Epilog
Drei Jahre später
Isaac
Ich saß in einer Ecke des Garderobenzelts und drehte ein kleines, mit blauem Samt bezogenes Etui in meiner Hand. Es war nicht der sicherste Ort, um einen geheimen Schatz zu betrachten – das Ensemble von Wie es euch gefällt ging während der Pause im Zelt ein und aus, trank Wasser und zog sich um. Ich drehte dem Lärm den Rücken zu und öffnete das Etui.
Ein altmodisch geschliffener Diamant, umringt von kleineren Diamanten und filigranem Silber. Der Antiquitätenhändler hatte es Durchbruchtechnik genannt – zarte Muster, die um den Diamanten herum ausgeschnitten waren. »Recht beliebt zur Zeit Edwards VII.«, hatte er gemeint. »Ich denke, er wurde etwa 1910 hergestellt.«
Die Fassung war schlicht und zierlich. Perfekt für Willows kleine Hand. Aber der Diamant war ein volles Karat, und die Sonne, die sich durch einen Spalt ins Zelt ergoss, spiegelte sich in dem Stein und warf perfekte kleine Regenbogen auf das Segeltuch.
Er ist perfekt für sie.
Hoffte ich. Gott, ich war so nervös, dass mein Magen völlig verknotet war. Und die Knoten zogen sich noch fester, als ich Willows Lachen am Eingang des Zeltes hörte. Ich klappte das Etui zu und steckte es in die Tasche meiner hellbraunen Kostümjacke.
Weil wir Wie es euch gefällt im Amphitheater aufführten, hatte Martin die Atmosphäre eines Picknicks gewollt, um die Leichtigkeit der Komödie widerzuspiegeln. Das Ensemble trug Kleidung, die man im neunzehnten Jahrhundert auf einer Landpartie getragen hätte. Elegante Hosen, Jacken und Hemden mit hohem Kragen für die Männer. Viktorianische Kleider für die Frauen mit Ausnahme von Willow, die sich die meiste Zeit im Stück als ein Mann namens Ganymed verkleidete und meinem Orlando erklärte, wie er Rosalindes Herz gewinnen konnte.
Willows Herz hatte ich schon gewonnen, und in den letzten drei Jahren war mein Glück wie ein verdammter Traum gewesen.
Ich hatte fast die ganzen sieben Millionen Dollar für das Harmony-Community-Theater und dessen Renovierung ausgegeben. Der Stadtrat hatte sich rasch einverstanden erklärt, denn meine einzige Bedingung war, dass Martin Ford die Leitung des Theaters behielt. Er konnte über alles bestimmen, bis er sich irgendwann zur Ruhe setzte oder etwas anderes machen wollte.
Ich erwartete, dass Wexx zurückschlagen würde, aber stattdessen zogen sie sich zurück. Allerdings steckten sie alle ihre Ressourcen in Xaviers Verteidigung, an der eine ganze Armee von Anwälten arbeitete. Weil Willows Anklage aus Mangel an Beweisen kaum schlagkräftig war, fuhr Xaviers Hauptanwalt eine Strategie, die er tatsächlich »Schlampenverteidigung« nannte.
Er hatte ja keine Ahnung, denn Willows Mut löste eine Kettenreaktion aus. Ihre Worte rissen eine Mauer des Schweigens ein, und sie trug zwar viele blaue Flecken davon, hinterließ aber auch ein Loch, durch das immer mehr Frauen kamen und ihre Geschichten erzählten.
Vier weitere Frauen zeigten Xavier Wilkinson an. Eine hatte einen DNA-Beweis.
Xavier wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Es war, als hätte sich die letzte Wolke am Horizont verzogen. Willow lebte in Harmony auf. Wir kauften ihr Haus in den Cottages mit einem Teil des Geldes, das ich nachträglich für meinen letzten Film bekommen hatte. Wir ließen es renovieren und umbauen und installierten sogar eine Klimaanlage.
Während der Renovierung spielte ich sechs Wochen lang in einem Off-Broadway-Theater den Tom in Die Glasmenagerie . Willow spielte ein paar Häuser weiter eine hochgelobte Honey in Wer hat Angst vor Virginia Woolf? . Aber wir kamen immer zurück nach Harmony. Kamen nach Hause zu einem Leben, das kostbarer für uns war als irgendetwas in New York.
Ich hatte immer geglaubt, ich würde ersticken, wenn ich in diesem verborgenen Winkel der Welt leben müsste. Aber mit Willow fand ich das Harmony meiner Kindheit wieder. Die Stadt, die ich gekannt hatte, bevor meine Mutter starb. Nur mit Marty und Brenda als Eltern und Benny als kleinem Bruder.
Und jetzt hoffentlich mit Willow als meiner Frau.
Ich wurde immer nervöser. Ich hatte eine Rede geplant. Eine Liebeserklärung, weil sie all die Worte verdiente, die ich in meinem Herzen trug.
Martin kam zu mir, blickte einmal über die Schulter zurück und grinste. »Kann ich ihn noch mal sehen?«
Willow war in ein Gespräch mit Lorraine vertieft. Schnell zeigte ich Martin den Ring.
»Es ist doch nicht zu viel, oder? Aber auch nicht zu klein. Er ist perfekt, oder?«
Genau wie jedes Mal, wenn er den verfluchten Ring sah, traten Marty Tränen in die Augen. »Sie wird ihn lieben. Er passt so perfekt zu ihr.«
Ich klappte das Etui wieder zu und schob es mir in die Tasche. »Verdammt.«
Martin lachte. »Du wartest doch bis zur Party heute Abend? Bitte. Wir sind zur Hälfte durch mit dem Stück. Fast geschafft.«
»Ja, ich warte. Wenn sie Nein sagt, wäre ich der deprimierendste Orlando, den die Welt je gesehen hat. Es würde deine Komödie in eine Tragödie verwandeln.«
»Du weißt, dass sie Ja sagen wird«, sagte er. »Aber wenn du sie fragst, bevor Rosalinde und Orlando sich verliebt haben, erleben sie eine … Wie sagt man noch unter euch jungen Leuten? Instant-Liebe?«
Ich lachte. »Wir haben sechs Jahre gebraucht, um an diesen Punkt zu kommen.« Meine Stimme wurde weich. »Ich hätte sie fragen können, ob sie mich heiratet, als ich nach Harmony zurückgekehrt bin. Und jede Minute seitdem. Aber ich wollte, dass sie mir vertraut. Dass ich hier in Harmony bleiben und glücklich sein kann.«
Marty schniefte. »Du musst dir diese Worte für sie aufsparen.«
»Ich habe mehr. Sehr viel mehr.«
»Nach der Vorstellung.« Er blickte hinter sich. »Da will jemand Hallo sagen, wenn das okay ist.«
Ich entdeckte Benny – jetzt Ben – am Zelteingang. Ich grinste. »Schick ihn her.«
Martin ging, und Ben nahm seinen Platz ein, sah sich mit den Händen in den Taschen um. Mit seinen neunzehn Jahren war er groß und kräftig, das Kind, das ich gekannt hatte, war verschwunden.
Er ist so alt wie ich, als ich Willow kennengelernt habe.
»Hey Mann«, sagte ich, stand auf und umarmte ihn. Ich lachte über seine zweifelnde Miene, als Len Hostetler eine opernhaft klingende Stimmübung schmetterte.
»Theaterleute sind echt strange«, sagte er.
»Da hast du recht.«
Ein kurzes Schweigen senkte sich herab. Ben und ich hatten geredet, als ich vor drei Jahren nach Harmony zurückgekehrt war, aber es hatte sich gezwungen angefühlt. Meine Entschuldigung war schwach gewesen. Benny hatte schon seinen Vater verloren, und dann war auch ich einfach aus seinem Leben verschwunden. Wahrscheinlich konnte er mir das nicht verzeihen, und ich konnte es ihm nicht verübeln. Die Anspannung zwischen uns war geblieben, und dann war er zum Studium weggegangen. University of Southern Indiana. Ich hätte nicht stolzer sein können, aber ich hatte nicht mehr das Recht, stolz auf ihn zu sein, und das tat weh.
»Also …« Ben hob die Schultern, seine Arme versteiften sich. »Ich wollte dir nur danken für alles, was du für meine Mom und mich getan hast. Ihr Haus … das College.«
»Das musst du nicht.«
»Doch, Mann, muss ich. Es ist echt viel.«
Und ich will dir nichts schuldig sein.
Das stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Bring das in Ordnung. Sag ihm, wie es ist.
Ich sah mich im Zelt um und hob die Hände. »Siehst du das alles? Das ist viel. Die Frau da vorn?« Ich zeigte auf Willow, die mit Lorraine lachte. »Sie ist viel. Mein ganzes Leben ist jetzt viel, mehr, als ich je gedacht habe zu bekommen.«
Ben runzelte die Stirn. »Damit habe ich nichts zu tun.«
»Oh doch, das hast du«, sagte ich. »Weißt du noch, wie du mir geholfen hast, den Text für die Stücke zu lernen? Für Hamlet? «
»Klar.«
»Erinnerst du dich an die Szenen mit Hamlet und Horatio?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich hab nicht viel davon verstanden.«
»Horatio ist eine der wichtigsten Figuren im Stück. Er ist Hamlets bester Freund«, sagte ich. »Er ist die einzige Figur, die zu Hamlet hält, egal was passiert. Und als Hamlet am Ende stirbt, bittet er Horatio, seine Geschichte zu erzählen. Weil er ihm vertraut. Sie waren länger befreundet als alle anderen.«
Bens Augen hellten sich einen Augenblick auf, dann zuckte er wieder mit den Achseln. »Okay. Und?«
»Du warst mein Horatio, Mann. Du warst mein Freund, als die ganze Stadt hinter meinem Rücken über mich geredet oder über Paps gelacht hat.«
»Ich war nur ein Kind.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Genau wie ich.« Ich sah mich noch einmal im Zelt um. »Ich habe dieses Theater, diese Aufführung, weil ich in Hollywood groß rausgekommen bin. Und nach Hollywood habe ich es wegen meines Auftritts in Hamlet geschafft. Und ohne Horatio gibt es keinen Hamlet. Ich wollte nur, dass du das nicht vergisst.«
Ben dachte kurz darüber nach und schob die Hände tiefer in die Taschen. »Tja, wir müssen aufeinander aufpassen, oder?«
Ich schluckte schwer. »Ja, das müssen wir. Und das hast du getan. Danke, Benny. Ich schulde dir was.«
Er wandte den Blick ab, sah mich wieder an. »Ich sollte zurückgehen. Damit du ein bisschen Ruhe hast.« Er wandte sich zum Gehen, dann drehte er sich rasch noch einmal um und umarmte mich.
Ich hielt ihn fest, biss die Zähne zusammen, um nicht anzufangen zu heulen.
»Ich liebe dich, Mann«, sagte ich.
»Ich dich auch«, sagte er mit belegter Stimme. »Okay. Hals- und Beinbruch«, sagte er, ließ mich los und wandte sich schnell ab. »Sehen wir uns später?«
Ich nickte mit zusammengepressten Lippen. »Klar.«
Er lächelte, winkte und ging.
Leises Lachen und Gemurmel aus dem Publikum trieben auf einer leichten Brise unter der Sommersonne. Viele waren heute gekommen. Darunter Angie und Bonnie, Yolanda und Ben – mein bester Freund, dachte ich mit einem Lächeln –, der zusammen mit all den Freunden, die Willow und ich in der Stadt gewonnen hatten, wieder auf seinen Platz ging.
Ben hatte mir, als ich jünger war, immer als Freund genügt, aber jetzt hatte ich mehr, als ich mir je vorgestellt hatte. Wir trafen uns ständig mit Leuten, luden zu Abendessen bei Kerzenlicht und Wein. Und immer wenn der letzte Gast gegangen war, nahmen Willow und ich uns in den Arm. Wir verbrachten die schläfrige Wärme des Morgens im Bett, redeten oder küssten uns oder klammerten uns vor Lust und Ekstase an die Laken.
Das arme Kind aus der kaputten, gewalttätigen Familie hatte sich so ein Leben nie vorstellen können.
Das Zelt leerte sich, aber Willow blieb am Eingang stehen und blickte durch die Zeltklappe ins Publikum. Ich stellte mich neben sie.
»Ich sehe meine Eltern«, sagte sie. »Der Hut meiner Mutter könnte einem ganzen Dorf Schatten spenden.«
Dan und Regina wohnten in New York und kamen zweimal im Jahr nach Indiana. Die Mauern zwischen uns einzureißen war ein langsamer Prozess, und Regina fiel es leichter, mich zu akzeptieren. Daniel war stolz. Seine Entschuldigung kam nicht in einem einzigen Satz. Er brauchte zahllose Besuche, um das Glück seiner Tochter zu fassen. Und die Dankbarkeit in seinen Augen, wenn sie lachte oder lächelte, war mir Entschuldigung genug.
Auch die Beziehung zwischen Willow und ihren Eltern verbesserte sich, vor allem weil Willow so großzügig war. Meine Liebste war voller Liebe. Grenzenlos. Nachdem es so lange gedämpft gewesen war, blendete ihr Licht jetzt.
Ich sah sie an, dann wieder ins Publikum. Die Pause war fast vorbei. Wir standen hinter einem Vorhang und warteten darauf, zusammen auf die Bühne zu gehen.
Das war der perfekte Ort. Der perfekte Moment.
Einen anderen gab es nicht.
Sorry, Marty , dachte ich. Ich kann keine Minute länger warten.
Als ich innerlich noch einmal die Worte durchging, die ich vorbereitet hatte, rückte Willow näher. Ihre Schulter war warm an meiner, ihre Hand schlüpfte in meine. »Isaac?«
»Mmh?«
»Ich muss dir etwas sagen. Ich wollte warten, aber ich kann nicht. Keine Sekunde länger.« Ihre Lippen berührten mein Ohr. »Ich bin schwanger.«
Jeder Gedanke in meinem Kopf löste sich in Luft auf, als ich sie anstarrte. »Was?«
Sie strahlte, Freude kam aus all ihren Poren und leuchtete in dem blauen Topas ihrer Augen. »Ich bin schwanger. Ich werde ein Baby bekommen. Dein Baby.«
»Mein Baby …«
Mein Herz. Mein verdammtes Herz würde vor Glück in meiner Brust explodieren – und ich hatte schon gedacht, dass mehr Glück nicht möglich wäre.
Ich brachte kein Wort heraus, und Willow biss sich auf die Lippen und sah mich an. »Freust du dich? Oder machst du dir Sorgen, dass es zu früh ist? Oder …?«
»Du bist wirklich schwanger?«
Sie nickte.
»Wow, verdammt.« Ein Lachen entfuhr mir. »Wirklich?«
»Wirklich.«
Ich lachte wieder und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Mist, ich habe meinen ganzen Text vergessen.« Ich nahm ihr Gesicht in die Hände, stürzte in das strahlende Blau ihrer Augen. »Du wirst ein Baby bekommen?«
Sie nickte, Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ja, Schatz. Werde ich.« Sie nahm meine Hand und legte sie sich auf den Bauch. »Wir werden ein Baby bekommen. Ich hatte schon vor ein paar Wochen den Verdacht, dass ich schwanger bin, und heute Morgen habe ich einen Test gemacht.« Sie grinste. »Ich habe bestanden.«
»Oh Gott.« Ich taumelte ein paar Schritte rückwärts, dann ging ich zu ihr zurück, um sie wieder und wieder zu küssen. »Ist das mein Leben?«, fragte ich und umarmte sie.
Ich spürte, wie sie unter meinem Kinn nickte. »Ist es«, flüsterte sie, und dann zitterten ihre Schultern, als sie einen riesigen Seufzer ausstieß. »Ich bin so froh, dass du dich freust. Ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Ich meine, wir sind nicht mal verheiratet.«
Wieder entfuhr mir ein glückliches, ungläubiges Lachen, und ich griff in meine Tasche. »Nein, wir sind nicht verheiratet«, sagte ich und holte das Etui hervor. »Aber zufällig habe ich das hier dabei.«
Ich hielt es hoch.
Willows Augen weiteten sich, und die Hände flogen ihr an den Mund. »Isaac …«
»Ich dachte, wir brauchen es, falls du jemals einen ehrbaren Mann aus mir machen willst. Das ist dann wohl heute.«
»Oh, mein Gott.«
Ich beugte ein Knie und öffnete mit zitternden Händen das Etui. »Willow … Ich wollte dir so viel sagen. Ich hatte eine ganze Rede vorbereitet … Gott, ich kann nicht denken.«
Sie streichelte meine Wange und schüttelte den Kopf. »Ich höre es, Isaac. Ich höre es in jedem Blick, jeder Berührung. Ich höre dich. Die Worte deines Herzens.«
»Ich muss es trotzdem sagen.« Ich schluckte. »Willst du mich heiraten?«
»Ja«, flüsterte sie und sank auf die Knie. »Natürlich will ich. Ja.«
Ich steckte ihr den Ring an den Finger. Wir knieten noch im Zelt und küssten uns unter Tränen, als Martin uns zum Auftritt rief.
»Oh Gott«, sagte sie. »Jetzt hab ich komplett meinen Text vergessen.«
»Wir improvisieren einfach«, sagte ich.
»Wir improvisieren Shakespeare?«
Willow stand auf, und ich küsste ihren Bauch, wo mein Kind heranwuchs. Unser Kind. Ein Kind, das mehr Liebe und Glück von seinen Eltern bekommen würde, als wir je bekommen hatten. Ein Kind, das niemals daran zweifeln würde, dass wir es liebten.
Wir gingen unter der gleißenden Sonne auf die runde Bühne, und Willow – als Rosalinde, die so tat, als wäre sie jemand anders – lächelte schüchtern.
»Was würdet ihr zu mir sagen, wenn ich eure rechte, rechte Rosalinde wäre?«
»Ich würde küssen, ehe ich spräche« , sagte ich. Wir sahen uns durch die Figuren an, und ich wusste, sie hörte meine ungesagten Worte.
Und dir sagen, dass ich dich liebe.
Ende