IX. Frauenbewegung im Spannungsfeld zwischen Internationalismus und Nationalismus

Überblick

Die deutsche Frauenbewegung war eine der ersten, die Ende des 19. Jahrhunderts den in den USA gegründeten internationalen Dachverbänden beitrat. Die Sozialistinnen und die Katholikinnen organisierten sich international separat. Auch Jüdinnen gründeten einen eigenen internationalen Verband. Zwischen diesen internationalen Verbänden bestanden Kontakte, teilweise arbeiteten sie zusammen. Im Ersten Weltkrieg wog in allen Ländern die nationale Loyalität schwerer als die internationale Solidarität. Der Friedensaufruf des internationalen Frauenkomitees für dauernden Frieden, der die Frauen europaweit mobilisieren sollte, verhallte in Deutschland weitgehend ungehört. Nach dem Krieg protestierte der BDF mit dem Fernbleiben vom ersten internationalen Kongress des ICW 1920 gegen die Friedensbedingungen des Versailler Vertrages. Mit der unter Gustav Stresemann verfolgten Außenpolitik reaktivierte der BDF seine internationalen Kontakte um die internationale Anerkennung Deutschlands und die Revision des Versailler Vertrages zu erreichen.

Zeittafel

1888

Gründung des International Council of Women (ICW) in Chicago

1897

Der BDF tritt dem ICW als dritter nationaler Frauenverband nach den USA und Kanada bei

1904

Gründung der International Woman Suffrage Alliance (später: International Alliance of Women, IAW)

1907

Gründung des International Socialist Women’s Committee

1910

Gründung der International Union of Catholic Women League

1912

Gründung des International Council of Jewish Women

1915

Gründung des International Committee of Women for Permanent Peace (IWPP), seit 1919: Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF)

1919

Gründung der International Federation of University Women (IFUW)

1. Die internationalen Frauenorganisationen

Zwischen 1888 und 1915 wurden mehrere langlebige internationale Frauenorganisationen gegründet. Die drei wichtigsten Verbände waren der Internationale Frauenrat (International Council of Women, ICW), der Frauenweltbund (International Alliance of Women, IAW; ursprünglich: Weltbund für Frauenstimmrecht) und die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, ursprünglich: Internationaler Frauenausschuss für dauernden Frieden (Women’s International League for Peace and Freedom, engl. WILPF, dt. IFFF). Alle drei Verbände nahmen Frauen unabhängig von ihrer nationalen, religiösen und politischen Zugehörigkeit auf.

Die erste internationale Frauenorganisation bildete der ICW, der 1888 während einer Tagung des U S. National Woman Suffrage Association gegründet wurde. Da in diesem Verband möglichst viele Frauen zusammengefasst werden sollten, wurde in der Satzung festgelegt: „Wir Frauen aller Nationen schließen uns in der Überzeugung, dass das Wohl der Menschheit nur durch eine größere Einheitlichkeit in Gedanken, Gefühlen und Bestrebungen gefördert werden kann und dass eine organisierte Frauenbewegung dem Wohl der Familie und des Staates am besten dienen wird, hiermit zu einem Bunde zusammen.“ Damit scheint bereits in der Satzung des ältesten internationalen Frauenvereins das Spannungsverhältnis zwischen Nationalismus und Internationalismus auf. Die Frauen schlossen sich über nationale Grenzen hinweg zusammen, um dem Wohl der Menschheit im Allgemeinen und dem Wohl der Familie und dem (eigenen) Staat im Besonderen zu dienen. Um dieses Ziel zu erreichen, bot der ICW den unterschiedlichsten Frauenorganisationen ein gemeinsames Dach.

Diese Harmonisierungspolitik konnte jedoch nicht verhindern, dass bereits 1904 während des Kongresses des ICW in Berlin ein neuer internationaler Frauenverband gegründet wurde, der sich eindeutig und ohne Abstriche zum Frauenwahlrecht bekannte. Die International Women Suffrage Alliance wurde aus der Taufe gehoben. Zur Vorsitzenden der IAW wurde Carrie Chapman Catt (1859–1947), die Präsidentin der U.S. National American Woman Suffrage Association, gewählt, die bis 1923 im Amt blieb.

Mit dieser Gründung wurde die internationale Bewegung gespalten. Denn der IAW, der sich aus nationalen Stimmrechtsverbänden zusammensetzte, beschränkte sich in seiner Arbeit nicht auf das Thema Frauenwahlrecht. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als die Anzahl der Staaten, in denen Frauen wählen konnten, zugenommen hatte, kam es zu einer Identitätskrise im IAW. Zwei getrennte internationale Organisationen schienen keinen Sinn mehr zu machen, sodass sich in den 1920er- und 1930er-Jahren viele, unter anderem auch die BDF-Führung, um einen Zusammenschluss von IAW und ICW bemühten.

Die dritte Organisation, die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF), entstand wiederum als eine Abspaltung von der IAW. Nachdem es innerhalb der IAW über den Vorschlag, nach dem Kriegsausbruch 1914 noch im selben Jahr eine Friedenskonferenz einzuberufen, zu Kontroversen gekommen war, wurde auf dem Frauenfriedenskongress in Den Haag 1915 der Internationale Frauenausschuss für dauernden Frieden gegründet, der 1919 in Women’s International League for Peace and Freedom umbenannt wurde (deutsch: Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, IFFF). Die WILPF hatte ihren Sitz wie der Völkerbund in Genf und versuchte, den bürokratischen und den organisatorischen Aufwand zu begrenzen. Man arbeitete in kleinen Gruppen, Treffen auf internationaler oder nationaler Ebene wurden nicht nach einem festgelegten Rhythmus, sondern jeweils nach Bedarf anberaumt. Die WILPF setzte sich in erster Linie für friedliche Lösungen bei weltweiten Konflikten ein, erst an zweiter Stelle stand das Engagement für die Gleichberechtigung der Frau. Im deutschen Zweig der WILPF waren an führender Stelle Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann engagiert.

Obgleich jede Frau Mitglied in diesen internationalen Organisationen werden konnte, gehörten ihnen, wie Leila J. Rupp gezeigt hat, in der Mehrzahl weiße, gebildete und protestantische Frauen an, die zum größten Teil aus Europa stammten. Um an den internationalen Tagungen teilnehmen zu können, mussten die Frauen über Vermögen und Sprachkenntnisse verfügen oder so bekannt sein, dass ihre Reisen von den Vereinen oder anderen Sponsoren finanziert wurden. Da in den internationalen Organisationen Englisch, Französisch und Deutsch gesprochen und geschrieben wurde, kamen die führenden Frauen überwiegend aus West- und Nordeuropa sowie Nordamerika.

Von vielen internationalen Frauengruppen arbeiteten diejenigen mit den drei genannten Organisationen gut zusammen, deren Mitgliederstruktur ähnlich war. So engagierten sich Berufsverbände wie der Internationale Verband der Akademikerinnen und der Internationale Verband der Berufs- und Geschäftsfrauen nicht nur für ihre eigenen Interessen, sondern ebenso auch für übergeordnete Zieleim ICW,IAWoder im WILPF. Die 1919 gegründete fächer-, berufs- und generationenübergreifende International Federation of University Women (IFUW) forderte z.B. nicht nur weltweit den Zugang von Frauen zu Hochschule und Wissenschaft, sondern auch die Sicherung des Friedens.

Wie auf nationaler Ebene blieben auch im internationalen Rahmen die Sozialistinnen separat organisiert. Clara Zetkin achtete darauf, dass die von ihr 1907 mitgegründete Sozialistische Fraueninternationale (International Socialist Women’s Committee) nicht über die politischen Grenzen hinweg mit anderen Frauenvereinen zusammenarbeitete. Trotz der offiziellen Abwehr kam es aber auch auf internationaler Ebene zur Zusammenarbeit zwischen Sozialistinnen und Frauen anderer politischer Lager. Auf deutscher Seite arbeitete beispielsweise die sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Adele Schreiber Krieger (1872–1957) im ICW mit.

Die konfessionellen Frauenverbände, die sich auch international vernetzten, arbeiteten mit dem ICW, IAW und WILPF zusammen, lediglich die International Union of Catholic Women’s League ging offiziell zu den anderen internationalen Frauenverbänden auf Distanz. Dennoch bestanden auch hier Kontakte zwischen der Internationalen Vereinigung der Katholischen Frauenligen und den anderen internationalen Verbänden. Die jüdischen Frauenvereine gründeten 1912 in Rom den International Council of Jewish Women.

2. Das internationale Engagement der deutschen Frauenbewegung bis 1914

Die internationalen Kontakte der deutschen Frauenbewegung sind bislang nur bruchstückhaft erforscht. Um sie genauer darstellen zu können, fehlen noch Arbeiten, die Kontakte und Korrespondenzen zwischen den einzelnen Organisationen und Vertreterinnen der Frauenbewegungen untersuchen, wie das Anja Schüler am Beispiel des transatlantischen Dialogs zwischen Jane Addams und Alice Salomon getan hat. Aufgrund der Forschungslage sind auch die vorschnell getroffenen Beurteilungen über nationale und internationale Orientierungen der einzelnen Verbände und Personen innerhalb der Frauenbewegung nur mit Vorsicht zu genießen. Deshalb können die internationalen Beziehungen der deutschen Frauenbewegung hier nur grob skizziert werden und erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Nicht nur die Gründung des Dachverbandes der deutschen Frauenbewegung wurde in den USA angeregt. Die deutsche Frauenbewegung stand von Beginn an im Zeichen eines internationalen Austausches. Zunächst wurden Texte aus dem Ausland, die sich mit der Stellung der Frau befassten, ins Deutsche übersetzt und diskutiert. Man korrespondierte mit den Autorinnen, veröffentlichte und kommentierte diese Schriften. Bald folgten Reisen ins Ausland, wo beispielsweise Helene Lange in England die Colleges für Frauen besuchte, um Anregungen für die Reform der deutschen Mädchenbildung zu gewinnen. Der BDF bemühte sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges intensiv, die internationalen Kontakte auszubauen. Daneben knüpften auch viele Frauen private Kontakte, die bei gegenseitigen Besuchen und durch häufiges Korrespondieren vertieft wurden. Mit der langjährigen Präsidentin des ICW, der Sozialreformerin und schottischen Aristokratin Ishbel Maria Aberdeen (1857–1939), die den Vorsitz des ICW von 1893 bis 1936, mit zwei kurzen Pausen zwischen 1899 und 1904 und zwischen 1920 und 1922 innehatte, war Helene Lange zum Beispiel bereits seit 1888 bekannt.

Internationale Frauenkongresse in Berlin

Drei große internationale Frauenkongresse fanden 1896, 1904 und 1912 nicht zuletzt deshalb in Berlin statt, weil die deutsche Frauenbewegung aus internationaler Sicht zur Avantgarde zählte. Spätestens seit den 1880er-Jahren bestanden auch Kontakte auf institutioneller Ebene. Bereits 1888 war der ADF nach Washington zum Gründungskongress des ICW eingeladen worden. Lange hatte damals noch unter Hinweis auf die schwierigen Bedingungen der deutschen Frauenbewegung die Einladung abgelehnt und um Verständnis dafür gebeten, da im Kaiserreich „international“ gern als „antinational“ denunziert wurde. Schon seit der Gründung ihrer überregionalen Vereine stand also die deutsche Frauenbewegung im Spannungsverhältnis zwischen Nationalismus und Internationalismus. Dennoch intensivierten die Deutschen bis zum Ersten Weltkrieg ihre internationalen Kontakte, führten ausgedehnte Korrespondenzen und nahmen an internationalen Kongressen teil. Lange war seit 1897 Mitglied im engeren Vorstand des ICW. 1904 nahmen alle führenden Vertreterinnen der deutschen Frauenbewegung am Kongress des ICW in Berlin teil. Bis 1904 war die deutsche Frauenbewegung durch den BDF weitgehend geschlossen im ICW vertreten. Nach der Gründung der IAW 1904 schlossen sich verschiedene deutsche Frauenstimmrechtsvereine direkt der IAW an.

3. Der Abbruch der internationalen Beziehungen im Ersten Weltkrieg

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte in der deutschen Frauenbewegung zur Bildung neuer Allianzen mit vorwiegend nationaler Ausrichtung. Die nationale Solidarität hatte für die führenden Vertreterinnen des BDF absolute Priorität, aber auch bei den übrigen Mitgliedern wog die nationale Gesinnung meist schwerer als die internationale Loyalität.

Die Spaltung der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung in eine national orientierte Mehrheit und eine international gesinnte Minderheit wurde 1915 mit der Gründung der WILPF offenbar. Marie Stritt, die Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht, lehnte im September 1914 die Abhaltung der geplanten Tagung des IAW in Berlin wegen des Kriegsausbruchs ab. Auch die Präsidentin des IAW, Carry Chapman Catt, wollte den internationalen Kongress nicht während des Krieges ausrichten. Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann halfen daraufhin 1915 der Vorsitzenden des holländischen Stimmrechtsverbands, Aletta Jacobs (1854–1929), bei der Vorbereitung einer internationalen Frauen-Friedenskonferenz in den neutralen Niederlanden. Dieser Kongress, der von etwa 1200 Delegierten besucht wurde, kam ohne die offizielle Beteiligung des IAW und seiner Präsidentin in Den Haag zustande. Er wollte ein Bekenntnis gegen den Krieg und praktische Vorschläge zur friedlichen Verständigung vorlegen.

Eine Teilnahme an diesem Friedenskongress lehnte der BDF aus nationalen Erwägungen strikt ab. Diese Haltung der deutschen Frauenbewegung stieß auch im Ausland durchaus auf Verständnis, da dort die Prioritätensetzung bei der Abwägung zwischen nationalen Interessen und internationalen Aktivitäten weitgehend nachvollzogen werden konnte. So äußerte Lady Ishbel Aberdeen, die Vorsitzende des ICW, 1915 gegenüber Gertrud Bäumer, dass sie die Unterbrechung der gemeinsamen Arbeit zwar bedauere, aber angesichts der Lage akzeptiere.

In der aufgeheizten Stimmung des Ersten Weltkrieges, in dem jeder Staat den Krieg vor der eigenen Bevölkerung Tag für Tag propagandistisch rechtfertigte, während die Kriegsschuld ausschließlich den Gegnern zugewiesen wurde, entschloss sich der internationale Frauenkongress 1915 in Den Haag zu einem Friedensaufruf.

Quelle

Friedensaufruf

Internationales Frauenkomitee für dauernden Frieden (Hg.): Internationaler Frauenkongreß im Haag, Kongreßbericht 1915, Amsterdam 1915, S. 46f.

Wir erklären feierlich jeder Neigung zu Feindschaft und Rache zu widerstehen, dagegen alles Mögliche zu tun, um gegenseitiges Verständnis und guten Willen zwischen den Völkern herzustellen und für die Wiederversöhnung der Völker zu wirken. Wir erklären: der Lehrsatz, Kriege seien nicht zu vermeiden, ist sowohl eine Verneinung der Souveränität des Verstandes, als ein Verrat der tiefsten Triebe des menschlichen Herzens. … Der Internationale Frauenkongreß protestiert gegen die Auffassung, daß Frauen unter einer modernen Kriegsführung geschützt werden können. Er protestiert aufs Entschiedenste gegen das furchtbare Unrecht, dem Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind, und besonders gegen die entsetzlichen Vergewaltigungen von Frauen, welche die Begleiterscheinung jedes Krieges sind. Dieser Internationale Frauenkongreß fordert, daß im Interesse dauernden Friedens und der Civilisation die Konferenz zur Feststellung der Friedensbedingungen nach dem Kriege eine Resolution annehmen soll, welche die Notwendigkeit der politischen Gleichberechtigung der Frauen für alle Länder betont.

Dieser Friedensaufruf sollte die Frauen europaweit mobilisieren. Er verhallte in Deutschland jedoch weitgehend ungehört. Der Pazifismus wurde im Deutschen Reich marginalisiert und diffamiert, der Mehrheit der Frauen standen die nationalen Belange näher als internationale Friedensaufrufe. Die Teilnehmerinnen des Haager Friedenskongresses gerieten in das Visier der deutschen Staatsgewalt und wurden ebenso wie die Sozialistinnen überwacht.

4. Die Wiederaufnahme der internationalen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg endete nicht nur mit der Niederlage der Deutschen und veränderte die Landkarte Europas entscheidend, sondern brachte mit der Erlangung des Frauenwahlrechts in vielen der in der Stimmrechtsfrage führenden Länder auch eine Umorientierung der drei großen internationalen Frauenorganisationen. Das Hauptziel des IAW schien weitgehend erreicht. Auf einem in Genf 1920 veranstalteten Kongress wurde beschlossen, dass sich der Verband nun auf die Weltregionen außerhalb Nordamerikas und Europas konzentrieren sollte, um dort das Frauenstimmrecht durchzusetzen. 1926 wurde der IAW in International Alliance of Women for Suffrage and Equal Citizenship umbenannt, da man erkannte, dass der Erhalt des Frauenstimmrechts noch lange nicht die Chancengleichheit für Frauen in der Gesellschaft garantierte. Da sich der Deutsche Reichsverband für Frauenstimmrecht nach Einführung des Frauenwahlrechts 1919 aufgelöst hatte, übernahm 1923 der ADF die deutsche Vertretung im IAW. Zwischen IAW und dem ICW kam es wegen der zunehmenden Themenüberschneidung zu einer Annäherung, es fanden häufig gemeinsame Treffen statt. Zur besseren Vertretung im Völkerbund wurde schließlich ein gemeinsamer Ausschuss für internationale Frauenorganisationen gegründet. Obwohl in der Zwischenkriegszeit immer wieder die Fusion von ICW und IAW diskutiert wurde, kam es nicht dazu.

Die Frauenbewegung in Deutschland stand wie die Mehrheit der Bevölkerung zunächst unter dem Schock der Niederlage. Man ahnte, dass die Friedensbedingungen hart ausfallen könnten, und hoffte auf Wilsons 14-Punkte-Programm und den Völkerbund. Zu Beginn der Pariser Friedenskonferenz wurde in „Die Frau“auf den neu eingerichteten und von Alice Salomon geleiteten Frauenausschuss der Liga für Völkerbund hingewiesen, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, „in weiteste Frauenkreise Verständnis für den Völkerbundgedanken zu tragen“. Selma Stern (1890–1980) schrieb für das Märzheft 1919 dieser Zeitschrift einen Beitrag über den Völkerbund, in dem die Hoffnung anklang, der Völkerbund könne die „Erlösung aus den Leiden dieses Krieges“ bringen und die nationalen Egoismen überwinden helfen. Der Versailler Vertrag wurde von der deutschen Frauenbewegung als demütigend und ungerecht empfunden, eine Wiederaufnahme der internationalen Arbeit schien unter diesen Bedingungen der Führung des BDF zunächst unmöglich. Schon im Mai 1919 mahnte ein in Zürich abgehaltener internationaler Frauenkongress an, dass der Versailler Vertrag den Grundsätzen der Völkerversöhnung widerspräche.

Quelle

Kritik am Versailler Vertrag

aus: Die Frauenbewegung 25 (1919), S. 75f.

Der Internationale Frauenkongreß spricht sein tiefes Bedauern darüber aus, daß die in Versailles vorgeschlagenen Friedensbedingungen so schwer die Grundsätze vergewaltigen, durch welche allein ein gerechter und dauernder Friede gesichert werden kann, und welche von den Demokratien der Welt angenommen worden waren. Indem die Friedensbedingungen dem Sieger die Ernte aus ihren Geheimverträgen garantieren, erkennen sie stillschweigend die Geheimdiplomatie an, verleugnen das Prinzip der Selbstbestimmung, erkennen sie das Recht des Siegers auf die Kriegsbeute an und schaffen für ganz Europa Mißstimmung und Feindseligkeit, die nur zu weiteren Kriegen führen können. Das Verlangen der Abrüstung nur für einen Teil der Kriegführenden, bedeutet eine Vergewaltigung des Rechtes und die Fortsetzung der Gewaltherrschaft.

Die finanziellen und wirtschaftlichen Friedensbedingungen verdammen eine Generationvon hundert Millionen Menschen im Herzen Europas zur Verzweiflung, Verseuchung und Verelendung, die in Haß und Anarchie in jedem Volk ausarten müssen.

Die Frauenvereine in Deutschland, die in Übereinstimmung mit der deutschen Regierung die Revision des Versailler Vertrages forderten, begrüßten diese Resolution, bot sie doch die Möglichkeit einer Wiederannäherung an die internationalen Frauenorganisationen. Der BDF, dessen graue Eminenz auch nach 1919 weiterhin Gertrud Bäumer blieb, betrieb eine regierungsnahe Politik. Der „Geist von Locarno“, der die europäische Politik für ein paar Jahre bestimmen sollte, wurde auch vom BDF unterstützt. 1928 wurde Bäumer vom Reichsministerium des Innern als Delegierte für die Kommission für soziale und humanitäre Fragen des Völkerbundes benannt. Durch ihr Engagement im Völkerbund versuchte sie eine Revision der Friedensschlüsse voranzutreiben. Gertrud Bäumer und mit ihr der BDF wurden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Existenz der Friedensschlüsse von Versailles dem ideellen Sinn des Völkerbundes entgegenstünde. In Bäumers pro-europäischen Schriften und Völkerbundberichten mangelte es nicht an Aufrufen zur Völkerverständigung, doch immer steckte eine gehörige Portion Distanz und Skepsis in ihnen. Nie fehlte bei ihr der Hinweis auf die „Einseitigkeiten“, die sich aus dem verspäteten Eintritt Deutschlands in den Völkerbund und derdadurch bedingten Dominanz Frankreichs ergaben.

Seit 1922 war der BDF wieder auf internationaler Ebene vertreten und nahm an den Kongressen des ICW und IAW teil. Im ICW, IAW und im WILPF waren die Deutschen seitdem bis 1934 meist jeweils mit zwei Personen in den Vorständen vertreten (s. Rupp, S. 64–67). Alice Salomon war seit 1920 Vizepräsidentin des ICW, Gertrud Bäumer gehörte von 1921 bis 1928 dem Gesamtvorstand des ICW an und war im BDF-Ausschuss für die internationalen Beziehungen bis 1932 aktiv. Als 1929 eine neue Vorsitzende für den ICW gesucht wurde, war das Ansehen Deutschlands und der deutschen Frauenvereine in den internationalen Organisationen wieder so weit hergestellt, dass Bäumer als potenzielle Vorsitzende ins Gespräch gebracht wurde.

ICW-Kongress 1920 in Kristiania (Oslo)

Trotz gegenseitiger Bezeugungen des guten Willens hatte der BDF 1920 noch die Teilnahme an der ersten internationalen Konferenz des ICW nach dem Krieg in Kristiania (Oslo) verweigert. Mit seinem Fernbleiben protestierte der BDF gegen die Friedensbedingungen des Vertrags von Versailles und knüpfte seine künftige Mitarbeit an eine Verurteilung der Versailler Verträge vonseiten des ICW. Der engere Vorstand des BDF hatte sogar kurzzeitig erwogen, bis zum Beitritt Deutschlands in den Völkerbund aus dem ICW auszuscheiden. Doch da der BDF beanspruchte, die deutschen Frauen zu vertreten, wollte er das Feld nicht anderen Organisationen wie den Sozialdemokratinnen und dem WILPF überlassen.

Alice Salomon, die Schriftführerin im ICW war, trat wegen der Nichtteilnahme des BDF an der Tagung in Kristiania aus dem engeren Vorstand des BDF zurück. In Abwesenheit wurde sie in Kristiania zur Vizepräsidentin des ICW gewählt. Der ICW nahm auf der Konferenz auch eine Resolution an, in der die Erweiterung des Völkerbundes gefordert wurde. Nach diesem außenpolitischen Erfolg ersuchte die BDF-Vorsitzende Marianne Weber den Gesamtvorstand des BDF um Zustimmung zur Wahl Alice Salomons zur Vizepräsidentin des ICW, da Alice Salomon den Posten nicht ohne Billigung des BDF annehmen wollte. Während die geplante Reise Salomons nach Kristiania vom BDF noch scharf verurteilt worden war, wurde Salomon nun zur Annahme der Wahl aufgefordert. Salomons Rückkehr in den ICW-Vorstand ebnete dem BDF den Weg zurück auf die internationale Bühne.

ICW-Kongress 1922 in Den Haag

1922 sandte der BDF eine Delegation zur ICW-Tagung in Den Haag. Auf dieser Konferenz wies Gertrud Bäumer darauf hin, dass die deutsche Frauenbewegung trotz ihres Fernbleibens 1920 immer an der internationalen Zusammenarbeit festhalten wollte. Dies sei ihr ohne eine Verurteilung des Versailler Vertrages durch den ICW jedoch nicht möglich gewesen. Auch in der IAW erfolgte die Annäherung verzögert. Denn seit dem Ende des Weltkrieges fehlte der IAW eine deutsche Nationalvertretung, da sich der Reichsverband für Frauenstimmrecht 1919 aufgelöst hatte. Erst anlässlich des Kongresses in Rom 1923 bemühte sich die IAW um die Neugründung eines deutschen Zweiges, für die schließlich der ADF gewonnen werden konnte.

ICW-Kongress 1925 in Washington und ICW-Kongress 1926 in Paris

Auf der Generalversammlung des ICW in Washington 1925 waren die Deutschen trotz Inflation mit einer großen Delegation vertreten. Emma Ender, die damalige Vorsitzende des BDF, hob in ihrem Bericht über die Tagung das internationale Interesse an der deutschen Delegation hervor. 1926 sollte schließlich Bäumer symbolisch die Versöhnung mit Frankreich besiegeln, als sie auf der zehnten Generalversammlung der IAW in Paris zur Völkerfreundschaft und Versöhnung aufrief und eine Französin spontan mit einer Umarmung und einem Kuss für die Rednerin reagierte. Diese deutsch-französische Annäherung wurde in der französischen Presse ausführlich gewürdigt und auch von der deutschen Gesandtschaft mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Drei Jahre später feierte die IAW ihr 25-jähriges Bestehen mit einer Tagung an ihrem Gründungsort Berlin. An dieser elften Generalversammlung der IAW nahm Gertrud Bäumer als offizielle Vertreterin des Reichsministeriums des Innern teil. Die Tagung der IAW war der erste große internationale Kongress in Deutschland seit dem Krieg und wurde dementsprechend von der Stadt Berlin und der Regierung kräftig unterstützt.

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Abb.9 Treffen des ICW-Vorstands in Kopenhagen 1924 Stehend (von links): Alice Salomon, Anne Backer, Elsie Zimmern, Henni Forchhammer, Maria Ogilvie Gordon; Sitzend (von links): Sophia Sanford, Lady Aberdeen, Adrienne Avril de Sainte-Croix (Éliane Gubin, Leen van Molle (Hg.): Women Changing the World. A History of the International Council of Women 1838–1988, Brüssel 2005, S. 46)

ICW-Kongress 1930 in Wien

Auf der Generalversammlung der ICW 1930 in Wien war der BDF wiederum prominent vertreten. Gertrud Bäumer hielt eine viel beachtete Rede zum Thema Frauen und Völkerverständigung, Alice Salomon warb in der extra anberaumten Jugendversammlung unter den jüngeren Teilnehmerinnen für ein Engagement in der Frauenbewegung. 1932 weist das letzte Jahrbuch des BDF nach, dass im ICW neben Alice Salomon als Vizepräsidentin und Agnes von Zahn-Harnack, die als BDF-Vorsitzende qua Amt einen Sitz im Gesamtvorstand des ICW innehatte, 14 weitere Deutsche als Vertreterinnen des BDF in den ständigen Ausschüssen des ICW mitarbeiteten.

WILPF-Abrüstungskonferenz in Genf 1932

Auch an der von der WILPF 1932 initiierten Abrüstungskonferenz in Genf nahm der BDF teil. Selbst mit diesem, vom BDF wegen seiner Gründungsgeschichte wenig geschätzten Verband, arbeitete man angesichts der bedrohlichen innenpolitischen Lage zusammen, nachdem der WILPF nach 1919 ebenfalls für eine Revision des Versailler Vertrages eingetreten war.

Bäumer spielte während der Weimarer Republik in ihrer Mehrfachfunktion als Vertreterin der Frauenbewegung, als Reichsministerialrätin, als Reichstagsabgeordnete und stellvertretende DDP-Vorsitzende eine entscheidende Rolle für die nationale Orientierung des BDF und die Ablehnung pazifistischer Positionen. Ihre Strategie, nationale Politik durch internationale Arbeit zu betreiben, trug sie auch in den Völkerbund hinein. Als Ministerialrätin im Reichsministerium des Innern stand sie voll hinter der Außenpolitik Gustav Stresemanns und betonte in den 1920er-Jahren den internationalen Charakter der Frauenbewegung. Stresemann (1878–1929) brachte für die Frauenbewegung jedoch keine große Wertschätzung auf. Die geringe Beteiligung der deutschen Frauen im Völkerbund lag nicht an einem Desinteresse des BDF oder an einem Mangel an geeigneten Kräften, sondern an der ablehnenden Haltung der deutschen Regierung gegenüber Frauen.

Die deutsche Frauenbewegung entwickelte sich in enger Beziehung zur internationalen, mit Ausnahme der Kriegsjahre, die für die internationale Bewegung insgesamt einen Rückschlag mit sich brachte. Mit dem Abbruch der offiziellen internationalen Beziehungen während des Weltkrieges nahm die deutsche Frauenbewegung keine Außenseiterposition ein, sondern unterstrich damit, wie die Frauenorganisationen der anderen am Krieg beteiligten Staaten auch, ihre nationale Loyalität.

Auf einen Blick

Die in den USA gestartete Initiative für eine internationale Vernetzung der Frauenbewegung erreichte Deutschland früh und führte am Ende des 19. Jahrhunderts zu vielfältigen internationalen Kontakten des BDF und anderer Frauenvereine. Den regen Austausch von Ideen und Konzepten auf internationaler Ebene belegen Korrespondenzen sowie zahlreiche Publikationen und Übersetzungen in den Frauenzeitschriften. In Deutschland geriet die Frauenbewegung durch dieses internationale Engagement in den Verdacht, „antinational“ eingestellt zu sein. Deshalb stand die deutsche Frauenbewegung seit der Gründung ihrer überregionalen Verbände im Spannungsverhältnis von Nationalismus und Internationalismus. Im Ersten Weltkrieg ruhten die internationalen Beziehungen weitgehend, nur eine kleine Gruppe von Frauen hielt daran fest. 1920 verweigerte der BDF aus Protest gegen den Versailler Vertrag noch die Teilnahme an dem ICW Kongress in Kristiania (Oslo) und nahm erst an den ICW-Tagungen in Den Haag (1922), Washington (1925) und Paris (1926) teil. Obwohl nach dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund (1926) qualifizierte Frauen für die Mitarbeit in dieser Organisation bereitstanden, entsandte Gustav Stresemann nur wenige Frauen in die Kommissionen des Völkerbundes.

Literaturhinweise

Internationaler Frauenkongreß im Haag, Kongreßbericht 1915. Hg. v. Internationalen Frauenkomitee für dauernden Frieden, Amsterdam 1915. Wichtige Quelle, in der die Ergebnisse und Forderungen des Internationalen Frauenkongresses publiziert wurden.

Christine von Oertzen: Strategie Verständigung. Zur transnationalen Vernetzung von Akademikerinnen 1917–1955, Göttingen 2012. Mit der 1919 gegründeten International Federation of University Women (IFUW) werden Anfänge und Entwicklung der weltweiten Organisation von Akademikerinnen untersucht. 1926 trat der Deutsche Akademikerinnenbund (DAB) der IFUW bei und konnte dabei an die internationalen Verbindungen der deutschen Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg anknüpfen.

Sylvia Paletschek, Bianka Pietrow-Ennker (Hg.): Women’s Emancipation Movements in the 19th Century. A European Perspective, Stanford 2004. Hier werden die Aktivitäten und Erfolge der Emanzipationsbewegungen von den Niederlanden bis ins Russische Reich untersucht, die transnationalen Diskussionen über die Reform der Geschlechterbeziehungen aufgezeigt und festgestellt, dass die Frauenbewegungen einen großen Anteil am sozialen und kulturellen Wandel hatten.

Leila J. Rupp: Worlds of Women. The Making of an International Women’s Movement, Princeton, N. J. 1997. Immer noch grundlegendes Werk zum Aufbau der drei ältesten Organisationen der internationalen Frauenbewegung, des International Council of Women (ICW), der International Alliance of Women (IAW) und der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF).

Anja Schüler: Frauenbewegung und soziale Reform. Jane Addams und Alice Salomon im transatlantischen Dialog, 1889–1933, Stuttgart 2004. Am Beispiel zweier bekannter Aktivistinnen der Frauenbewegung wird der Austausch von Ideen zu sozialen Reformprojekten untersucht. Die Studie zeigt, dass in Deutschland wie in den USA kontextabhängig Gleichheits- und Differenzargumente eingesetzt wurden und die Sozialreformerinnen wichtige Impulse für die Etablierung des Wohlfahrtsstaates gaben.