Ehebruch ist Ehebruch
Gleich nach Abfahrt des Herrscherpaars begab sich Gustav auf seine allmonatliche meilenlange Wanderung, um seine Pacht von den fünfunddreißig restlichen Pächtern einzutreiben. Allerdings waren es noch viele Tage hin bis zum nächsten Monatsersten, doch er brauchte Bewegung und hatte sich fest vorgenommen, jeden Pächter rauszuschmeißen, der sich weigerte, vorzeitig zu bezahlen. Und wenn er dann wieder zu Hause war, würde er zur Spirituosenfabrik zurückkehren und seinem Sohn Mauritz den Rucksack voller Reichstaler um die Ohren hauen. In denkbar düsterster Verfassung machte sich der Graf auf den Weg. Zu allem Überfluss versetzte ihm jeder Schritt, den er ging, einen Stich ins Rückenmark.
Umso hoffnungsfroher war seine Gattin gestimmt. Nachdem sie Sophia freundlich in ihr Gemach geschickt hatte, nahm sie auf einem einfachen Stuhl neben dem schlafenden Sohn Platz. Mit dem Verhör würde sie anfangen, sobald er die Augen wieder aufschlug.
***
Im Gesetzbuch war von einfachem und doppeltem Ehebruch die Rede. Bei einfachem war die eine Partei verheiratet, die andere nicht. Bei doppeltem beide.
Der Graf war in allerhöchstem Maße mit seiner Gräfin verheiratet, doch für sie spielte es keine Rolle, ob es sich bei dem eventuellen Ehebruch um einfachen oder doppelten handelte. Ehebruch war Ehebruch – falls Gustav sich tatsächlich schuldig gemacht hatte. Das konnte Antoinettes und Sophias Weg in die Freiheit bedeuten!
Allein:
Bislang konnten sie sich lediglich auf ein unbedacht dahingesagtes Wort Seiner Majestät berufen. Falls Königsworte überhaupt jemals unbedacht waren. Jedenfalls hatte der König verlauten lassen, dass Gustav am Vorabend ein Freudenmädchen zum Galasouper eingeladen hatte. Wer konnte das sein? Und was mochte sie zu erzählen haben?
Antoinette hegte den Verdacht, Mauritz könne auf näheren Auskünften zu dem Thema sitzen (oder vielmehr liegen) und bereute schon, dass sie ihn mit Opium abgefüllt hatte. Auch ohne wäre ja alles gut gegangen.
Oder?
Die Gräfin dachte noch einmal nach.
Dank des aufgemöbelten Cognacs hatte sich der Sohn ja gesprächiger und offenherziger denn je gebärdet, bis er aus den Latschen gekippt war. Eigentlich sogar noch danach, wenn man all sein Gebrabbel im Schlaf gelten ließ.
Vielleicht sollte Antoinette nicht bloß dasitzen und warten, bis das Gift seinen Körper verlassen hatte?
Planänderung.
Sie holte einen Eimer Wasser und setzte sich so, dass sie es ihm ins Gesicht kippen konnte, während sie zugleich ein wenig an ihm rüttelte.
Ein paar Minuten dauerte es, doch dann war er wach. Oder wie man es nun nennen mochte:
»Hör auf damit, König! Kümmer dich lieber um dein Land!«
Antoinette sagte, dass sich Seine Majestät bereits fortbegeben habe und er jetzt mit seiner, Mauritz’, Mutter rede.
»Der Hexe?«, sagte Mauritz mit weiterhin geschlossenen Augenlidern.
»Ganz recht, der Hexe«, bekräftigte die Gräfin. »Erzähl ihr jetzt von dem Freudenmädchen, das dein Vater zum Souper eingeladen hat.«
»Warum sollte ich dir was erzählen?«, sagte Mauritz und öffnete die Augen einen Spaltbreit.
»Weil du so ungeheuer tüchtig bist!«, log die Gräfin. »Seitdem du das Sägewerk übernommen hast, ist da eine ganz neue Ordnung eingekehrt!«
Mauritz lächelte. Dieses eine Mal hatte seine Mutter recht.
»Du hast ja keine Ahnung, wie Vater Kronogården heruntergewirtschaftet hat! Wusstest du überhaupt, dass uns der Wald gar nicht mehr gehört?«
Das war der Gräfin neu.
»Hast du gewusst, dass ich ein Darlehen besorgen musste, damit wir genug Geld hatten, um diese verfluchte Majestät und seinen Hofstaat zu empfangen?«
Das hingegen wusste sie. Doch zurück zum Thema.
»Wie war das nun mit dem Freudenmädchen, von dem der König gesprochen hat?«
»Äh«, sagte Mauritz. »Zu der läuft er nicht mehr hin, dein Mann.«
»Nicht mehr?«
»Nein, die ist irgendwie was Besseres geworden. Bei dem deutschen Druckermeister in Aringsås untergeschlüpft. Weiß der Teufel, wie sie das angestellt hat, aber diese Tür ist verschlossen. Bumm, aus! Geschieht ihm recht!«
Der Druckermeister ? Doch nicht etwa derselbe Mann, den Gérard kennengelernt hatte? Mitunter war die Welt erstaunlich klein.
Mauritz’ Intelligenz war ja bereits in nüchternem Zustand ausbaufähig. In seiner momentanen Verfassung merkte er nicht einmal, dass er sich verplappert hatte.
Die Gräfin aber schon. Der Sohn hatte ihr die Information geliefert, die sie brauchte. Jetzt gab es keinen Grund mehr, dem Flegel zu schmeicheln.
»Danke«, sagte sie und stand auf, um ihn dort liegen zu lassen, wo er lag.
Als sie schon an der Tür angekommen war, rief Mauritz hinter ihr her:
»Wollt Ihr schon gehen, Mutter? Könnt Ihr mich nicht erst noch ein bisschen mehr loben?«
Aber Antoinette Bielkegren hatte nicht vergessen, wer sich während Gustavs Rückenverletzung für den neuen Herrn im Haus gehalten, sich beim Frühstück unangenehm aufgeführt und ihre arabischen Vollblüter versilbert hatte.
»Ich hätte dich am liebsten gebeten, dich in einer tiefen Höhle im Wald zu verkriechen, Mauritz. Aber der gehört uns ja nun nicht mehr.«