19. KAPITEL
Willow
Am Mittwochnachmittag gingen Angie und ich in ein Abendkleidergeschäft in der Mall in Braxton.
»Dein Auftrag – falls du ihn annimmst – ist ganz einfach«, sagte Angie. »Du musst nur ein Kleid für mich finden, das nicht übertrieben bemüht aussieht.«
»Ein Kleid mit einer blöden Bemerkung drauf finden wir vielleicht nicht«, sagte ich und deutete mit dem Kinn auf ihr T-Shirt. Es war grau mit schwarzer Schrift: Sorry, dass ich zu spät bin, ich wollte gar nicht kommen .
»Wenn es nach mir ginge, würde ich dieses Schätzchen hier tragen«, sagte Angie und zupfte am Saum. »Aber ich werde mich für Nash hübsch machen. Er verdient es. Auch wenn ich versuche, mich nicht zu oft in meiner ganzen Pracht zu zeigen, da es ihn meistens überwältigt.«
Ich grinste. »Ich kann es mir nur vorstellen.«
»Was ist dein Look?« Sie betrachtete ein langes gelbes Kleid aus glänzendem Satin mit in der Taille angesetztem Rock. »Mit deinem Haar kannst du komplett als Prinzessin gehen, auch wenn du eher Rapunzel bist als Belle.«
»Kein Prinzessinnenkleid«, sagte ich. »Ich will was Schlichtes. Justin soll auch nicht denken, dass ich mich zu sehr bemühe.«
»Vielleicht solltest du ihm eine Chance geben?«
Ich hielt ein rotes bodenlanges Kleid mit tiefem Ausschnitt hoch und hängte es sofort wieder weg.
»Eine Chance bei was, sagt bitte?«
»Oh, ›sagt bitte‹« , sagte sie. »Da ist ja jemand total auf Shakespeare hier.«
»Mir scheint, Ihr seid nicht bei Verstand.«
»Das kommt auf mein nächstes T-Shirt«, sagte sie. »Aber jetzt mal ehrlich. Justin ist wirklich süß. Und er ist nett. Oder wirkt jedenfalls so.«
»Ich bin an niemandem interessiert«, sagte ich. »Und wenn, dann sicher nicht an Justin. Ja, er ist nett, und sein Laertes ist nicht schlecht, aber da ist kein …«
»Funke?«, fragte Angie.
Ich nickte. »Ich will einfach auf den Ball gehen und Spaß haben; und das war’s. Ich will nicht, dass es irgendwas bedeutet
»Na gut.« Angie hielt ein schlichtes schwarzes Kleid hoch. »Oh, schau mal, das ist traumhaft. Eine Eiskunstläuferin könnte so was tragen.«
Das Oberteil aus Jersey war wie ein T-Shirt geschnitten, nur enger und weiter ausgeschnitten. An der Taille war ein Taftrock angesetzt, der bis knapp übers Knie ging, was ich feststellte, als sie sich den Bügel unters Kinn hob.
»Es ist schlicht«, sagte sie und bemerkte meinen skeptischen Blick. »Aber mit ein paar Accessoires, du kennst mich ja, ist es perfekt.«
»Du wirst wunderschön aussehen.« Ich hielt ein marineblaues Neckholder-Kleid hoch. Der Rock ging auch bis übers Knie. Das Oberteil war mit einem komplexen Muster aus Perlen und Pailletten verziert. »Und das ist auch nicht schlecht.«
»Machst du Witze?«, sagte Angie. »Das wird atemberaubend an dir aussehen. Komm. Wir probieren die an.«
Wir zogen die Kleider an, posierten vor dem Spiegel, schnitten Grimassen und lachten. Als wir unsere Wahl getroffen hatten, zogen wir noch ein paar schreckliche romantische Fetzen mit Schleifen und Spitze an und machten Selfies, um sie Jocelyn und Caroline zu schicken. Und die ganze Zeit hatte ich dieses Gefühl, nach dem ich gesucht hatte. Diese leichte Aufregung, die kommt, wenn man mit einer Freundin ein Kleid für einen Ball kauft. Aber es war nicht genug. Kein Funke. Meine Gedanken wanderten zu Isaac. Ich fragte mich, ob er mir die Wahrheit gesagt hatte, als er meinte, der Ball wäre ihm nicht wichtig.
Ich fragte mich, ob es ihm etwas ausmachte, dass ich mit Justin hinging.
Es ist egal , dachte ich. Selbst wenn er mich gefragt hätte, hätte ich nicht mit ihm hingehen können. Dad würde alles ruinieren.
Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich mit einem Ball klarkommen würde. Der Gedanke, dass ein Typ sich an mich drückte, ob es nun Justin oder Isaac war … Ein Typ, der mir zu nahe kam. Die Möglichkeit, allein in einem abgedunkelten Raum zu sein und keine Kontrolle zu haben …
Mir wurde eiskalt, und schnell zog ich meine eigenen Klamotten wieder an.
»Alles okay?«, fragte Angie. »Du siehst blass aus.«
»Mir geht’s gut. Ich muss nur was essen.«
Wir saßen im Food Court mit den Tüten mit unseren Kleidern auf dem Schoß, aßen Laugengebäck und tranken Limonade. Wir machten noch mehr Selfies. Wir beobachteten Leute. Wir lachten. Ich erinnerte mich daran, wie es war, weibliche Gesellschaft zu haben. Das Vertrauen und die Sicherheit. Ich hatte es aus meinem Leben herausgeschnitten, ausgeixt, aber jetzt bekam ich es mit Angie zurück, und es fühlte sich gut an. Ich hatte eine richtige Freundin.
»Bist du sicher, dass alles okay ist?«, fragte Angie. »Du siehst mich an, als wärst du in mich verliebt. Aber das ist echt in Ordnung, das passiert mir ständig.«
»Ja, Angie, du hast mich ertappt. Ich liebe dich.«
Wir lachten und machten Witze darüber, aber es war die Wahrheit.
Die guten Vibes vom Shoppingausflug waren abends noch da, und ich nahm sie direkt mit in die Probe. Das Theater wirkte leer, weil nur das halbe Ensemble da war. Justin und ein paar andere mit kleineren Rollen hatten nicht kommen müssen. Ich fühlte mich irgendwie leichter … bis ich Isaac sah.
Seine rechte Gesichtshälfte war geschwollen und blau. Weiße Wundnahtstreifen hielten eine Platzwunde auf seinem Wangenknochen zusammen. Sie war größtenteils bedeckt, aber man sah die Enden, dunkelrot vor geronnenem Blut.
Es tat mir weh. Bis zu diesem Moment waren die Schläge seines Vaters nur ein Gerücht für mich gewesen. Plus eine Bemerkung, die Isaac am letzten Samstag gemacht hatte. Das Ganze war vage und abstrakt geblieben und passierte an einem anderen Ort. Jetzt war da diese heftige Wunde und ein krasser blauvioletter Bluterguss unter seinem Auge.
Es ist real.
Das passiert ihm.
Und niemand redet darüber.
Ich nahm an, dass die Leute, die schon länger am HCT spielten, Bescheid wussten. Sie kannten Isaac viel länger als ich. Aber ihr Schweigen machte mich trotzdem wütend.
Ist es allen egal?
Andererseits lud Isaac auch nicht direkt zum Fragen ein. Er stand allein da, trug seine Lederjacke wie eine Rüstung. Sein zerschundenes Gesicht war eine Mauer mit fest verschlossenen Toren. Wahrscheinlich wollte er nicht, dass man darüber sprach.
Und wenn er es doch will?
Ich hatte mich mit schwarzen X markiert, meine Version des scharlachroten Buchstabens, nur dass niemand wusste, was sie bedeuteten. Vielleicht war es ein Hilferuf, vielleicht wollte ich in Wirklichkeit, dass jemand danach fragte, auch wenn ich es nie sagen würde. Isaac hatte gefragt. Jetzt trug er die Zeichen seiner Misshandlung mitten im Gesicht, wo er sie nicht verbergen konnte.
Ich stellte mich zu ihm. »Geht es dir gut?«
»Ja, geht schon.«
Er bewegte kaum die Lippen. Seine Stimme war sanft. Und dankbar.
»Die Fords nehmen mich eine Weile bei sich auf«, sagte er. »Ich bin in ihr Gästezimmer gezogen.«
»Gut«, sagte ich. »Das freut mich.«
»Es ist nur für eine Weile.«
»Natürlich.«
Schweigen, dann: »Ich kann nicht schlafen. Das Bett ist weich, das Haus ist gut geheizt, und ich kriege jeden Abend eine warme Mahlzeit, aber ich kann nicht schlafen. Ich liege wach und denke daran, wie mein Dad allein in dem beschissenen Trailer hockt …«
Ich nickte. »Ich weiß, was du meinst«, sagte ich, und dann kam ohne mein Zutun noch mehr. Ein kleiner Teil meines Geheimnisses. »Ich kann auch nicht schlafen.«
Langsam drehte Isaac sich zu mir um. Sein Blick fiel auf mein Handgelenk, auf die Stelle, an der das schwarze X unter dem langärmligen T-Shirt verborgen war. Dann sah er mir in die Augen, und seine Stimme war wie eine Hand, die er mir reichte, als würde er mich bitten, ihm zu vertrauen. »Warum kannst du nicht schlafen?«
Ich sah ihn an und fragte mich, wie es wäre, es wirklich jemandem zu erzählen. Den Eisblock ein für alle Mal zu zertrümmern und die Worte in die Welt hinauszulassen.
Ich drehte mich zu Isaac um, und er drehte sich zu mir um. Wir lehnten seitlich an der Wand, so wie ein Pärchen im Bett liegen könnte. Er neigte den Kopf, bereit zuzuhören, und ich hob das Kinn, die Worte kletterten mir schon die Kehle hinauf.
Martin klatschte in die Hände und zerschnitt den Moment.
»Akt zwei, erste Szene«, rief er. »Ophelia? Meine Tochter?«
»Geh«, sagte Isaac. »Vielleicht später?«
»Ja«, sagte ich leise. »Vielleicht.«
Martin ließ die anderen Schauspieler mit Rebecca arbeiten, der stellvertretenden Leiterin, und nahm mich beiseite. »Komm, Tochter. Es ist wohl an der Zeit, dass wir zwei an Szene eins des zweiten Akts arbeiten.«
In dieser Szene läuft Ophelia zu Polonius, erklärt, dass Hamlet bei ihr war und sich verrückt verhalten hat. Anstatt auf jemanden zu reagieren, musste ich schon erschrocken auf die Bühne laufen, und dann musste ich auch noch mit einem erfahrenen Schauspieler spielen, der gleichzeitig der Regisseur war.
Es wird furchtbar werden …
»Wann auch immer du so weit bist«, sagte Martin.
Ich fühlte mich wie eine Idiotin, als ich hinter die Kulissen trat, tief Luft holte und auf die Bühne rannte.
»O lieber Herr, ich bin so sehr erschreckt!«
Martin wirbelte mit der perfekten Mischung aus Erschrecken und Sorge herum. »Wodurch in’s Himmels Namen?«
»Als ich in meinem Zimmer näht …«
Ich fiel mit einem undamenhaften Schnauben aus der Rolle. »Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Ich sehe sie da fast im Dunkeln sitzen und wie eine pflichtbewusste kleine Frau nähen. Ich fühle es einfach nicht. Hamlet war bei ihr, und sie erzählt, was passiert ist? Warum kann man nicht einfach zeigen, was passiert?«
»Ohne Dialog?« Martin grinste. »Shakespeare benutzt niemals keine Worte. Worte sind irgendwie sein Ding.«
Ich musste lächeln.
»Ophelia erklärt, warum Hamlet ihr Angst gemacht hat, aber Polonius nimmt das als Zeichen, dass Hamlet so in seine Tochter verliebt ist, dass er den Verstand verliert.«
Meine Wangen wurden rot. »Okay, mir fällt die Stelle schwer. Es fällt mir schwer, die Gefühle zu finden. Die schönen Worte machen es schwer, sich in diese Denkweise hineinzuversetzen.«
Ächz. Schauspielerversagen.
Mich in Ophelias Denkweise hineinzuversetzen war genau meine Aufgabe, aber Martin lächelte geduldig.
»Warum versuchen wir nicht, es real zu machen?«, fragte er. »Wenn wir es vorher einmal spielen, ergeben die Worte, mit denen du Polonius das Geschehene beschreibst, mehr Sinn. Du hättest eine richtige Erinnerung, auf die du dich berufen könntest.«
»Alles, was hilft.«
Er blickte durchs Theater und sah Isaac, der mit Mel Thompson, dem Horatio, Text lernte.
»Isaac«, rief Martin. »Kann ich dich einen Augenblick ausleihen?«
Das Herz pochte mir in der Brust, als Isaac die Bühnenstufen hinaufkam. Das passierte jedes Mal, wenn er mir nahe kam, fiel mir plötzlich auf.
»Was gibt’s?«, fragte er.
»In dieser Szene beschreibt Ophelia meiner Wenigkeit, wie Hamlet mit derangierten Kleidern in ihr Zimmer stürzt und sich so sonderbar verhält, dass er ihr Angst macht.«
Isaac nickte. »Okay.«
»Willow hat Probleme damit, ihre Motivation zu finden. Deshalb machen wir jetzt Folgendes.« Martin drehte sich zu mir um. »Willow, ich lese deinen Text. Isaac, du agierst das aus. Es wird Willow vermitteln, wie ernst die Situation ist.«
Isaac sah mich an, als er antwortete. »Wenn du glaubst, es hilft?«
Ich nickte. »Ich will das richtig verstehen.«
Er wirkte widerstrebend, aber wir nahmen unsere Plätze ein. Ich setzte mich auf einen Stuhl und tat so, als würde ich nähen.
»Sehr gut«, sagte Martin. »Hamlet ist in dein Zimmer gerannt gekommen, er ist blass und derangiert, seine Knie schlottern und so weiter.«
Isaac machte nur einen einzigen Schritt und erweckte irgendwie den Eindruck, als wäre er gerade auf die Bühne gerannt. Seine Augen waren wild in seinem zerschundenen Gesicht. Sein Atem kam schnell und hart und keuchend, er ballte die Fäuste und löste sie wieder.
Während Martin vorlas, wie Ophelia Hamlets Verhalten beschrieb, spielte Isaac es.
Er stürzte sich auf mich, packte mich hart am Handgelenk und riss mich vom Stuhl hoch. Ich stand kaum richtig, als er mich wegschubste, in Armeslänge von sich weghielt, aber immer noch hart mein Handgelenk umklammerte. Sein wilder, intensiver Blick huschte immer wieder über mein Gesicht, als würde er versuchen, mich auswendig zu lernen. Mein Herz klopfte jetzt heftig und panisch, und ich wollte meine Hand losreißen. Er trat näher zu mir, beugte den Kopf zu mir herunter, steckte die Nase in mein Haar und atmete mich ein. Dann atmete er aus und ließ ein langsames, bedauerndes Stöhnen hören, als er mich losließ.
Ich riss das Handgelenk an meine hämmernde Brust. Isaac trat zurück, sah mir in die Augen. Er drehte sich um und ging von der Bühne, sah mich jedoch die ganze Zeit über die Schulter an, ohne darauf zu achten, was vor ihm war. Dann verschwand er hinter dem Vorhang, und ich sah ihm zitternd und mit weichen Knien nach.
Martin ließ das Skript fallen, und mein wilder Blick richtete sich auf ihn. Er war jetzt Polonius und packte mich an den Schultern, ergriff den Moment, während ich noch in ihm gefangen war.
»Geht mit mir, kommt, ich will den König suchen. Dies ist die wahre Schwärmerei der Liebe.« Er schüttelte mich leicht. »Sagt, gabt Ihr ihm wohl kürzlich harte Worte?«
Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an, mein Verstand übersetzte die Frage.
Was hast du ihm getan, dass er sich so verhält?
Meine Worte kamen flüsternd heraus. »Nein, bester Herr, nur wie Ihr mir befahlt.«
Polonius hielt mich noch eine halbe Sekunde länger fest. Als er losließ, war es Martins Gesicht, auf dem sich ein triumphierendes Lächeln zeigte. »Du hast es«, sagte er und umarmte mich. »Du bist wirklich ein Naturtalent, Willow. Ich bin so froh, dass du in meinem Theater gelandet bist.«
»Danke«, brachte ich heraus. »Kann ich kurz auf die Toilette?«
Ich wartete die Antwort nicht ab, sondern rannte aus dem Theatersaal zur Damentoilette in der Lobby, wo ich mir immer wieder kaltes Wasser ins Gesicht spritzte.
»Es geht dir gut«, sagte ich zu dem Mädchen im Spiegel. »Es geht dir gut, es geht dir gut, es geht dir gut.«
Am Ende der Probe sah ich mir die noch anwesenden Schauspieler an und fragte mich, wen ich bitten könnte, mich nach Hause zu fahren. Ich beschloss, ein großes Mädchen zu sein und ein Taxi zu rufen. Ich buchte die Fahrt, dann ging ich hinaus in die Kälte. Die Tage wurden jetzt wärmer, aber nachts war es noch winterlich kalt.
»Hey.«
Ich drehte mich um und sah Isaac an der Wand lehnen, einen Fuß flach daran gestellt, eine Zigarette zwischen den Lippen. So groß, mit der Verletzung und in der schwarzen Lederjacke sah er für jeden dunkel und gefährlich aus. Nur nicht für mich.
»Hey«, sagte ich. »Danke für deine Hilfe vorhin.«
Er sah einen Moment weg, sein Kinn war hart, dann sah er mich wieder an. »Du hattest Angst.«
Ich schob mir das Haar hinters Ohr und zuckte mit den Achseln. »Du bist ziemlich heftig rübergekommen. Gehört das nicht so?«
»Dann war alles nur gespielt?«
»Man nennt es nicht umsonst Theater.«
Er schnaubte, und Rauch kam aus seiner Nase. »Es hat mir nicht gefallen, dir solche Angst zu machen.«
»Warum?«
»Es hat sich real angefühlt.«
Ich verschränkte die Arme. »Glaubst du, wir fühlen etwas anderes, wenn wir dich sehen? In Ödipus hatte ich Angst, dass du dir wirklich die Augen ausgestochen hättest.«
»Ich meine es ernst.«
»Ich auch.« Ich hob das Kinn in gespielter Arroganz und warf mir eine Haarsträhne über die Schulter. »Vielleicht bin ich einfach so gut.«
Er nickte und lachte nicht über den Witz. »Ich weiß, dass du das bist, aber …«
»Aber was?«
Er dachte kurz nach, zog an seiner Zigarette. »Wenn ich richtig in eine Szene reinkomme, dann weil ich mich dabei mit einer realen Emotion oder Erinnerung verbinde.«
»Ich weiß, was Method-Acting ist«, sagte ich ironisch, damit das Gespräch nicht dort ankam, wo Isaac es hinlenkte.
Er sah mich an, dann wieder weg. »Ich will mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen, aber als ich dir heute zu nahe kam, als ich dich angefasst habe …« Er biss die Zähne zusammen. »Die Angst, die ich in deinen Augen gesehen habe …«
Und da war sie wieder, Isaacs starke und sichere Hand. Er reichte sie mir, während ich den breiten schwarzen Abgrund überquerte.
»Ich habe die Angst herausgelockt, aber ich war nicht die Ursache«, sagte er. »Oder?«
»Nein«, flüsterte ich.
»Wer war es?«
Ich schluckte hart. »Es ist egal.«
»Mir ist es nicht egal«, sagte er mit rauer Stimme. »Mir ist es überhaupt nicht egal, Willow.«
Unwillkürlich ging ich näher zu ihm. Er sah so stark und mutig aus, als hätte er vor nichts Angst. Und ich fühlte mich so klein und müde. Ich wollte nicht länger so tun, als wäre ich nicht bis ins Innerste erschöpft, und mich in seine Arme fallen lassen. Mich eine Weile von ihm festhalten lassen, auch wenn es feige war.
»Ich sollte gehen«, sagte ich. »Es ist spät.«
Er hielt meinen Blick einen Moment länger, dann nickte er und trat die Zigarette aus. »Ich fahre dich.«
»Das geht nicht«, sagte ich. »Nicht, weil ich nicht wollen würde. Das schwöre ich. Es ist mein Vater. Er –«
Isaac winkte ab. »Du musst es nicht erklären.«
»Deshalb habe ich mich vor einem anderen Haus absetzen lassen.«
»Ich weiß.« Sein Lächeln war sanft. »Es ist okay. Marty hat darauf bestanden, meinen Pick-up zur Wartung in die Werkstatt zu geben. Ich habe diese Woche Brendas Nissan. Ich kann dich fahren, und dein Vater wird rein gar nichts merken.«
»Es ist so schrecklich, dass es so sein muss«, sagte ich. »Es ist schrecklich, dass er ein voreingenommenes Arschloch ist, aber ich kann dieses Stück nicht verlieren.«
»Das will ich auch nicht«, sagte Isaac. »Komm schon. Du zitterst.«
Er fuhr mich in Brenda Fords Nissan Altima nach Hause. Rosa Kristalle hingen am Rückspiegel. Sie schlugen klirrend gegen den Ärmel seiner schwarzen Lederjacke, als er den Spiegel justierte. Der Duft nach Potpourri strömte aus den Ledersitzen, trotzdem konnte ich noch den Zigarettenrauch wahrnehmen. Zwischen all dem femininen Firlefanz wirkte Isaac nur noch eindrucksvoller. Männlicher. Seine Gestalt neben mir war imposant, aber ich fühlte mich absolut sicher.
Er hielt am Straßenrand vor meinem Haus und beugte sich über das Steuer, um es besser sehen zu können. Wahrscheinlich verglich er es mit seinem Trailer. Vielleicht dachte er, ich wäre nur ein weiteres verwöhntes, reiches Mädchen, das nicht zu schätzen wusste, was es hatte.
»Bist du hier sicher?«, fragte er.
Ich sah ihn verblüfft an. Verwirrt. Dann begriff ich, was die Frage bedeutete, und Gott, mir tat das Herz weh. Allein dass er daran dachte, berührte mich so tief.
»Willow?« Seine graugrünen Augen drängten mich forschend.
»Ich bin hier sicher«, sagte ich.
Er nickte zufrieden. »Du solltest gehen. Ich glaube, wir werden beobachtet.«
Ich sah hinaus und entdeckte eine Gestalt am Wohnzimmerfenster, die die Gardinen zur Seite hielt.
»Das ist mein Dad«, sagte ich. »Pünktlich wie die Uhr.«
»Sag ihm einfach, die Frau des Regisseurs hat dich nach Hause gefahren.«
»Mach ich.« Und bevor ich mich stoppen konnte, beugte ich mich vor und küsste Isaac auf die Wange. Seine Bartstoppeln waren kratzig unter meinen Lippen, aber seine Haut war warm und roch nach Seife und Tabak. Als ich mich aufrichtete, sah er mich aus großen Augen an.
»Danke«, sagte ich.
»Wofür?«
»Weil du gesagt hast, dass es dir nicht egal ist.« Plötzlich traten mir Tränen in die Augen und schnürten mir die Kehle zu. Ich öffnete die Tür und stieg aus. Die kalte Luft belebte mich. Ich atmete tief ein, dann drehte ich mich noch einmal um. »Gute Nacht, Isaac. Bis morgen.«
»Bis morgen, Willow. Gute Nacht.«
Ich machte die Tür zu und ging die Einfahrt hoch. Dad blieb am Fenster stehen und sah hinaus, bis Isaac wegfuhr.
»Wer war das?«, fragte er.
»Auch Hallo, liebster Vater«, sagte ich. »Das war Brenda Ford, die Frau des Regisseurs.«
»Was ist mit Justin passiert?«
»Er war heute nicht bei der Probe.«
»Deine Mutter sagt, du gehst mit ihm auf einen Ball – und dass er aus einer sehr guten Familie ist.«
»Ja, tu ich, ja, ist er, und ich bin wirklich müde –«
»Du hältst dich doch fern von diesem Isaac Pearce?« Dads Blick hatte sich verdüstert. »Die Tochter meines Kollegen Gary hat gemeint, sie hätte dich am Samstag mit ihm gesehen.«
»Nun, Garys Tochter sollte sich um ihren eigenen Kram kümmern, oder?«
Mein Vater stemmte die Hände in die Hüften. »Ich habe ernst gemeint, was ich über diesen Pearce gesagt habe. Du wirst nicht mit dem einen Jungen der Stadt Umgang haben, der einen solchen Ruf hat.«
Worte stiegen mir wie Galle in der Kehle hoch. Ich wollte sie meinem Vater entgegenspucken. Ihm sagen, dass er sich seine geheuchelte Sorge um mich in den Arsch schieben konnte. Er sorgte sich nicht um mich, er sorgte sich um seinen eigenen Ruf.
Aber ich war siebzehn. Minderjährig. Wenn mein Vater mir verbot, an dem Stück teilzunehmen, blieb Martin keine Wahl, als mich rauszuwerfen.
»Und?«, fragte Dad. »Hast du Isaac gesehen oder nicht?«
»Nein, bester Vater«, presste ich hervor. »Ganz wie Ihr mir befahlt.«