12. KAPITEL
Willow
Als ich mich am Montagmorgen für die Schule fertig machte, hielt ich inne und las zum hundertsten Mal die Mail, die Samstag früh auf meinem Handy angekommen war.
<martinford@HCT.com>
Datum: 28. Januar
Re: Hamlet, Endgültige Besetzung
Herzlichen Glückwunsch und danke, dass ihr an der HCT-Produktion von Shakespeares Hamlet teilnehmt. Bitte beachtet den Probenplan unten in der Mail und benachrichtigt mich, die stellvertretende Leiterin Rebecca Mills oder den Inspizienten Frank Darian, falls ihr Terminprobleme habt und nicht länger dabei sein könnt.
Danke! Ich freue mich darauf, mit euch gemeinsam in die Magie der Bühne einzutauchen!
Hamlet : Isaac Pearce
Gertrude : Lorraine Embry
Claudius : Len Hostetler
Polonius : Martin Ford
Ophelia : Willow Holloway
Laertes : Justin Baker
Es folgten weitere Rollen und Namen, aber mein Blick wanderte immer wieder zurück zu Ophelia und meinem Namen daneben.
»Oh, mein Gott.«
Der Schreck schlug von einer Seite auf mich ein, während auf der anderen leiser Stolz aufflammte. Ich war mit meinem Vorsprechen zufrieden gewesen und erleichtert, dass ich mich in der zweiten Runde nicht blamiert hatte, aber ich hatte trotzdem nicht geglaubt, dass ich die Rolle bekommen würde. Und jetzt vertraute der freundliche Martin Ford mir eine kleine, aber zentrale Rolle in einem von Shakespeares berühmtesten Theaterstücken an. Ein Theaterstück, das vor der gesamten verdammten Stadt aufgeführt werden würde.
»Und vor der Schule«, murmelte ich. »Sie werden kommen, um Isaac zu sehen …«
Mein Blick wanderte von meinem Namen zu Isaacs, der neben Hamlet stand. Natürlich spielte er Hamlet.
Und ich spielte Ophelia.
Scheiße. Was hast du dir dabei gedacht?
Es war einfach zu viel. Isaac war ein Genie und verdiente es, an der Seite richtiger Künstler zu spielen. Und Martin Ford war ein guter Mensch, der einfach versuchte, eine gute Aufführung auf die Beine zu stellen. Ich dagegen war eine hoffnungslose Amateurin und hatte nur vorgesprochen, um ein bisschen Erleichterung für meine eigene beschissene Lage zu finden.
Das war so dämlich, es haute mich richtig um. Dann landete mein Blick auf dem Deckenbündel, das neben meinem unberührten Bett auf dem Boden lag. Wieder einmal hatte ich eine größtenteils schlaflose Nacht verbracht, war immer wieder aufgewacht, wenn ich geträumt hatte, dass ein schattenhaftes Gewicht mich niederdrückte und mir die Luft aus den Lungen presste. Mein Arm war schwarz von den X, die ich mit meinem Edding gemalt hatte.
Nichts zu tun hat nicht funktioniert. Ich muss etwas anderes ausprobieren.
»Ich habe die Rolle gekriegt!«, sagte ich zu den Decken. »Ich schaff das.«
Ich muss einfach nur die Geschichte erzählen.
Schnell schob ich das Telefon in meine Schultasche und ging hinaus.
Ich übernahm Isaacs altes Pult im Englischkurs von Mr Paulson. Ich sagte mir, dass ich so gegenüber von Angie saß. In Wirklichkeit ertrug ich es nicht, es leer zu sehen. Ich hasste die tägliche Erinnerung daran, wie das System Isaac im Stich gelassen hatte. Ihn buchstäblich rausgeworfen hatte.
»Ich habe die Rolle«, sagte ich und rutschte auf meinen Platz.
Angie riss den Kopf hoch und schob sich ein Durcheinander aus schwarzen Locken aus den Augen. Auf ihrem Sweatshirt stand: Marathon? Nur auf Netflix.
»Ehrlich? Ophelia? Das sagst du mir erst jetzt?«
»Nicht so laut«, zischte ich und sah mich um. Die Schüler hatten entweder die Köpfe zusammengesteckt, um zu tuscheln, oder die Köpfe auf die Pulte gelegt. Mr Paulson war damit beschäftigt, seine Sachen zu ordnen. Niemand sah zu uns.
»Wann hast du es erfahren?«
»Samstag.« Ich holte mein Telefon heraus und rief die Mail auf.
»Samstag?« Sie kreischte praktisch. »Zwei Tage sind in Angie-Normalzeit zwei Monate. Kennst du dich aus mit dem Ding, das du da in der Hand hältst? Es hat eine coole Nachrichtenfunktion, die solltest du mal ausprobieren.«
»Ich war mir nicht sicher, ob ich es wirklich durchziehen will«, sagte ich und gab Angie mein Telefon. »Es ist verrückt, oder? Ich habe keine Ahnung, was ich tue.«
Angie scrollte durch die Besetzungsliste und langsam breitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus.
»Sieh an, Miss Superstar, du wirst neben dem großen Isaac Pearce auf der Bühne stehen.«
»Psst, sag nichts. Nicht hier. Mir hat gerade noch gefehlt, dass alle denken, ich würde ihm wie eine dumme Tussi hinterherlaufen.«
»Warum sollten sie das denken?«
»Sogar du hast es gedacht.«
»Schuldig im Sinne der Anklage.« Sie klopfte sich mit dem Finger gegen die Zähne. »Aber warum machst du es dann? Ich will dich nicht nerven. Ich will es wirklich wissen.«
Ich wollte sie schon mit irgendeinem Blödsinn abfertigen. Stattdessen zuckte ich mit den Achseln und blickte zu Boden. »Der letzte Sommer war … ziemlich schwierig, und jetzt brauche ich eine Veränderung.«
Angies rundes, offenes Gesicht war weich und besorgt. »Eine Veränderung wovon?«
Von dem, was aus mir geworden ist.
»Von nichts, einfach eine Veränderung. Ein Neuanfang. Da wir umgezogen sind, ist es ein guter Moment, um etwas Neues auszuprobieren.«
Angie nickte langsam, ihre dunklen Augen waren warm. Dann lächelte sie strahlend und sah wieder auf die Besetzungsliste. »Ich bin stolz auf dich. Und ich verspreche, es nur den Großartigsten zu erzählen, aber guck mal hier.« Sie hielt mir das Telefon vor die Nase und zeigte auf den Namen Justin Baker. »Dein großer Bruder, Laertes, sitzt direkt da vorn.«
Sie deutete mit dem Kopf auf einen blonden Typen in der ersten Reihe. Sein Gesicht war im Profil, als er sich mit Jessica Royce, einer der Plastics, unterhielt. Justin sah außergewöhnlich gut aus, sein hochgewachsener Baseballspieler-Körper war in teure Jeans und Schuhe gekleidet. Mein altes Ich hätte ihn sofort beim Betreten des Klassenzimmers bemerkt und nicht erst Wochen später. Die alte Willow hätte sich einen Platz in seiner Nähe gesucht und ihn gefragt, was die Hausaufgaben waren – selbst wenn sie die längst notiert hatte.
Er beugte sich vor und sagte etwas zu Jessica, dann drehten sich beide zu mir um. Ich wandte schnell den Blick ab.
»Entspann dich«, sagte Angie. »Warum sollte jemand glauben, du hast vorgesprochen, um Isaac nachzulaufen? Mit dieser Logik hätte Justin das aus dem gleichen Grund tun können.« Sie grinste. »Falls jemand fragt, sag einfach, du hast es für Mr Paulsons Extrapunkte gemacht.«
Das Blut wich mir aus dem Gesicht. »Mr Paulson …«
Der jetzt vor der Klasse stand und mir ein strahlendes Lächeln schenkte.
»Einen guten Montagmorgen, Leute. Zunächst ein paar Ankündigungen: Ich freue mich zu berichten, dass Justin Baker und Willow Holloway beide Rollen in der HCT-Inszenierung des Hamlet bekommen haben.«
Er fing an, in die Hände zu klatschen, und ermutigte die anderen, es ihm nachzumachen. Es gab einen halbherzigen Applaus bis auf Angie, die laut klatschte und ein lautes Yeah hören ließ.
Ich knirschte mit den Zähnen. »Musste das sein, Angie?«
Mr Paulson strahlte. »Sie werden im Frühling beide Extrapunkte für Lyrik und Drama bekommen.« Sein Lächeln schwand. »Und wenn Sie Mr Pearce einen Glückwunsch von uns bestellen würden, das würde mich sehr freuen.«
Er sah mich direkt an, und die Klasse sah es. Meine Wangen brannten, und ich wollte mich am liebsten hinter das Pult ducken.
Dir ist egal, was die Leute denken, schon vergessen?
Stimmte aber nicht. Zumindest nicht ganz. Ich gab Angie die Schuld für das Abschmelzen meiner Reserviertheit. Es war unmöglich, sie nicht zu mögen, und merkwürdigerweise gab sie mir das Gefühl, normal zu sein, ohne irgendwas dafür tun zu müssen.
Ich setzte mich auf und nickte Mr Paulson schwach zu. Justin verdrehte den Hals, lächelte freundlich und sah mich mit erhobenen Augenbrauen fragend an. Er sah super aus – hübsche Augen, markanter Kiefer.
Und obwohl er nicht wie ein dämliches Arschloch wirkte wie Ted Bowers, flatterten keine Schmetterlinge in meinem Bauch, sondern mir zog sich der Magen zusammen.
Beim Mittagessen saß ich bei den »großartigsten Leuten, die du je kennenlernen wirst«, und sie freuten sich, dass ich die Rolle bekommen hatte.
»Gratuliere«, sagte Jocelyn, die neben Caroline saß. Ihre Hände lagen nebeneinander auf dem Tisch, so nah, wie sie sich trauten, aber ohne sich zu berühren. »Dein erstes Mal auf einer Bühne?«
»Und dann gleich Shakespeare«, sagte Caroline, als ich nickte. »Das wird nicht leicht.«
»Vor allem neben Isaac«, sagte Nash und verzog den Mund, als Angie ihn in die Rippen stieß. »Was? Ich sag nur, wie ’s ist. Das ganze Ensemble wird seine Leistung ein bisschen hochschrauben müssen.«
»Aber Mr Ford wird mich nicht bewusst versagen lassen, oder?«, fragte ich. »Er wird mich erlösen, wenn ich der Sache nicht gewachsen bin.« Ich sah mich um. »Oder?«
»Du wirst nicht versagen, du wirst es großartig machen«, sagte Angie. »Wird sie doch?«
Die anderen stimmten begeistert zu, und dann wurden wir alle still, als Jessica Royce mit zwei der Plastics zu unserem Tisch kam. Sie warf sich ihr seidiges dunkles Haar über die Schulter.
»Hey, Willow. Bitte bestell Mr Pearce unsere aufrichtigsten Glückwünsche.« Sie wiederholte fast wörtlich, was Mr Paulson gesagt hatte. »Und auch dir herzlichen Glückwunsch dafür, eine Rolle bekommen zu haben.«
»Danke«, sagte ich und versuchte, Isaacs gleichgültigen Gesichtsausdruck zu kopieren.
Jessicas Lächeln war breit, aber es kam nicht ansatzweise bei ihren Augen an. »Das muss man ihr lassen, Ladys«, sagte sie zu ihren Freundinnen. »Manche Mädchen fragen einen Typ einfach nach seiner Telefonnummer. Willow hebt das auf ein ganz neues Niveau.«
Die Mädchen kicherten und gingen weiter, Jessica wackelte zum Abschied mit den Fingern.
»Hattet ihr nicht gesagt, eure gemeinen Mädchen sind nicht so gemein?«
»Wir sind abgestanden und öde«, sagte Nash. »Du bist frisches Blut.«
»Ich kapier immer noch nicht, warum es etwas mit Isaac zu tun haben soll, dass ich in dem Stück mitspiele.«
»Eifersucht«, sagte Angie. »Sie sehen sich die Stücke einzig und allein seinetwegen an. Er hat hier eigentlich nie jemanden groß beachtet, aber du hast dir für die große Isaac-Show gerade einen Platz in der ersten Reihe gesichert.«
Ich verdrehte die Augen. »Meine Güte, er ist einfach irgendein Typ. Selbst von meinem Vater musste ich mir was anhören.«
Angie runzelte die Stirn. »Was weiß er darüber?«
»Die Tochter von einem Kollegen von ihm geht hier zur Schule. Sie hat ihm allen möglichen Scheiß über Isaacs Familienleben erzählt.«
»Lass mich raten, Tessa Vance?« Caroline verdrehte die Augen. »Ihr Dad arbeitet bei Wexx. Letztes Jahr ist sie an Isaacs Handynummer gekommen und hat ihm eine Nachricht geschickt, ob er mit ihr ausgehen würde. Er hat sie abblitzen lassen, und ihr kleiner Bruder hat ihr Telefon geklaut, einen Screenshot von dem Wortwechsel gemacht und ihn auf Facebook gepostet.«
Beim Gedanken an einen Typen, der Screenshots benutzte, um ein Mädchen zu demütigen, erstarrte ich, auch wenn er noch so jung war. Es ging mir einfach zu nah.
»Was ist mit Tessa passiert?«
»Totale Bloßstellung«, sagte Jocelyn.
»Was hat Isaac in der Nachricht geschrieben? War er ätzend zu ihr?«
»Schlimmer«, sagte sie. »Er hat nur geschrieben Nein, danke
Ich blinzelte, die Verkrampfung in meiner Brust löste sich. »Das ist alles?«
Angie nickte. »Das ist alles. Und auf Tessas Frage, ob er etwas ausführlicher werden könnte, hat er nicht geantwortet.«
»Seitdem verbreitet Tessa miese Geschichten über Isaac. Um ihre Würde wiederherzustellen«, sagte Caroline.
»Sie ist unermüdlich«, sagte Nash. »Flüstert als Erste ›Mord‹, wenn Pearce senior länger nicht in der Stadt auftaucht.«
Ich zog die Nase kraus. Highschool-Scheiß war auf dem Land offensichtlich nicht viel anders als in der Stadt. In gewisser Weise war es schlimmer. Meine Highschool in Manhattan war groß genug gewesen, um ein Geheimnis verbergen zu können. Hier hörte es die halbe Schule, wenn man auch nur hustete.
»Aber egal«, sagte ich, erleichtert, dass Isaac sich in dieser Sache nicht wie ein komplettes Arschloch verhalten hatte. »Ich spiele nicht in dem Stück, um Isaac hinterherzulaufen, es sei denn, er hat einen Rat für mich. Ich weiß nicht, was ich tue. Und ich habe keine Ahnung, wie ich jeden Abend zur Probe und wieder zurückkommen soll.«
»Können deine Eltern nicht einspringen?«
»Ich musste meinen Dad schon überreden, die Unterlagen zu unterschreiben, da ich noch minderjährig bin. Er arbeitet meistens bis spät, und meine Mutter war nie die Sorte Mom, die Cupcakes backt und mich überall abholt. Sie wird jetzt nicht damit anfangen.«
»Ich kann aushelfen«, sagte Angie, »aber du musst wirklich fahren lernen.«
»Vielleicht kann Isaac dich nach Hause bringen«, sagte Nash und bemerkte, dass Angie ihn demonstrativ ansah. »Was? Ich bin nur praktisch.«
»Was ist mit Justin Baker?«, fragte Angie und deutete mit dem Kinn auf den Tisch, wo er mit Doug Keely, Ted Bowers und ein paar anderen Sporttypen saß. »Dein Laertes.«
»Er ist superheiß.« Jocelyn starrte rüber und bemerkte Carolines Blick. »Wenn man auf so was steht. Was ich nicht tue.«
Ich lächelte wehmütig angesichts der beiden süßen Pärchen vor mir. Ich sah zu Justin Baker und ertappte ihn dabei, wie er mich ansah. Er lächelte dieses freundliche, neugierige Lächeln, und ich wandte schnell den Blick ab.
»Wer war noch gleich Laertes?«, fragte ich Angie.
»Ophelias Bruder«, sagte sie und verdrehte die Augen. »So langsam solltest du an dem Stück arbeiten. Fang vielleicht an, indem du es liest
Am Nachmittag fuhr Angie mich nach der Schule ins Zentrum von Harmony. »Wie ist noch mal der Probenplan?«
»Montag-, Mittwoch- und Freitagabend und Samstagnachmittag«, sagte ich. »Und wenn die Premiere näher rückt, jeden Abend und das ganze Wochenende.«
»Ich kann dich herbringen, und wir können auch ab und zu im Scoop einen Kaffee trinken gehen, aber zwischen jetzt und sieben Uhr abends ist ziemlich viel Zeit zu überbrücken.« Sie legte einen Arm aufs Steuer. »Warum willst du nicht nach Hause?«
»Weil ich dann nicht wieder zurückkomme«, sagte ich. »Das geht schon, versprochen. Meine Eltern sind ichbezogene Arschlöcher, aber es ist nichts Schlimmeres.«
»Okay«, sagte Angie. »Weißt du, als du zuerst mit deinem Disney-Prinzessinnenhaar und den Manhattan-Klamotten in die Klasse gekommen bist, hab ich gedacht, du wärst auch ein ichbezogenes Arschloch. Aber ich finde dich okay, Holloway.«
»Danke, McKenzie.« Ich nahm meine Sachen. »Ich werde mich etwa vier Stunden lang in die Bibliothek setzen.«
»Darf ich dir einen Rat geben, wie du die Zeit rumkriegen kannst …?«
»Ich werde das verdammte Stück lesen.«
Sie lachte. »Schreib mir, wenn du nicht weiterkommst.«
»Danke«, sagte ich und stieg aus dem Auto. Ich beugte mich hinein. »Ich bin dir echt dankbar, Angie. Für so vieles.«
Sie lächelte. »Jetzt übertreib mal nicht. Und ich will einen ausführlichen Bericht, wie es ist, Isaac Pearce in Aktion zu sehen.«
Ich verdrehte die Augen. »Vielleicht spiele ich auch selbst ein bisschen Theater.«
Sie hob die Faust. »Frauenpower!«
Ich schlug die Autotür zu und trat in das helle, eisige Sonnenlicht. Es fühlte sich an, als würde der Winter seinen Griff lockern, und die Luft war sauber und klar. Ich sprang über einen von Abgasen verfärbten Schneehaufen am Straßenrand und machte mich auf den Weg zur öffentlichen Bibliothek, die etwa anderthalb Blocks vom HCT entfernt war. Ich fand einen Tisch an einem Fenster und setzte mich mit einer Ausgabe von Hamlet und dem aufgeklappten Laptop hin, auf dem ich eine Seite mit dem Kommentar und einer Übersetzung des Stücks ins heutige Englisch geöffnet hatte, falls ich hängen blieb. Was häufig vorkam.
Die alte Willow war eine Einserschülerin gewesen, die überlegt hatte, etwas zu studieren, das mit englischer Literatur zu tun hatte. Aber Hamlet hatte nicht zum Lehrplan meiner Schule gehört, und ich hatte keine der Verfilmungen gesehen.
Ich überflog Ophelias Szenen und war erleichtert, als ich keine offensichtliche Liebesszene entdeckte. Hamlet und Ophelia waren glücklich zusammen, bevor das Stück anfing. In der ersten gemeinsamen Szene macht sie – unter dem Druck ihres Vaters – mit Hamlet Schluss.
Hamlet schikaniert Ophelia, ermordet ihren Vater.
Sie wird verrückt, begeht Selbstmord.
Ende.
Keine Liebesgeschichte. Keine Liebeserklärungen. Keine Berührungen .
Erleichtert atmete ich aus.
Leg das ab unter: Fakten, die ich vor dem Vorsprechen hätte recherchieren sollen.
Ich war vielleicht die unerfahrenste Schauspielerin auf dieser Bühne, aber wenigstens würde ich nicht vor allen eine Panikattacke bekommen, weil ich jemanden küssen oder anfassen sollte. Das schwarze X auf meinem Körper würde unsichtbar bleiben, und ich würde die Szenen nutzen, in denen Ophelia in den Wahnsinn hinabsteigt, um ein paar mehr Dämonen auszutreiben und ein wenig Frieden zu finden.
Es war eine unschuldige, naive Hoffnung, die wahrscheinlich irgendwann in tausend Teile zerbrechen würde.