Des Amtmanns letzte Woche
Bei Zimmermanns am Mittagstisch wunderte sich niemand, dass es klopfte.
Diesmal gingen Algot und Helmut gemeinsam an die Tür. Da stand Gérard Lemot mit zwei Flaschen Pineau de la Loire in den Händen.
»Bonne journée! «
Der Marquis war an und für sich schon eine Überraschung. Doch einen halben Schritt hinter ihm standen auch noch Gräfin Bielkegren mit Töchterlein Sophia.
»Hereinspaziert«, sagte Helmut.
»Merci «, sagte die Gräfin.
»Danke«, dolmetschte Sophia.
»Da bin ich ja mal gespannt, worauf das hier wohl hinausläuft«, sagte Algot hauptsächlich zu sich selbst.
***
Antoinette und Gérard waren in der Frage, was sie sich von dem Besuch bei Zimmermanns erhofften, schon übereingekommen. Daher konnten sie den Weg dorthin dazu nutzen, Sophia (so schonend wie möglich) beizubringen, was ein Freudenmädchen war.
Gérard hatte ja bei seinem Besuch, der auf dem Möhrenbeet des Druckermeisters seinen Anfang genommen hatte, mit den zwei Flaschen Bordeaux einen kapitalen Erfolg erzielt. Daher hatte er diesmal zwei weiße Favoriten als Eisbrecher dabei.
Doch die Korken blieben in den Flaschen stecken, auch wenn der Inhalt ausgezeichnet zum Mittagessen gepasst hätte, das gerade aufgetragen werden sollte. Alles ging nämlich wie am Schnürchen!
Das Essen blieb unangetastet, während Marquis und Gräfin ihr Anliegen aus dem Mund der Dolmetscherin Sophia vortrugen. Nach wenigen Minuten waren sich die beiden Gruppen einig, dass gemeinsame Interessen vorlagen – und was das für Konsequenzen hatte.
Überdies kam es zu einer gewissen Elektrizität zwischen der Gräfin und Maja, womit von vornherein nicht unbedingt zu rechnen gewesen war.
Als alles entschieden war, reckte sich die Gräfin und ergriff die Hand des Ex-Freudenmädchens mit beiden Händen. »Hat mich sehr gefreut, Euch kennenzulernen, Fräulein Maja!«
»Ganz meinerseits, Frau Gräfin! Aber lasst mich jetzt los, damit wir aufbrechen können. Das wird bestimmt ein Mordsspaß.«
***
Amtmann Rask klaubte in der Dienststelle seine Sachen zusammen. Am Ende der Woche war auch seine lange Berufslaufbahn beendet. Er hatte genug beiseitegelegt, um damit bis ins Grab über die Runden zu kommen, wenn er sparsam war und nicht das Pech hatte, dass das Leben allzu lange währte.
Da bekam er unerwarteten Besuch. Oder eigentlich eher zwei, nacheinander.
»Guten Tag, Herr Amtmann. Am Samstag habe ich Euch flüchtig während des Galasoupers gesehen, wenngleich nur aus der Ferne. Ansonsten haben wir uns ja nicht mehr gesehen seit … ja, wann war das doch gleich? Im Keller von Witwe Björks Haus.«
Die Hure?
Rask wurde prompt unbehaglich zumute.
»Maja?«, sagte er. »Welch angenehme Überraschung! Was führt Euch hierher? Ich meine … wie kann ich …«
Die Druckerei-Chefassistentin machte dem polizeilichen Gestammel ein Ende.
»Keine Sorge. Ich bin hier, um Anzeige wegen sexuell missbräuchlichen Verhaltens zu erstatten, und selbiges betrifft nicht Euch, Herr Kommissar. Wir beide hatten ja eine pekuniäre Vereinbarung. Meinerseits freilich zweifelsfrei nicht die Spur erfreulich. Doch dass ich mich in der Zwickmühle befand, zwischen Kundschaftsbefriedigung und dem Tod wählen zu müssen, kann ich Euch nicht zum Vorwurf machen.«
»Wem denn …? Was …?«
Amtmann Rask dachte, dass er sich unmöglich noch unwohler als eben in dem Moment fühlen könnte. Doch da irrte er sich. Denn jetzt betraten zwei weitere Frauen seine Dienststelle.
»Ebenfalls einen guten Tag, Herr Amtmann«, sagte Gräfin Bielkegren auf Französisch. »Danke, dass Ihr neulich abends am Galasouper für den König teilgenommen habt. Zum allgemeinen Besten habe ich meine Tochter Sophia als Dolmetscherin mitgenommen. Ich könnte mich nie im Leben überwinden, Eure groteske, unterentwickelte Sprache zu sprechen.«
Sophia übersetzte alles, bis auf den letzten Satz.
»Nein, wie schön, Euch hier zu treffen, Frau Gräfin!«, sagte Maja, die sich an den gemeinsam ausgeheckten Plan hielt.
»Ganz meinerseits! Ich bin hier, um meinen Gatten wegen Ehebruchs anzuzeigen, ob einfach oder doppelt, kann mir gestohlen bleiben. Und was führt Euch hierher, Fräulein Maja, wenn ich fragen darf?«
»Nein, so ein Zufall!«, rief Maja entzückt aus. »Ich bin mit einem ganz ähnlichen Anliegen hier, nur dass es nicht den Grafen betrifft, sondern seinen Sohn.«
»Wie aufregend!«, log die Gräfin.
Warum bin ich nicht schon vor einer Woche in Ruhestand getreten?, dachte Amtmann Rask.
***
Als alles gesagt und zu Protokoll genommen worden war, musste der Amtmann nur noch die Frage des einfachen Ehebruchs bei Graf Bielkegren klären. Einfacher, nicht doppelter, da die Hauptzeugin Maja Johansson – die offenbar eigentlich Marie-Louise Stråhle hieß – ausgesagt hatte, dass sie in ihrem Witwenstand per definitionem unverheiratet sei.
Falls Rask am Wahrheitsgehalt der Aussagen von Gräfin und Maja zweifelte, lag es in seinem Ermessen, den Grafen als Zeugen gegen den Sohn und den Sohn als Zeugen gegen den Grafen einzubestellen.
Zu alledem wurde dem Amtmann ein Uniformknopf als Beweisstück für seine Ermittlungen vorgelegt, und er erhielt die Auskunft, der erste Rechtsanwalt der Gegend – Elias Henriksson – vertrete sowohl das Freudenmädchen als auch die Gräfin.
Mit nur noch vier Diensttagen vor sich entschied Gunnar Rask, dass die günstigste Option auf dem raschen Weg zu einer friedlichen Pension über einen schuldigen und im Sinne der Anklage verurteilten Grafen führte.
Wer hätte das jemals gedacht?