Der Graf übernimmt wieder das Ruder
1853

Graf Bielkegren eröffnete die Zusammenkunft im Spiegelsaal mit einem Rapport betreffs seiner Gesundheit.

Dank regelmäßiger Einnahme der Wundermedizin, mit der Mauritz ihn dankenswerterweise versorgt habe, schienen die Verspannungen in seinem Rücken nachzulassen. Liegen wie auch Sitzen fielen ihm leichter. Am Vortag erst habe Gustav es mit einem Spaziergang im eigenen Schlafgemach probiert. Danach mit noch einem und noch einem.

Und jetzt habe er das Wagnis unternommen, die Treppe hinabzusteigen – auch das mit Erfolg. Die beiden Stöcke seien lediglich als Vorsichtsmaßnahme zu betrachten.

»Ich bin also wieder da! Zu deiner großen Begeisterung, wie ich sehe, Mauritz.«

Das war von Gustav natürlich ironisch gemeint.

Denn der Sohn wirkte etwas mitgenommen angesichts dessen, wie sich die Dinge entwickelten. Wenn nicht gar regelrecht enttäuscht?

»Wie wunderbar, dass Ihr in guter Verfassung wieder bei uns seid, Vater«, heuchelte der Ex-Leutnant und wollte schon damit fortfahren, dass die beiden Vollblüter nicht ihm anzulasten seien und er sie stante pede dorthin zurückschicken wolle, wo auch immer sie hergekommen seien.

Doch er kam nicht weit. Denn der Graf schnitt ihm vorher das Wort ab:

»Das hört man gern! Aber jetzt will ich eine ganze Weile nichts mehr von dir oder den anderen beiden hören. Denn ich werde die neuen Richtlinien kundtun.«

Zuerst wandte er sich an die Gräfin:

»Wenn ich es recht verstanden habe, hat Mauritz deine elf Vollblüter verkauft. Woraufhin du unverzüglich zwei neue angeschafft hast?«

Antoinette Bielkegren nickte bestätigend, besorgt, was nun wohl folgen würde.

»Wie raffiniert von dir. Die Diskussion der künftigen Vollblutstrategie heben wir uns für später auf, da ich derzeit auf dein allersonnigstes Gemüt angewiesen bin, meine liebe Gemahlin. Wenn die Pferde dich froh stimmen, bin ich froh.«

»Aber sie sind noch nicht bezahlt, und wir haben kein …«, wollte Mauritz loslegen, als er erneut vom Vater unterbrochen wurde:

»Du bist gefälligst – genau wie die anderen – so lange still, bis du gefragt wirst! Verstanden? Also gut: Jetzt wirst du gefragt und hast Erlaubnis, zu antworten.«

Mauritz nickte. Und ärgerte sich über die Wundermedizin. Die sollte doch finstere Gedanken vertreiben, nicht machen, dass Lahme wieder gingen!

Der Graf wandte sich an Sophia:

»Und was können wir dafür tun, dass auch du dich dem Königspaar gut gelaunt und frohgemut zeigst, liebe Tochter?«

Sophia überlegte laut, ob sie die Frage so verstehen solle, dass sie soeben gefragt worden sei. Lachend erklärte der Vater, das habe sie richtig verstanden.

»Dann würde ich mir wünschen, dass Ihr mir hoch und heilig versprecht, Herr Vater, mich nicht an einen Schweinezüchter zu verheiraten. Oder an eins seiner Schweine.«

Der Graf erklärte mit zum Schwur erhobener rechter Hand:

»Bei meiner Ehre. Wir werden zweifelsohne eine angemessene Partie für dich finden, du bist ja schön wie der junge Morgen und klug wie …«

An dieser Stelle wusste er vorerst nicht weiter.

»… schön wie der junge Morgen, wie gesagt.«

Als Gustav Frau und Tochter wieder bei Laune hatte, kam Mauritz an die Reihe. Hier war der gräfliche Ehrgeiz etwas anders gelagert.

»Bleibst nur noch du übrig«, sagte er zu seinem Sohn. »Ich denke, wir beide machen jetzt mal zusammen einen Spaziergang zum Sägewerk und sehen uns an, wie es dort vorangeht.«

»Sollen wir nicht erst mal mit der Spirituosenfabrik anfangen?«, schlug Mauritz vor.

»Na na, jetzt hast du schon wieder ungefragt drauflosgeredet«, antwortete sein Vater. »Komm, wir gehen.«

***

Das modernste Sägewerk Schwedens war ja nun ein Trümmerhaufen. Der Graf brauchte nicht allzu lange für die Feststellung, dass der gesamte Betrieb rettungslos zerstört war.

»Wo ist Björk?«, sagte er mit einem Grollen in der Stimme.

Der Vorarbeiter. Sein langjähriger treuer Diener. Der den Grafen eigentlich noch nie enttäuscht hatte. Aber jetzt stand dem die Kündigung ins Haus!

Mauritz witterte den Strohhalm und griff flugs danach.

»Das habe ich bereits erledigt. Wenn Ihr mir gestattet, etwas sagen zu dürfen, Vater.«

»Du darfst reden«, sagte der Graf. »Wie hat er das hier erklärt?«

Wenn jetzt nur nicht Björk höchstselbst oder irgendein Tagelöhner völlig unangemeldet auftauchte und ihn hörte, könnte sich Mauritz aus der Bredouille lavieren. Also nur zu: Alle Schuld auf Björk schieben!

»Er hat etwas von Personalmangel gestammelt, hatte aber keine Antworten auf meine Fragen nach Umstrukturierungen. Ich muss schon sagen, Björks Hilflosigkeit war wirklich bemerkenswert!«

Mauritz’ Worte schienen Eindruck auf den Grafen zu machen. Also fuhr er fort:

»Meiner Ansicht nach hatte er glasige Augen, als ich mit ihm sprach, und wirkte nicht ganz bei sich. Hat er ein Alkoholproblem?«

Das war dem Grafen neu.

»Möglich«, sagte er.

Und, zu sich selbst:

»Verflucht, was sage ich dem König?«

Beglückt, weil er seinen Hals aus der Sägewerkshavarie-Schlinge gezogen hatten, kam Mauritz auf eine Idee:

»Können wir nicht alles anzünden? Für ein Brandunglück müsste Ihre Majestät doch wohl Verständnis haben? Und obendrein können wir dann noch bei der Versicherung abkassieren, oder etwa nicht?«

***

Es ließ sich nicht ändern, der Graf schöpfte neue Hoffnung, was seinen einzigen Sohn anging.

Natürlich hätte er Björk besser unter Kontrolle haben müssen, doch das war vielleicht zu viel verlangt? Der Vorarbeiter hatte den Jungen ja aufwachsen sehen, war vielleicht fast so etwas wie ein zweiter Vater für ihn?

Und die Spirituosenfabrik war schon wirklich ungemein beeindruckend!

Und am allerbesten: Jetzt hatte der Graf dem König doch noch etwas zu bieten!

Genial, dass sein Sohn noch dazu den Oberbefehlshaber der Bezirksverwaltung beim Galasouper auf die Gästeliste gesetzt hatte!

Wegen ihrer Produktionsgenehmigung. Der hatte dem Grafen noch nie etwas abschlagen können und würde es auch fürderhin garantiert nicht tun, wenn er unmittelbar davor einen Bückling vor Seiner Majestät machen durfte.

Und an der Idee, das Sägewerk anzuzünden, gegenüber Seiner Majestät das Unglück zu beklagen und anschließend die Versicherungssumme einzustreichen – ja, daran war weiß Gott auch nichts auszusetzen.

»Ich bin schon fast stolz auf dich, mein Sohn«, sagte der Graf und klopfte Mauritz auf den Rücken.

»Danke, Vater!«, entgegnete der Sohn, um lächelnd hinzuzufügen: »Verzeiht mir, weil ich Euch gedankt habe, ohne zuvor gefragt worden zu sein.«

Da musste auch der Vater lächeln:

»Komm, wir gehen ins Schloss und sehen die Gästeliste durch. Gemeinsam!«