7. KAPITEL
Willow
Am Montagmorgen in Englisch setzte ich mich auf den einzigen freien Platz – in der letzten Reihe neben Isaac Pearce. Er saß schon auf dem Stuhl, den ich letzte Woche genommen hatte – zurückgelehnt, Arme verschränkt, Beine in den Gang gestreckt. Er blickte geradeaus, als ich den Gang hinunterkam, und ich sah ihn nur einmal kurz an. Lederjacke, Jeans, Stiefel. Die harten kantigen Züge seines Gesichts wirkten nicht länger göttlich wie unter der Bühnenbeleuchtung, aber trotzdem nicht weniger atemberaubend.
Ich setzte mich an das Pult neben ihm und verstaute meinen Rucksack zu meinen Füßen. Ich hatte das ganze Wochenende an Isaacs überirdische Vorstellung gedacht. In etwas so Gewöhnlichem wie Englisch neben ihm zu sitzen kam mir komisch vor, aber ich verstand, warum Isaac seine Worte für die Bühne aufbewahrte – er saß auf seinem Stuhl, als würde ihm der Platz nicht genügen.
Er ist zu groß für diese Stadt.
Ich warf ihm verstohlen einen Blick zu und erwischte ihn dabei, wie er das Gleiche tat. Mein Herz machte einen Sprung in der Brust. Wir sahen beide weg und ich saß absolut still, bis das elektrisierende Kribbeln aufhörte.
Oh, mein Gott.
»Hey«, zischte eine Stimme links von mir.
Ich drehte mich um und sah Angie, die über der Rückenlehne ihres Stuhls hing und mich amüsiert ansah. Auf ihrem Sweatshirt war die Zeichnung eines Nashorns und die Aufschrift: Auch pummelige Einhörner brauchen Liebe .
»Kennen wir uns?«, fragte sie. »Du kommst mir so bekannt vor? Haben wir letzten Freitag was zusammen gemacht, oder hab ich mir das eingebildet?«
»Hey«, sagte ich und grub ein Lächeln für sie aus. »Wie geht’s?«
Sie blickte zu Mr Paulson, der noch durch einen Haufen Papiere blätterte, dann winkte sie mir, dass ich mich näher heranbeugen sollte. Wir steckten die Köpfe zusammen und flüsterten, genau wie früher mit Michaela und den Mädchen in New York. Bevor X sie aus meinem Leben gestrichen hatte.
Angie deutete mit dem Kinn auf Isaac. »Es ist, wie neben Kit Harington zu sitzen, stimmt’s? Oder neben Brad Pitt etwa in der Zeit von Legenden der Leidenschaft
Ich biss mir auf die Lippen, um nicht zu lächeln, und zuckte mit den Achseln. »Ich krieg das schon hin.«
»Bist du sicher? Du hast dich bis vor einer Sekunde nicht mal daran erinnert, dass ich existiere, was mir normalerweise das Herz gebrochen hätte.« Sie riss die Augen auf und rückte dichter an mich heran, ihre Stimme wurde noch leiser. »Findest du ihn gut? Ich sag dir ständig, dass es hoffnungslos ist, aber vielleicht nicht. Vielleicht findet er dich auch gut. Du solltest ihm sagen, dass du seinen Auftritt gesehen hast. Sag ihm, dass du geweint hast.«
»Psst.« Ich schlug ihr auf die Hand, heiße Scham durchfuhr mich. »Ich habe nicht geweint.«
Angie hob die Augenbrauen.
»Mist. Du hast es gesehen?«
»Fühl dich nicht schlecht deswegen«, sagte sie. »Er hat auf alle diese Wirkung.« Sie deutete mit dem Kinn auf Doug Keely auf der anderen Seite des Raums. »Die Sporttypen müssen sich manchmal auf die Brust trommeln und irgendwas Gemeines zu ihm sagen, aber Isaac bringt sie schnell zum Schweigen. Wie ein Löwe. Oder ein Jaguar?« Sie klopfte sich mit dem Fingernagel gegen die Vorderzähne. »Was ist die sexyste Großkatze?«
»Panther«, flüsterte ich, dann verdrehte ich die Augen. Aber trotzdem fühlte es sich gut an, mit einer Freundin über einen Jungen zu reden. Normal.
Nur dass besagter Junge ein Mann ist und direkt neben mir sitzt.
»Panther, genau«, sagte Angie viel zu laut. »Egal, was hab ich gerade gesagt?«
»Die Sporttypen haben es auf Isaac abgesehen?«, flüsterte ich.
»Mhm. Es ist ein unglaublicher Anblick. Ich bin kein Fan von Gewalt, aber ihn bei jeder Art Action zu beobachten ist heiß. Er ist einfach … der Wahnsinn.« Sie warf mir einen lasziven Blick zu. »Man fragt sich, wie er im Bett ist.«
Ein erregter Schauder lief mir den Rücken hinunter, bevor das Gefühl in meiner Brust schwer und hässlich wurde. Meine Lungen verengten sich, mein Atem wurde flacher. Der Gedanke, mit einem gut aussehenden Mann wie Isaac ins Bett zu gehen – oder egal welchem Mann –, war etwas Schönes und Sehnsuchtsvolles, das unter dem schwarzen X verrottete. Plötzlich machte es mich traurig, dass ein so harmloser Kommentar und ein so normaler Teil der menschlichen Natur so vergiftet werden konnten. Ich setzte mich zurück, weg von Angies warmer Energie.
Über Jungs zu reden konnte ich offensichtlich auch auf die Liste der Dinge setzen, die Xavier aus meinem Leben gestrichen hatte.
Angie missverstand meine Reaktion und ihr freundliches Lächeln schwand. »Versteh mich nicht falsch. Ich bin mit Nash zusammen, zu hundert Prozent …«
»Das habe ich gar nicht …«, stammelte ich. »Das weiß ich doch. Es ist nur –«
»Guten Morgen«, sagte Mr Paulson und stellte sich vor die Klasse.
Erleichtert richtete ich meine Aufmerksamkeit auf ihn, auch wenn ich Angies Verwirrung wahrnahm. Rechts von mir blickte Isaac mit versteinerter Miene stur geradeaus. Plötzlich war ich mir sicher, dass er jedes Wort zwischen Angie und mir mitgehört hatte. Scham überkam mich und ich versuchte, sie auszublenden. Wahrscheinlich war er daran gewöhnt, dass Mädchen über ihn tuschelten, und ich war sowieso zu jung, um seiner Aufmerksamkeit würdig zu sein.
»Zuerst ein paar Ankündigungen«, sagte Mr Paulson. »Karten für den Spring Fling gibt es ab nächster Woche. Der Ball wird am …« Er blickte auf den Zettel in seiner Hand. »Am 15. März in der Turnhalle stattfinden. Und falls jemand von Ihnen statt Twitter die Harmony Tribune liest, werden Sie bereits wissen, dass das Harmony-Community-Theater als Nächstes Shakespeares Hamlet aufführen wird.«
Als gäbe es einen anderen Hamlet . Sofort blickten alle zu Isaac, der unter der plötzlichen Aufmerksamkeit erstarrte.
»Ich weiß, viele von Ihnen haben Mr Pearce’ unglaubliche Darstellung des Ödipus gesehen«, sagte Mr Paulson und strahlte wie ein stolzer Vater. »Dieser Liebhaber der Klassiker hier«, er zeigte mit dem Daumen auf sich, »hat es zweimal gesehen. Bravo, Isaac. Ich bin sicher, ich spreche für viele von uns, wenn ich sage, dass wir uns darauf freuen, Sie in diesem bedeutendsten Stück des Barden zu sehen.«
Isaac antwortete nicht, sondern nickte nur leicht. Ich runzelte die Stirn und fragte mich, ob er überhaupt noch für eine Rolle vorsprechen musste. Dann erinnerte ich mich daran, wie er gequält auf die Knie gefallen war, während das Kunstblut ihm die Wangen hinunterströmte.
Wahrscheinlich musste er das nicht.
»Apropos«, sagte Mr Paulson, »das Vorsprechen für das Stück findet übernächsten Mittwoch um 19 Uhr im Theater statt.«
Mein Kopf fuhr hoch. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Isaac sich als Reaktion in meine Richtung drehte. Es gab einen kurzen Blickkontakt, und wieder spürte ich das elektrische Knistern, diesmal mit einem Hauch Neugier, bevor er wegsah.
»Ich hänge die Info ans Schwarze Brett, für die Mimen unter Ihnen, die es wagen wollen«, sagte Mr Paulson. »In der Tat werde ich in der Unterrichtseinheit zu Lyrik und Drama am Ende des Schuljahrs Extrapunkte an die vergeben, die eine Rolle bekommen oder freiwillig bei der Inszenierung helfen.«
Niemand sprang bei dieser Neuigkeit auf und rannte zum Schwarzen Brett, und Paulson begann die heutige Stunde über die Symbolik in Schuld und Sühne . Ich blickte durch die Tafel hindurch.
Vorsprechen .
Tief in mir flackerte die kleine Flamme wieder auf, die sich am Freitag zur Bühne gereckt hatte und tun wollte, was Isaac konnte. Einen Moment lang brannte sie gerade und hell, dann duckte sie sich wieder. Was wusste ich schon vom Theaterspielen? Meine letzte Leistung auf der Bühne war die fesselnde Darstellung von Affe Nr. 3 in Ms Mellons Kindergartenaufführung Dschungeltiere! gewesen.
Ganz dumme Idee , dachte ich. Das ist ein echtes Theater mit echten Schauspielern. Und es ist Shakespeare. Leute machen eine jahrelange Ausbildung, um Shakespeare zu spielen.
Als es klingelte, drückte ich mich lange genug neben Mr Paulsons Schwarzem Brett herum, um mir die Webadresse des HCT zu merken. Angies Adleraugen bemerkten das natürlich. Als ich den Raum verließ, hakte sie sich mit einer Vertrautheit bei mir ein, an die ich mich anlehnen wollte und vor der ich gleichzeitig zurückschreckte.
»Ah, Miss Holloway«, sagte sie. »Ich wusste ja gar nicht, dass Sie so ein Fan vom alten Bill Shakespeare sind.«
»Bin ich auch nicht«, sagte ich. »Ich bin nur … neugierig. Und mein Dad sitzt mir total im Nacken wegen außerschulischer Aktivitäten.«
»Aha. Oder könnte vielleicht der Gedanke, Zeit mit Isaac Pearce zu verbringen, Ihre eigentliche Motivation sein?«
»Ich bin nicht an Isaac interessiert«, sagte ich.
Ich riss mich etwas zu kräftig von ihr los und knickte dabei um. Es tat nicht weh, aber ich stolperte gegen jemanden. Jemanden, der groß und breit wie eine Mauer war und eine schwarze Lederjacke trug. Eine starke Hand stützte mich, und ich hob den Kopf und sah Isaac Pearce, der zu mir hinunterblickte.
War ja klar.
»Hi«, sagte ich.
»Hey«, gab er zurück.
Er spricht …
Wir standen dicht beieinander, zu dicht. So dicht wie ein tanzendes Paar. Ich roch seine Seife, einen Hauch von Pfefferminz und eine rauchige Note von Zigaretten. Er sah unglaublich gut aus. Schnell betrachtete ich sein Gesicht, als hätte ich Angst, etwas zu übersehen. Als ich in seine grünen Augen blickte, durchfuhr mich wieder einer dieser Schauder. Ich trat zurück.
»Ja, ich … tut mir leid, dass ich … dich angerempelt habe.«
Oh, mein Gott, reiß dich zusammen. Er ist keine unbezahlbare Statue.
Ich spürte, dass Angie hinter mir das lustig fand, und Hitze stieg mir in die Wangen.
Isaacs graugrüne Augen wurden weich. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, er würde tatsächlich etwas sagen. Aber seine Miene verhärtete sich wieder, und er ging.
»Okay«, sagte ich zu seinem Rücken. »Nettes Gespräch.«
Ich drehte mich zu Angie um, die mich erwartungsvoll mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.
»Was?«
»Du hast ihn berührt. Er hat dich berührt. Hat dein Leben sich für immer verändert?«
Ich musste lachen, und meine ganze Wut auf sie verrauchte. »Du bist echt eine Nervensäge, weißt du das?«
Sie grinste. »Sagen wir, man hat mir das schon öfter gesagt.«
Wir blieben vor meinem Schließfach stehen, und Angie lehnte sich an, während ich das Englischbuch gegen VWL tauschte. Ein Stück den Gang entlang drehte Isaac an seinem Zahlenschloss. Ich starrte auf meine Sachen, versuchte den Drang, ihn anzusehen, zu ignorieren.
Komm schon, er sieht großartig aus. Ich sollte ihn ansehen wollen. Es ist normal.
»Also.« Angie zog das Wort in die Länge, bis es sieben Silben hatte. »Ich bringe das jetzt ein letztes Mal vor, dann lass ich dich in Ruhe, versprochen.« Sie klimperte mit den Wimpern und sah mich an wie ein bettelndes Hündchen. »Jahrbuch?«
Es wäre so leicht gewesen, Ja zu sagen. Jahrbuch hieß Sicherheit. Ich könnte es nebenbei machen. Zu dokumentieren, wie andere Kids ihr Leben lebten, wäre wie ein wissenschaftliches Experiment: Was ist »normal«? Aber die Erinnerung an Isaacs Auftritt neulich Abend – die Katharsis der Gefühle – lockte mich. Hamlet schien mir das Erste zu sein, was ich tun könnte – ein Schritt, um unter Xaviers schwarzem X hervorzukommen. Oder es wenigstens zu versuchen.
Ich machte mein Schließfach zu, sah Angie an und holte tief Luft.
»Ich weiß, du wirst mir nicht glauben, dass es nichts mit Isaac zu tun hat, aber ich werde für Hamlet vorsprechen.«
Da. Es ist gesagt. Es gibt kein Zurück.
»Wirklich?« Angie schürzte die Lippen. »Hast du je Theater gespielt?«
»Noch nie«, sagte ich. »Es ist dumm, oder? Ich werde keine Rolle bekommen. Ich weiß nicht, wie ich darauf komme.«
»Na, du denkst ja positiv, Holloway«, sagte Angie, dann wurde sie sanft. »Wirklich, wenn du das willst, dann versuch es. Ich helfe dir.«
»Das würdest du tun?«
»Klar.« Sie verdrehte die Augen. »Ich meine, ehrlich, du würdest eine Wahnsinnsophelia abgeben.«
»Ophelia«, sagte ich, ließ mir den Namen wie ein Bonbon auf der Zunge zergehen und durchforstete mein Gehirn nach allem, was ich über Hamlet wusste. Was nicht viel war. »Wird sie nicht verrückt und bringt sich um?«
»Genau die. Große, reizvolle Rolle. Ein Klassiker. Meine Lieblingsschauspielerin, Kate Winslet, hat sie gespielt. Und Julia Stiles. Helena Bonham-Carter …«
»Wirklich?«, fragte ich, und meine Hoffnung setzte zum Flug an und knallte auf den Boden. »Wenn es eine wichtige Rolle ist, werden sie sie nicht einer Anfängerin wie mir anvertrauen.«
Angie machte Pfft . »Der Leiter, Martin Ford, castet Talente, nicht Erfahrung. Warum sonst, glaubst du, haben in Ödipus so viele Verkäufer und Friseurinnen gespielt anstatt Studierende? Du brauchst einen total guten Monolog, mit dem du vorsprechen kannst.« Sie zeigte mit dem Finger den Gang entlang und sagte voller Dramatik: »Geh in die Bibliothek.«
»Äh, was?« Ich lachte, dankbar, dass dieses schräge, nette Mädchen sich in mein Leben drängelte.
»Geh in die Bibliothek?«, sagte Angie. »Verstehst du? Wie ›Geh in ein Kloster‹! Aus Hamlet! «
»Ah. Ach ja.«
Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an, dann fing sie an, an ihren Fingern abzuzählen. »Du hast noch nie gespielt. Du kennst das Stück nicht. Du glaubst nicht, dass du eine Rolle bekommst. Und du versuchst nicht, die nächsten zwei Monate jeden Abend in Isaac Pearce’ Nähe zu sein.« Sie hob die Hände. »Warum sprichst du überhaupt vor?«
Ich zuckte mit den Achseln und sah sie nicht an. »Ich muss etwas tun.«
»Für College-Bewerbungen ist es ein bisschen spät.«
»Das ist es nicht …«
»Was dann?« Angies weiches Gesicht sah jetzt besorgt aus. Sie legte eine Hand auf meinen Arm. »Hey. Ich bin hier.«
Diese einfache Erklärung genügte fast, um die Wahrheit direkt aus mir rauszureißen. Tränen drohten, aber bevor ich etwas sagen konnte, kam ein großer Typ mit blonder Igelfrisur in einer marineblauen George-Mason-Windjacke mit seinen Kumpels vorbei. Er blieb stehen, als er mich sah, und musterte mich aus blassblauen Augen von oben bis unten.
»Hey Prinzessin. Du bist die Neue, stimmt’s? Ich hab dich schon gesehen. Und mir gefällt, was ich sehe.«
Ein normales Mädchen hätte bei diesem peinlichen Spruch die Augen verdreht. Oder dem Schwachkopf gesagt, dass er sich verpissen solle. Oder sie hätte sich vielleicht geschmeichelt gefühlt, wenn diese Sorte Blödmann ihr Typ war. Aber ich hatte plötzlich ein Gefühl von Enge in der Brust, und die Luft schien dünner zu werden, schwieriger einzuatmen, solange dieser Schrank so dicht neben mir stand.
Angie beugte sich zu mir. »Willow, darf ich dir Ted Bowers vorstellen? Der mit Steroiden vollgepumpte Kapitän des Ringkampf-Teams.«
Ted verzog wütend das Gesicht. »Halt die Klappe, Angie, du dämliche Kuh.« Er wandte sich wieder mir zu und setzte ein überfreundliches Lächeln auf. Er kam einen Schritt näher. »Wir sollten mal was zusammen machen. Ich zeig dir die Stadt.«
Ich spürte, wie ich nickte, obwohl jede Faser meines Wesens vor seinen offensichtlichen Absichten zurückschreckte. Ich war verstummt, konnte kaum atmen. Flehte zu allen Göttern, die mich möglicherweise hören konnten, dass ich nicht gleich mitten im Gang eine ausgewachsene Panikattacke bekam.
»Hast du Angst vor mir, Prinzessin?«, fragte Ted, blickte lachend zu seinen Kumpels, dann wieder zu mir. »Ich beiße nicht. Solange du das nicht willst.«
Mir schnürte sich die Kehle zusammen, und Lichter tanzten vor meinen Augen. Wie aus weiter Ferne hörte ich, wie Angie zu Ted sagte, er solle die Klappe halten, und dann war Isaac Pearce da.
Er schob sich wie ein Schild zwischen Ted und mich und überragte den Ringkämpfer drohend. Sein Geruch nach Seife und Rauch war wie Riechsalz und holte mich zurück. Ich atmete tief ein, und das Schwindelgefühl legte sich ein wenig.
»Sieh an, Ödipus«, sagte Ted. »Was gibt’s, Motherfucker? Kapiert? Du vögelst deine Mutter.«
»Toller Witz, Ted«, sagte Angie. »Sehr originell.«
Er ignorierte sie, hielt den Blick auf Isaac gerichtet. »Lass die kleine Prinzessin in Ruhe, Pearce. Sie ist zu jung für dich.«
Isaac legte den Kopf schief. Ted war gute fünfzehn Kilo schwerer als er, aber ich hatte plötzlich Angst um den Idioten. Von Isaac ging eine solche Gefahr aus, dass sich die Härchen auf meinem Arm aufstellten.
»Und?«, fragte Ted. »Willst du was sagen, Motherfucker?« Er war jetzt voll in Fahrt, stieß einen seiner Kumpel an, der nicht halb so selbstsicher wirkte. »Hey, wie kommt’s, dass du immer noch in der Highschool bist? Bist du nicht so was wie dreißig? Oder haben sie dich extra aus dem Knast gelassen, damit du die Schule fertig machen kannst?«
Ich stand so nah an Isaac, dass ich seine Anspannung spürte. Der Panther war bereit zum Angriff. Angie packte mich fest am Arm, und das Grüppchen, das sich versammelt hatte, hielt den Atem an. Sah zu.
Ted war noch nicht fertig. Sein Lachen war dunkel und hässlich. »Hab deinen Alten ’ne Weile nicht gesehen, Pearce. Wo hast du die Leiche vergraben? Neben deiner Mutter?«
Ruhe in Frieden, Ted Bowers , dachte ich.
Isaac richtete sich auf, aber es war Ted, der anfing und ihn mit beiden Händen nach hinten schubste.
Direkt danach ging gleichzeitig ein Stück den Gang hinunter die Tür eines Klassenzimmers auf, und Isaac, ein Blitz aus schwarzem Leder, landete einen rechten Haken direkt in Teds Gesicht. Das Geräusch der Knöchel, die auf Knochen trafen, hallte durch den Gang, gefolgt von einem Keuchen. Ted taumelte rückwärts, Blut kam aus seiner Nase.
Die Menge raunte Uuuh und lachte.
»Was ist hier los?« Mr Tyler, der Biologielehrer, trat in den Gang und schob sich durch die größer werdende Menge. »Hört sofort auf.« Er warf einen Blick auf Teds blutige Nase und drehte sich blitzschnell zu Isaac um. »Wow, wirklich. Pearce. Ins Büro des Rektors. Sofort
Isaac rührte sich nicht, sondern wartete ruhig, dass Ted sich fasste. Vielleicht zurückschlug. Isaacs Hände waren nicht einmal mehr zu Fäusten geballt, aber er sah aus, als könnte er jederzeit noch einmal zuschlagen.
»Du bist ein toter Mann, Pearce«, sagte Ted und schob die helfenden Hände seiner Freunde weg. »Ich hab’s satt, dass du hier rumläufst, als würde dir der verdammte Laden gehören.«
»Das reicht, Mr Bowers«, sagte Mr Tyler und hielt die Hände zwischen die beiden. »Isaac. Los
Ohne Eile ließ Isaac einmal seinen Hals knacken und ließ keinen Zweifel daran, wem die Gänge der George Mason gehörten. Mädchen starrten ihn an, als er seinen Rucksack schulterte und mich ein letztes Mal ansah, bevor er sich umdrehte und zum Büro des Rektors ging.
»Viel Spaß bei deinem Schulverweis, Arschloch«, rief Ted ihm nach und versuchte vergeblich, wieder Oberwasser zu bekommen.
Die Menge verteilte sich, und es war klar, dass die Leute sich nicht zuflüsterten, wie mutig Ted gewesen war, sich mit Isaac anzulegen. Das begriff selbst Ted, und er riss sich aus dem Griff seiner Freunde los und wischte sich die blutige Nase am Ärmel ab, bevor er steifbeinig den Gang entlanglief.
»Und deshalb, verehrte Damen und Herren«, sagte Angie, »legt man sich nicht mit Isaac Pearce an.«
Ich drehte mich zu ihr um. »Wird er suspendiert werden?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Wäre nicht das erste Mal. Aber ich habe noch nie gesehen, dass er die Ehre eines Mädchens verteidigt hat. Das ist neu.«
Angie sah, dass ich in die Richtung blickte, in der Isaac verschwunden war. »Hey. Wirklich. Magst du ihn? Denn …« Sie verstummte und schüttelte den Kopf.
»Ich bin nicht auf diese Weise an ihm interessiert«, sagte ich. »Und selbst wenn …«
»Ja?«
»Nichts.«
»Sicher?« Sie blickte mich besorgt an. »Gibt es etwas, worüber du reden willst? Ich habe irgendwie das Gefühl …«
Ich biss mir auf die Wange. »Nein. Es gibt nichts.«
Nichts, was ich mit eigenen Worten sagen könnte. Die Chancen, dass ich wirklich eine Rolle in Hamlet bekommen würde, und dann auch noch die Ophelia, waren verschwindend gering. Aber ich musste dieses Nichts in etwas verwandeln, bevor meine kleine Flamme endgültig verlosch.