Die Schwangerschaftstests lagen aufgereiht auf einem Papierhandtuch im großen Badezimmer. Jeder von ihnen zeigte das gleiche Ergebnis. Ob es ein Plus war oder eine Linie oder das Wort Ja, die Antwort war eindeutig. Makayla war schwanger.
Sie standen so weit entfernt voneinander, wie das kleine Bad es zuließ. Gabby am Waschbecken, das Mädchen an der Badewanne. Schweigen füllte den Raum und drückte schwer auf sie hinab.
»Es tut mir leid«, flüsterte der Teenager. »Es tut mir so leid.«
Mir auch. Nicht, dass Gabby das sagen konnte. Sie konnte überhaupt nicht viel sagen. In dieser Sekunde fiel es ihr sogar schwer zu atmen. Ihre Brust war wie zugeschnürt, ihre Beine zitterten. Makayla war schwanger. Das veränderte alles. Was sollten sie jetzt tun? Schlimmer noch, wann sollte sie es Andrew sagen? Das wie käme später. Außer …
»Willst du es deinem Dad sagen, oder soll ich das machen?«
»Könntest du?«
Nein! Ich kann nicht! Aber sie war die Erwachsene. Sie war diejenige, die ruhig und praktisch und verständnisvoll bleiben musste. Sie musste der Fels sein, obwohl sie innerlich einfach nur schreien wollte. Moralische Überlegenheit, fiel ihr der Rat ihrer Mutter wieder ein. Nur hätte Marie sich diesen Moment niemals vorstellen können. Das konnte niemand.
»Sobald die Zwillinge im Bett sind«, flüsterte sie und überlegte, was sie sagen würde. »Dann sage ich es ihm, und danach kommen wir zu dir, um mit dir zu reden.«
Makaylas große Augen schwammen in Tränen. Ihre Lippen zitterten. »Ich wollte nicht, dass das passiert.«
»Ich weiß.«
Gabby wollte ihre Mädchen schnappen und weglaufen. Sie wollte sich hierüber keine Gedanken machen müssen. Sich nicht darum kümmern müssen. Sie wollte nicht, dass ihr Leben für immer verändert wurde. Aber wenn sie schon solche Angst vor der Zukunft hatte, wie musste es dann ihrer Stieftochter gehen? Makayla war erst fünfzehn.
»Wir kriegen das schon hin«, sagte sie mit gespielter Fröhlichkeit. »Du wirst schon sehen.«
»Meinst du wirklich?«
»Aber na klar.« Gabby ging zu ihr und umarmte sie. »Alles wird gut.«
Makayla überraschte sie, indem sie sich an ihr festklammerte, als wollte sie Gabby nie wieder loslassen. Dann fing das Mädchen an zu weinen. Harsche, erstickte Schluchzer, die ihren gesamten Körper schüttelten und sie nach Luft schnappend zurückließen. Gabby hielt sie fest und betete, dass ihre Zuversicht nicht gelogen gewesen war. Dass wirklich alles gut werden würde. Aber tief im Herzen wusste sie, dass dem nicht so war.
»Wir müssen reden.«
Andrew wirkte eher amüsiert als besorgt, als er sich auf ihrem Ehebett ausstreckte. »Das habe ich mir schon gedacht, so wie du mich ins Schlafzimmer gezogen hast.« Er klopfte neben sich auf die Matratze. »Komm. Du kannst mir erzählen, was los ist, während ich dich ein bisschen befummele.«
»Es ist ernst.«
Sein Lächeln schwand, und er setzte sich auf. »Du hast meine volle Aufmerksamkeit, Gabby. Was ist los? Beim Essen wirkten die Mädchen okay. Makayla war allerdings ein wenig still. Habt ihr zwei euch gestritten?«
Gabby knetete nervös ihre Finger. Sich hinzusetzen, war keine Option. Sie musste stehen oder, besser noch, auf und ab laufen. Doch sie wollte Andrew ansehen, während sie es ihm erzählte. Sie wollte wissen, was er dachte. Ob er ihr die Schuld geben würde. Denn davor hatte sie Angst. Dass sie die Schuld bekam.
»Gabby?«
»Makayla ist schwanger. Wir haben drei verschiedene Schwangerschaftstests gemacht. Sie waren alle positiv.«
Andrew wurde vollkommen still. So still, dass Gabby nicht sicher war, ob er überhaupt noch atmete. Dann stieß er einen Fluch aus – wütende Worte, die an niemanden gerichtet waren und dennoch verstörend wirkten.
Er stand auf und stellte sich vor Gabby.
»Bist du sicher?«
Sie nickte.
»Boyd?«
»Ich weiß es nicht. Ehrlich, es war keine Zeit, darüber zu reden. Ich bin losgegangen und habe die Tests gekauft, und dann hat sie die gemacht. Zu dem Zeitpunkt waren die Zwillinge mit ihrem Film fertig, und ich musste mich an die Zubereitung des Abendessens machen.«
Sie zitterte. Alles schmerzte. Nichts fühlte sich richtig an. Sie wappnete sich dagegen, von Andrew angeschrien zu werden, von ihm zu hören, was sie alles falsch gemacht hatte. Auch wenn er so etwas noch nie getan hatte.
Waren das ihre eigenen Schuldgefühle? Wenn sie sich mit Makayla doch nur mehr Mühe gegeben hätte. Wenn sie einander nähergestanden hätten …
Andrew stürmte aus dem Zimmer. Gabby eilte ihm nach. Er öffnete Makaylas Tür, ohne vorher anzuklopfen. Das Mädchen saß auf dem Bett, den Rücken gegen die Kissen gelehnt, die Knie an die Brust gezogen. Sie hatte geweint und wischte sich nun die Wangen ab, als die beiden eintraten.
»War es Boyd?«, fragte Andrew.
Makayla nickte.
Er drehte sich um und verließ den Raum.
Gabby starrte ihm nach. Was?
»Daddy, nein!«
Aber Andrew hörte nicht auf das Flehen seiner Tochter. Er verschwand, und ein paar Sekunden später hörte Gabby, wie seine Bürotür zuknallte. Was wesentlich besser war, als wäre das Garagentor aufgegangen. Zumindest würde er den zukünftigen Vater nicht gleich jetzt mit seiner Tat konfrontieren.
Unsicher, was sie tun sollte, blieb Gabby mitten im Zimmer stehen. Makayla fing wieder an zu weinen. Gabby atmete tief ein, ging zum Bett und setzte sich. Makayla warf sich ihr entgegen, schlang die Arme um Gabbys Taille und vergrub ihren Kopf in deren Schoß.
»Alles wird gut«, sagte Gabby automatisch. Sie streichelte dem Mädchen über den Rücken. So zerbrochen und verletzt wirkte Makayla noch jünger, noch kleiner.
»Wird es nicht. Er hasst mich.«
»Er weiß es seit fünfzehn Sekunden. Vielleicht nimmt er sich eine Auszeit, um die Information zu verdauen und sich zu überlegen, wie er damit umgehen soll.«
»Du hast mich nicht weggestoßen, als du es erfahren hast.«
»Dein Vater hat dich auch nicht weggestoßen. Aber er muss das alles erst einmal verdauen. Er liebt dich, und wir werden das als Familie durchstehen.« Sagte sie hier gerade das Richtige? Gab es das Richtige überhaupt?
Während das Mädchen weinte, saß sie still da. Nach ein paar Minuten verebbten die Tränen, und Makayla setzte sich auf.
Gabby berührte ihre Wange. »Du siehst furchtbar aus. Immer noch viel zu hübsch, aber trotzdem furchtbar.«
Makayla lächelte nicht. »Was soll ich nur machen?«
»Wasch dir das Gesicht, putz dir die Zähne und geh ins Bett. Der Rest kann warten. Das Baby wird ja nicht gleich morgen kommen. Ich werde heute Abend mit deinem Dad reden, und gemeinsam werden wir einen Plan entwickeln.«
Makayla nickte und kletterte vom Bett. An der Tür zum Badezimmer drehte sie sich noch einmal zu Gabby um.
»Kannst du bei mir bleiben, bis ich eingeschlafen bin?«
Was für eine unerwartete Bitte. »Natürlich.«
»Hasst du mich?«
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Ich bin nicht glücklich, falls du das meinst. Aber ich schätze, du bist auch nicht glücklich. Wir kriegen das hin. Niemand hasst dich.«
Makayla nickte. Kurz fürchtete Gabby, sie würde jetzt die nächste logische Frage stellen: Liebst du mich? Natürlich würde sie Ja sagen, aber sie war nicht sicher, ob das der Wahrheit entsprach. Makayla zu lieben, war nicht leicht. Der Teenager drückte alle ihre Knöpfe. Und im Moment … Nun, sie wollte einfach nicht über dieses Thema reden. Aber Makayla fragte nicht, also gab es keinen Grund zu lügen.
Keine zehn Minuten später lag Makayla wieder im Bett. Gabby zog sich den Schreibtischstuhl heran und setzte sich neben sie. Das einzige Licht fiel vom Flur durch die halb geöffnete Tür.
Gabby hatte angenommen, dass Andrew zurückkommen und noch etwas sagen würde, doch das hatte er nicht getan. Während Makayla im Bad gewesen war, war Gabby ins Zimmer der Zwillinge geschlichen und hatte ein paar Bücher herausgeholt. Nun schlug sie das erste davon auf.
»Du willst mir doch wohl nichts vorlesen?«, fragte ihre Stieftochter. »Dafür bin ich zu alt.«
»Es wird dir helfen einzuschlafen.«
Gabby blätterte zur ersten Seite des ersten Buchs in der Fancy Nancy-Reihe. »Nancy Clancy – Super Detektivin«, fing sie an. »Erstes Kapitel.«
Es dauerte eine Weile, aber irgendwann schlief Makayla ein. Gabby stellte den Stuhl zurück und ging auf den Flur hinaus. Die Tür ließ sie einen Spaltbreit offen stehen, für den Fall, dass das Mädchen aufwachen würde. Dann ging sie nach unten.
Sie war müde. Nein, bis auf die Knochen erschöpft. Innerhalb weniger Stunden hatte sich alles verändert. Sie wusste nicht, wie das Ganze enden würde, aber vermutlich nicht gut. Das spürte sie.
Andrew saß in seinem Büro hinter dem Schreibtisch und starrte an die Wand. Als Gabby eintrat, stand er auf und kam zu ihr. Nachdem er ihre Hände in seine genommen hatte, schaute er ihr in die Augen.
»Es tut mir leid. Ich habe mich geirrt, was Boyd und den Kuss anging. Ich hätte auf dich hören sollen.«
Vor Erleichterung wurden Gabby die Knie weich. »Ich hatte keine Ahnung, dass das mit den beiden so weit ging. Was für ein Schlamassel. Es war schrecklich, mich normal geben zu müssen, während ich darauf gewartet habe, es dir erzählen zu können.«
»Aber das musstest du. Wir hätten das nicht in Gegenwart der Zwillinge besprechen können.« Er zog sie an sich. »Ich hasse diesen kleinen Scheißer dafür, dass er ihr das angetan hat, aber darum geht es nicht. Wir müssen eine Lösung finden. Was für ein Desaster.«
Trotz allem musste sie kichern. »So kann man es auch ausdrücken.«
Er legte einen Arm um sie und führte sie zu dem Sofa vor dem Fenster. »Was meinst du, was wir tun sollen?«
»Mit ihr reden und herausfinden, wann das passiert ist. Dann sollten wir mit seinen Eltern reden. Damit wir alle am selben Strang ziehen.«
Er nickte. »Ja, das klingt sinnvoll. Morgen früh muss ich erst mal die Sache mit Makayla geraderücken. Ich darf nicht vergessen, dass mich die Situation zwar aufregt, sie aber immer noch meine Tochter ist.« Er drückte Gabbys Hand. »Ich habe so viel Glück, dich zu haben, Gabby. Wir werden einen Weg finden und gemeinsam nach vorne sehen.«
Das ist genau das, was ich hören wollte, dachte sie und lächelte ihn an. Solange sie auf derselben Seite standen, würden sie es durchstehen.
»Ich weiß, warum sie die nicht wollten«, sagte Rob spöttisch und starrte auf das matschig rot-braune Farbmuster auf der Seite des Eimers. »Dabei muss es sich um eine Fehlproduktion gehandelt haben.«
»Das hoffe ich doch.« Hayley zeigte auf einen anderen Eimer weiter hinten im Regal des Baumarkts. »Was ist damit?«
»Gelb? Nicht gerade meine Lieblingsfarbe. Weißt du, wir könnten einfach die Farbe kaufen, die wir wollen. Es ist nur Farbe. Wir können sie uns vermutlich leisten.«
Hayley schüttelte den Kopf. »Komm schon. Betrachte es als Herausforderung. Oder als Schatzsuche. Das gesparte Geld können wir für andere Dinge verwenden.«
Sie hatte das Gefühl, dass er an Vorhänge oder Teppiche dachte, während sie die Schweiz im Hinterkopf hatte. Aber sie hatten an diesem Vormittag so viel Spaß, dass es keinen Grund gab, das zu erwähnen.
»Wenn wir nichts finden, was uns gefällt, suchen wir uns eine der regulären Farben aus.«
»Abgemacht.«
Sie fuhren fort, die Eimer mit den herabgesetzten Farben zu mustern.
»Hey, sieht dir die an.« Er hielt einen Eimer mit einem salbeigrünen Farbmuster hoch. »Das ist doch nett.«
Hayley ging zu ihm und betrachtete den Farbton. Es war genau das richtige Grün – nicht zu gelblich und nicht zu dunkel.
»Das gefällt mir. Wir viele Eimer gibt es?«
»Drei. Das sollte reichen. Wir müssen vorher eh eine Grundierung auftragen, weil die Wände so lange nicht gestrichen worden sind. Die können wir schon leicht einfärben lassen. Und flipp nicht gleich aus, das machen die hier umsonst.« Er warf ihr einen Blick zu.
»Ich flippe nicht aus.«
»Wegen des Geldes? O doch, das tust du. Also sind wir uns mit dem Salbeigrün einig?«
»Das sind wir.« Sie lächelte ihn an. »Du bist so praktisch.«
»Das ist nur einer meiner Vorzüge. Komm, holen wir die Grundierung.«
Nachdem sie die Farbe in ihren Einkaufswagen gestellt hatten, gingen sie in die Gartenabteilung. Selbst unter der Markise war an diesem Morgen die wärmende Sonne zu spüren. Die Pflanzen waren in Reihen angeordnet – die größeren auf dem Boden, die kleineren auf Tischen dahinter – und nach Eigenschaften sortiert: schattiger Standplatz, blühend, einjährig, mehrjährig. Jetzt, wo sie ihren Vorgarten hatten aufräumen lassen, war klar zu sehen, dass er einige frische Pflanzen benötigte. Aber das Angebot war einfach zu groß.
Hayley schaute sich um, bevor sie Rob ansah. »Ich habe keine Ahnung von Pflanzen. Du etwa?«
»Nö.«
»Wir könnten jemanden fragen.«
»Damit setzt du voraus, dass wir die Fragen kennen.«
»Oh. Stimmt.« Sie zeigte auf die Rosen. »Die kenne ich. Ich glaube, die machen viel Arbeit.«
»Dann sind sie nichts für uns.«
Hayley seufzte. »Ich bin total verloren.«
»Aber du bist sehr hübsch, und das ist das Einzige, was zählt, oder?«
Sie schlug ihm spielerisch auf den Arm. »Sehr lustig. Vielleicht sollten wir mit dem, was wir haben, nach Hause fahren und einmal durch den Garten wandern. Gucken, was tot ist, was nur gegossen werden muss und so. Und dann einen Plan erstellen. Dann können wir im Internet ein wenig recherchieren, bevor wir hierher zurückkommen.«
»Eine ausgezeichnete Idee.« Er gab ihr einen Kuss. »Du bist also doch nicht so ahnungslos.«
Sie suchten sich einen Weg durch die anderen Kaufwilligen und stellten sich an der Kasse an. Nachdem sie alles im Auto verstaut hatten, fuhren sie nach Hause und brachten die Farbeimer und Malutensilien hinein.
Das Schlafzimmer hatten sie bis auf Bett und Kommode schon ausgeräumt. Am nächsten Morgen würden sie die Vorhänge abnehmen und dann anfangen zu streichen. Hayley nahm eine Rolle blaues Abklebeband in die Hand.
»Ich fange mit den Fußleisten an, und du kannst die Fenster übernehmen«, schlug sie vor.
Rob nahm ihr das Klebeband ab und ließ es auf den Boden fallen. »Oder wir könnten etwas anderes machen«, flüsterte er, bevor er sie küsste.
Das Gefühl seiner Lippen auf ihren war angenehm, aber auch überraschend. Als er seine Arme um sie legte, wusste Hayley genau, was er wollte.
»Ich weiß nicht, ob ich gerade einen Eisprung habe«, gab sie zu. Schon seit Wochen hatte sie ihre Temperatur nicht mehr gemessen. Warum auch? Nach der letzten Fehlgeburt und dem Chaos, das die Hormone in ihrem Körper angerichtet hatten, wusste sie nicht mehr, wo sie sich gerade in ihrem Zyklus befand.
»Das macht nichts«, sagte er und küsste sich an ihrem Kiefer entlang, bevor er sich ihrem Hals widmete.
Aber was ist mit der Schweiz? Die Frage stellte sie nicht laut, doch vorher konnte nichts passieren. Sie musste ihren Körper erst heilen lassen, bevor die Behandlungen beginnen würden.
»Aber ich …«
Verständnis dämmerte, und Rob richtete sich auf. Genervt zog er die Augenbrauen zusammen.
»Nicht alles dreht sich darum, schwanger zu werden«, erklärte er. »Wir sind verheiratet. Wir haben das mal nur aus Spaß gemacht.«
Die Schuldgefühle brannten heiß und grell in ihrem Bauch. Nicht nur, weil sie ihrem Mann nichts von ihren Plänen erzählt, sondern auch, weil er recht hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie einander ständig hatten lieben wollen, einfach nur, weil es sich gut anfühlte, zusammen zu sein. In ihrem ersten Ehejahr hatten sie sich jeden Tag geliebt, manchmal sogar mehrmals. Sie hatten gelacht und einander berührt, selbstgefällig in dem Wissen, dass sie für immer ineinander verliebt sein würden.
Er trat einen Schritt zurück.
»Rob, warte.«
Er sah sie sehr lange an. »Geht es dir je um etwas anderes, als schwanger zu werden?«
»Natürlich.« Die Antwort kam automatisch. »Es ist nur …«
»Das dachte ich mir. Ich bin in der Garage.«
Sie ließ ihn gehen. Sie hätte ihn zurückhalten können, hätte zu ihm gehen und ihn küssen können. Ihn in den Arm nehmen. Seine Meinung zu ändern, wäre nicht schwer gewesen. Doch stattdessen ließ sie sich im Schneidersitz auf den Boden sinken.
Alles tat ihr weh. Nicht nur die üblichen Krämpfe, sondern überall. Ihre Arme und Beine waren zu schwer. Sie schlief nicht gut. Ein Baby zu wollen, ist kein Verbrechen, sagte sie sich, während sie den Kopf in die Hände stützte. Sie war kein schlechter Mensch. Das musste Rob doch verstehen.
Das Problem war: Sie war sich ziemlich sicher, dass er es verstand. Aber die Reise ging schon zu lang, und Verständnis allein reichte nicht mehr.
Boyds Eltern lebten im Torrance-Viertel von Mischief Bay in einem hübschen zweigeschossigen Haus auf einem kleinen Grundstück. Gabby nahm an, dass dort einst ein süßer kleiner Bungalow gestanden hatte, der abgerissen worden war, um Platz für ein größeres Haus zu schaffen. Das passierte überall.
Der Rasen war akkurat gemäht, die Haustür frisch gestrichen und das Wohnzimmer tadellos aufgeräumt. Gabby dachte an die endlosen Bücherstapel, Stofftiere, Hunde- und Katzenspielzeuge und Puppen, die sie in ihrem Wohnzimmer ständig wegräumen musste. Wenn sie drei Tage Vorwarnung hätte, könnte sie ihr Haus in annähernd den gleichen Zustand bringen wir dieses hier.
Das Wohnzimmer war in Weiß, Eisblau und blassem Grau eingerichtet. Zwei große Sofas standen einander gegenüber. Sie und Andrew setzten sich auf eines, während Boyds Eltern auf dem anderen Platz nahmen. Die Teenager saßen in zwei Sesseln. Sie waren zwar körperlich nicht beieinander, schienen aber trotzdem verbunden zu sein.
Boyd war ein großer, schlaksiger Sechzehnjähriger mit zu langen Haaren und krummer Haltung. Als Gabby ihn jetzt so betrachtete, hätte sie ihn eher für jemanden gehalten, der seine Zeit mit Computerspielen statt mit Sport verbrachte. Was sie überraschte, denn sie hätte gedacht, dass Makayla eher auf Sportler stand. Aber was wusste sie schon? Letzte Woche um diese Zeit hätte sie über die Vorstellung gelacht, dass ihre fünfzehnjährige Stieftochter schwanger war.
Boyds Eltern, Thomas – nicht Tom – und Lisa, zogen die gleichen missbilligenden Mienen. Gabby dachte kurz, dass sie vor der Fahrt hierher einen Kurzen hätte trinken sollen. Vielleicht hätte ein kleiner Schwips die Sache erleichtert. Ein unangebrachtes Kichern hätte die Situation auf jeden Fall nicht verschlimmern können.
Wenigstens war Candace nicht hier, um ihre Meinung dazuzugeben. Andrew hatte ihr eine Nachricht hinterlassen und um Rückruf gebeten, ohne ihr zu sagen, was los war. Sie hatte ihm einen Text geschickt, dass sie gerade auf Geschäftsreise in Europa sei und sich erst nach ihrer Rückkehr melden könnte.
Gabby schaute sich um, sah die großen Bodenvasen, den Pool, die Vorhänge, die vermutlich aus Seide waren. Der Unterschied in ihren Lebensstilen war jedoch nicht auf Geld zurückzuführen, sondern darauf, dass sie fünfjährige Zwillinge und Haustiere hatte. Sie widerstand dem Drang, an sich herunterzuschauen, um sicherzustellen, dass sie keine Flecken auf ihrem T-Shirt hatte.
Mit einem Mal wurde ihr das Schweigen bewusst, dass den Raum ausfüllte. Seit der etwas unbehaglichen Vorstellung hatte niemand mehr etwas gesagt. Sie griff nach Andrews Hand, und er drückte ihre leicht, bevor er tief durchatmete.
»Wie es scheint, haben wir ein Problem«, fing er an.
»Das haben wir.« Lisa, eine große, schlanke Brünette mit kleinen Augen, schaute Gabby an. »Ein Problem, das Ihre Tochter erschaffen hat.«
Gabby versteifte sich. »Wie bitte?«
»Wenn Sie wüssten, was in Ihrem Haus vor sich geht, wäre das alles nicht passiert. Haben Sie denn keine Regeln?«
Natürlich haben wir Regeln, dachte Gabby. Regeln, die gebrochen worden waren.
»Wir haben es nicht da gemacht«, warf Makayla schnell ein. »Es war hier. Beide Male.«
»Tja, gleichfalls, würde ich wohl sagen«, sagte Gabby zu Lisa, während sie am liebsten geschrien hätte. Zwei Mal? Sie hatten nur zwei Mal Sex gehabt, und Makayla war schwanger geworden? Sie wusste natürlich, dass es möglich war. Aber fair war es nicht.
Die andere Frau errötete. »Ich bin nicht sicher, ob der Ort wichtig ist.«
Ja klar. Vor drei Sekunden war er noch sehr wichtig gewesen.
»Dem stimme ich zu.« Andrew lehnte sich vor. »Wir müssen eine möglichst gute Lösung finden.«
»Sie sind noch Kinder.« Thomas funkelte seinen Sohn an. »Unverantwortliche Kinder. Ich verstehe das nicht. Wir haben doch darüber gesprochen, Boyd. Du solltest ein Kondom benutzen.«
»Wie wäre es damit, nicht mit einer Fünfzehnjährigen zu schlafen?«, zischte Gabby. Sie wusste nicht, wo die Worte herkamen.
Andrew drückte ihre Hand. »Gabby«, murmelte er.
Sie nickte, weil sie wusste, dass ihre Einwürfe nicht hilfreich waren.
Lisa verdrehte die Augen. »Es liegt nicht an Boyd. Erwarten Sie nicht, dass ich glaube, es wäre Makaylas erstes Mal gewesen. Ich bin sicher, sie hat ihn verführt.«
»Wie bitte?« Die Worte explodierten förmlich von Gabbys Lippen.
»Es war ihr erstes Mal«, sagte Boyd schnell. »Ich schwöre es. Mom, du bist wirklich nicht hilfreich.«
Gabby spürte, wie ihr die Galle hochkam. Sie würde sich übergeben – gleich hier, auf dem blassgrauen Teppich. Was für eine Zicke. Die Situation war schon schwierig genug, aber Lisa machte sie noch schlimmer. Gabby riskierte einen Blick zu Makayla, die die Augen auf ihre ineinander verknoteten Finger gerichtet hatte. Gabby wollte zu ihr laufen und sie im Arm halten, bis all das hier vorbei war. Aber das war keine Option.
Andrew räusperte sich. Gabby kannte dieses Geräusch. Es bedeutete, dass er versuchte, sich unter Kontrolle zu halten.
»Wenn wir damit fertig sind, uns gegenseitig die Schuld zuzuschieben«, sagte er mit leiser Stimme. »Können wir vielleicht an einer Lösung arbeiten.«
»Wir haben eine.« Boyd ergriff Makaylas Hand. »Wir sind verliebt.«
»Guter Gott, du bist sechzehn.« Thomas funkelte seinen Sohn böse an. »Ihr seid zu jung, um zu wissen, was Liebe ist. Oder gesunder Menschenverstand, wie man sieht.«
»Wir wollen zusammen sein«, beharrte Boyd.
»Und unser Baby bekommen«, fügte Makayla an.
Das war wenig überraschend, fühlte sich für Gabby aber trotzdem wie ein Tritt in den Magen an. Sie unterstützte das Recht der Frau auf Selbstentscheidung. Aber wie um alles in der Welt sollte Makayla ein Kind aufziehen? Es gab andere Möglichkeiten, wobei Gabby nicht sicher war, wie weit Makaylas Schwangerschaft schon gediehen war. Wenn die Teenager davon sprachen, verliebt zu sein und ihr Baby gemeinsam aufzuziehen, war eine Abtreibung vom Tisch. Womit nur noch die Freigabe zur Adoption übrig blieb. Waren Säuglinge nicht besonders leicht zu vermitteln?
»Ihr werdet nicht heiraten«, sagte Lisa ausdruckslos. »Dazu seid ihr zu jung.«
»Damit können wir warten.« Boyd reckte das Kinn. »Makayla und ich werden zusammenbleiben.«
Gabby zog innerlich den Hut vor dem Jungen, der sich seinen Eltern gegenüber so behauptete. Sie fragte sich, ob das oft vorkam, schätzte aber, eher nicht. Würde er so stark bleiben können, oder würden sie ihn so lange bearbeiten, bis er einknickte?
Ihr Blick glitt zu Makayla. Die starrte Boyd voller Hoffnung und Liebe an. Die beiden waren noch so jung. Sie hatten keine Ahnung, worauf sie sich da einließen.
»Wir brauchen etwas Zeit«, sagte Andrew. »Wir wissen jetzt, was die beiden wollen. Gabby und ich müssen darüber reden, wo wir in der Sache stehen. Ich nehme an, Thomas und Lisa, Sie wollen das Gleiche tun. Lassen Sie uns in ein paar Wochen noch mal miteinander reden.«
Zum ersten Mal, seitdem sie das Haus betreten hatten, lächelte Lisa. »Das ist eine ausgezeichnete Idee, Andrew. Wir haben gerade erst davon erfahren, und wir alle benötigen Zeit, um es zu verarbeiten. Warum bleiben Sie und ich nicht in Kontakt?«
Denn Gabby und Thomas waren in diesem Mein Kind ist schwanger-Club nur Mitglieder zweiter Klasse?
Gabby schüttelte ihre Genervtheit ab. Sie würde in den nächsten Monaten mit Lisa zu tun haben, ob sie wollte oder nicht. Eventuell sogar länger, wenn – was Gott verhüten mochte – Makayla und Boyd wirklich zusammenblieben und ihr Kind gemeinsam aufzogen.