10. KAPITEL
Willow
Zwei Wochen später setzte Angie mich zum Vorsprechtermin vor dem Theater ab.
»Sieht voll aus«, sagte ich und blickte aus dem Beifahrerfenster auf die vielen Leute.
»Hamlet ist ein großes Stück«, sagte sie. »Sie brauchen einen Haufen Totengräber und Adlige und umherziehende Spaßmacher.« Sie stupste mich gegen den Arm. »Hals- und Beinbruch.«
»Danke«, sagte ich, mein Mund war knochentrocken. »Wir treffen uns im Scoop, wenn ich fertig bin.«
»Ich bestell schon mal Kakao.«
In der Theaterlobby wimmelte es von Leuten jeden Alters, die vorsprechen wollten. Ich erkannte ein paar Leute aus Harmony, viele andere nicht. Ich sah zwei ältere Mädchen, die die Köpfe zusammensteckten. Vielleicht wollten sie Ophelia sein. Sie warfen mir einen Blick zu und wandten sich ab.
Hinter dem Anmeldetisch saß eine Frau mittleren Alters mit dunklem, zu einem losen Dutt hochgestecktem Haar. Sie blickte mich durch eine Brille mit dicker Fassung an. »Name?«
»Willow Holloway«, sagte ich mit klopfendem Herzen.
Sie hakte mich auf ihrer Liste ab. »Und für welche Rolle wollen Sie vorsprechen?«
»Ophelia. Wo findet das Vorsprechen statt?«
»Da lang«, sagte sie und zeigte mit dem Daumen auf den Eingang zum Theatersaal.
»Wir sprechen alle zusammen vor? Auf der Bühne?«
»Genau.«
»Wir werden nicht einzeln in einen Raum gerufen?«
»Mr Ford macht es nicht so«, sagte sie mit sanfter Miene. »Er hält die Dinge gern offen und transparent. Hals- und Beinbruch. Der Nächste, bitte?«
Ich betrat das Theater und sah, dass der Zuschauerraum zu zwei Dritteln mit dem künftigen Hamlet -Ensemble gefüllt war.
Oh Mist, Mist, Mist.
Fast drehte ich mich um und ging wieder. Ich konnte meinen Monolog auf keinen Fall vor all diesen Leuten vortragen. Ich hatte es nicht einmal vor Angie gekonnt, egal wie sehr sie mich deswegen genervt hatte.
Wenn du keinen Monolog vor Leuten sprechen kannst, wie kannst du dann in einem Stück spielen?
»Ich kann es nicht«, flüsterte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Das ist so dumm. Ich sollte nicht hier sein.«
Trotzdem zwang ich mich, mich auf einen Platz in der letzten Reihe neben der Tür zu setzen. Dieses blöde Vorsprechen war mein bester und einziger Plan, um die Dunkelheit zu vertreiben, das Eis um mich herum zum Schmelzen zu bringen. Nichts zu tun hatte nicht funktioniert. Ich musste es versuchen.
Und wenn ich mich blamiere, dann ist das eben so.
Ich schloss die Augen und dachte an die ersten Worte meines Monologs.
Sie fielen mir nicht mehr ein.
Ich riss die Augen auf, mein Herz hämmerte in meiner Brust. Der Leiter des Theaters, Martin Ford, richtete sich jetzt auf der Bühne ein. Ich erkannte ihn von der Website des Theaters. Ein schlaksiger Typ mit ungebändigtem Haar und großen Augen. Er sah sympathisch aus. Freundlich. Ich hatte trotzdem das Gefühl, mich übergeben zu müssen.
Mein Blick wanderte umher, suchte in der Menge nach jemandem, der so nervös war wie ich.
Und entdeckte Isaac Pearce.
Er stand allein an der Rückwand und hatte die Hände in die Taschen seiner Lederjacke geschoben. Er wirkte nicht nervös, sondern gelangweilt, als würde er auf den Bus warten. Sein schönes, wie gemeißeltes Gesicht war ausdruckslos. Dann drehte er sich zu mir um und starrte mich an. Kurz sah ich Unglauben aufflackern, als könnte er nicht glauben, dass ich da war. Dann blinzelte er und sah schnell weg.
»Ich kann dich sehen, Isaac Pearce«, murmelte ich. »Zeit, deine Weisheit mit der Anfängerin zu teilen.«
Ich stand auf und ging in seine Richtung. Als ich näher kam, sah ich Überraschung in seinen stürmischen Augen aufflackern, dann war seine Miene wieder neutral.
Mein Gott, er ist so schön.
Isaac Pearce anzusehen war wie ein Schaufensterbummel: Man seufzte, weil man etwas haben wollte, das man sich niemals würde leisten können … Aber die Unmöglichkeit, mit ihm – oder irgendeinem anderen Mann – etwas anzufangen, machte es leichter, dreist zu sein.
»Hi«, sagte ich.
»Hey«, gab er zurück und sah geradeaus.
»Ich glaube, wir haben uns noch nicht offiziell kennengelernt. Ich bin Willow.«
Er sah mich an, dann sah er weg. »Isaac.«
»Tja.« Ich lehnte mich genau wie er an die Wand. »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hast du diesem Arschloch, Ted Bowers, eine reingehauen.«
»Stimmt wohl.«
»Das ist zwei Wochen her.« Ich senkte die Stimme. »Die Gerüchteküche sagt, du bist rausgeflogen.«
Er bewegte sich leicht. »Ich bin abgegangen. Meine Entscheidung.«
»Du bist nicht geflogen, weil du Ted geschlagen hast?«
Er sah zu mir hinunter. »Hat es irgendeine Bedeutung?«
»Wahrscheinlich nicht. Aber es tut mir trotzdem leid.«
»Was?«
»Ted ist mir zu nahe gekommen, und du hast dafür gesorgt, dass er sich zurückzieht. Ich fühle mich ein bisschen verantwortlich.«
Isaac zuckte mit den Achseln. »Keine große Sache.«
»Für mich schon«, sagte ich. »Ich wollte dir danken.«
»Okay.«
Ich blinzelte. »Ja, dann … Danke.«
»Klar.«
Ich schnaubte leise. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du zu viel redest?«
Langsam wanderte sein Blick zu mir. »Nein.«
Das Blut wich mir aus dem Gesicht, als ich mich daran erinnerte, warum Isaac ein Jahr nicht zur Schule gegangen war.
»Tut mir leid. Schlechter Witz. Ich bin nur schrecklich nervös.«
»Ich auch.«
Ich sah zu ihm auf und kniff die Augen zusammen. »Ja. Klar. Nur dass du so ruhig aussiehst wie … wie etwas wirklich Ruhiges.«
Seine Lippen zuckten. »Ist alles nur gespielt.«
»Ächz« , sagte ich und lachte.
Also haben Sie durchaus Sinn für Humor, Mr Pearce.
»Danke, genau das habe ich gebraucht.« Ich atmete stockend ein. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir vor allen anderen vorsprechen. Ich dachte, wir wären allein in einem Raum, nicht vor dem versammelten Erschießungskommando.«
»Martin hat es gern transparent«, sagte Isaac.
»Hab ich schon gehört. Du hast viel mit ihm gemacht, stimmt’s?«
Er nickte.
Ich biss mir auf die Lippe. Unter normalen Umständen hätte ich mich von seiner Zurückhaltung abschrecken lassen. Aber an diesem Abend war ich so nervös, dass ich nicht aufhören konnte zu reden.
»Ich hab dich letzten Monat in Ödipus gesehen«, sagte ich.
»Mhm.«
»Wahrscheinlich hörst du das ständig, aber du warst unglaublich.«
Sein Seufzen klang genervt, als hätte er mehr von mir erwartet. »Danke.«
»Du hörst das sicher oft«, sagte ich. »So ein Kompliment perlt einfach an dir ab, stimmt’s?«
»Ich habe Danke gesagt.«
Er will es nicht hören. Halt die Klappe.
»Ich sag’s mal anders.« Ich drehte mich zu ihm um und schob die Schultern zurück. »Dich spielen zu sehen war, als würde man durch eine Tür in eine andere Welt sehen. Einen Ort, wo außergewöhnliche Dinge passieren. Ich konnte weg von hier, weil ich dich gesehen habe. Anstatt dir also einfach ein Kompliment zu machen, will ich dir dafür danken, dass du mich für eine Weile an einen anderen Ort transportiert hast. Ich hab’s echt gebraucht.« Die letzten Worte zitterten in meiner Kehle. Ich blinzelte, plötzlich traten mir Tränen in die Augen. »Ist das besser?«
Er sah zu mir hinunter. Ich spürte ihn in allen Zellen meines Körpers. Eine Verbindung. Ein Stück seiner Macht oder seiner Magie oder seines Charismas richtete sich ganz an mich. Als der Moment andauerte und wankte, fragte ich mich, wie es sein würde, mit ihm auf der Bühne zu stehen, ganz in diese Energie gehüllt. Als würde man zusammen irgendwo hingehen.
Unmöglich , dachte ich. Ich sah weg und unterbrach den Moment. Er ist ein Genie. Ich bin nicht einmal eine Amateurin.
Isaacs tiefe Stimme durchbrach meine Gedanken. »Danke.«
Zwei langsame Silben. Nicht mehr. Und doch schienen sie alles zu sagen. Als ich jetzt aufsah, war sein kantiges Gesicht weich geworden, und der Sturm in seinen graugrünen Augen hatte sich beruhigt. Ich starrte ihn an, wieder gefangen in seinem Blick, wieder von seiner Energie umhüllt.
»Gern geschehen«, sagte ich.
Martin Ford stand auf und bat alle, sich einen Platz zu suchen. Ohne ein Wort stießen Isaac und ich uns von der Wand ab und gingen zu den Reihen abgewetzter Samtsitze. Er blieb im Gang stehen und deutete auf eine Sitzreihe, als würde er mir die Tür aufhalten. Ich schlüpfte aus meiner Jacke, und wir setzten uns nebeneinander, sein Ellbogen lag auf der Armlehne zwischen uns, seine Schulter war nur Zentimeter von meiner entfernt. Aber es war nicht wie bei Ted Bowers, als der mir zu nahe gekommen war. Ich fühlte nichts von dieser erdrückenden Anspannung in Isaacs Nähe. Sein Duft nach Zigaretten und Männerduschgel umgab mich, und meine rasenden Nerven wurden ruhig.
Martin Ford trat auf der Bühne in einen gelben Lichtkegel. Sein graues Haar stand an ein paar Stellen ein bisschen ab, und er hatte die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Er lächelte freundlich und aufmunternd, aber seine Stimme klang ernst und professionell.
»Ich danke allen fürs Kommen und freue mich wirklich sehr, dass es so viele sind. Wenn ich Ihren Namen aufrufe, gehen Sie bitte in die Mitte der Bühne, stellen sich vor und sagen, welchen Monolog Sie vortragen. Wir werden heute Abend kein Feedback geben. Wenn wir Sie wiedersehen wollen, erfahren Sie das morgen Vormittag per Mail, in diesem Fall erwarten wir Sie für eine zweite Runde morgen Abend hier um dieselbe Zeit. Wer nicht kommen kann, gibt jede Chance auf, in diesem Stück mitzuwirken. Und Sie kommen auch nicht für eine Rolle infrage, wenn Sie sich nicht an den Probenplan halten können, der auf unserer Website steht.« Er klatschte in die Hände. »Und jetzt genug mit den langweiligen Formsachen. Fangen wir an.«
Ich erwartete eine alphabetische Reihenfolge. Oder vielleicht ein System, bei dem die erfahrenen Schauspieler zuerst kamen. Stattdessen wurden völlig willkürlich Namen aufgerufen und Unbekannte folgten auf Personen, die ich in König Ödipus gesehen hatte. Die Frau, die die Jokaste gespielt hatte, trug einen fesselnden Monolog aus König Lear vor. Ein anderer Mann spielte ein Stück aus dem Sommernachtstraum . Eine Studentin sprach einen berühmten Monolog der Julia aus Romeo und Julia .
Ich beugte mich zu Isaac. »Stand etwa irgendwo, dass wir mit Shakespeare vorsprechen müssen?«
Der winzige Anflug eines Lächelns lag auf Isaacs Lippen, aber bevor er antworten konnte, rief Martin Ford seinen Namen auf.
Das ganze Theater verrenkte sich den Hals und folgte ihm wie ein Scheinwerfer, während er aufstand und auf die Bühne ging. Dort überflutete ihn dann das richtige Licht, funkelte golden in seinem braunen Haar. Seine Hände hatte er noch in den Jackentaschen, und ich fragte mich, ob er so spielen würde. Ein Preisboxer, der sich einen Arm auf den Rücken band, um den anderen eine Chance zu geben.
»Ich bin Isaac Pearce.« Er wandte den Kopf in meine Richtung. »Der Monolog ist aus Endstation Sehnsucht
Ich stieß einen langen Seufzer der Erleichterung aus.
Kein Shakespeare. Danke.
Meine Erleichterung kehrte sich in ein erschrockenes Keuchen um, als Isaac die Hände aus den Taschen nahm. Seine Miene verwandelte sich so schnell von neutral zu arrogantem Zorn, ich musste blinzeln, um meine Augen daran zu erinnern, dass sie denselben Mann sahen. Eine Hand ballte er zu einer Faust, die andere stieß er anklagend in die Luft über dem Publikum, als er zu sprechen anfing.
Fasziniert sah ich zu, als er wie ein Raubtier über die Bühne ging. Er zog die Jacke aus und warf sie zu Boden, als würde sie ihn bremsen. Darunter trug er nur ein weißes Feinrippunterhemd, und der Anblick seines Körpers in diesem eng anliegenden Baumwollfetzen berührte etwas in mir, das ich längst tot geglaubt hatte.
Das Licht fiel auf seine Muskeln. Ein Tattoo prangte dunkel auf seinem rechten Bizeps. Ein zweites auf der Innenseite seines linken Unterarms. Haut und Knochen und Macht, entblößt im Rampenlicht. Isaac kehrte sein Inneres nach außen, sein Spiel kam aus den Tiefen seiner Seele, und er spielte mit jeder Faser seines Körpers, jedem Muskel, jeder Sehne. Er brüllte, dass er »hier der König« sei, und jeder im Publikum, mich eingeschlossen, glaubte ihm.
Als er zum Ende kam, drehte Isaac die Leidenschaft, die aus ihm herausgeströmt war, zu wie einen Wasserhahn. Eine kurze Verbeugung, ein gemurmeltes Danke. Dann hob er seine Jacke auf, stieg von der Bühne, ging den Gang hoch und setzte sich wieder auf den Platz neben mir.
Sein Körper war ruhig, knisterte allerdings ein wenig. Ich spürte, wie die letzten Reste seiner Energie wie Dampf verflogen. Ich starrte ihn an, als er sich die Jacke auf die Knie legte. Starrte auf den nackten Oberarm, der nur Zentimeter von mir entfernt war.
Er blickte geradeaus, dann sah er mich schließlich an.
»Was?«
»Sorry«, flüsterte ich zurück. »Ich kann dich nicht hören, der Geist von Marlon Brando heult so laut.«
Ein kleines Lächeln kroch über Isaacs Lippen. Zweimal hatte ich ihn schon zum Lächeln gebracht. Wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich ihn sonst nur einmal lächeln sehen. Als er sich nach dem Ödipus verbeugt hatte.
»Willow Holloway?«
Ich erstarrte.
Das muss ein Witz sein. Ich bin nach ihm dran?
Ich schluckte den nervösen Kloß im Hals runter und stand langsam auf.
»Irgendwelche letzten Tipps?«, flüsterte ich.
Ich erwartete keine Antwort und ging weiter, aber Isaac packte mich am Arm und hielt mich sanft, aber fest zurück. Ein elektrischer Blitz durchfuhr mich erneut und landete warm in meinem Bauch. Seine Hand war warm durch den Ärmel, und statt dass ich mich in der Falle fühlte, beruhigte mich seine Berührung.
»Denk nicht an die Worte«, sagte Isaac. »Selbst wenn du Fehler machst oder den Text vergisst, rede weiter.« Er ließ mich los. »Erzähl einfach die Geschichte.«
Martin rief mich wieder auf, und das Publikum fing an, sich nach mir umzudrehen. Ich sah noch immer Isaac in die Augen.
»Erzähl die Geschichte«, flüsterte ich. »Danke.«
Er nickte, und seine graugrünen Augen blickten zur Bühne. Geh.
Zögernd löste ich mich und ging durch den Gang zwischen den Sitzen.
Erzähl die Geschichte.
Das war genau, was ich nicht tat. Was ich nie getan hatte. Was ich nicht konnte.
Ich nahm die drei Stufen zur Bühne und stand im Rampenlicht. Martin Ford, sein Inspizient und die stellvertretende Leiterin – die Frau mit der dicken Brille von der Anmeldung – saßen an einem Tisch und sahen mich an. Das Publikum verschwamm zu einem Meer aus gesichtslosen Zuschauern.
Meine Nervosität kam mit aller Macht zurück, als ich jetzt auf der Bühne stand und so viele Menschen mich ansahen. Sie überlief bebend meinen Körper, brachte mein linkes Bein zum Zittern.
Scheiß drauf. Rose, meine Figur, war ein nervöser Typ. Ich würde die Angst nutzen, statt dagegen anzukämpfen.
»Hi, ich bin Willow Holloway. Ich werde einen Monolog aus William Mastrosimones Tagträumer vortragen.«
Ich senkte den Kopf, holte Luft, und als ich ihn wieder hob, hörte ich auf so zu tun, als könnte ich spielen. Ich vergaß die »Beats« der Szene und die »Atemtechnik« aus dem Buch übers Schauspielern, das ich in der Bücherei ausgeliehen hatte. Ich zog die unsichtbare Jacke aus, die Willow war, und tat, was Isaac gesagt hatte.
Ich erzählte einfach die Geschichte.
Ich erzählte dem Publikum, dass ich mich gern nachts in den Zoo schlich und die eleganten Kraniche betrachtete, wie sie im stillen Wasser standen. Ich versetzte mich dorthin, zu den Vögeln und ihrer leisen Ruhe. Mein Herz klopfte, als die lauten Jungen mit der lauten Musik kamen und die Vögel mit Steinen bewarfen. Ich sah entsetzt zu, wie die Beine der Kraniche »wie Strohhalme umknickten«, und ich rief, dass sie aufhören sollten, aber die Jungen konnten mich nicht hören. Sie warfen weiter mit Steinen, und Tränen rannen mir über die Wangen, als ich erzählte, wie das Blut die weißen Federn befleckte …
(Blut auf meinen weißen Laken)
… und das dunkle Wasser still und ruhig wurde.
Ich erzählte, wie ich losrannte, um den Wärter zu holen, und wie es zu spät war, als ich zurückkam. Sie waren alle tot. Ich erzählte, wie ich schrie und schrie …
(X hatte seinen Körper wie einen Stein auf mich geworfen, und ich war zerbrochen, während ich innerlich schrie und schrie.)
… und nicht aufhörte zu schreien, bis sie mich mitnahmen, mir eine Spritze in den Arm gaben und ich einschlief.
Ich erzählte weiter, dass die Jungen niemals gefasst worden waren, meine Stimme zitterte, als ich in Roses weichem, schüchternem Tonfall sprach, aber selbst wenn es anders gewesen wäre, würde es die Vögel nicht wieder lebendig machen.
(Ich hatte es nie jemandem gesagt, denn es würde mich nicht wieder lebendig machen.)
Schweigen. Ich war wieder ich auf dieser Bühne. Ich wischte mir über die Wangen und beugte den Kopf, um zu zeigen, dass der Monolog vorbei war, und als ich aufsah, starrten mich alle mit offenem Mund an.
»Okay … danke«, sagte ich.
Ich ging eilig von der Bühne, suchte nur den schnellsten Weg nach draußen. Ich ging durch den seitlichen Notausgang in die belebende Kälte.
Ich habe es geschafft.
Mir war egal, ob ich die Rolle bekam oder nicht. Es war nur wichtig, dass ich zum ersten Mal die Wahrheit gesagt hatte. Verhüllt von fremden Worten, aber die Wahrheit.
Ich ließ mich gegen die Hauswand sinken. Tränen liefen mir über die Wangen, und ich konnte nicht sagen, ob es Roses waren oder meine.
Vielleicht war es nicht wichtig.