32. KAPITEL
Willow
Ich quälte mich durch die letzte Schulstunde und fuhr in das leere Haus zurück. Meine Eltern würden erst morgen Abend zurückkommen. Ich fand es jetzt schon schrecklich, dass mein Dad bei seiner Ankunft von der Explosion erfahren würde und noch mehr Munition hatte, um Isaac zu hassen.
Ich ließ mich auf die Couch fallen, bestellte eine Pizza und machte die Nachrichten an. Alle lokalen Sender berichteten über den Brand. Ich sah die Bilder eines flammenden Infernos vor dem Nachthimmel. Dann änderte sich die Szene zu irgendwann heute Nachmittag. Angestellte von Wexx liefen um das verkohlte Gebäude herum, das einmal eine ihrer Tankstellen gewesen war.
Die Reporterin, eine hübsche Brünette, interviewte einen Wexx-Angestellten, der sagte, dass die Pearce-Tankstelle seit langer Zeit »Probleme« gemacht habe und das Unternehmen Brandstiftung nicht ausschloss.
Angewidert machte ich den Fernseher aus und sah auf mein Telefon, ob Isaac inzwischen geschrieben hatte. Nichts. Er war wieder in Schweigen verfallen – seine Version von kleinen schwarzen X.
Ich schrieb ihm: Wie geht es deinem Dad? Wie geht es dir?
Keine Antwort. Die Nachricht blieb »gesendet«, aber nicht »gelesen«, egal wie lange ich darauf starrte.
Ich machte es mir auf der Couch gemütlich, aß etwas Pizza und wartete. Ich schlief immer wieder ein und wachte auf, als eine Nachricht kam. Die Uhr zeigte 23:36.
Er ist noch auf der Intensivstation , schrieb Isaac. Ich bin müde. Stundenlang Leute von Wexx hier.
Eine Pause, dann eine neue Nachricht. Sieht nicht gut aus.
Komm her , schrieb ich.
Finden deine Eltern sicher toll.
Sie sind bis morgen Abend weg.
Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.
Warum nicht?
Du weißt, warum nicht.
Wir könnten einfach schlafen.
Ich würde gern , antwortete er.
Ich will nicht, dass du heute allein bist.
Eine weitere lange Pause, dann: O. K .
Zehn Minuten später klopfte er an der hinteren Veranda. Ich deaktivierte den Alarm und öffnete die Glastüren. Isaac stand vorgebeugt da, die Hände in die Taschen seines Kapuzenpullis geschoben. Er sah so jung aus, dass mir das Herz wehtat. Man vergaß so leicht, dass er erst neunzehn war.
»Ich habe in einer Parallelstraße geparkt«, sagte er. »Niemand wird es bemerken.«
Auch dabei tat mir das Herz weh. Es war wie eine weitere Ohrfeige, zusätzlich zu der Schande, die er ohne eigenes Verschulden mit sich herumtrug. Ich machte die Tür weiter auf und ließ ihn herein. Er sah aus wie ein Dieb in einem Juwelierladen. Sein Blick schoss umher, als erwartete er, dass meine Eltern ihn aus dem Dunkel anspringen würden.
»Das ist ein schönes Haus«, sagte er, als ich ihn durch die Küche ins Wohnzimmer führte. Sein Blick wanderte wieder umher und dann zu mir zurück. Etwas von der Anspannung glitt von seinen Schultern, als er meine Schlafshorts und das Baseball-T-Shirt – weiß mit rosa Ärmeln – betrachtete.
»Ich hätte nicht kommen sollen.«
Ich sagte nichts, sondern packte seinen Kapuzenpulli und zog ihn an mich. Er umarmte mich, und wir blieben lange Zeit so stehen.
»Das habe ich gebraucht«, sagte er endlich. »Dich.«
»Hast du Hunger?«, fragte ich. »Es gibt noch Pizza.«
Er schüttelte den Kopf. Ich folgte seinem Blick zum Kaminsims, auf dem ein Preis stand, den mein Dad bei der Arbeit bekommen hatte: ein großes Wexx-Symbol aus Glas.
»Ich sollte gehen«, sagte er.
Und ich hätte ihn gehen lassen sollen.
»Bleib«, sagte ich. »Rede mit mir. Was war mit den Leuten von Wexx?«
Isaac zögerte, dann ließ er sich auf die Couch sinken und rieb sich die Augen.
»Sie haben mir einen ›groben Überblick‹ gegeben«, sagte er. »Mein Dad hat keine Lizenzgebühren für das Logo bezahlt und war bis zum Hals beim Benzinlieferanten verschuldet. Aber das wusste ich schon. Wie viel Steuerschulden er hatte, hab ich allerdings nicht gewusst. Das Grundstück ist mit einer Hypothek belastet. Und aufgrund der Art der Explosion haben sie den Verdacht auf Brandstiftung. Betrug, nehme ich an, oder bewusste Fahrlässigkeit. Wer will betrügen, indem er seinen Betrieb in die Luft jagt, obwohl er mitten drinsteht?«
»Du hast gesagt, du glaubst nicht, dass es ein Unfall war?«
»Ich weiß nicht, ob er es mit Absicht gemacht hat, aber wenn, dann nicht, um die Schulden loszuwerden, sondern um sein Leben zu beenden.«
Ich zog Isaac an mich und drückte die Lippen auf sein Kinn. »Ich rede mit meinem Dad. Er muss dir helfen.«
»Willow …«
»Ich weiß, aber ich muss es versuchen. Ich kann nicht zulassen, dass du das alles auf dich nimmst. Es ist zu viel.«
»Welchen Preis müsste ich für seine Hilfe bezahlen? Ich kann es dir jetzt schon sagen: Du bist es. Du wirst der Preis sein, den ich bezahle.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Das ist zu viel. Ich kann dich nicht auch noch verlieren.«
»Was sollen wir tun?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich bin so müde.«
Ich stand auf und nahm seine Hand, führte ihn durch mein großes, schönes, kaltes Haus. Nach oben in mein Zimmer, wo er sofort das Deckenbündel auf dem Fußboden entdeckte.
»Es ist nicht in diesem Bett passiert«, sagte ich. »Aber ich kann trotzdem nicht darin schlafen. Ich dachte, vielleicht kann ich es mit dir zusammen versuchen.«
Isaac nickte. Er zog sich bis auf Unterhemd und Boxershorts aus, während ich die Decken aufs Bett warf. Isaac half mir, die Laken und die Bettdecke glatt zu ziehen, und dann legten wir uns zusammen hinein.
Wir lagen zusammengerollt auf der Seite, mit den Gesichtern zueinander, die Finger verschränkt, die Beine ineinander verhakt.
»Ich werde für eine ganze Weile weggehen müssen«, sagte er. »Wahrscheinlich länger, als ich gedacht hatte. Es ist so naiv zu glauben, dass ich sofort den Jackpot erwische und Millionen Dollar verdiene, um alles in Ordnung zu bringen.«
»Aber es könnte passieren«, sagte ich. »Du bist unglaublich, Isaac.«
»Du auch.«
Ich schüttelte den Kopf auf dem Kissen. »Nicht dasselbe. Dein Talent befindet sich auf einem ganz anderen Niveau. Es ist, als würdest du uns Zuschauer in deinen Bann ziehen und uns weismachen, dass wir woanders sind. Das ist eine Gabe. Manchmal brauchen Leute eine Pause von ihrem Leben. Du kannst ihnen das geben.«
»Ich mache es deshalb«, sagte er müde. »Um eine Pause von meinem Leben zu bekommen. Außer jetzt. Mit dir.«
Ich lächelte, streichelte seine Wange, fuhr mit der Rückseite meiner Finger über seine Bartstoppeln.
»Du wirst ein Star werden. Es passiert vielleicht nicht sofort, aber es wird passieren. Und ich werde auf dich warten. Egal wie lange.«
Isaac schloss die Augen, als hätte er Schmerzen. Er küsste mich. »Willow«, sagte er wie einen Wunsch oder ein Gebet. Er zog mich in seine schützende Umarmung, und wir schliefen ein.
Ich träumte von Feuer. Eine Kerze im Dunkeln, eine kleine Flamme, die sich an ihren Docht klammerte. Ich konnte zusehen, wie die Flamme wuchs und sich reckte. Sie änderte die Farbe von Blau über Orange zu Weiß und flackerte, aber sie war groß und stark.
Und dann explodierte sie zu einem grellen, heißen Feuerball.
Keuchend setzte ich mich auf.
Nur ein schlimmer Traum , dachte ich.
Aber kein Albtraum. Ich konnte atmen. Ich war bei Isaac.
Ich sah zu ihm hinunter. Seine Wimpern lagen auf seinen Wangen, und ich fuhr an ihnen entlang. Sein ausgeprägter Wangenknochen, die harte Linie seines Kiefers unter den kratzigen Bartstoppeln. Seine vollen Lippen, die mich berührt hatten, wo mich kein Mann nach ihm berühren sollte.
Ich hatte geglaubt, mich verirrt zu haben, aber er hatte mich zurückgeholt. Er hatte mir ermöglicht, den Weg zurück zu mir zu finden.
»Isaac«, flüsterte ich.
»Mmh.«
»Ich muss dir etwas sagen.«
Langsam öffnete er die Augen. »Mmmh?«
»Es tut mir leid, dass ich dich wecke, aber es ist wichtig.«
»Was musst du mir sagen, Baby?«
Ich holte Luft und ließ es raus. »Ich liebe dich. Ich habe mich in dich verliebt.«
Er sah mich an. »Willow …«
»Ich liebe dich. So sehr. Du musst es nicht auch sagen, aber –«
»Ich liebe dich auch«, sagte er. »Ich sage es seit Wochen mit den Worten eines anderen.«
»Wirklich?«
»Ja, Baby, wirklich.«
Meine Brust fühlte sich ganz warm an, und Tränen ließen meinen Blick verschwimmen. »Sag es noch einmal«, flüsterte ich.
»Ich liebe dich«, sagte er. »So sehr.« Er legte eine Hand in meinen Nacken und zog mich an sich, küsste mich erst sanft, dann leidenschaftlicher. »Ich bin froh, dass du mich geweckt hast. Ich muss dir auch etwas sagen.«
»Etwas Besseres als ›Ich liebe dich‹?«
»Das hoffe ich. Ich wollte dir sagen … Ich wollte es dir neulich im Theater schon sagen, aber dann hatte ich keine Zeit mehr.« Er lächelte leicht. »Ich hatte zu viel mit anderen Dingen zu tun.«
»Die anderen Dinge waren es wert.«
Er lächelte kurz. »Du sollst eines wissen: Was auch immer du dir für ein Leben wünschst, ich will es dir geben. Wenn du in Harmony leben willst, lebe ich auch in Harmony. Es wird nicht so schlimm, wie ich immer gedacht habe. Mit dir sehe ich es anders. Ich werde weggehen und etwas aus meinem Schauspieltalent machen, damit du stolz auf mich bist. Um deiner wert zu sein.«
Ich legte meine Fingerspitzen auf seine Wange, auf die Narbe, dorthin, wo sein Vater ihn geschlagen hatte. »Du würdest wirklich für mich hierbleiben?«
»Für uns«, sagte er. »Ich will tun, was nötig ist, um dich glücklich zu machen. Außerdem fand ich den Gedanken, Martin und Brenda zu verlassen, immer schrecklich. Und nicht da zu sein, wenn Benny seinen Schulabschluss macht.«
»Es muss nicht für immer sein«, sagte ich. »Ich will nur für eine Weile ein bisschen Ruhe. Ich will zuerst heilen. Hier.«
Er strich mir das Haar aus dem Gesicht. »Und ich will, dass du das kannst. Mehr als alles andere. Ich liebe dich, Willow. So sehr.«
»Ich liebe dich, Isaac«, sagte ich.
Wir küssten uns, bis ich lachen musste, und ich lächelte an seinen Lippen.
»Was ist so lustig?«
»Nichts. Ich bin nur glücklich.«
»Ich auch.«
Ich küsste ihn wieder, und gerade als ich den Kopf zum Schlafen auf seine Brust legte, hörte ich es. Ein Auto auf der stillen Straße. Isaac erstarrte, sein Herz hämmerte in meinem Ohr. Wir lauschten, als das Auto näher kam, langsamer wurde, und der Kies unserer Einfahrt unter seinen Rädern knirschte.
»Oh Gott«, hauchte ich und schlug die Decke zurück. »Meine Eltern.«