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Die Dächer von San Miguel
Unai · September 2019
Rasch stieg ich die enge Treppe von den Toiletten hinauf zum Veranstaltungssaal, vor dem Alba mich erwartete.
»Wir müssen einen Einsatz auf die Beine stellen! Schnell!«, sagte ich, als ich bei ihr war. »Alle Ausgänge müssen abgeriegelt werden. Wir haben ein Todesopfer und vermuten, dass der Mann vergiftet wurde.«
Alba nahm ihr Handy und tätigte diverse Anrufe. Die Türen zum Saal blieben geschlossen, so dass die Besucher der Buchpräsentation isoliert waren, ohne zu wissen, was wenige Meter von ihnen entfernt geschehen war.
Mit einem Mal sah ich einen Schatten die Treppe hinaufhuschen. »Bleib hier«, flüsterte ich Alba zu. »Ich meine, ich hätte da jemanden gesehen, eine … eine Nonne?«
Ich lief an einem gewaltigen Fenster mit Blick auf die Rückseite der Kirche San Miguel vorüber und dann möglichst geräuschlos die Treppe hinauf in den dritten Stock.
»Halt! Stehen bleiben!«, schrie ich.
Es war tatsächlich eine Nonne in weißem Habit und mit schwarzer Haube, die meinen Ruf missachtete und auf einen Notausgang zueilte. Ich reagierte mit einigen Sekunden Verzögerung. Vielleicht hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie so flink war. Dann stürzte ich hinaus auf eine Terrasse ganz in der Nähe der Kirchendächer. Die Nonne sprang bereits von Dach zu Dach, und der Abstand zu ihr wurde immer größer.
»Halt!«, schrie ich noch einmal. Ich würde sie nicht einholen können, das war mir klar, also änderte ich meine Strategie und versuchte, ihr den Weg abzuschneiden.
Die Nonne erreichte das Ende des Kirchendachs. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu Boden zu springen, wo zwischen dem Palais und der Kirche zwei schmale Rampen verliefen. Dort konnte sie nicht weg. Die von Lavendelbeeten gesäumten Rampen endeten auf Höhe der restaurierten mittelalterlichen Holzmauer. Ich sprang bis zur tiefsten Stelle einer der Rampen, verbarg mich im Schatten und wartete auf die Frau.
Die Nonne sprang ebenfalls aus einer Höhe von einigen Metern herab und rollte sich ab. Jetzt gehörst du mir, Schwester, dachte ich. Ich rannte auf sie zu, doch sie stand auf und lief einen der Stege hinauf. Hastig folgte ich ihr, aber als ich um die Ecke bog … war sie verschwunden. Sie hatte sich in Luft aufgelöst.
Hier konnte sie sich nirgends verstecken. Die Lavendelsträucher waren niedrig. Die Rampe endete an der Stadtmauer.
»Halt!«, schrie ich erneut.
Vergeblich. Ebenso vergeblich wie meine Suche, bei der ich ein ums andere Mal die Rampen und die Beete ablief.
Ich rief Alba an. »Alba, benachrichtige den Hausmeister. Ich sitze bei den Stegen zwischen Palacio und San Miguel fest, unterhalb der restaurierten Stadtmauer.«
»Ich versuche hier einen Einsatz zu koordinieren. Wo bleibst du denn?«
»Befrag alle, die sich im Palacio aufhalten«, sagte ich, »frag, ob den Leuten jemand aufgefallen ist. Die Plaza del Matxete muss auch abgesperrt werden, und wir müssen mit allen, die auf dem Mittelaltermarkt arbeiten, reden.«
»Wonach suchen wir denn?«
»Nach einer Nonne. Aber fragt nicht direkt danach. Die Kollegen sollen sie nicht erwähnen, es sei denn, jemand erzählt von sich aus über sie. Ich will nicht, dass die Leute sich etwas ausdenken.«