22.

Bum-Bum-Bum!

Ich lag in den Dünen und schaute der untergehenden Sonne zu. Das geschah lautlos. Um mich herum kein Mensch. Eine leichte Brise streichelte mein Gesicht. Meine Kehle wurde eng, weil es so wunderschön war und weil ich allein war. Allein mit diesem Zauber aus Farben und Stille.

Und dann auf einmal wieder: Bum-Bum-Bum!

Ich schreckte aus meinem Traum hoch. Klopfen an der Tür, ziemlich heftig. Gegen vier war ich erst ins Bett gekommen, jetzt war es …? Beim Aufstehen sah ich aufs Handy: kurz nach zehn.

»Lisa, mach auf!«, tönte es jetzt vom Flur her.

Mutti … So früh? Mürrisch öffnete ich ihr.

»Hast du so fest geschlafen?«

»Ja.«

»Wohl spät geworden gestern.«

»Nein.«

»Sei nicht so sprechfaul!«

»Kaffee?«

»Mit dir trinke ich noch einen, aber ich habe nicht viel Zeit.«

Während ich die Maschine befüllte, hörte ich meiner Mutter zu.

»Mein Nachbar hat angerufen. In der Wohnung hat es einen Wasserrohrbruch gegeben, ich muss dringend nach Hause.«

Sie hatte eine Eigentumswohnung, hart erspart und stilvoll eingerichtet. Das musste eine Horrornachricht für sie sein.

»Wie schrecklich«, sagte ich. »Wie groß ist denn der Schaden? Steht alles unter Wasser?«

»So genau weiß ich das noch nicht.« Mit Kummerfalten auf der Stirn sah sie mich an. »Da will ich einmal ein paar Tage weg, und dann so was.«

»Ja.«

Ich stellte zwei Tassen auf den Küchentisch. Wenn es nicht gerade dieser schauderhafte Grund wäre, warum sie heimfuhr, hätte ich ansonsten gar nichts dagegen. Böse Gedanken, böse Tochter.

»Und du?«, fragte sie. »Hast du es dir vielleicht schon überlegt?«

»Was?«

»Ob du nicht zurückkommen willst. Vielleicht gleich jetzt mit mir. Ich könnte Unterstützung gebrauchen.«

Während ich uns Kaffee eingoss, suchte ich nach einer diplomatischen Antwort.

»So Hals über Kopf geht das nicht. In einer Woche sind die Bruns weg, ich habe dir ja davon erzählt. Da werde ich hier gebraucht.«

»Eigentlich habe ich nichts anderes erwartet.«

Ich merkte ihr die Enttäuschung an. Als sie mich zum Abschied unten bei ihrem Auto umarmte, fühlte ich mein Gewissen, aber auch Erleichterung. Ohne sie würde alles weniger stressig hier.

»Ach, warte mal.« Sie öffnete den Kofferraum, holte ein Päckchen heraus. »Das ist völlig untergegangen an deinem Geburtstag.« Sie reichte es mir mit Tränen in den Augen.

 

Nachdem ich mir ein Toastbrot mit Käse einverleibt und das Geschenk ausgepackt hatte – ein aquamarinblauer Badeanzug mit einem weißen Seepferdchen drauf – suchte ich den Stall auf, in dem Pauline stand. Bis auf sie und Monty waren alle anderen Pferde draußen. Die Stute schaute mir schon wieder recht munter entgegen und suchte meine Hände und die Hosentaschen nach etwas Fressbarem ab, kaum dass ich die Boxentür geöffnet hatte.

»Wahrscheinlich bist du auf Nulldiät und hast einen Mordshunger«, sagte ich. »Aber spätestens heute Nachmittag kriegst du sicher was.«

»Was machen Sie denn da?«, hörte ich hinter mir jemanden rufen und erschrak, obwohl es nicht Wiebkes Stimme war. Die rotkrause Leoni kam vom Tor her näher. »Entschuldigung, ich hab Sie nicht erkannt von Weitem und von hinten.«

»Ich wollte nur mal schauen, wie es ihr geht.«

»Morgen darf sie wieder ins Gras, sagt Krischan.« Leoni war jetzt neben mir und klopfte der Stute den Hals.

»Ist Krischan da?«

»Nee, der ist nach Keitum zum Ringreiten.«

»Macht er dabei mit?«

»Er nicht, aber doch Herr Bruns, der war im letzten Jahr König. Ich fahr nachher auch noch hin.«

Klang nach Schützenfest. Schützenfest zu Pferd? Und was hatte das mit dem Ring auf sich? Hätte der Rohrbruch nicht einen Tag eher passieren können? Dann wäre meine Mutter gestern schon abgereist und ich mit Kristian jetzt in Keitum auf dem Fest.

Wir verließen zusammen den Stall, Leoni schwang sich auf ihr Rad und fuhr nach einem »Tschüss!« zum Hoftor hinaus. Anscheinend war dieses Ringreiter-Ding ein Ereignis, das sämtliche Hofinsassen aufsaugte. Und ich? Sollte ich auch nach Keitum fahren? Mir widerstrebte es, allein dort aufzukreuzen. Also setzte ich mich auf die Hausbank und rief meinen Schutzengel Henning an.

»Carsten und ich sind auf dem Festland bei Tante Stine. Geht leider nicht, Sweeti.«

So viel zu Schutzengeln und freien Sonntagen.

Also doch alleine? Nein, einen Versuch startete ich noch, eine SMS an Piet. Seine Antwort kam innerhalb von Minuten: Hole dich in einer Viertelstunde ab.

Na also, geht doch!

 

»Und warum hat das Pferd einen Blumenkranz auf dem Kopf?«

Ich stand neben Piet auf der mit Fahnen geschmückten Festwiese und betrachtete den Schimmel mit Hauke Bruns im Sattel. Letzterer trug eine Art Uniform, statt eines Helms eine Schiffermütze und in der Hand eine ellenlange Stange, die eine Lanze darstellte, wie mir Piet erklärt hatte.

»Die Kränze dürfen nur die Pferde von denen aufhaben, die schon mal König geworden sind.«

Alle Reiter waren gleich gekleidet, Frauen gab es nicht. Dann ging es los. Am Ende einer abgesteckten Bahn war an einem Band zwischen zwei Stangen der »Galgen« aufgehängt, ein Magnet, an dem ein Messingring baumelte. Durch diesen sollten die Reiter ihre Lanze stechen und ihn damit herunterholen. Im vollen Galopp. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie jemals einer die kleine Öffnung treffen sollte. Und klar, klappte auch nicht. Über Lautsprecher wurde durchgegeben, dass Uwe Weirup leider nicht getroffen habe. Der Nächste rückte an den Start.

Eine Menge Zuschauer hatte sich eingefunden, Einheimische und Urlaubsgäste. Piet und ich standen ganz vorn und hatten einen guten Blick auf das Geschehen.

»Warst du gestern auch beim Umzug?«, fragte er.

»Was für ein Umzug?«

»Na, den mit den Ringreitern. Der geht durch Wenningstedt und Westerland und endet mit einem Galopp am Watt entlang. Das macht nur noch der Keitumer Verein, die anderen nicht mehr.«

»Ach, es gibt mehrere?«

»Klar. Du kannst noch viele Turniere mit mir besuchen, wenn du möchtest.« Er zwinkerte mir zu.

Jetzt war Hauke Bruns an der Reihe. Der große Sultan galoppierte in mächtigen Sprüngen auf den Galgen zu. Die Lanze in der Rechten des Reiters stieß in Richtung Ring und – Treffer!

Unglaublich. Alles klatschte und johlte. Inmitten des Jubels entdeckte ich auf einmal auf der anderen Seite Kristian und Wiebke unter den Zuschauern. Seine Ersatzbegleitung statt meiner, dachte ich und versuchte, nicht enttäuscht zu sein. War es aber dennoch.

»Jetzt guck!« Piet stieß mich an. »Der Hein ist starke Konkurrenz für Hauke.«

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Ringreiten zu.

Nachdem alle Vereinsreiter die angehängte Ringgröße geschafft oder nicht geschafft hatten, gab es vor dem nächsten Durchlauf eine Pause. Bei dem würde der Ring wieder ein gutes Stück kleiner sein, nicht viel größer als ein Ehering, wusste ich von Piet. Wir gingen hinüber zum Getränkestand, und ich ließ mich von ihm zu einer Apfelschorle einladen.

Es dauerte keine drei Schlucke, bis Kristian bei uns auftauchte.

»Hat deine Mutter dir doch noch freigegeben?«, fragte er mich nach der üblichen Moin-Begrüßung, die nicht nur mir und Piet galt, sondern auch ein paar anderen am Stand.

»Sie musste heimfahren. Hat einen schlimmen Wasserschaden in ihrer Wohnung.«

»Aha.«

»Land unter?«, feixte Piet. »Dabei seid ihr doch gar nicht anner Küste.«

Ich lachte ein bisschen mit. Kristian nicht. Er schaute mit seinem Bier in der Hand finster in die Gegend.

»Vorhin war ich kurz bei Pauline«, sagte ich. »Die ist schon wieder ziemlich munter. Hat wohl alles gut überstanden.«

»Hat sie.«

Mh. War heute sein wortkarger Tag? Er hatte das ja manchmal. Bei der Arbeit im Stall hielt ich mich dann einfach zurück, und am nächsten Tag oder auch nach nur ein paar Stunden war es vorbei. Aber heute, bei solch einem Fest? Warum war er überhaupt zu Piet und mir herübergekommen, wenn er so schlecht drauf war?

Die Kapelle fing an zu spielen, und ich brauchte vorerst nicht nach neuem Gesprächsstoff zu suchen, um ihn vielleicht doch noch aus der Reserve zu locken. An meinem Strohhalm nuckelnd schaute auch ich jetzt in die Gegend, und wen sah ich schnurstracks auf uns zukommen?

Wiebke. Natürlich.

»Hallo zusammen!« Sie hängte sich an Kristians Arm. »Super, hab ’nen trockenen Hals!« Damit nahm sie ihm die Flasche weg, setzte sie an den Mund und trank in kräftigen Zügen.

»Gibt’s eigentlich keine weiblichen Ringreiter?«, fragte ich, ohne jemanden dabei anzusehen.

»Die haben eigene Vereine und Turniere«, sagte Wiebke. »Aber falls du Interesse hast, muss ich dich enttäuschen. Man muss Sylterin sein, um aufgenommen zu werden.«

Ich fühlte förmlich, wie sie mich überheblich anblickte, sog weiter am Strohhalm. Nur noch Luft. Alle.

»Die zweite Voraussetzung ist, dass man eine gute Reiterin ist«, setzte sie nach.

Ärger und Scham trafen mich gleichzeitig. So gern hätte ich Wiebke eine passende Antwort gegeben. Eine, die sich gewaschen hatte. Wenn mir nur eine eingefallen wäre … Das machte mich noch wütender.

»Magst du was essen?«, fragte Piet mich. »Da drüben gibt’s Flammkuchen.«

Ich schüttelte den Kopf. Essen ging jetzt gar nicht. Kristian bestellte sich ein neues Bier, und Wiebke hing weiterhin an ihm. Ich wünschte, dass die Pause zu Ende wäre und sich damit diese blöde Situation auflöste. Es war keine gute Idee gewesen hierherzukommen.

Als sich ein älterer Mann mit schlurfenden Schritten dem Getränkestand näherte, löste sich Kristian ohne ein Wort von seinem Anhängsel und ging in die entgegengesetzte Richtung. Was war ihm bloß für eine Laus über die Leber gelaufen?

Der alte Herr schien nicht mehr ganz nüchtern. Er trug eine Schirmmütze und hatte glasige blaue Augen. Mit einem »Moin« stellte er sich neben Wiebke und rief anschließend nach einem Bier. Die beiden sprachen zwei oder drei Sätze miteinander, die ich wegen der Musik nicht mitbekam. Dann hob Wiebke winkend die Hand und machte sich ebenfalls aus dem Staub.

Bald darauf verstummte die Kapelle, und über die Lautsprecher wurde die Fortsetzung des Turniers angesagt.

Während Piet und ich uns wieder zum Zuschauen an der Reitbahn platzierten, fragte ich ihn: »Kanntest du den Mann, der gerade kam und mit Wiebke sprach?«

»Ole Andresen, Krischans Vater.«

Mehr sagte er nicht, und ich fragte auch nicht weiter. Das war also Kristians Vater, mit dem er seit fast drei Jahren nicht gesprochen hatte. War er wegen Kristian an den Stand gekommen? War es ein Versuch gewesen, mit ihm in Kontakt zu treten? Oder hatte er in seinem angetrunkenen Zustand gar nicht mitgekriegt, dass sein Sohn sich dort aufhielt?

Wir schauten den Ringreitern noch eine halbe Stunde zu, doch mir hatte es die Stimmung verhagelt und so bat ich Piet, mich zum Hof zurückzufahren. Er machte zwar den Vorschlag, noch irgendwo nett essen zu gehen, doch nachdem ich das freundlich, aber bestimmt ablehnte, kam er meinem Wunsch nach.

Auf Pferdeglück war es total ruhig. Einzig Mausi kam mir entgegen, begrüßte mich schnurrend und warf sich mit gewölbtem Rücken gegen meine Beine. Wahrscheinlich hielten sich sämtliche Reiter auf der Festwiese in Keitum auf. Ich verzog mich sofort in meine Mansarde. Der Tag hatte anders angefangen als erwartet und sich genauso fortgesetzt. Ich fragte mich, ob er besser verlaufen wäre, wenn ich zusammen mit Kristian zu diesem Reiterfest gegangen wäre. Hatte ich etwas falschgemacht? Und warum, zum Teufel, musste ich mir darüber so den Kopf zerbrechen?

In Schreibstimmung war ich sicher nicht, aber ich konnte mir das Ergebnis der vergangenen Nacht durchlesen und überarbeiten. Also setzte ich mich aufs Sofa, legte mir ein Kissen auf den Schoß und stellte den Laptop darauf. Dann änderte ich meinen Plan und las stattdessen das Manuskript von Anfang an, um zu kontrollieren, ob mein Stil gleichgeblieben war und um nach logischen Brüchen zu schauen.

 

Schon nach neun. Längst war ich mit dem Manuskript durch. Ich saß auf dem Sofa und fragte mich, wie das hatte passieren können.

Mir war meine weibliche Hauptfigur entglitten. Sie hatte sich innerhalb der letzten zwanzig, dreißig Seiten selbstständig gemacht, ohne dass ich es beim Schreiben gemerkt hatte. Fassungslos starrte ich auf den Bildschirm. Statt der schlanken blonden Anne, selbstbewusst und etwas frech, sah ich auf einmal eine eins sechzig Meter kleine Frau mit braunen Haaren vor mir, die ständig an dem zweifelte, was sie tat, die schnell verunsichert war und ganz und gar nicht das, was man taff nannte.

Anne war zu Lisa geworden. Was war da vor sich gegangen?

Ich konnte es mir nur so erklären, dass ich beim Schreiben unbewusst total mit meiner Heldin verschmolzen und sie dadurch umgewandelt und neu erschaffen hatte.

Und das Schlimme an der Sache: Mir wurde klar, warum. Ich hatte mich in meine männliche Hauptfigur verguckt. Irgendetwas sträubte sich in mir noch zu gestehen, dass es genau genommen nicht mein Romanheld Jannis, sondern eine sehr reale Person war, die mit mir unter einem Dach wohnte, keine zehn Meter entfernt.

Ich war doch wohl nicht gescheit! Davon abgesehen, dass so etwas wie Verlieben nach der Katastrophe mit Markus überhaupt nicht vorgesehen war, wohin sollte das führen? Aber das gestern Abend am Watt … Da hatte ich das rationale Denken wohl ausgeschaltet. Noch jetzt durchrieselte es mich, wenn ich daran dachte. Doch wollte ich Saisonliebe Nummer zwei oder drei dieses Jahres werden? Und außerdem wusste ich gar nicht, ob Kristian darauf abzielte. Was war schon passiert? Ein bisschen Händchenhalten. Vielleicht hatte er sich deshalb vorhin so reserviert verhalten. Könnte ja sein, dass er sich gestern nur von der außergewöhnlichen Abendstimmung hatte hinreißen lassen.

Also, Lisa, redete ich mir sehr vernünftig zu, jetzt erst mal den Kopf einschalten! Das ist zwar ein krasses Stück, was du dir da geleistet hast, aber wenn du ein paar Tage Schreibpause machst, dich in der Zeit von deiner rosaroten Wolke herunterholst und Kristian wieder neutral gegenübertrittst, ist alles halb so schlimm, und du wirst diese sonderbare Figurenumwandlung rückgängig machen können. Du bist …, nein warst ja erst gerade am Anfang, dich in ihn zu verknallen. Du hast dein Herz noch nicht verloren.

Zwei Minuten später stand ich dennoch auf und zog die Strickjacke über. Und während ich die Treppe hinunterstieg, über den Hof ging, um die Ecke des Stallgebäudes bog, funkte mein Verstand die ganze Zeit Warnsignale.

Vielleicht war er da. Unwahrscheinlich zwar, eher würde er mit den Ringreitern feiern, womöglich war Hauke Bruns wieder König geworden. Aber einen Versuch war es wert. Versuch, mischte sich der Kopfalarm ein, wozu? Zumindest möchte ich rauskriegen, was er heute Nachmittag hatte, rechtfertigte ich mich.

Es war noch richtig hell, als ich ihn tatsächlich auf der Bank an der Halle vorfand. Schon am Reitplatz hatte ich die leisen Töne der Gitarre gehört, immer wieder abbrechend, neu beginnend, als wenn er etwas einübte. Als er mich sah, hörte er auf und stellte die Gitarre weg.

»Naaa?«, sagte ich einfallslos und setzte mich neben ihn.

Er beugte sich leicht nach vorn und stützte seine Unterarme auf den Schenkeln ab; seine Finger spielten mit einem kleinen Teil, von dem ich nicht wusste, was es war.

»Haben wir einen neuen König auf dem Hof?« Erst einmal eine harmlose Unterhaltung in Gang bringen.

»Nee«, sagte er.

Ich wartete so lange, wie ich es aushalten konnte, dieses bedrückende Schweigen. »Habe ich dir was getan?«, fragte ich schließlich.

»Nee.«

Pause.

»Ich hab aber das Gefühl, als ob …«

»Alles in Ordnung.« Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Pause.

»Deine Mutter gut zu Hause angekommen?«

Ich atmete auf, endlich schien er seine Rede-Abwehr aufzugeben.

»Ja, sie hat eine SMS geschickt. Sie hat jetzt viel zu tun mit dem Schaden, und ich hab ein bisschen ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr nicht dabei helfen kann.«

»Hättest ja mitgefahren können.«

»Das wäre ihr auch am liebsten gewesen, aber ich konnte ihr glaubhaft erklären, dass das wegen Bruns’ Wienreise unmöglich geht.«

Immer noch schaute er mich nicht an, hatte den Blick geradeaus in Richtung der Baumgruppe bei den Weiden gerichtet, als wenn sich da das pralle Leben abspielte.

»Und danach?«, fragte er dann.

»Was meinst du?«

»Wie lange wirst du bleiben?« Jetzt wandte er sich mir zu. »Bis Bruns’ zurück sind?«

Die kleine steile Falte auf seiner Stirn entging mir nicht, ich zögerte.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich endlich und zog die Schultern hoch.

»Bis dich deine Mutter überzeugt hat oder bis der Roman fertig ist?«

»Keine Ahnung.«

Er gab einen komischen Laut von sich. Irgendwas zwischen Auflachen und Schnauben.

»Ich weiß es wirklich nicht.«

Er sah mich nicht mehr an, und in mir stieg Wut hoch.

»Du zweifelst wohl nie, wie? Das, was du dir vorgenommen hast, muss richtig sein – immer. Wie könnte der Weg falsch sein, wenn du ihn gewählt hast! Wie der mit deinem Vater.« Ich nahm mich zurück. Was redete ich da? Was ging mich das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater an?

»Du hast recht, Lisa, so bin ich. Aber im Gegensatz zu anderen gehe ich wenigstens einen Weg – meinen

»Man könnte auch sagen, du bist stur.«

»Dann sag es doch! Und du bist wie ein Fähnchen im Wind, weißt nicht, was du willst. Vielleicht holst du dir ja bei Piet Rat.« Damit stand er auf, nahm seine Gitarre und ging.