Epilog
1854

Es dauerte seine Zeit, aber als alle Schuldscheine gegeneinander aufgerechnet waren, konnten Algot, Anna Stina, Helmut und Maja endlich ins Schloss einziehen.

Die Tochter des Druckermeisters ärgerte sich nicht zu knapp darüber, dass sie jetzt sechs Angestellte in der Küche hatten. Jedenfalls war sie darauf bedacht, dem gesamten Personal an den Samstagen freizugeben, damit Papa Helmut nicht vergaß, wie Kochen geht.

In ihrem früheren Leben waren Algot und Anna Stina aus Platzgründen gezwungen gewesen, das Bett miteinander zu teilen. Jetzt, da sie sechzig Räume zur Verfügung hatten, entschieden sie sich trotzdem dafür, sich in ein gemeinsames Zimmer zu quetschen. Allzu eng war es genau genommen auch wieder nicht in Gräfin Bielkegrens ehemaligem Gemach.

Maja fiel es am schwersten, sich an die neuen Umstände zu gewöhnen. Sie achtete darauf, stets hinter sich abzuschließen, wenn sie ihr Gemach verließ, damit niemand eindrang und bei ihr putzte und das Bett machte. Helmut, der ein Stück weiter unten auf demselben Flur wohnte, ließ seine Tür hingegen immer einen Spaltbreit offen, auch mit Gedanken an Eindringlinge.

Ein klein wenig kamen sie sich vor wie der Waliser Robert Owen, der nicht zuletzt wegen Frank Miles mit seinem Vorhaben gescheitert war, eine Idealgesellschaft zu gründen. Das ganze Schloss-Personal durfte bleiben, einschließlich des ehemaligen gräflichen Notars. Er konnte gut rechnen und war ausgesprochen zufrieden damit, dass er in manche Spalten zum ersten Mal in seinen fünfundzwanzig Dienstjahren beim Sägewerk Pluszahlen eintragen konnte.

Außerdem befleißigte er sich einer kreativen Buchführung. Was auch dringend vonnöten war, da ein nicht unerheblicher Teil der Sägewerkseinkünfte aus einer etwas obskuren Quelle stammte. Die Zaubertropfen gegen finstere Gedanken von Algot Olssons Nachfahren schlugen nämlich in ganz Südschweden ein wie eine Bombe.

Nach gründlichen Einweisungen plus einiger Übungsstunden brauchte Frank Miles sich nicht hinter Algot zu verstecken, was das Talent anging, mit dem kleinen Destillierapparat, der im abseits gelegenen Haus in gehörigem Abstand zu Schloss Kronogården wacker vor sich hin köchelte, erstklassigen Branntwein herzustellen. In einem Wahnsinnstempo brannte er Schnaps, den er mit Kräutern versetzte, verkostete und in Fläschchen abfüllte. Solange er nicht Mittagsschlaf hielt. Der Vertrieb bestand aus vierzehn Männern und sieben Frauen, rekrutiert aus zwei nahe gelegenen Armenhäusern.

Damit wurde Frank Miles überaus wohlhabend, obgleich er zum ersten Mal in seinem Leben Steuern zahlte (wenn auch deutlich weniger, als er sollte). Und noch dazu pünktlich und immer ehrlich die mündlich vereinbarten zwanzig Prozent Provision an Helmut und Algot ablieferte. In barer Münze in einem Jutesack, den er dem Schloss-Notar überreichte.

Die zusätzlichen Einnahmen kamen der Firma Olsson & Zimmermann gut zupass, die in großem Stil in einen Schweinezucht- und Schlachtbetrieb investierte. Sven Olssons Rekordmarke von zweihundertneunundnenzig Tieren hatten sie bereits gerissen. Jetzt ging es auf die vierhundert zu. Alle ehemaligen Tagelöhner arbeiteten in dem neuen Betrieb. Als Erstes hatten sie ein Wort in ihren Sprachgebrauch übernehmen müssen, mit dem sie zuvor nicht vertraut gewesen waren: Lohn .

Als Algot seine Hütte auf das Grundstück der Zimmermanns in Aringsås verlegt hatte, waren fünfunddreißig Katen auf den ehemals gräflichen Ländereien übrig geblieben. Genau diesen Grund und Boden hatten Olsson & Zimmermann zurückgekauft, während das Königshaus den Rest behalten durfte. Alle fünfunddreißig Grundstücke wurden neu vermessen. Jeder Pächter erhielt neun Hektar Land zu den drei Hektar hinzu, die zum Vertrag mit dem Grafen gehört hatten.

Das Gleiche galt im Übrigen für das sechsunddreißigste Pachtgrundstück. Die Kråketorp-Kate in Ständerbauweise, die ihrerzeit abgebaut worden war, stand nun wieder hier, damit die neuen Schlossherren eine Unterkunft für den Grafen und seinen Sohn hatten. Die Pacht wurde so niedrig angesetzt, dass die beiden hohen Herren zurechtkommen konnten, vorausgesetzt, sie krempelten alle vier Ärmel hoch.

Allerdings traute Algot keinem von beiden so recht. Folglich leerte er den Geldbeutel, den Gustav Bielkegren ihm an jedem Monatsletzten überreichte, jedes Mal aus und zählte gewissenhaft nach.

»Stimmt genau!«, sagte er dann. »So ist’s brav, Graf!«

***

Direkt nach der Neueröffnung des Schweinehofs mit vierhundert Tieren und angegliedertem Schlachthaus kam völlig überraschend der eigennützige Holländer zu Besuch.

Er begrüßte Algot, Helmut und Maja, die mit je einer Mistgabel in der Hand vor dem Schweinestall standen. Wie stets wurde die Begrüßung dreisprachig ausgeführt: auf Deutsch, Französisch und Englisch.

»Guten Tag, Herr Zimmermann und alle miteinander. Bonne journée . Good day! «

Wonach er sie sogar auf Schwedisch begrüßte! Die Kupfertransporte durch Schweden hatten den begabten Holländer zum Erlernen einer weiteren Fremdsprache angeregt.

»Gar nicht so schwer, wie man meinen könnte«, sagte er auf Schwedisch. »Kupfer heißt auf Holländisch koper , und Silber zilber

Helmut kannte seinen Holländer.

»Lasst mich raten, Ihr seid nicht hergekommen, um uns Holländisch beizubringen. Oder gar ein Schwein zu kaufen. Zeit ist Geld, wie Ihr zu sagen pflegt. Um was geht es?«

Der Holländer nickte und fuhr auf Schwedisch fort:

»In einem meilenweit entfernten Gasthaus ist mir zu Ohren gekommen, dass Ihr Graf geworden seid, Herr Zimmermann, und der Graf Pächter.«

Helmut korrigierte ihn sofort.

»Der Graf ist Graf geblieben, und ich bin weiterhin Druckermeister, auch wenn ich nichts mehr drucke. Rein geografisch hingegen haben wir die Plätze getauscht, das stimmt. Hier befassen wir uns mit Schweinezucht, und ich bin nur mäßig daran interessiert, was Schweinestall in anderen Sprachen wohl heißen mag.«

»Varkenshok «, beantwortete der Holländer die ihm nicht gestellte Frage. »Es geht mir kurz und bündig um Folgendes.«

Und er erklärte, dass die Kupferlieferungen nunmehr auf dem Landweg erfolgten. Die Idee sei vor einigen Jahren beim Transport der Destilliermaschine aufgekommen.

»Wie geht es übrigens damit?«

»Macht Euch darüber mal keine Gedanken. Erzählt lieber, was genau Ihr hier vorhabt.«

Algot fiel auf, dass die Stimmung zwischen dem Deutschen und dem Holländer nicht allzu freundlich war. Sie hatten ja im Lauf der Jahre so einiges miteinander erlebt, ohne unbedingt immer einer Meinung gewesen zu sein.

»Ich bin hier, weil ich ein Zwischenlager für mein Kupfer brauche. Es sollte in Südschweden liegen, und das Grundstück sollte gebührend überwacht werden, von jemandem, auf den ich mich verlassen kann.«

Woraufhin der Holländer plötzlich bei dem Mann, den er schon seit Jahrzehnten kannte, ganz unzeremoniell zum Du überging:

»Du kannst mitunter schon ein durchtriebener Hund sein, Helmut, aber du hast mich nie übers Ohr gehauen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass du jetzt damit anfängst.«

»Danke, ganz meinerseits«, sagte Helmut.

»Wir brauchen ja bald einen neuen Schweinestall«, setzte Algot an. »Ob sich der alte wohl für …« Da unterbrach er sich. Er wusste nicht, wie der Holländer hieß, nur dass er eigennützig war.

»Klingt hervorragend!«, sagte der Holländer.

»Tausend Reichstaler Monatsmiete, plus Rückkauf der Destilliermaschine für fünfundvierzigtausend«, sagte Helmut.

»Fünfundvierzig?«, staunte der Holländer. »Du hast ja wohl nicht mehr als fünfzehn dafür hingelegt?«

Maja entschuldigte sich für Helmut vor dem Besucher:

»Der Herr Ex-Druckermeister kann bisweilen etwas eigennützig sein.«

In dem Moment gesellte sich Anna Stina zu Algot, Helmut und Maja, die herumstanden und mit dem holländischen Unternehmer plauderten.

»Du wirst Vater, Algot«, sagte sie ganz unsentimental.

Algot strahlte über das ganze Gesicht.

»Heißt das, du wirst Mutter?«

»Ja, verdammt, was hast du denn gedacht?«

»Hurra!«, rief Maja.

»Heerlijk! «, sagte der Holländer.

Algot ließ die Mistgabel los, die er in der Hand hatte, hopste auf Anna Stina zu und nahm sie in den Arm.

Helmut freute sich mehr als Maja, der Holländer und der werdende Vater zusammen, und das wollte etwas heißen.

»Bedeutet das, ihr wollt richtig heiraten?«

Anna Stina schüttelte den Kopf.

»Nie im Leben trete ich vor Propst Sikelius hin. Nicht mal dir zuliebe, Algot!«

»Sikelius ist tot«, sagte ihr inoffizieller Mann. »Der ist gestern gestorben. Der neue ist noch nicht da, aber schon ernannt, und er heißt anders.«

»Tot?«, sagte Anna Stina und verfiel kurz in Schweigen. »Ja … dann vielleicht …« Sie zögerte.

Algot kam ihr zu Hilfe.

»Dann geht es vielleicht an?«

Anna Stina überlegte kurz und kam zu dem Schluss:

»Ja, verdammt noch mal. Dann geht es an.«