabt. Doch was schlimmer war:
Das Rabenaas saß da und grinste ihm ins Gesicht!
»Transportabel?«, sagte Mauritz. »Was schwebt Euch denn da so vor?«
Der Direktor entschuldigte sich, er sei schon länger nicht mehr auf Kronogården gewesen, die Einladungen trudelten ja nicht mehr ganz so häufig ein wie früher.
»Doch ich kann mich entsinnen, dass die Frau Gräfin fünf, sechs stattliche Vollblutaraber besaß, nicht wahr?«
»Elf«, murmelte Mauritz Bielkegren.
»Umso besser! Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich morgen Vormittag Isaksson dort rausschicke? Also, um sie zu inspizieren.«
Was inspizieren? , dachte Mauritz, der völlig ahnungslos war, was Druckermeister Zimmermann mit den Tieren gemacht hatte.
»Ja, allerdings«, sagte er kurz angebunden. »Da bin ich anderweitig beschäftigt.«
Woraufhin er sich entschuldigte, sich für nichts bedankte und ging.
***
Mit Apotheker Otterdahls Medizin gegen finstere Gedanken hatte es wirklich etwas ganz Spezielles auf sich! Mauritz leerte auch die zweite Flasche, sobald er zu Pferde saß – und es dauerte gar nicht lange, da eröffneten sich ihm gedanklich neue Möglichkeiten. Er brauchte ja bloß erneut bei Zimmermanns vorbeizuschauen und zu fragen, ob er die Vollblüter einen Tag lang ausleihen konnte!
»Mensch, Mauritz, was bist du begabt«, sagte er zu sich selbst.
Der gräfliche Herr Papa konnte seelenruhig in seinem Sessel sitzen bleiben.