25. KAPITEL
Isaac
Du bist das Mädchen, das ich will.
Am Mittwochnachmittag erklang mein Geständnis immer wieder in meinem Kopf, während ich im HCT arbeitete. Willow hatte es vielleicht nicht gehört, aber ich schon. Und ich konnte es nicht zurücknehmen. Ich konnte den Satz nicht ungesagt machen.
»Scheiße«, sagte ich und fegte energisch den abgetretenen schwarzen Boden der Bühne.
Ich hätte einfach den Mund halten sollen, angefangen mit dem Tag in Daisy’s Coffeehouse. Reden hatte mir dieses verdammte Schlamassel eingebracht. Mehr als zehn Jahre hatte ich geschwiegen, und dann kam Willow, und ich erzählte ihr alles. Jetzt wusste ich nicht mehr weiter. Irgendwie ging sie mir unter die Haut, bis ins Mark meiner verfluchten Knochen. Ihr Glück wurde meine Atemluft.
Ich wollte nicht bleiben.
Ich wollte sie nicht verlassen.
Vor allem nicht nach dem, was ihr passiert war.
Oh Gott, Willow …
Ich hörte auf zu fegen und rieb mir mit der Faust über die Brust. Willows Geschichte traf mein Herz wie ein Vorschlaghammer. Schlug jedes Mal wieder zu, wenn ich daran dachte. Und ich dachte ständig daran. Bilder eines gesichtslosen Typen, der ihr etwas in den Drink schüttete, sie in ein Zimmer führte, ihr die Kleider vom halb bewusstlosen Körper riss und sich auf sie legte …
Ich schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, bis es wehtat.
Xavier. Er hieß Xavier.
Hass auf das niederträchtige Arschloch schwelte in mir wie eine kleine Flamme, die in ein Feuer ausbrechen würde, sobald ich ihn zu Gesicht bekäme. Es würde Willow nichts nützen, wenn ich ihn zusammenschlug. Aber er hatte ihr wehgetan. Auf die schlimmstmögliche Art. Ein tief sitzender und ursprünglicher Instinkt verlangte, dass ich ihm im Gegenzug auch wehtat.
»Sie ist nicht deine Freundin, verdammt«, sagte ich mir und fegte weiter. »Das Theaterstück. Halt dich an das verdammte Theaterstück.«
Aber auch Hamlet klang jetzt hohl, obwohl es mir immer Hoffnung gegeben hatte.
»Fuck.« Ich schleuderte den Besen zu Boden, und das Geräusch hallte dumpf durch das Theater.
Martin kam aus seinem Büro und stieg mit den Händen in den Hosentaschen zu mir auf die Bühne.
»Was ist los?«, fragte er ruhig.
»Nichts.« Ich bückte mich, um den Besen aufzuheben.
Er beobachtete mich, wartete. Ich hielt den Mund. Ich hatte das Reden satt.
Nach einer Sekunde nickte Martin wie zu sich selbst und holte zwei Stühle auf die Bühne.
»Lass uns über Hamlet reden«, sagte er, setzte sich und klopfte auf den anderen Stuhl. »Eine kleine Rollenanalyse, bevor die anderen kommen. Ich will sichergehen, dass wir für den Rest der Proben dieselbe Auffassung haben.«
Ich stellte den Besen weg, setzte mich, schlug die Knöchel übereinander und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was denkst du zu diesem Zeitpunkt der Proben über Hamlet?«
»Er redet zu viel.«
Marty lehnte sich zurück, schürzte die Lippen und dachte nach. »Kannst du das etwas genauer ausführen?«
»Er redet verdammt noch mal zu viel.«
Marty warf mir einen Blick zu.
»Er überanalysiert jeden Aspekt jeder Situation«, sagte ich. »Anstatt etwas zu tun, holt er aus, um nichts zu tun.«
»Akt zwei«, sagte Marty und nickte. »›Ha, welch ein Esel bin ich!‹  …?« Er grinste. »Aber dann heckt er aus, eine Schauspielertruppe den Mord seines Vaters nachspielen zu lassen. Das ist doch was.«
»Der Geist seines Vaters hat ihm gesagt, dass er ihn rächen soll«, sagte ich. »Anstatt in Akt eins zu Claudius zu gehen und ihm ein Messer zwischen die Rippen zu stechen, redet, redet und redet er. Quält sich. Tut Ophelia weh.« Meine Hände ballten sich zu Fäusten. »Dabei muss er nur tun, was er zu Beginn des Stückes geschworen hat.«
»Hm. Aber dann gibt es kein Stück.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Am Ende sind alle tot. Keiner kriegt ein beschissenes Happy End, Marty. Keiner.«
»Das ist das Risiko beim Theater«, sagte Marty nach einer langen Pause. »Du bist festgelegt auf den Text, den man dir gibt, und auf das Schicksal, das der Autor für deine Figur vorgesehen hat.« Er beugte sich vor. »Aber du, Isaac, bist nicht auf diese Weise festgelegt. Auf der Bühne, ja. Im wirklichen Leben bist du frei.«
Gequirlte Scheiße.
Ich fühlte mich nicht frei. Harmony legte mich auf eine Rolle fest, für die ich nie vorgesprochen hatte. Der Sohn eines Alkoholikers. Ein Loser mit einem Geschäft, das nicht lief. Ein Schulabbrecher. Ein potenzieller Krimineller. Ich musste hier raus. Das war das Schicksal, das ich mir selbst schreiben musste. Ende der Geschichte. Vorhang.
Martin betrachtete meine verhärtete Miene und seufzte.
»Komm schon. Die Probe fängt gleich an. Wird Willow kommen?«, fragte er. »Neulich ging es ihr nicht gut.«
»Ich denke schon«, sagte ich.
Willow hatte mir geschrieben, dass Angie und ihre Mom sie deckten, aber keine weiteren Details. Wenn Willows Dad bis jetzt nicht herausgefunden hatte, dass wir zusammen auf dem Friedhof gewesen waren, spielte sie noch mit. Und ich würde die Nervosität im Magen spüren, bis sie zur Tür hereinkam.
Es war sieben Uhr – und keine Willow.
Als Justin Baker kam, warf er mir einen verächtlichen Blick zu. Willow hatte ihn blamiert, als sie ihn bei dem Ball stehen und sich von mir nach Hause fahren lassen hatte. Es interessierte ihn einen Scheißdreck, warum sie das getan hatte oder wie sie sich fühlte. Für ihn zählte nur sein Stolz.
Laertes versetzt Hamlet am Ende den Todesstoß, aber Hamlet bringt Laertes im Gegenzug um. Plötzlich empfand ich ein intensives Verlangen, diese Szene zu proben, um den selbstgefälligen kleinen Bastard zu entwaffnen und mit seinem eigenen Degen zu durchbohren.
Meine Güte, reiß dich zusammen.
Um Viertel nach sieben erschien Willow hinten im Theater.
Erleichtert schloss ich die Augen, dann machte ich sie wieder auf und starrte sie an. Starrte, bis meine Augen brannten, weil ich nicht blinzelte. Denn wenn ich blinzelte, würde sie verschwinden, und ich wollte sie in der Zeit bewahren. Sie sah heil und gesund und so wunderschön aus in einem dunklen Rock und einem grauen Pulli. Sie blickte sich im Theater um, und als sie mich entdeckte, lächelte und winkte sie.
Alles wird gut werden.
Besser als gut. Obwohl sie am anderen Ende des Theatersaals stand, sah ich die winzige Veränderung in ihrer Haltung. Als wäre die schreckliche Last, die sie niederdrückte, ein wenig leichter geworden. Sie war noch da. Ich wusste nicht, ob sie jemals ganz verschwinden würde. Aber mir ihre Geschichte zu erzählen hatte geholfen.
Und es hatte alles verändert.
Ich sah es an ihrem Lächeln und der Art, wie sie mich ansah. Man hört sich eine solche Geschichte nicht an und bleibt auf Abstand. Auch wenn sie völlig betrunken gewesen war, hatte sie mir vertraut. Ich kannte jetzt ihr Geheimnis, und nichts würde zwischen uns je wieder wie vorher sein.
Aber das stimmt gar nicht , dachte ich, und das Herz pochte in meiner Brust. Schon seit dem Tag in Daisy’s Coffeehouse war nichts mehr wie vorher.
»Entschuldigung, dass ich zu spät bin«, sagte Willow. »Meine Mitfahrgelegenheit hatte eine Reifenpanne.«
»Das kann ja mal passieren«, sagte Martin milde. Rebecca kam dazu, und sie beugten sich über ihre Klemmbretter.
»Als Nächstes kommt Akt zwei, Szene zwei«, sagte sie.
Willow runzelte die Stirn und griff in ihre Tasche, um ihr Skript herauszuholen. »Ist das … Sorry, welche Szene ist das?«
»Du wirst nicht gebraucht, meine Liebe, nur im Geiste«, sagte Martin. »In Szene zwei des zweiten Akts erzählt dein lieber alter Dad Polonius« – er zeigte auf sich selbst – »dem König und der Königin, dass er den Grund für Hamlets Wahnsinn entdeckt hat. Das glaubt er jedenfalls.«
Er holte ein zusammengerolltes Stück Papier aus seiner Gesäßtasche.
»Das richtige Requisit wird besser aussehen«, sagte er, »aber für den Moment genügt das hier.«
»Was ist es?«, fragte Willow.
»Ein Liebesbrief von Hamlet an Ophelia.«
Martin gab Willow das Papier.
Zweifle an der Sonne Klarheit,
Zweifle an der Sterne Licht,
Zweifle, ob lügen kann die Wahrheit,
Nur zweifle an meiner Liebe nicht!
»Das ist schön«, sagte Willow. Sie sah mich an, dann wandte sie rasch den Blick ab.
»Das ist es in der Tat«, sagte Martin. »Liebe ist immer schön.« Er wedelte mit dem Papier. »Und es ist Beweisstück A, dass Hamlet durchaus handelt, wenn er will.«
Ich warf Martin einen mörderischen Blick zu, aber er strahlte mich nur an. Dann klatschte er in die Hände, um mit der Probe zu beginnen, und ließ Willow und mich nebeneinander stehen.
»Ich finde es großartig, dass Martin so richtig einsteigt«, sagte sie. »Bestimmt ist er deshalb ein so guter Regisseur.«
»Ich schätze schon«, sagte ich.
»Hamlet, Horatio, Fortinbras«, rief Rebecca. »Zu mir bitte.«
»Ich muss«, sagte ich.
»Klar«, antwortete sie, und ich fand es schlimm, wie wenig klar sie klang. »Hals- und Beinbruch.«
»Danke«, sagte ich, und wir trennten uns.
Genau wie es sein soll , dachte ich bitter.
Eine Stunde später stellte Rebecca sich in die Mitte der Bühne und konsultierte erneut durch die dunkel gerahmten Brillengläser ihr Klemmbrett.
»Wir brauchen Gertrude, Claudius, Ophelia, Laertes, Horatio und Hamlet. Akt fünf, Szene eins.«
Ophelias Beerdigung.
Aus der Requisite wurde eine hölzerne Bahre geholt, und Martin bat Willow, sich daraufzulegen und die Hände über dem Herzen zu falten. Ihre goldenen Locken lagen ausgebreitet um sie. Vier Schauspieler trugen sie zur Mitte der Bühne, wo Gertrude, Claudius und Laertes warteten. Horatio und ich standen am rechten Bühnenrand und beobachteten die Prozession aus einem Versteck.
Langsam drang die Szene in mich ein, löschte meine bewussten Gedanken aus und versetzte mich auf einen trostlosen Friedhof …
Mit abgesackten Grabsteinen wie weiße, schiefe Zähne …
Willow war ätherisch, wie sie dort mit geschlossenen Augen lag. Die Bühne wurde von einem einzigen Scheinwerfer beleuchtet, der ihre helle Haut erstrahlen ließ. Lorraine als Gertrude tat so, als würde sie Blumen auf Ophelia legen.
»Süßes der Süßen. Lebe wohl! – Ich hoffte,
du solltest meines Hamlet Gattin sein.
Dein Brautbett, dacht ich, süßes Kind, zu schmücken,
nicht zu bestreun dein Grab.«
Justins zornige Wutrede als Laertes war überzogen neben Gertrudes würdiger Trauer. Er fiel auf die Knie, um Hamlets Namen zu verfluchen.
»O dreifach Wehe
treff zehnmal dreifach das verfluchte Haupt,
des Untat deiner sinnigen Vernunft
dich hat beraubt. – Lasst noch die Erde weg,
bis ich sie nochmals in die Arme fasse.«
Dann stand Justin auf und warf sich auf die Bahre. Er schob die Arme unter Willow und riss sie an sich. Ihr Körper, vorher anmutig und schlaff, versteifte sich jetzt. Ihr Gesicht verzog sich trotz der noch geschlossenen Augen zur Miene einer Leidenden, die es gerade eben schafft, die Stimme nicht zu erheben. Darum kämpft, stillzuhalten. Ruhig zu sein.
Nichts zu sagen.
Mein Blick trübte sich. Dann wurde er wieder scharf, und ich sah einen Mann, der auf Willow lag und sie berührte. Sie konnte sich nicht bewegen. Konnte ihn nicht abwehren. Er nahm sie, während sie innerlich schrie und schrie …
Ich stürmte vor, stieß unzusammenhängend meinen Text hervor. Eigentlich sollte auch Hamlet sich auf Ophelias Bahre werfen. Stattdessen stürzte ich mich auf Justin.
Zorn raste durch meine Adern wie Feuer, und ich riss ihn von Willow weg. Sie sank mit einem leisen Keuchen zurück, kniff weiter die Augen zusammen.
Justin wirbelte herum, und seine eigene Kampfbereitschaft kochte über. »Zum Teufel deine Seele!«
Er ging schnell und mit aller Gewalt auf mich los. Die Regieanweisung schrieb vor, dass er die Hände um meinen Hals legte, aber Justin spielte nicht. Er drückte mir die Luft ab, das Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt.
»Du betest schlecht« , quetschte ich höhnisch grinsend hervor und packte fest seine Handgelenke. »Ich bitt dich, lass die Hand von meiner Gurgel …«
Justins Blick loderte, und er presste die Kiefer zusammen, als er trotz des Schmerzes stärker zudrückte. Seine Augen waren leer vor Hass.
Len als König Claudius rief seinen Text mit echter Angst: »Reißt sie doch voneinander!«
Die Schauspieler des Ensembles trennten Justin und mich und hielten uns fest, weil wir wie tollwütige Hunde aufeinander losgehen wollten.
»Hamlet! Hamlet!« , rief Lorraine.
Horatio nahm mich am Arm und sprach mir ins Ohr. »Bester Herr, seid ruhig!«
Ich schäumte, starrte Laertes wütend an, und die Wirklichkeit verschwamm. »Ja, diese Sache fecht ich aus mit ihm, so lang, bis meine Augenlider sinken.«
»Oh mein Sohn, welche Sache?« , jammerte Gertrude.
Ich sah Willow mit geschlossenen Augen auf der Bahre liegen, ihr Gesicht war blass und wunderschön. Das Ungeheuerliche, das ihr letzten Sommer geschehen war, brandete in mir auf wie eine gigantische Welle.
Er hat sie betäubt. Ein todloser Tod, nach dem sie immer noch von unerbittlichen Träumen verfolgt wird, und ich kann es nicht ändern. Marty irrt sich. Ich komme zu spät. Die Geschichte ist erzählt.
Ich stand jetzt allein da, den Blick auf Willow und nichts sonst gerichtet, und sprach den Text, der mir gegeben worden war. »Ich liebte Ophelia.«
Niemand sagte etwas. Niemand bewegte sich.
Willow machte die Augen auf, und ihre Lippen öffneten sich bei einem leisen Seufzer. Ein winziges Einatmen, das über die stille Bühne wisperte. Langsam setzte sie sich auf, ein zitterndes Lächeln auf den Lippen.
»Okay, Leute«, sagte Marty. »Machen wir eine Pause.«
Martin rief uns zusammen. Die Heftigkeit der Szene war so fassbar wie die roten Flecken an meinem Hals und die Druckstellen auf Justins Handgelenken.
»Das Schöne am Theater ist, dass es sehr real sein kann«, sagte Martin. »Und trotz der Kampfspuren halte ich den heutigen Abend für einen unglaublichen Erfolg.«
Er bat Justin und mich, uns die Hand zu geben.
»Tut mir leid mit deinem Hals«, sagte er und drückte fest zu. »Hoffe, es tut nicht zu sehr weh.«
Ich drückte fester zu, und sein selbstgefälliges Lächeln verschwand.
»Pass bloß auf, Pearce«, sagte er und beugte sich zu mir. »Die Firma ihres Dads hat dich in der Hand. Komm ihm bloß nicht quer, kapiert?«
Nachdem das Gleichgewicht für die anderen wiederhergestellt war, kam Marty zu den letzten Ankündigungen.
»Meine großzügige Deadline für das Auswendiglernen des Skripts ist verstrichen, meine Lieben«, sagte er nach der Probe. »Jetzt gilt alles oder nichts. Wir werden ab nächster Woche ohne Skript proben. Wenn ihr euren Text noch nicht könnt, dann lernt ihn bis dahin, damit wir anfangen können, richtig zu arbeiten, okay? Es wird langsam, ihr leistet alle hervorragende Arbeit. Ja, vor allem du, Len.«
Len ließ die Hand sinken und strahlte stolz. Alle lachten, und so endete die Probe mit etwas Positivem. Die Schauspieler verabschiedeten sich, und Willow warf mir einen letzten schnellen Blick zu, bevor sie mit Lorraine ging, mit der sie seit dem Ball nach Hause fuhr.
Marty und Rebecca zogen sich in die Büroräume oben zurück, um ein paar Sachen zu besprechen, und ich räumte die Bühne auf und stellte Stühle zusammen.
Willow erschien noch einmal am Eingang. Ich erstarrte eine halbe Sekunde, dann machte ich weiter und sagte nichts. Ich hatte wirklich genug gesagt.
»Ich wollte nicht gehen, ohne kurz zu reden«, sagte sie. »Über neulich Nacht.«
»Das musst du nicht«, sagte ich.
»Das weiß ich. Aber verstehst du das nicht? Genau das mag ich so an dir, Isaac. Du hast mich nie gedrängt. Nie. Und … na ja …« Sie schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich habe mich total peinlich benommen. Dich angeschmachtet, dass du so gut aussiehst. Und dich dann vollgekotzt.«
»Nee, du hast nicht getroffen«, sagte ich.
Ihr Lächeln brach durch. »Ich weiß, es war nicht leicht für dich zu hören, was ich gesagt habe. Es tut mir leid, dass ich mir dich ausgesucht habe, aber … Trotz allem glaube ich, es hat mir geholfen.«
»Das freut mich«, sagte ich.
So schwache Worte.
Du bist mutig. Du bist stark. Du verdienst etwas Besseres als mich .
»Egal, ich wollte dir nur danken, dass du da warst. Und dass –«
»Willow«, sagte ich. »Ich werde aus Harmony weggehen.«
Sie zuckte leicht zusammen und runzelte die Stirn. »Das weiß ich. Es ist dein Traum …«
»Es ist mehr als das. Mein ganzes Leben lang bin ich herumgeschubst worden. Meine Mutter ist gestorben, mein Vater hat sich in ein saufendes Arschloch verwandelt. Ich war scheißarm und habe jeden einzelnen Tag kämpfen müssen. Ich muss ein bisschen Geld verdienen. Richtiges Geld. Für meinen Dad und für das Theater. Und ich muss mir einen Namen machen, der nicht mit diesem Ort verknüpft ist.«
»Ich verstehe das«, sagte sie und wandte den Blick ab. »Du musst gehen, und ich will bleiben. Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich brauche diesen Ort.« Ihre Stimme wurde leiser. »Ich kann immer noch nicht in meinem Bett schlafen. Ich wache immer noch auf, schwitze und kriege keine Luft und greife nach einem schwarzen Stift …« Sie wedelte mit der Hand. »Es tut mir leid. Ich sollte nicht –«
»Doch, du solltest.« Ich ging einen Schritt auf sie zu, meine Hände wollten sie berühren. »Du solltest mehr reden, Willow. Erzähl deinen Eltern, was passiert ist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Ich bin nicht bereit, und … wir sollten uns auf die Aufführung konzentrieren, oder? Diese Talentscouts kommen, um dich zu sehen. Du musst bereit sein. Keine Ablenkung.«
»Natürlich«, sagte ich. »Keine Ablenkung.«
Ihre Miene wirkte so düster, wie mir zumute war, als ich die Worte aussprach.
»Okay … Ich sollte gehen. Lorraine wartet. Danke noch mal für neulich Nacht. Und dafür, dass du einer von den Guten bist.«
Sie ging. Ich wartete auf die Erleichterung, dass mein Leben wieder in geordneten Bahnen verlaufen würde. Kein heimliches Tanzen mehr, kein Händchenhalten, kein Willow -Halten.
Ich räumte weiter das Theater auf. Ganz hinten fand ich auf dem Fußboden ein Stück Papier. Hamlets Liebesbrief an Ophelia in Martins krakeliger Handschrift.
Zweifle an der Sonne Klarheit,
Zweifle an der Sterne Licht,
Zweifle, ob lügen kann die Wahrheit,
Nur zweifle an meiner Liebe nicht!
Ich wollte den Zettel schon zerknüllen und in den Müll werfen. Stattdessen faltete ich ihn zusammen und schob ihn in meine leere Brieftasche.